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ADB:Karl V. (Herzog von Lothringen)

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Artikel „Karl, Herzog von Lothringen“ von Karl Friedrich Hermann Albrecht in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 302–308, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_V._(Herzog_von_Lothringen)&oldid=- (Version vom 14. November 2024, 07:15 Uhr UTC)
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Karl, Herzog von Lothringen, kaiserlicher Generallieutenant, geb. am 3. April 1643 zu Wien, † am 18. April 1690 zu Wels. Nikolaus Franz, Bruder des regierenden Herzogs von Lothringen und Bar, Karl IV., und Claudia, die Tochter des Oheims dieser beiden Prinzen, waren die Eltern Karls, welcher in seinem Geschlechte der fünfte dieses Namens ward. Es würde zu weit führen, hier des Ränke- und Intriguenspieles zu gedenken, welches von Seite des französischen Hofes angezettelt wurde, um Veranlassung zur heißersehnten Incorporirung des Herzogthums in Frankreich zu geben, und Herzog Karl IV., ein tapferer Soldat, aber einer der sonderbarsten und launenhaftesten Charaktere, war eher geeignet, der Intrigue in die Hände zu arbeiten, als sie unschädlich zu machen. Im J. 1634 (31. März) entzogen sich die Eltern unseres K., Franz und Claudia dem omnipotenten Willen des französischen Ministers Richelieu durch die Flucht. Sie entkamen verkleidet aus Nancy, gingen zuerst nach Florenz, wo sie drei Jahre blieben, sodann von dort nach München und ließen sich endlich zu Wien nieder. Hier erblickte K. das Licht der Welt. Er ward in den Kinderjahren mit dem nachmaligen Kaiser Leopold erzogen und brachte seine Jünglingsjahre theils in Wien, theils in Brüssel und Paris zu. Französisches Staatsinteresse wollte ihn vermählen und es kamen mehrere Prinzessinnen für diese Ehe in Vorschlag. Besonders die Prinzessin von Nemours, mit welcher er sogar durch Procuration vermählt worden war. Sein Oheim Karl IV. mißgönnte ihm jedoch die Nachfolge, welche nach dem im J. 1658 erfolgten Tode seines 19jährigen Bruders Ferdinand für ihn in Aussicht stand und wünschte sie dem eigenen nicht successionsfähigen Sohne, dem Prinzen Karl Vaudémont, zuzuwenden *); er umgarnte deshalb den Neffen mit Intriguen aller Art, und da seine Verhandlungen betreffs des Herzogthums mit dem Hofe von Versailles eben auch nicht die Billigung des jungen Prinzen K. fanden, derselbe in Folge dessen von Feinden und Nachstellungen umgeben war, blieb ihm nichts übrig als gelegentlich eines Maskenfestes den französischen Hof heimlich zu verlassen und über Besançon nach Rom, wo er den Papst für seine Angelegenheiten zu interessiren versuchte, dann [303] über Venedig und München nach Wien zurückzukehren (1662), um dort den Gang der Ereignisse abzuwarten. Am 25. Januar 1664 wurde dem Herzoge vom Kaiser Leopold das Kürassierregiment Walter verliehen und er darüber zum wirklichen Obristen bestellt, mit welchem er den Feldzug gegen die Türken mitmachte und sich in der Schlacht bei St. Gotthard (1. August 1664), wo er persönlich eine Standarte eroberte, rühmlichst hervorthat. Im J. 1668 bewarb sich der Herzog um die durch Abdankung Johann II. erledigte polnische Krone, wobei ihn auch Kaiser Leopold und sein Oheim Herzog Karl IV. unterstützten, nicht ohne Hoffnung, unterlag jedoch bei der Wahl dem polnischen Fürsten Michael aus dem Hause Viesnowiski, an welchen auch die Schwester des Kaisers, die Erzherzogin Eleonora Maria, um deren Hand K. geworben hatte, vermählt wurde. Im J. 1670 (24. April) ernannte ihn der Kaiser zum General über die Cavallerie; er focht in den folgenden Jahren, nachdem der Krieg zwischen Frankreich und dem Kaiser ausgebrochen war (1673–1674), am Rhein und in den Niederlanden, wo er bei Seneffe (11. August 1674) eine Kopfwunde erhielt. Im J. 1674 war eine erneuerte Bewerbung Seitens des Herzogs um den, durch den gegen Ende des Jahres erfolgten Tod des polnischen Königs Michael Viesnowiski erledigten polnischen Thron erfolgt, doch scheiterte diese, obwol die Königin Wittwe Eleonora und der Kaiser lebhaft dafür eintraten an den französischen Intriguen und der Abneigung des polnischen Reichstages einen Ausländer als König zu wählen, und Großmarschall Johann Sobieski ward am 21. Mai zum Könige ausgerufen. Als Herzog Karl IV. von Lothringen, in dessen Lande die Franzosen hausten, gerade im Begriffe sich in der Pfalz mit Montecuccoli’s Heer zu vereinigen, im Dorfe Alembach bei Birkenfeld in der Nacht vom 17. zum 18. September 1675 einem Schlaganfalle erlag, befand sich sein Neffe und Nachfolger bei dem kaiserlichen Heere in der Gegend von Lauterburg, und Montecuccoli gab ihm, auf die von Oberst Mercy im Auftrage des Prinzen Vaudémont überbrachte Todesnachricht, ein Cavalleriecorps mit, um sich von den lothringischen Truppen anerkennen zu lassen, im Falle er bei diesen auf Schwierigkeiten stoßen sollte. Die lothringischen Regimenter leisteten dem neuen Herzoge den Eid der Treue und der Prinz Vaudémont selbst beeilte sich das Gelöbniß der Anerkennung zu leisten. Letzterer erlangte jedoch von diesem Vorgehen nicht das, was er erhofft hatte, denn der neue Herzog weigerte die von ihm selbst früher gutgeheißene Bestimmung seines verstorbenen Oheims bezüglich der Abtretung einiger Territorien an den Prinzen anzuerkennen. Es geschah dies von Karl V. wol im Interesse seines Landes, das er übrigens niemals zu sehen bekam. Die meisten Mächte erkannten den jungen Herzog an, Frankreich verweigerte selbstverständlich diese Anerkennung. Der Herzog war siegend aus den Hauptgefechten jener Feldzüge hervorgegangen, hatte in dem Befehl über die Reiterei, den er von Spork übernommen und in jedem vorhergegangenen Auftrag so viel Einsicht und Geschicklichkeit gezeigt, daß Montecuccoli trotz seiner verhältnißmäßig jungen Jahre ihn dem Monarchen als den Würdigsten nennen durfte, um ihm den Feldherrnstab zu übergeben. Am 18. December 1675 ernannte der Kaiser den Herzog auch zum Feldmarschall über alles Kriegsvolk zu Roß und Fuß. Nach den Gefechten bei Zabern (12. und 15. September 1675) hatte K., welcher nach Uebernahme des Commandos von Montecuccoli ein ungefähr 40,000 Mann starkes Heer befehligte (eingerechnet die lothringischen Regimenter, welche vier Gardecompagnieen, zwei Dragonerregimenter und sieben andere Cavallerieregimenter, im Ganzen 5700 Mann stark waren), die Absicht, in Lothringen selbst einzudringen, doch er entschied sich zuvor Philippsburg einzunehmen, welches er ungeachtet der großen Schwierigkeiten, die er vor sich sah, vom 23. Juni 1676 an belagern ließ, während er selbst den Marschall von Luxemburg beobachtete, [304] der den Platz zu entsetzen suchte. Letzterer zog sich, um den Prinzen wegzulocken, gegen Breisgau und bedrohte Freiburg, aber K. kam ihm dahin zuvor, während Friedrich von Baden die Belagerung fortsetzte. Die Umstände waren nicht günstig, denn im kaiserlichen Heere begann sich schon Mangel an Munition und Proviant fühlbar zu machen. Die Belagerung drohte sich in die Länge zu ziehen, da der tapfere französische Befehlshaber du Fay alles aufbot, um den Platz widerstandsfähig zu erhalten. Endlich, nachdem K. mit dem Hauptheere zurückgekehrt, der Festung sämmtliche Zufuhren abgeschnitten waren, capitulirte dieselbe am 11. September 1676. Während die Armeen mit verschiedenem Erfolge gegeneinander kämpften, waren die Diplomaten zu Nymwegen versammelt. Die Vertreter des Herzogs, nach vielen Bemühungen endlich zugelassen, hatten von den französischen Unterhändlern die Bedingungen zu erfahren verlangt, unter welchen ihr Souverän Lothringen und Bar dem angestammten Herrscher zurückzugeben geneigt sei. Nach mehreren Monaten Zuwartens erhielten sie endlich einen vom französischen Monarchen selbst redigirten Vertragsentwurf, in welchem König Ludwig dem Herzog folgende Bedingungen stellte: An Frankreich seien abzutreten: 1. die Stadt Nancy; 2. der Platz von Longwy und dessen Gerichtsbezirk; 3. das nothwendige Terrain, um Militärstraßen von Verdun nach Metz, von Metz nach Zabern und Nancy, von Nancy nach dem Elsaß, in die Franche Comté und in die Champagne zu etabliren, wobei außer dem für die Straße nothwendigen Terrain das Territorium aller jener Ortschaften beansprucht wurde, welches sie zu durchziehen hätte, – dagegen sollte der Herzog die Stadt Toul und einen kleinen Landstrich von den drei Bisthümern erhalten. Die lothringischen Vertreter lehnten diese Bedingungen ab. Der Krieg ward fortgesetzt; K. hatte auf seine Fahnen die Devise „aut nunc aut nunquam“ gesetzt, es gelang ihm aber nicht seinen Angelegenheiten eine bessere Wendung zu geben. Endlich machten Holland und Spanien Frieden und auch das Reich folgte am 5. Februar 1679; in dem abgeschlossenen Vertrage bezogen sich die Artikel 12–22 auf Lothringen u. z. in der oben erwähnten Weise, jedoch sollte die abzutretende Militärstraße keine größere Breite erhalten als eine halbe Lieue. Der lothringische Vertreter protestirte dagegen, erklärte aber, daß trotzdem der Herzog nicht mehr Gegner des Königs sein wolle, und als neue Unterhandlungen die Bedingungen nicht änderten und selbst das Angebot Seitens des Kaisers der Schleifung von Philippsburg die Zurückgabe von Nancy nicht erwirken konnte, so entschloß sich der Herzog lieber sein Land zu meiden, als sich solchen Bedingungen zu fügen. Schon im J. 1676 offerirte Herzog Karl V. die gänzliche Einverleibung der lothringischen Truppen „in die kaiserliche Armada“. Es erhoben sich jedoch Schwierigkeiten dagegen; namentlich klagten die kaiserlichen Generale (Capliers, Bournonville, Caprara u. A.) über die Ausschreitungen und die Indisciplin der lothringischen Truppen, welche zudem keine Befehle der kaiserlichen Commandanten respectiren wollten. Nach dem Frieden von Nymwegen wurden die „Lothringischen Völker“ anfänglich auf 2000 Mann, im August 1679 auf ein Reiterregiment zu 1000 Pferden reducirt und in das kaiserliche Heer übernommen; der Rest ward entlassen. Am 6. Februar 1678 hatte Herzog K. mit der verwittweten Königin von Polen, Schwester des Kaisers Leopold, Erzherzogin Eleonora Maria, zu Neustadt das Beilager gehalten. Der Kaiser hatte ihm in Tirol und in Burgau für fast 100,000 Thaler Einkünfte und seinen und seiner Gemahlin Wohnsitz in Innsbruck angewiesen. Dort brachte K. mit kurzen Unterbrechungen fünf seiner glücklichsten Jahre zu und seine Frau gebar ihm außer dem erstgebornen Leopold (11. September 1679) noch eine Tochter und vier Knaben, von welchen drei den Vater überlebten. Schweren Herzens verließ der Herzog diesen stillen Aufenthalt, die geliebte Gattin und die Kinder, [305] um auf den Kampffeldern wieder zu erscheinen; aber des Reiches Schutz erforderte dringend seine Gegenwart. Der nach dem Siege von St. Gotthard zu Vasvar am 10. August 1664 mit der Pforte auf 20 Jahre geschlossene Friede hatte den österreichischen Grenzländern vor den türkischen Einfällen keine absolute Sicherheit gebracht. Die Pascha’s, welche in den Grenzdistricten commandirten, machten ungestraft Raubzüge bis an die Grenzen von Mähren und Innerösterreich, und der Kaiser im Kriege mit Frankreich mit seinen Kräften auf das Aeußerste engagirt, durch die ungarischen Aufstände beunruhigt, besaß nicht die Machtmittel den Erbfeind für immer unschädlich zu machen. Die Diplomatie versuchte noch jeden offenen Bruch mit der Pforte zu vermeiden, um die Verlegenheiten der arg geschwächten Erbländer nicht noch weiter zu vermehren. – Alle Anstrengungen, das gute Einvernehmen mit der Pforte zu erhalten, scheiterten jedoch. Ludwig XIV. und Graf Tököly drängten durch ihre Intriguen den Sultan zum Kriege und dieser versammelte unter Kara Mustapha in der Ebene von Adrianopel eines der zahlreichsten Heere, welches die Pforte je aufgeboten (über 200,000 Mann). Der Kaiser hatte in Folge der Berichte, die ihm Ende des Jahres 1682 zugekommen, für seine und des Reiches Sache, die Hilfe des letzteren in Anspruch genommen und bei den befreundeten Höfen Alliirte gesucht. Polen sagte diese in dem am 31. März 1683 abgeschlossenen Allianztractat bereitwilligst zu, der Papst gewährte bedeutende Geldmittel. Zugleich wurden die Grenzfestungen Leopoldstadt, Komorn und Raab in Vertheidigungsstand gesetzt. Das kaiserliche Heer versammelte sich unter dem Commando des Generallieutenants Herzog K. Anfang Mai auf der Kittsee’erhaide: bei der traurigen Finanzlage hatte man nur 11 schwache Cavallerie- und 13 Infanterieregimenter aufzubringen vermocht, welche die von einigen Magnaten auf eigene Kosten geworbenen Compagnien verstärkten. Das ganze Heer betrug nicht viel mehr als 30,000 Mann. Der Kaiser musterte dasselbe in Gegenwart der Kaiserin und des jungen Kurfürsten Max Emanuel von Baiern. Lothringen ließ Neuhäusel berennen (3. Juni), mußte aber, da sich das Hauptheer der Türken näherte, die Belagerung aufheben (10. Juni). Er bezog eine Beobachtungsstellung diesseits der Raab. Der Großvezir hatte sich die Reichshauptstadt Wien als Operationsziel gesetzt, eine kleinere Heeresabtheilung, verstärkt durch die Anhänger Tököly’s, sendete er in die Gegend des Neusiedlersees und an die Leitha. Dem Herzog erübrigte nichts als mit seinem kleinen Heere den Rückzug auf Wien anzutreten; er theilte dasselbe, das Fußvolk und die Artillerie ging am linken Donauufer, er selbst mit der Reiterei am rechten Ufer hinauf. Bei Petronell (unweit Hainburg) ereilen ihn die Spitzen des Türkenheeres. In dem Reitergefechte kämpft Prinz Eugen von Savoyen zum ersten Mal unter den kaiserlichen Estandarten; sein Bruder Julius Ludwig, Oberst eines Dragonerregiments, wird schwer verwundet und stirbt sechs Tage später zu Wien. Am 8. Juli früh langte endlich der Herzog in Wien an und lagerte die Truppen auf der Donauinsel in der Leopoldstadt, um sich dort mit den theilweise auf Wagen transportirten Fußtruppen, die unter Leslie und Schulz heranrückten, zu vereinigen. Am 13. Juli erschienen die türkischen Vortruppen vor Wien, am 15. Juli war der Aufmarsch ihrer Armee und das Lager beendet, zur Vollendung der Einschließung fehlte nur noch die Besetzung der nächst Wien gelegenen Inseln und des linken Stromufers. In jenem Terrain hielt sich der Herzog bis zum 16. Juli. Einige Compagnien hatte er schon am 10. Juli zur Verstärkung der Wiener Garnison abgegeben und behufs der Vorposten in den Vorstädten Cavalleriedetachements abgesendet, doch war seine Macht in Folge der täglich neu eintreffenden Truppen aus Ungarn noch stark genug, um die ununterbrochenen Versuche der Türken, sich am linken Ufer festzusetzen, energisch abzuweisen. Als aber Graf Rüdigier Stahremberg weitere Verstärkung für Wien [306] verlangte und der Herzog in Folge dessen mehr als 12,000 Mann Infanterie abgab, mußte er seinen Plan, die Verbindung der Stadt mit dem Flachlande durch Behauptung der Taborau und Leopoldstadt zu erhalten, aufgeben und verließ unter lebhaften Gefechten am 16. Juli seine Stellung und zog sich vollständig auf das linke Stromufer, wo er bei Jedlersee Aufstellung nahm. Den Rückzug deckte General Schulz, welcher die große Donaubrücke sodann zerstören ließ. Nach Abzug der Kaiserlichen setzten sich die Türken in der Leopoldstadt fest und am 18. Juli war die vollständige Cernirung Wiens Thatsache. Tököly hatte auf die Nachricht der Einschließung von Wien mit 14,000 Ungarn und 6000 Türken unter den Pascha’s von Erlau und Großwardein über die Waag gesetzt, rückte über Tyrnau, stand plötzlich vor Preßburg und belagerte das Schloß, nachdem ihm die Stadt die Thore freiwillig geöffnet hatte. Auf die Nachricht von Tököly’s Annäherung hob der Herzog das Lager bei Jedlersee auf, rückte an die March (26. August) und entsetzte am 29. August das Schloß von Preßburg, indem er die Armee der Türken und Rebellen unter Verlust ihres ganzen Gepäckes in die Flucht jagte. Nach Tököly’s Vertreibung kehrte Herzog K. in das Lager am Bisamberge zurück. Hier erhielt er sich und beunruhigte durch Entsendung unternehmender Parteigänger die Verbindungen der türkischen Belagerungsarmee. Mittlerweile sammelten sich bei Krems die deutschen Hilfsvölker und die Spitzen des polnischen Heeres unter dem Könige Johann Sobieski hatten am 30. August Hollabrunn erreicht. Die Concentrirung des Entsatzheeres erfolgte bei Tuln, dieselbe war am 8. September vollständig beendet. Dasselbe war ca. 84,000 Mann stark und führte 168 Geschütze. Den rechten Flügel bildeten die Polen (27,000 Mann). Die kaiserliche Armee, durch erhaltene Verstärkungen beinahe ebenso zahlreich, bildete unter Herzog K. den linken Flügel, im Centrum standen die Reichsvölker (30,000 Mann). Am 9. September wurde der Marsch gegen Wien angetreten und am 11. September befand sich der linke Flügel des Heeres bereits auf den die belagerte Stadt gegen Westen umschließenden Höhen. Der Morgen des 12. September 1683 beleuchtete den Beginn jener denkwürdigen Entsatzschlacht unter den Mauern Wiens, deren siegreicher Ausgang abendländische Cultur und Gesittung vor der Barbarei des Halbmondes rettete. Herzog K. hatte in der Nacht den Feldm.-Lieut. Croy mit einigen Infanteriebataillonen und leichtem Geschütz an den Abhang des Kahlenberges vorgeschoben, um den Angriff am folgenden Morgen vortheilhaft einzuleiten. Das sich hier entspinnende Gefecht rief bald den Polenkönig, der die Nacht auf dem rechten Flügel verbracht hatte, herbei, die Corps traten unter Waffen und stellten sich in Schlachtordnung, wobei das Fußvolk in die beiden ersten Treffen, die Reiterei in Reserve kam. Die Türken mußten, nachdem der am linken Flügel begonnene Angriff von den Sachsen kräftig unterstützt worden, von Aufstellung zu Aufstellung weichen und wurden zuletzt durch Nußdorf bis auf die Anhöhen hinter Heiligenstadt zurückgeworfen. Das Centrum folgte, ohne Widerstand zu finden, der Bewegung des linken Flügels und gegen Mittag waren beide Heerestheile am Fuße des Gebirges vereinigt, die Kaiserlichen hatten das Dorf Heiligenstadt vor ihrer Front. Der Herzog ließ jetzt die weitere Vorrückung einstellen, um den ermüdeten Truppen Rast zu geben und den rechten Flügel zu erwarten, welcher sich über Neustift und Dornbach in die Linie entwickeln sollte, um diese Zeit aber noch in den Defiléen des Waldgebirges steckte. Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, als die polnische Armee vom Könige geführt aus dem Dornbacher Walde hervorkam. Bei dem Debouché aus demselben wurde sie von den Türken, welche dort eine sehr vortheilhafte, durch mehrere Batterien verstärkte Stellung innehatten, auf das heftigste angegriffen und auf ihre Reserve zurückgedrängt, in welcher auf den Wunsch des Königs je ein Regiment Kaiserliche, Baiern, Franken und Sachsen, [307] ferner das Kürassierregiment Styrum unter General Dünewald eingetheilt war. Obgleich Kara Mustapha bedeutende Verstärkungen hier in den Kampf brachte, so war doch die polnische Armee durch die Unterstützung der deutschen Bataillone und durch unter General Rabatta geführte frische kaiserliche Truppen hinreichend gestärkt und konnte bald wieder zum Angriff vorgehen. Herzog K. ließ, sobald er wahrnahm, daß der rechte Flügel Terrain gewann, das Gefecht wieder aufnehmen, das Centrum that das Gleiche. Die Kaiserlichen rückten über Nußdorf vor. Dieser Verlust brachte die Türken in arge Verwirrung. Sie zogen sich, neuerdings angegriffen, die Höhen von Döbling aufgebend, gegen den Ort Döbling zurück, während die Kaiserlichen unter Herzog K., die sächsischen und fränkischen Truppen sich auf der Plaine entwickeln konnten. Aber auch Döbling ward im heftigen Kampfe eingenommen, die Kaiserlichen besetzten diesen Ort, die Sachsen und Franken stürmten die große Schanze (Türkenschanze), welche die Türken gegen Sievering und Grinzing errichtet hatten. Die Baiern rückten über Sievering gegen Währing und Hernals vor, die Polen endlich mit ihrer Flügelcolonne auch von Hütteldorf vorbrechend, marschirten gegen die Ufer der Wien, woselbst ihnen die Ebene Gelegenheit bot, ihre zahlreiche und ausgezeichnete Reiterei zu verwenden. Aller Widerstand türkischer Seits war vergebens, die Wege nach der Stadt standen offen. Als der türkische Großvezier sah, daß die Schlacht verloren, überließ er das Commando dem Pascha von Ofen und suchte die Reste des Heeres, die noch in den Laufgräben waren, zu sammeln, um womöglich das Belagerungsgeschütz zu retten. In wilder Flucht verließen die Türken ihre Stellung; gegen 6 Uhr Abends hatte die 61tägige Belagerung Wiens ihr Ende erreicht. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden brachte an der Spitze einiger Regimenter, durch die Roßau voreilend, den Bewohnern Wiens die Siegesnachricht. – Am 17. September begann erst die Verfolgung des Feindes und die Vorwärtsbewegung gegen Ungarn; am 7. October befand man sich in der Gegend von Párkány, wo am selben Tage die polnische Armee mit empfindlichem Verluste von den Türken geschlagen wurde, jedoch am 9. October nach Vereinigung mit der kaiserlichen Armee unter Herzog K. diesen Unfall wett machte und Párkány mit stürmender Hand genommen ward, was am 27. October nach 5tägiger Belagerung auch die Oeffnung der Thore von Gran zur Folge hatte. Nach diesen Erfolgen verlegte König Johann sein Heer in die Winterquartiere nach Oberungarn und begab sich für seine Person nach Krakau. Die Kaiserlichen nahmen die Winterquartiere theilweise in Ungarn und in den Erbländern, die Baiern und übrigen deutschen Hilfsvölker rückten in die Heimath ab. Im Feldzuge des Jahres 1684 eroberte Herzog K. Visegrad, machte den 27. Juni die Türken bei Waitzen feldflüchtig, begann die Belagerung von Ofen am 15. Juli. Die Erstürmung der Wasserstadt erfolgte am 20. Juli. Der empfindliche Mangel, welcher sich im kaiserlichen Heere fühlbar machte, nöthigte jedoch am 30. October zur Aufhebung der Belagerung und zur Verlegung des Heeres in die Winterquartiere. Im J. 1685 war Herzog Karls erste Unternehmung die Belagerung von Neuhäusel, welche am 7. Juli begann; am 19. August wurde dieser feste Platz mit stürmender Hand genommen. Der Herzog hatte nur einen Theil des Heeres vor Neuhäusel zurückgelassen und sich gegen den, Gran mit 60,000 Mann belagernden Seraskier gewendet, den er am 16. August vollständig in die Flucht schlug; nach seiner Rückkunft ward der entscheidende Sturm auf Neuhäusel unternommen, der auch zur Bezwingung desselben führte. Am 18. Juni des Feldzugsjahres 1686 begann von Neuem die Belagerung von Ofen. Vereinigt mit Maximilian von Baiern und den brandenburgischen Hilfsvölkern erschien das Belagerungsheer vor diesem Hauptbollwerk der türkischen Macht in Ungarn. Am 2. September wurde dasselbe nach verschiedenen mißglückten [308] Entsatzversuchen der Türken endlich erstürmt. Der Feldzug des Jahres 1687 brachte dem kaiserlichen Heere beim Berge Hársany (Mohacs) am 18. August einen entscheidenden Sieg. Nach diesem den türkischen Waffen beigebrachten empfindlichen Schlage ging Herzog K. nach Preßburg, um der Krönung des Erzherzogs Josef beizuwohnen und sich auf den folgenden Feldzug vorzubereiten. Da ihn jedoch Krankheit hinderte an dessen Eröffnung selbst Theil zu nehmen, so führte Kurfürst Maximilian den Oberbefehl in Ungarn, wo ihn der Wiedergenesene im Lager von Belgrad zwar besuchte, aber seine angefangenen Unternehmungen bald wieder allein fortsetzen ließ. Im J. 1689 war der Krieg gegen Frankreich wieder ausgebrochen und der siegreiche Feldherr in den Türkenkriegen der vorangegangenen Jahre erbat vom Kaiser in dem Feldzuge gegen jenen Souverän, der ihm in seinen eigenen Interessen stets feindlich gegenüber getreten, den Oberbefehl über das vereinigte kaiserliche und deutsche Heer und begann die Belagerung von Mainz am 16. Juli. Nach sehr tapferer Gegenwehr des französischen Befehlshabers Marquis von Uxelles erfolgte am 18. September die Capitulation dieses Platzes. Da indeß Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg Kaiserswerth erobert, Neuß besetzt und die französischen Truppen aus Köln und Jülich vertrieben hatte, so vereinigte sich Herzog K. mit ihm zur Belagerung von Bonn (16. September), das am 9. October bestürmt, am 12. October capitulirte. Nach Beendigung dieses Feldzuges ging Herzog K. zu seiner Familie nach Innsbruck; jedoch genoß er der Ruhe nicht lange, denn schon zu Anfang des Jahres 1690 lud ihn der Kaiser zu wichtigen Berathungen nach Wien. Auf der Reise dahin erkrankte er in Wels und starb daselbst am 18. April 1690, wo vor 172 Jahren (12. Januar 1519) Maximilian I., der Ahnherr der neueren Habsburger, verschieden war. Der älteste von Herzog Karls Söhnen, Leopold Josef, 1679 zu Innsbruck geboren, gelangte durch den Frieden von Ryswik (1697) wieder in den Besitz des Herzogthums Lothringen und wurde der Vater Franz Stefans, des Gemahls der letzten Habsburgerin Maria Theresia, wodurch das Haus Lothringen und zwar zuerst in der Person Josefs II. zu den Thronen Oesterreichs gelangte. Herzog K. war groß und wohlgestaltet, er hatte vornehme Züge und eine imponirende Haltung. Reich mit Verstand begabt, verband er mit einem reifen und gerechten Urtheil Ernst und Bescheidenheit. Er sprach wenig. In den Staats- und Kriegsactionen vereinte er Entschiedenheit und Raschheit mit Umsicht. Außer den großen militärischen Eigenschaften, die ihm in hohem Grade eigen waren, besaß er jene eines hervorragenden Politikers. Gewissenhaft hielt er seine Versprechungen; ein treuer und ergebener Freund, war er gegen seine Feinde nicht unversöhnlich. Er nahm die Hochachtung all’ der Vielen mit ins Grab, gegen welche er gekämpft hatte und Louis XIV. soll von ihm gesagt haben: „Herzog K. sei der größte, klügste und edelmüthigste seiner Feinde gewesen.“

Mémoires du marquis de Beauvau. Cologne 1688. Digot, Histoire de Lorraine, 2. édition. Nancy 1880. Huhn, Geschichte Lothringens. Berlin 1878. Reilly, Skizzirte Biographien der berühmtesten Feldherren Oesterreichs. Wien 1813. Röder, Des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden Feldzüge wider die Türken, I. Karlsruhe 1839. Uhlich, Geschichte der zweiten türkischen Belagerung Wiens. Wien 1783. Camesina, Wiens Bedrängniß im Jahre 1683 (Aus Berichte und Mittheilungen des Alterthumsvereins zu Wien, Bd. VIII. Wien 1865).

[302] *) Geboren im Jahre 1649, entstammt der zweiten Ehe des Herzogs mit Madame de Cusance, Wittwe des Prinzen von Cautecroix, welche der lothringische Fürst noch zu Lebzeiten seiner legitimen Gattin (im April 1637) geheirathet. Der Papst hatte diese zweite Ehe für ungiltig erklärt.