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ADB:Heubner, Otto

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Artikel „Heubner, Otto“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 287–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heubner,_Otto&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 12:20 Uhr UTC)
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Heubner: Otto Leonhard H., Jurist und Politiker, wurde am 17. Januar 1812 in der sächs. Kreisstadt Plauen i. Voigtlande geboren. Sein Vater Johann Leonhard H., ein Mann von klarem Verstand und fester Willenskraft, aber von heftiger, leicht erregbarer Gemütsart, war Advocat, Gerichtsdirector und Mitglied des Stadtrathes, später auch Bürgermeister und Abgeordneter der Stadt auf den alten ständischen Landtagen, wo er mit unerschrockenem [288] Freimuth für die Grundforderungen des Liberalismus eintrat und sich mit Umsicht und Gründlichkeit an der Berathung der noch heute geltenden Landesverfassung betheiligte. Da ihn seine vielseitige und angestrengte berufliche und öffentliche Thätigkeit völlig in Anspruch nahm, lag die Erziehung der Kinder fast ausschließlich der energischen und feingebildeten Mutter ob. Der Knabe war in seiner frühesten Jugend ein zwar äußerst lebhaftes, aber in körperlicher Hinsicht zartes und schwächliches Kind, so daß er keine öffentliche Schule besuchen konnte, sondern von einem Privatlehrer unterrichtet werden mußte. Erst in seinem 12. Lebensjahre war er soweit gekräftigt, daß er Ostern 1824 in die Fürsten- und Landesschule zu Grimma aufgenommen werden konnte. Hier gehörte er nach dem einstimmigen Urtheil seiner Lehrer zu den besten Schülern. Die schöne Lage und Umgebung des Ortes erweckte in ihm einen ausgeprägten Sinn für Naturschönheit, der ihn bis in sein höchstes Alter nicht verließ. Seine gründliche Beschäftigung mit den Dichtern des classischen Alterthums förderte die in ihm schlummernde, vom Vater geerbte poetische Begabung und regte ihn schon früh zu dichterischen Versuchen an, die als nicht unglücklich zu bezeichnen sind. Michaelis 1829 nahm er mit einer lateinischen Elegie auf den Tod des Socrates, den er als einen Märtyrer seiner Ueberzeugungen pries, von der Schule Abschied und bezog die Universität Leipzig, um sich der Rechtswissenschaft zu widmen. Seine Studienjahre fielen in eine politisch tief bewegte, gährende Zeit. Die großen Ereignisse jener Jahre, namentlich die französische Julirevolution, die belgische Erhebung, der polnische Aufstand und das Ueberhandnehmen demokratischer Bestrebungen in Deutschland verfehlten nicht, den für Vaterland und Freiheit begeisterten Jüngling mächtig anzuregen. Er beschloß, sein Leben der Sache des Volkes und der deutschen Einheit zu widmen. Allerdings setzten sich seine Stimmungen vorläufig nicht in Thaten um, sondern er begnügte sich, sie in Gedichten auszudrücken. Einige von diesen veröffentlichte er in verschiedenen Zeitschriften unter dem Decknamen Otto Leonhard, so einen „Gruß an Lafayette“ (1830), ein „Lied an den polnischen Landsturm“ (1831) und einen schwungvollen Aufruf „An das deutsche Volk“ (1832). Besondere Anregung empfing seine poetische Begabung durch seinen häufigen Verkehr mit dem voigtländischen Dichter Julius Mosen, der damals in einem Dorfe unweit Leipzig als Actuar angestellt war.

Michaelis 1832 verließ H., noch nicht 21 Jahre alt, nach wohlbestandener Prüfung die Universität und kehrte in das Elternhaus nach Plauen zurück, um sich hier unter Anleitung seines Vaters in dessen Anwaltsexpedition in die juristische Praxis einzuarbeiten. Da der Vater sehr stark und vielseitig beschäftigt war, fand der Sohn reichliche Gelegenheit, seine Kenntnisse zu verwenden und sich auf allen Gebieten der privaten und öffentlichen Rechtspflege zu vervollkommnen. So wurde er dem Vater bald eine zuverlässige Stütze. Da ihn seine Berufsarbeit den ganzen Tag in Anspruch nahm, fand er auch jetzt noch keine Zeit zu politischer Bethätigung. Die Freuden des Familienlebens, der Umgang mit der Natur und die Liebe zur Dichtkunst füllten seine wenigen Mußestunden aus. Um seine Gesundheit durch die sitzende Lebensweise nicht zu schädigen, gab er sich mit Eifer und Ausdauer dem Turnen hin, das er aus den Schriften Friedrich Ludwig Jahn’s kennen gelernt hatte. Er richtete den Garten seines Vaters zu einem Turnplatz her, und die Uebungen, die er bei schönem Wetter mit seinen jüngeren Geschwistern daselbst vornahm, lockten viele Zuschauer an. Bald stellten sich Freunde und Bekannte als Theilnehmer ein, allmählich versammelte sich die ganze turnlustige Jugend der Stadt, und H. ertheilte nicht [289] nur in seinem Garten, sondern auch in mehreren Schulen, namentlich im Lehrerseminar, unentgeltlich Turnunterricht. Er veranstaltete auch Turnfahrten, turnerische Wettkämpfe und Turnfeste, die er durch begeisterte Reden und selbstgedichtete Turnerlieder verschönte. Allmählich entwickelte sich ein Turnverein, das fröhliche Treiben der Turner erregte die wohlwollende Aufmerksamkeit der Behörden, und es wurde eine städtische Turnanstalt errichtet, von der aus sich das Turnwesen über das ganze Voigtland und nach andern Theilen Sachsens verbreitete. H. erfreute sich in den Kreisen der Turner allgemeiner Beliebtheit, er wurde als der Turnvater Sachsens gepriesen und blieb der Turnsache bis an sein Ende treu.

1834 siedelte sein Vater nach dem einige Stunden von Plauen gelegenen Städtchen Mühltroff über, wo man ihm eine einträgliche Stellung als Justitiar angeboten hatte. Da er aber seine Expedition in Plauen nicht aufgeben wollte, übertrug er seinem Sohne die dortigen Amtsgeschäfte. Bald aber wurde der Vater kränklich, und der Sohn mußte ihn immer häufiger auch in Mühltroff vertreten. Als rüstiger Wanderer legte er den vierstündigen Weg zwischen beiden Orten meist zu Fuße zurück. Auf diesen einsamen Gängen entstanden viele seiner besten Gedichte. Als die Kränklichkeit des Vaters immer mehr zunahm, wurde der Sohn als Vice-Gerichtsdirector für Mühltroff verpflichtet, und als der Vater 1838 im 70. Lebensjahre starb, verlegte H. seinen Wohnsitz dahin und trat ganz an des Vaters Stelle, doch behielt er seine Expedition in Plauen bei und erledigte daselbst jede Woche einen bis zwei Tage hindurch die laufenden Geschäfte. Da ihm seine vielseitige Thätigkeit reichliche Einnahmen gewährte, beschloß er einen eigenen Hausstand zu gründen und verheirathete sich 1842 mit Cäcilie Dietsch, der siebzehnjährigen Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. Seine hervorragende Tüchtigkeit, die er namentlich bei der glänzenden Durchführung schwieriger Criminaluntersuchungen bewährte, lenkte bald die Aufmerksamkeit des Ministeriums auf ihn, und man suchte ihn für den Staatsdienst zu gewinnen. Im Herbst 1843 wurde er als Kreisamtmann nach Freiberg berufen, und da die bevorstehende Aufhebung der Patrimonialgerichte die Sicherheit und Einträglichkeit seiner bisherigen Stellung wesentlich erschüttert hätte, vertauschte er sie gern mit der neuen. In Freiberg nahm er an allen gemeinnützigen Bestrebungen regen Antheil und wirkte namentlich eifrig für die Turnsache. Da er aber auch anfing, sich um politische Angelegenheiten zu kümmern und liberale Ideen zu vertreten, erregte er das wachsende Mißfallen seiner Vorgesetzten. Als das verhängnißvolle Jahr 1848 herangekommen war, gab er vielfach in Vereinen und Volksversammlungen seiner Sehnsucht nach einem einigen deutschen Vaterlande begeisterten Ausdruck. Da man in der ganzen Gegend seine glänzende rednerische Befähigung und die einwandfreie Lauterkeit seines Charakters schätzte, wurde er im Mai vom Wahlkreis Frauenstein zum Abgeordneten für die Nationalversammlung in Frankfurt gewählt. Er schloß sich hier der Fraction der Linken vom Deutschen Hofe an und nahm an den meisten Sitzungen theil, trat aber nicht als Redner hervor. Mit Ende des Jahres legte er sein Mandat nieder, weil ihn die Bezirke Freiberg, Mohorn und Oederan zum Abgeordneten für die erste Kammer des sächsischen Landtags gewählt hatten und weil er glaubte, im engeren Vaterlande der deutschen Sache besser dienen zu können als in Frankfurt. In der Kammer hielt er sich zur Partei der gemäßigten Linken, die damals die Majorität innehatte. Seine begeisternde Beredsamkeit, mit der er namentlich für die von der Nationalversammlung entworfene deutsche Reichsverfassung eintrat, die er nicht nur gegen die reactionären [290] Gelüste der Rechten, sondern auch gegen die radicalen Angriffe der äußersten Linken vertheidigte, erwarb ihm den Beifall seiner Gesinnungsgenossen, und so wurde er bald als der einflußreichste Führer der Partei betrachtet. Auch im ganzen Lande gewann er bald große Popularität, besonders als er am 12. April den von der Kammer fast einstimmig angenommenen Antrag auf sofortige Anerkennung und Durchführung der Reichsverfassung einbrachte. Leider fand seine parlamentarische Thätigkeit bereits am 30. April 1849 durch die Auflösung der Kammern einen vorzeitigen Abschluß.

Trauernd über die schwierige Lage des Vaterlandes, aber in der frohen Hoffnung, nach so vielen Anstrengungen im Kreise seiner Familie Ruhe und Erholung zu finden, kehrte er nach Freiberg zurück. Er wurde hier von der Bevölkerung feierlich empfangen, und die städtischen Behörden ernannten ihn in Anerkennung seiner Verdienste zum Ehrenbürger. Noch an demselben Tage aber kam aus Dresden die Kunde, daß der König die Anerkennung der Reichsverfassung abgelehnt und das Volk sich deshalb gegen ihn erhoben hatte. In Freiberg wurde alsbald eine Volksversammlung abgehalten und von dieser H. aufgefordert, im Interesse der nationalen Sache sogleich nach Dresden zurückzukehren und dort mit Rath und That für die Durchführung der Verfassung einzutreten. H. glaubte sich diesem dringenden Wunsche seiner Mitbürger nicht entziehen zu dürfen. Er fuhr die ganze Nacht hindurch und kam am Morgen des 4. Mai erschöpft und aufgeregt in Dresden an, wo die Bevölkerung im offenen Aufstand begriffen war und den Bau von Barrikaden begonnen hatte. Als er hörte, daß sich mehrere ebenfalls von auswärts eingetroffene Mitglieder der aufgelösten Kammern auf dem Rathhause versammelten, begab er sich auch dahin. Auf die Nachricht von der Abreise des Königs und der Minister nach dem Königstein, die man als Flucht zu deuten geneigt war, wurde beschlossen, eine provisorische Regierung einzusetzen, welche die Durchführung der Reichsverfassung übernehmen sollte. Zu Mitgliedern dieser Regierung wählte man H. als Vertreter der gemäßigten Linken, den Geheimen Regierungsrath Todt als Vertrauensmann des Centrums und den Advocaten Tzschirner als das Haupt der äußersten Linken. Die Rechte war nicht vertreten. H. nahm die Wahl an, da die anderen Führer seiner Partei nicht erschienen waren, doch verhehlte er sich nicht, daß er in diesem verhängnißvollen Augenblick seine gesicherte Existenz, seine geachtete öffentliche Stellung und das Glück seiner Familie aufs Spiel setzte. Die erste Regierungshandlung des Triumvirats war der Erlaß einer Proclamation, durch welche Sachsen unter den Schutz der Reichsverfassung gestellt und der Zuzug von bewaffneten Freischaren aus allen Orten des Landes nach Dresden angeordnet wurde. Die Thätigkeit Heubner’s bei dieser Regierung dauerte vom 4. bis 9. Mai. Mit dem Aufgebot aller Kräfte des Körpers und des Geistes hielt er während dieser Zeit aus und suchte namentlich jede Gewaltthätigkeit nach Möglichkeit zu vermeiden, um der Bewegung ihren reinen und idealen Charakter zu wahren. Daß der Aufstand nicht ohne Zerstörungen und Blutvergießen verlief, war nicht H., sondern hauptsächlich dem Auftreten des russischen Revolutionärs Bakunin zuzuschreiben. Als durch das Eingreifen preußischer Truppen die Lage der provisorischen Regierung unhaltbar wurde, ergriffen Todt und Tzschirner die Flucht und entkamen glücklich in die Schweiz. Auch H. sah sich am 9. Mai gezwungen, der Uebermacht zu weichen. Mit Bakunin und den Resten der Freischaren begab er sich über Freiberg nach Chemnitz. Da er sich hier im Kreise von Freunden und Gesinnungsgenossen zu befinden glaubte, wollte er sich einige Ruhe gönnen und Abgeordnete des Landes zusammenrufen, um die Sache des Volkes weiter zu berathen, doch wurde er am 10. Mai durch einige entschlossene [291] Gegner seiner Bestrebungen verhaftet und zunächst nach Dresden, dann auf den Königstein ins Gefängniß gebracht. Während der langwierigen Untersuchungshaft suchte er sich hauptsächlich durch dichterische Versuche zu erheitern. Zwei Sammlungen seiner Gedichte, theilweise Uebersetzungen aus dem Griechischen, Lateinischen, Englischen und Französischen enthaltend, wurden von seinen Brüdern zum Besten der ihres Ernährers beraubten Familie veröffentlicht: „Gedichte“, mit der Lebensbeschreibung und dem Bilde des Verfassers (Zwickau 1850), und „Neuere Gedichte aus der Gefangenschaft“ (ebd. 1850).

Nachdem er mehrere Monate in strenger Abgeschlossenheit von der Außenwelt zugebracht hatte, wurde ihm die Anklageschrift zugestellt. Diese bezeichnete ihn als einen der Haupturheber des Dresdner Aufstandes und warf ihm vor, auf gewaltsamen Umsturz der Verfassung und auf Einführung der Republik hingearbeitet zu haben. Auch ließ sie durchblicken, daß man ihn als mitverantwortlich für die stattgefundenen Brandlegungen betrachtete, durch welche das königl. Opernhaus und das Naturaliencabinet mit seinen unersetzlichen Schätzen vernichtet worden waren. H. reichte alsbald eine Selbstvertheidigung ein, in welcher er alle diese Beschuldigungen zurückwies und behauptete, daß er lediglich beabsichtigt habe, die sächsische Regierung zur Anerkennung und Durchführung der von der Nationalversammlung angenommenen und dadurch rechtsgültigen deutschen Reichsverfassung zu veranlassen. Er betrachtete die Erhebung lediglich als eine Nothwehr des Volkes gegen ungesetzliche Handlungen der Regierung und darum als straflos. Das Dresdner Appellationsgericht sah indessen für erwiesen an, daß er die persönliche Sicherheit und die Regierungsfähigkeit des Staatsoberhauptes bedroht und gegen die Staatsverfassung in der Absicht, sie umzustürzen, einen gewaltsamen Angriff unternommen habe. Es verurtheilte ihn demgemäß, trotzdem es die Lauterkeit seiner Beweggründe anerkannte, am 14. Jan. 1850 auf Grund von Artikel 81 des sächsischen Criminalgesetzbuches wegen Hochverrats zum Tode. H. nahm dieses harte Urtheil mit männlicher Ruhe und Würde entgegen, legte aber, überzeugt von der Reinheit seiner Bestrebungen, sogleich Berufung ein und arbeitete eine neue Vertheidigungsschrift aus, die später im Druck erschien. Er verlangte darin, vor ein in voller Oeffentlichkeit verhandelndes Schwurgericht gestellt zu werden und beantragte seine Freisprechung. Das Oberappellationsgericht schloß sich indessen allenthalben den Entscheidungsgründen der Vorinstanz an und bestätigte das Urtheil, doch wurde die Todesstrafe auf ein vom Vertheidiger Heubner’s mit dessen Zustimmung eingebrachtes Gesuch durch landesherrliche Gnade in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt. Bei dem lebhaften Interesse, das der Proceß sowol wegen der Person als wegen der That des Verurtheilten erregte, sowie wegen der juristischen und staatsrechtlichen Wichtigkeit der in beiden gerichtlichen Erkenntnissen erörterten Fragen entstand eine umfängliche Litteratur über den Fall. Die Gattin und Mutter Heubner’s suchten beim König um eine Audienz nach, um eine Milderung des Urtheils zu erbitten, doch wurde ihr Gesuch abgelehnt. Ebenso vergeblich waren ihre Bemühungen, auf dem Gnadenwege eine Umwandlung der Zuchthausstrafe in Festungshaft oder Landesverweisung zu erlangen. Am 1. Juli 1850 wurde H. nach dem Landeszuchthause in Waldheim überführt, wo sich schon viele der Maigefangenen befanden. In Kleidung und Nahrung wurde er den übrigen Züchtlingen gleichgestellt, doch gestattete man ihm, sich litterarisch zu bethätigen. Während der neun Jahre, die er im Zuchthaus zubrachte, beschäftigte er sich mit dem Studium der modernen Sprachen, namentlich des Englischen, sowie mit poetischen Versuchen. Die Ergebnisse [292] seiner Arbeiten schickte er an seine Brüder, die sie zum Besten der vaterlosen Familie veröffentlichten. So erschienen einige Bände Erzählungen, die er für seine Kinder geschrieben hatte, damit sie ihn nicht vergessen sollten: „Kleine Geschichten für die Jugend“ (Leipzig 1852, 2. Aufl. 1860), „Herr Goldschmid und sein Probirstein, Bilder aus dem Familienleben“ (Leipzig 1852, 2. Aufl. 1859), sowie später „Schau’s an, lern’ dran! Bilderbüchlein mit Versen, den Kindern von den Müttern vorzusagen“ (Dresden 1862), ferner unter dem Titel „English Poets“ eine Auswahl englischer Dichtungen von 125 Verfassern von Chaucer bis Tennyson mit deutscher Uebersetzung (Leipzig 1856), endlich „Klänge aus der Zelle in die Heimath“ (Dresden 1859).

Am 28. Mai 1859 wurde H. bei Gelegenheit der Vermählungsfeier des Prinzen Georg von Sachsen vom König begnadigt. Nach seiner Befreiung wendete er sich zunächst nach Mühltroff, um hier im Kreise seiner Familie wieder aufzuleben. Später siedelte er nach Dresden über, wo er bei der Sächs. Hypothekenversicherungsgesellschaft zuerst als Commissar, dann als Director Anstellung fand. Nachdem 1865 eine allgemeine Amnestie für alle wegen des Mai-Aufstandes Verurtheilten ergangen war, wurde er wieder in die Liste der Advocaten aufgenommen und eröffnete 1867 in Dresden eine Anwaltsexpedition. Bald sandte ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in die 2. Kammer der sächsischen Ständeversammlung und in die evangelisch-lutherische Landessynode. Anfang 1869 trat er auch in das Stadtverordnetencollegium zu Dresden ein und nahm an allen communalen Angelegenheiten regen Antheil. Im Sommer 1871 wurde er zum besoldeten Stadtrath erwählt und ihm die Leitung des städtischen Schulwesens übertragen. Dasselbe gelangte unter ihm zu hoher Blüthe. Die durch das sächsische Schulgesetz von 1873 bedingte Neuordnung, besonders die Einrichtung der durch dieses Gesetz geforderten Fortbildungsschulen ging unter seiner kräftigen Mitwirkung rasch und befriedigend von statten. Auch entwarf er eine neue, im wesentlichen noch heute gültige Localschulordnung für die evangelischen Volks- und Fortbildungsschulen der Stadt. Ebenso verdanken ihm das städtische Kirchenwesen und die Turnvereine der ganzen Gegend vielfache Anregung und Förderung. Im Sommer 1887 wurde er in Anbetracht seines hohen Alters auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in körperlicher und geistiger Frische in seinem Landhause in Blasewitz bei Dresden, wo er, nachdem er 1892 im Kreise der Seinen den 80. Geburtstag und das goldene Ehejubiläum gefeiert hatte, am 1. April 1893 starb. Sein Grab befindet sich auf dem alten Annenfriedhofe in Dresden.

Der Leuchtthurm, herausgegeben von Ernst Keil, 4. Jahrg., Leipzig 1849, S. 592–596 (mit Bild). – Gedichte von O. Heubner. Zum Besten seiner Familie herausgegeben von seinen Brüdern. Mit der Lebensbeschreibung und dem Porträt des Verfassers. Zwickau 1850. – Selbstvertheidigung von O. Heubner in seiner auf Hochverrath gerichteten Untersuchung. Zum Besten seiner Familie herausgegeben von Angehörigen des Verfassers. Zwickau 1850. – O. L. Heubner und seine Selbstvertheidigung über seine Theilnahme an den Vorfällen zu Dresden im Mai 1849. Für das deutsche Volk bearbeitet von Eduard Sparfeld. Zwickau 1850. – Entscheidungsgründe des Königl. Oberappellationsgerichts in Untersuchungssachen wider O. L. Heubner und Michael Bakunin. Dresden 1850. – Die Erkenntnisse in der gegen den Kreisamtmann O. L. Heubner geführten Untersuchung. Mit Genehmigung des Kgl. Justizmimsterii aus den Jahrbüchern für sächsisches Strafrecht besonders abgedruckt. Leipzig 1850. – Nekrologe in den Dresdner Tagesblättern vom 2. bis 5. April 1893. – Deutsche Turnzeitung [293] 1893, S. 141 ff. u. 254. – E. Isolani, O. L. Heubner, Lebensbild eines deutschen Mannes. Dresden 1893 (mit Bild). – Das Ecce der Fürsten- u. Landesschule Grimma in d. Jahre 1893. Grimma 1893, S. 28–42. – C. Euler, Encyklopädisches Handbuch des gesammten Turnwesens. Wien und Leipzig 1894. I, 497. – Dresdner Rundschau 1900, IX, 44 (mit Bild). – H. Rühl, Deutsche Turner. Wien und Leipzig 1901, S. 110–111 (mit Bild).