ADB:Heer, Joachim

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Artikel „Heer, Joachim“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 235–238, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heer,_Joachim&oldid=- (Version vom 7. Mai 2024, 05:43 Uhr UTC)
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Heer: Dr. Joachim H., Landammann in Glarus und schweizerischer Bundespräsident; geb. am 25. Sept. 1825, † am 1. März 1879; – stammte aus einem Zweige der angesehenen glarnerischen Familie H., welcher in vier auf einander folgenden Generationen das höchste Landesamt in Glarus bekleidete und in ihm auf rühmlichste Weise schloß. Einziger Sohn des zweiten Landammann Kosmus H. (s. unten), schon im zwölften Jahre des Vaters beraubt, aber mit früh hervortretender geistiger Begabung ausgestattet und ökonomisch unabhängig, war H. naturgemäß berufen, die in seiner Familie traditionell gewordene Laufbahn [236] zu verfolgen. Nach erhaltener Gymnasialbildung in Zürich, dem Studium der Rechte in Zürich, Heidelberg und Berlin (1844–1846), nach rühmlicher Promotion und einem Aufenthalte in Paris, trat er 1847 in Glarus in sein erstes öffentliches Amt, als Mitglied des Rathes, der obersten Verwaltungsbehörde des Kantons. Hier machte er sich zunächst mit dessen Gesetzgebung vertraut und durch Herausgabe einer Sammlung der seit Annahme der neuen Verfassung vom 2. October 1836 erlassenen Gesetze verdient; zugleich erfüllte er militärische Pflichten als Lieutenant im glarnerischen Truppen-Kontingente im Feldzuge der Tagsatzungsarmee unter General Dufour gegen die Sonderbundskantone. Obwol er in dieser schweizerischen Frage die politische Anschauung der Mehrheit seiner glarnerischen Mitbürger nicht theilte und der gewaltsamen Lösung des Konfliktes abhold war, wählte ihn die Landesgemeinde doch schon 1848 zum Mitgliede des (erstinstanzlichen) Civilgerichtes und 1851 zum Mitgliede der Standescommission, der eigentlichen Regierung des Kantons, die den Rath in allen laufenden Geschäften vertritt und alle wichtigeren Vorlagen vorbereitet. Mit Eifer wartete H. seines neuen Amtes und erwarb sich bald allgemein Zutrauen und Liebe. Seiner umfassenden Bildung gesellten sich unermüdliche Arbeitskraft, rasche Auffassung, Klarheit und Sicherheit in der Behandlung auch der verwickeltsten Fragen und eine ungewöhnliche Rednergabe zu, die sich jeder Bildungsstufe verständlich zu machen wußte, überall aber die höhern, idealen Gesichtspunkte festhielt und geltend machte. Nur das Wohl des Ganzen in’s Auge fassend, milde gegen abweichende Ansichten, gewann er auch Gegner durch ein freundliches seinem edlen Charakter entfließendes leutseliges Wesen. Schon 1852 wählte ihn die Landsgemeinde zum zweiten Haupte des Rathes oder Landstatthalter: schon 1857, in seinem 32. Altersjahre, berief sie ihn zum höchsten Amte, demjenigen des Landammannes, das er nun ununterbrochen bis 1875 bekleidete, immer einstimmig wiedergewählt. Ein seltenes Band gegenseitigen Vertrauens umschloß immer enger den Landammann H. und das Volk von Glarus; ein Verhältniß wie es nur in den uralten Demokratien der schweizerischen Bergkantone möglich ist. Jedem Landmanne ohne Umstände zugänglich, dem Einzelnen in allen Dingen, auch persönlichen der alltäglichsten Art, ein wohlwollender Berather, in Rath und Gemeinde die Behandlung aller wichtigen Fragen leitend, war H. von einer Achtung und einem Zutrauen des Volkes umgeben, die ungeachtet seiner selbstständigen Haltung auch bei bestimmter Meinungsverschiedenheit zwischen der Mehrheit seiner Landsleute und ihm niemals wankten. Ein erhebender Anblick war es, den auch äußerlich durch Gestalt und Würde hervorragenden Mann in der Mitte der Landsgemeinde, unter freiem Himmel, die Berathungen von mehreren tausend Männern mit der ihm eigenen Ruhe, mit seinem Ansehen und seiner Kraft des Wortes leiten zu sehen. Ohne beherrschenden Strömungen des öffentlichen Lebens sich geradezu zu widersetzen, suchte er doch und wußte meist mit Glück ihren Lauf zu lenken, die Elemente in Schranken zu halten, die, mit Gewalt ausbrechend, nur zerstörend hätten wirken können, und mit Unrecht Bedrohtes zu schützen. So stand H. den gesetzgeberischen Akten der Landsgemeinde, so der Verwaltung des Landes vor, die Verfassungsveränderungen von 1851, 1866 und 1873, vielfache Verbesserungen in allen Zweigen der Administration, die Eröffnung der Eisenbahn, die Glarus mit den Nachbarkantonen verbindet, bezeichnen die Zeit von Heer’s Wirksamkeit. Besondere Vorliebe widmete er dem Schulwesen in Kanton und Gemeinde. Die große Feuersbrunst, die in der Nacht vom 10./11. Mai 1861 den Hauptflecken Glarus größtentheils zerstörte, in der H. selbst sein väterliches Haus, seine Bibliothek und die von seinem Vater angelegten reichhaltigen geschichtlichen Sammlungen verlor, stellte neue Forderungen an seine Thätigkeit. Es galt, [237] nicht nur die zerstörte Ortschaft wieder herzustellen, sondern auch die Finanzen des Kantons, der sich in Folge der obligatorischen Häuserassekuranz mit schweren Schulden belastet sah, auf neuer Grundlage zu ordnen. Mittlerweile hatte für H. auch eine eingreifende Wirksamkeit in den schweizerischen Angelegenheiten begonnen. Nachdem er anfänglich eine Wahl in den schweizerischen Nationalrath abgelehnt, weil er nicht sicher sei, dort immer im Sinne der Mehrheit des glarnerischen Volkes wirken und stimmen zu können, die Landsgemeinde ihn aber dennoch wieder als den Mann ihres Vertrauens bezeichnet hatte, trat er 1857 in jene Behörde ein, bald auch hier eines der hervorragenden Mitglieder des Rathes. Hier insbesondere machte sich seine seltene Gabe der Vermittelung zwischen Anschauungen und Elementen entgegengesetzter Art mit glücklichem Erfolge geltend, wußte aufgeregte Wogen zu glätten und zwischen Gegnern, die sich grundsätzlich oder persönlich gegenüberstanden, Wege der Verständigung zu bahnen. 1862 Vicepräsident, 1863 und 1869 Präsident des Nationalrathes, wurde er 1866 von der Behörde zum Mitgliede des Bundesrathes, der schweizerischen Exekutive, erkoren, lehnte aber diesen Ruf ab, nicht Willens dem heimathlichen Wirkungskreise zu entsagen. Dagegen entzog er sich dem Rufe des Bundesrathes nicht, die Schweiz nach den Ereignissen von 1866 in Berlin und an den süddeutschen Höfen, wenigstens eine Zeit lang, zu vertreten; eine Stellung, in der vorzüglich die Verhältnisse der Schweiz zum deutschen Zollverein seine Thätigkeit in Anspruch nahmen. Der Abschluß eines Handelsvertrages scheiterte freilich an der Frage des schweizerischen Ohmgeldes und erst Heer’s Nachfolger war es vergönnt dies Ziel im Mai 1869 zu erreichen. Um so bestimmter beharrte H. auf dem Verlangen, der nur ungern und bedingungsweise übernommenen Stelle wieder enthoben zu werden und kehrte mit großer Befriedigung in die Heimath zurück, wo er das ihm verbliebene Amt eines Landammannes wiederaufnahm. Wie schon früher, betheiligte er sich nun auch an den Arbeiten des 1863 von Dr. J. J. Blumer (s. im Anhange) begründeten historischen Vereins von Glarus und schrieb für denselben im Anschluß an eine Abhandlung von Blumer die Geschichte des Kantons zur Zeit der helvetischen Republik, 1799–1802. (Jahrbuch des historischen Vereins des Kantons Glarus 1869, 1870 und 1872.) Inzwischen traten die europäischen Ereignisse von 1870/71 ein und brachten durch ihre Rückwirkung in der Schweiz die bereits aufgetauchte Frage einer Bundesrevision in Fluß, eine auf größere Centralisation der Gewalten gerichtete nachdrückliche Bewegung erzeugend. Der Canton Glarus wurde von dieser Strömung entschieden ergriffen und auch H. ging auf dieselbe mehr ein, als Manche erwarteten. Doch verwarf die Mehrheit des Schweizervolkes 1872 ein erstes allzu centralistisch befundenes Bundesproject und erst am 19. April 1874 erfolgte die Annahme der jetzigen Bundesverfassung als eines Compromisses zwischen den Parteien. H. nahm an den mehrjährigen Verhandlungen hierüber regen, einflußreichen Antheil, seine Ansichten nie zurückhaltend, aber auch stets bemüht, Uebertreibungen und verletzenden Ausschreitungen der Mehrheit zu begegnen. So blieb ihm die Achtung und das Vertrauen aller nicht bloß eigennützige Absichten des Ehrgeizes oder der Parteileidenschaft verfolgenden Männer bewahrt und es war der Ausdruck dieser Gesinnungen, als ihn die Bundesversammlung im December 1875 mit ungewöhnlichem Mehr zum Mitgliede des Bundesrathes erwählte. Nicht ohne Ueberwindung folgte er diesmal dem Rufe, der überdies in einem ihm ganz besonders schweren Augenblicke an ihn erging. Wenige Wochen zuvor, am 12. November 1875, war sein ihm nahe befreundeter und verwandter Heimathgenosse, Bundesgerichts-Präsident Dr. J. J. Blumer, – während mehr als 20 Jahren neben H. einer der einflußreichsten Männer des Kantons Glarus und mit H. dessen Hauptstellvertreter in den schweizerischen Räthen – von [238] plötzlicher Krankheit dahin gerafft worden. H. widmete ihm ein biographisches Denkmal (Jahrbuch des historischen Vereins des Kantons Glarus 1877). Mit voller Energie wandte er sich übrigens seiner neuen Aufgabe zu und erfüllte durch die Stellung, die er im Bundesrathe einnahm, die allseits in ihn gesetzten Erwartungen. Im J. 1877 Bundespräsident, stand er im März dieses Jahres den Arbeiten des in Bern versammelten Congresses des Weltpostvereins mit Auszeichnung vor. Zu allgemeinem Bedauern sah er sich aber durch ein körperliches Leiden schon im Herbste 1878 genöthigt seine Entlassung aus den Bundesbehörden zu begehren. Er zog sich nach Glarus zurück, wo man hoffte, daß volle Ruhe ihn wieder herstellen werde. Allein schon nach ein paar Monaten erlitt er einen Schlaganfall, dessen Folgen seinem edlen Leben am 1. März 1879 ein Ziel setzten. Der Tag seiner Bestattung, zu welcher am 5. März Tausende zusammenströmten, war ein Tag allgemeiner Landestrauer für Glarus und die Schweiz.

Nekrologe in den schweizerischen Tagesblättern, besonders im luzernischen Vaterland vom 5. März 1879 (von Dr. A. Ph. v. Segesser). Persönliche Erinnerung.