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ADB:Jellinek, Adolf

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Artikel „Jellinek, Adolf“ von Adolf Brüll in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 647–649, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jellinek,_Adolf&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 01:28 Uhr UTC)
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Jellinek: Dr. Adolf J., hervorragender Gelehrter und Kanzelredner, geboren am 26. Juni 1821 zu Drslawitz in Mähren, † am 28. December 1893 in Wien. Seine Eltern, die hochgeehrt waren, hatten mit der Noth des Lebens zu kämpfen. Als J. als kleiner Knabe unterrichtsfähig war, wurde er täglich nach dem fast eine Stunde entfernten Ung.-Brod in die Schule des R. Gabriel Bröesler getragen. Unterricht im Talmud erhielt er, als er hierfür durch Vorkenntnisse vorbereitet war, bei R. Schelóme Bramer, der ein tüchtiger Dialektiker war. In Ung.-Brod wirkte damals als Rabbiner Mose Jehudah Rosenfeld, der für einen Kabbalisten gehalten wurde, und der wol mit Ursache war, daß J. später sich mit großem Eifer kabbalistischen Studien hingab. In seinem dreizehnten Lebensjahre ging J. nach Proßnitz, um die talmudische Hochschule des R. Mose Wannefried zu besuchen, woselbst er bald durch Fleiß und Scharfsinn Aufsehen erregte. Um sich mehr profanen Studien widmen zu können, ging J. von Proßnitz nach Prag, wo er eine Hauslehrerstelle annahm, und sich, mit vor keinen Schwierigkeiten zurückschreckendem Lerneifer, auf privatem Wege, die Wissenszweige aneignete, die damals der Lehrplan der österreichischen Gymnasien vorschrieb. Im J. 1842 bezog er die Universität Leipzig und wurde ein Lieblingsschüler des Arabisten Heinrich Fleischer. 1845 wurde J. Prediger der israelitischen Cultusgemeinde in Leipzig. J., ein rastlos schaffender, schöpferischer Geist, gehört zu den classischen Vertretern des Judenthums und kann als der bedeutendste und gefeiertste jüdische Kanzelredner des vorigen Jahrhunderts bezeichnet werden. Er ging in seinen Reden stets von großen Gesichtspunkten aus und sie zeichnen sich durch Gedankenfülle und Formvollendung aus. Er machte Talmud und Midrasch, wie keiner seiner Zeitgenossen, der Kanzel dienstbar, was das eigentlich Charakteristische seiner Predigten ausmacht, die auf der großen und breiten Grundlage einer weitverzweigten jüdischen und außerjüdischen Gelehrsamkeit ruhen. Er hat in seine Reden die Ergebnisse seiner Forschungen hineingetragen und in ihnen die reichen Früchte ernster Gelehrsamkeit aufgespeichert. Dabei war Jellinek’s Vortrag von zündender Wirkung und geradezu hinreißender Gewalt, und seine Reden, in welchen auch Zeit- und Streitfragen behandelt werden, behalten dauernden culturhistorischen Werth. 1847 erschienen von ihm in der Leipziger Synagoge gehaltene Kanzelvorträge, woselbst er am 22. Mai 1847 die erste Confirmationsfeier leitete, und 1848 zwei Kanzelvorträge, gehalten in der Synagoge seiner Heimathsgemeinde Ung.-Brod nebst einem Anhange über „Pirke Aboth“ und „Midrasch Jona“. Von auswärts gehaltenen Reden sind zu erwähnen: „Der Mensch ein Spiegelbild der Natur“, Predigt, gehalten in Karlsbad (1852) und „Freuden- und Freundesworte“, Rede, gehalten in Hamburg (1852). Im J. 1856 erhielt J. einen Ruf als Prediger der israelitischen Cultusgemeinde in Wien, nachdem er daselbst eine [648] Aufsehen erregende Rede gehalten, die unter dem Titel: „Jede Zeit hat ihren Mann, und jeder Mann hat seine Zeit“ erschienen ist. In Wien, wo damals noch der Meister und Mitbegründer der modernen jüdischen Kanzelberedsamkeit, der durch Adel der Gesinnung und Kraft der Beredsamkeit ausgezeichnete Prediger I. N. Mannheimer wirkte, war J. bis an sein Lebensende im Amte thätig und entfaltete nebstdem eine vielseitige litterarische Thätigkeit. Besonders anregend wirkte er in Wien auf junge aufstrebende Gelehrte, denen er die reichen Schätze seiner großen Bibliothek zur Verfügung stellte, die nach seinem Tode dem Wiener Rabbinerseminar zukam. In Wien gründete J. das Beth-ha Midrasch, eine Lehranstalt für die Wissenschaft des Judenthums, an der er selbst äußerst lehrreiche Vorträge hielt und an die er Männer von Weltruf auf dem Gebiete der rabbinischen Litteratur, wie J. H. Weiß und M. Friedmann zum Lehramte berief, denen viele jüdische Gelehrte ihre Ausbildung verdanken. Auch ist es Jellinek’s Einfluß zu danken, daß die Baron Hirsch-Stiftung, welche humanitäre Zwecke verfolgt, ins Leben gerufen wurde, die er bis zu seinem Tode mit verwaltete. Neben den zahlreichen von J. in Wien einzeln veröffentlichten Reden seien hier besonders hervorgehoben: die (1862, 1863, 1866) erschienenen drei Theile seiner Predigten (Wien), die, weil vergriffen, eine Neuauflage verdienen, seine Reden über den Talmud (1863), über Schema Israel, das isr. Glaubensbekenntniß (1869) und seine „Zeitstimmen“ (1870, 1871). J. hat auch tiefe Blicke in die jüdische Volksseele gethan, wovon seine trefflichen Schriften: „Der jüdische Stamm“ (1869) und „Der jüdische Stamm in nichtjüdischen Sprichwörtern“ (1881, 1882) Zeugniß geben.

J. entfaltete von seinen Frühjahren bis ins Alter eine große litterarische Thätigkeit und es sind von ihm, neben seinen zahlreichen, in den verschiedensten Zeitschriften zerstreuten Aufsätzen religionsphilosophischen, homiletischen, kabbalistischen, historischen und bibliographischen Inhaltes über hundert Werke erschienen, von denen hier nur die wichtigsten aufgezählt werden sollen. Im J. 1839 schon beginnt er mit der Herausgabe von De Rossi’s „Historischem Wörterbuch der jüdischen Schriftsteller“ und übersetzt 1846 unter dem Namen Gellinek die Kabbala oder die Religionsphilosophie von Prof. Ad. Frank aus dem Französischen. Gleichzeitig redigirt er in Verbindung mit J. Fürst, Saalschütz und Zunz das „Sabbath-Blatt, Wochenschrift für Belehrung, Unterhaltung und Kenntniß jüdischer Zustände“ (Leipzig 1844–1846). 1846 erscheint von ihm: „System der Moral von R. Bechaye ben Joseph“ und: „Sefath Chachamim oder Erklärung der in den Talmuden Targumim und Midraschim vorkommenden persischen und arabischen Wörter“ und 1847: „Nachträge zu meinem Sefath Chachamim“, „Elisa ben Abuja genannt Acher“, Erklärung und Kritik der Tragödie „Uriel Acosta“ von Gutzkow. Im J. 1851 erscheint der erste Ring der langen Kette „Kabbalistische Studien“: „Moses ben Schem-Tob de Leon und sein Verhalten zum Sohar. Eine kritische Untersuchung über die Entstehung des Sohar“ (Leipzig), ein Werk, in welchem die Sohar-Frage gründlich gelöst ist. Diesem Werke reihen sich dann an: „Beiträge zur Geschichte der Kabbala“ (Leipzig 1852) und „Auswahl kabbalistischer Mystik“, enthaltend den Tractat über die Emanation, das Buch der Intuition, das Sendschreiben Abulafias und über das Tetragrammaton von Abraham aus Köln, zum Theile nach Handschriften aus Paris und Hamburg nebst historischen Untersuchungen und Charakteristiken (Leipzig 1853). Er hat in diesen Schriften sich als ein bedeutender Kenner auf dem Gebiete der Gnosis und Mystik bewährt und neue Aufschlüsse über das Wesen und die Geschichte der Kabbala gegeben. 1852 erschien: „Dialog über die Seele von Galenus“ [649] und 1853 „Thomas von Aquino in der jüdischen Litteratur“. 1853 beginnt J. mit der Herausgabe: „Beth-ha Midrasch“, Sammlung kleiner Midraschim mit vermischten Abhandlungen aus der älteren jüdischen Litteratur nach Handschriften und seltenen Druckwerken gesammelt, nebst Einleitungen (6 Theile, 1853–1878). In diesem Werke hat J. verschollene, vergessene Midraschim ans Licht gezogen, und erweist sich dasselbe als eine Fundgrube für Geschichte und Alterthumskunde. 1863 veröffentlichte J. aus Anlaß des 70. Geburtstages seines Collegen I. N. Mannheimer: „Nofet Zufim, Messer Leons Rhetorik“ in herrlicher typographischer Ausstattung. Von großem Werthe sind seine „Konteresim“, in welchen er die Bibliographie über die ältesten Commentare zum Talmud, über die Namen der Juden, über die Litteratur zu den 613 pentateuchischen Ge- und Verboten und über Maimoni’s Gesetzes-Codex, mit großer Litteraturkenntniß behandelt (Wien 1877–1878). Seine letzten in Wien gehaltenen Reden sind in den „Populär-wissenschaftlichen Monatsblättern“ (Frankfurt a. Main 1893) unter dem Titel „Kleine Reden von Dr. Adolf Jellinek (S. 1, 25, 52, 77) abgedruckt, denen er als Ehrenmitglied des Mendelssohn-Vereins in Frankfurt a. M. stets ein Freund und Mitarbeiter gewesen. Am 31. December 1893 fand unter großer Betheiligung sein Leichenbegängniß in Wien statt und widmete ihm an der Stätte seiner Wirksamkeit im Tempel sein würdiger College, Herr Oberrabiner Dr. Güdemann, einen tiefempfundenen Nachruf.