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ADB:Kern, Franz

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Artikel „Kern, Franz“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 507–511, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kern,_Franz&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 09:34 Uhr UTC)
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Kern *): Franz K., Philolog und Schulmann, † am 14. December 1894. Franz Georg Gustav K. wurde am 9. Juli 1830 in Stettin geboren. Sein Vater George Friedrich K. war dort Regierungssecretär, ein ernster, christlich frommer Mann, der seinen drei Söhnen, deren mittlerer im Alter Franz war, [508] das Universitätsstudium ermöglichte und u. a. noch mit vierzig Jahren bei einem Primaner Griechisch lernte, um mit seinem ältesten Sohne, dem Theologen, das Neue Testament in der Ursprache lesen und studiren zu können. Außer den zwei Brüdern hatte Franz K. drei ältere Schwestern. In diesem Familienkreise wuchs er fröhlich und gesund zu einem stattlichen Jüngling und Manne empor. Seine Schulbildung genoß er (Ostern 1840 bis Herbst 1848) auf dem Marienstiftsgymnasium seiner Vaterstadt. Unter seinen Lehrern hatten wesentlichen Einfluß auf ihn Hermann Bonitz, der ihn für Platon und für Philosophie überhaupt begeisterte, und besonders Ludwig Giesebrecht, dessen Unterricht in Religion und Deutsch ihn nachhaltig anregte. Er hat diesem verehrten Lehrer nach dessen Tode (1873) in der Schrift „Ludwig Giesebrecht als Dichter, Gelehrter und Schulmann (Stettin 1875; 2. Aufl. 1887) ein pietätvolles litterarisches Denkmal errichtet. Merkwürdig ist bei einem sonst so reich begabten und vielseitigen Geiste die bis zur Geringschätzung ausartende Gleichgültigkeit gegen eigentlich geschichtliche Studien und die Abneigung gegen die Mathematik und alles, was mit ihr – wie besonders die Statistik – zusammenhängt, die er bereits von der Schule mitnahm. Neben den Schularbeiten war er schon als Schüler eifriger Turner und Fußgänger, vertiefte sich privatim in die deutsche Litteratur und unterrichtete mit Vorliebe jüngere Schüler wie auch seine Schwestern und deren Freundinnen. In seinem Reifezeugnisse wird ihm neben wissenschaftlicher Regsamkeit feste sittliche Entschiedenheit nachgerühmt, und in der That begleitete ihn aus Elternhaus und Schule durch sein ganzes Leben ein ans Rigorose streifender sittlicher Ernst, der ihn z. B. gegenüber der modernen Litteratur zu einem herben Kritiker machte und selbst in der Beurtheilung der sonst hochverehrten Classiker sich unbestechlich zeigte. Während seines philologischen Studiums in Berlin (1848–51) verlor er bald seinen treu sorgenden Vater († 1849) und war daher auf thunlichsten Nebenerwerb durch Unterricht angewiesen. Es scheint, daß er als Student mehr dem Selbststudium und dem wissenschaftlichen Verkehre mit engeren Freundeskreisen als den akademischen Lehrern verdankte. Schon nach einem Triennium bestand er in Berlin das Examen pro facultate docendi in Griechisch, Lateinisch, Deutsch und kehrte Ostern 1852 nach Stettin als Probandus des Marienstiftsgymnasiums zurück, an dem er Neujahr 1853 Mitglied des pädagogischen Seminares und Herbst 1854 als Collaborator, wie es damals hieß, fest angestellt ward. So konnte er dem verwaisten Vaterhause eine Stütze sein, deren es umsomehr bedurfte, da kurz vor seiner Heimkehr auch der ältere, theologische Bruder gestorben war. Ueber sieben Jahre wirkte er dort unter drei Directoren (Hasselbach, Peter und Heydemann) und verstand bei den Collegen, deren manche noch seine Lehrer gewesen waren, Liebe und Achtung zu erwerben, die Schüler im wissenschaftlichen Unterrichte wie als Turnlehrer und Führer bei Spaziergängen und Turnfahrten zu fesseln und anzuregen. Neben seinem Amte beschäftigte ihn der Unterricht in einem Privatcirkel junger Mädchen, auf die er besonders durch seine Vorträge über deutsche Litteratur tiefen Eindruck machte. Aus diesem Kreise wählte er später seine Lebensgefährtin, Klara Runge, Tochter eines Stettiner Arztes, die er 1862 nach Schulpforta heimführte, und die ihn nach fast 33jähriger glücklicher Ehe überleben sollte. Durch den Tod der Mutter († 1857) und die Verheiratung einer Schwester hatte inzwischen seine Aufgabe der Familie gegenüber ihr Ziel erreicht. Er folgte daher zum Herbst 1859 dem Rufe als Subrector des neuen Gymnasiums nach Pyritz, wohin ihn eine der Schwestern zur Führung des Haushaltes begleitete. Ein ehrenvollerer Ruf entführte ihn bereits nach einem Jahre von da an die berühmte Landesschule zu Schulpforta, [509] die damals unter der Leitung seines früheren Stettiner Directors Karl Peter stand. Sieben Jahre gehörte K. dem dortigen ausgewählten Lehrkörper, zuletzt als Professor und Lehrer auch der beiden Primen in den alten Sprachen, an. Für sein wissenschaftliches wie für sein häusliches Leben wurde jene Zeit besonders bedeutsam. Dies durch die bereits erwähnte Verheirathung, die ihn selbst beglückte und sein Haus zum Mittelpunkte fröhlicher, anregender Geselligkeit besonders für die jüngeren Amtsgenossen machte. Jenes, indem sie sein Studium ernster und ausschließlicher als bisher auf die Philosophie lenkte. Schon auf der Schule hatte ihm Bonitz die Liebe zu Platon und Aristoteles eingeflößt. In den Stettiner Lehrerjahren wurde er durch seinen Collegen Richard Volkmann, später Gymnasialdirector in Jauer, aufmerksam auf Schopenhauer, dessen Philosophie er, wenngleich mit einigen kritischen Vorbehalten, sich bewundernd aneignete. Zu Pforta wandte er sich in regem Austausche mit dem jüngeren Amtsgenossen Max Heinze, dem späteren Bearbeiter der griechischen Logoslehre und der neueren Auflagen von Ueberweg’s Grundriß der Geschichte der Philosophie, zunächst der griechischen, namentlich vorsokratischen Philosophie zu. Seine Aufmerksamkeit und bald seine Vorliebe zogen jetzt die Eleaten auf sich mit ihrer Alleinslehre, nach der alles Einzelne nur Erscheinungsform des Ἓν καὶ πᾶν ist. Unter ihnen schienen ihm Parmenides bisher überschätzt, Xenophanes, Zenon von Elea und vor allem Melissos unterschätzt zu sein. Eine ganze Reihe von Arbeiten, meist Programmaufsätze von Porta, Oldenburg, Stettin, die man bei Ueberweg-Heinze an ihren Orten nachgewiesen und gewürdigt findet, zeugt von Franz Kern’s beharrlicher und beachtenswerther Forschung auf diesem Gebiete wie über die benachbarten und gleichzeitigen Demokrit von Abdera und Gorgias von Leontinoi. Von den Eleaten aber sah sich der emsige Gelehrte durch Fäden, die man vor ihm nicht genugsam beachtet hatte, zu den Neuplatonikern, besonders Pseudodionysios Areopagites, und Augustinus und von diesem auf die spätmittelaltrige und neuere Mystik, Meister Eckart und Johann Scheffler (Angelus Silesius), hingeleitet. So steht sein erstes selbständig herausgegebenes Buch über diesen Mystiker des 17. Jahrhunderts, der ihn zugleich als deutscher Dichter anzog: „Joh. Scheffler’s Cherubinischer Wandersmann“ (Leipzig 1866), in engem Zusammenhange mit jenen philosophiegeschichtlichen Studien. – In dem Jahre, wo dieses Buch erschien, entführte jedoch ein neuer Ruf dessen Verfasser auf einen anderen Schauplatz seiner Thätigkeit. Sein Freund Heinze war als Prinzenerzieher von Pforta nach Oldenburg gegangen und wies bei eintretender Vacanz des Directorpostens am dortigen Gymnasium auf K. hin. Herbst 1866 trat der neue Director das ihm Verliehene Amt an und gleichzeitig nebenamtlich in das evangelische Oberschulcollegium als Vertreter des höheren Schulwesens ein, – das jüngste Mitglied des von ihm fortan geleiteten Lehrercollegiums. Er hatte um so lieber zugegriffen, da er befürchtete, seiner zwar maßvollen, aber ausgeprägt freisinnigen Ansichten in religiösen und politischen Fragen wegen in Preußen keine seinen Gaben entsprechende Zukunft vor sich zu haben. Er fand auch hier bald Freunde auch außer Max Heinze. Mit seinem Collegen Heinrich August Lübben, dem Kenner des Mittelniederdeutschen, vereinigte er sich zur Herausgabe eines deutschen Lesebuches für höhere Schulen. Die eleatischen Studien schritten fort. An den Cherubinischen Wandersmann schloß sich ein Verwandtes neues Buch: „Fr. Rückert’s Weisheit des Brahmanen“ (Oldenburg 1868; 2. Aufl. 1885). Die Schüler, meist wohlerzogene, auch daheim geistig angeregte Söhne höherer Beamter, machten ihm, wie er später vergleichend anerkannte, ganz besondere Freude. Dennoch hielt es ihn nicht in den engeren Verhältnissen des kleinen Staates. Ostern [510] 1869 ging er als Director an das städtische Gymnasium zu Danzig und bereits nach zwei Jahren, in denen ihn häusliche Sorgen nicht zum rechten Behagen kommen ließen, Ostern 1871 von da nach seiner Heimath Stettin, wo er das im Aufbau begriffene neue städtische Gymnasium seiner Vollendung entgegenzuführen und zu leiten übernahm. Mit der ersten Reifeprüfung Ostern 1875 war die Anstalt vollständig, der er noch darüber hinaus bis 1881 unter vielseitiger Anerkennung, geliebt von Lehrern und Schülern, vorstand. Als ein Höhepunkt seines Berufslebens darf aus dieser Zeit die 35. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Stettin (1880) gelten; K. war einer der beiden Präsides; seine eröffnende Rede, seine stattliche Erscheinung, seine geschickte Leitung fanden ungetheilten Beifall. Das Jahr 1881 stellte endlich den Vielgewanderten an den Platz, von dem ihn erst der Tod abrufen sollte. Er übernahm die Leitung des städtischen „Köllnischen Gymnasiums“ zu Berlin. Die sichtlich aufblühende Reichshauptstadt mit ihren reichen Schätzen in Litteratur und Kunst lockte ihn, und er hat sich nicht getäuscht. Ihm war noch eine schöne Zeit des Wirkens – mehr als dreizehn Jahre – dort beschieden. Zu dem Hauptamte des Gymnasialdirectors gesellte sich ein Jahr später das Nebenamt des Directors des königlichen pädagogischen Seminares für gelehrte Schulen. Manche besondere Aufträge und Anfragen ergingen seitens der staatlichen Schulbehörden an den erfahrenen und bewährten Schulmann. Oft wurde er selbst und seine Schule von Fremden, selbst Ausländern aufgesucht. Es ist zu bewundern, daß er bei dem allem noch die Muße zu regem Verkehr in und außer dem Hause, allerdings mit thunlichster Einschränkung der sog. großen Geselligkeit, und zu umfangreicher Schriftstellerei zu gewinnen wußte. Er gehörte mehreren engeren Cirkeln von Freunden an, die sich regelmäßig zu vertraulichem Gespräche trafen. Er war Mitglied der altberühmten Graeca, der Gymnasiallehrergesellschaft, zeitweilig des deutschen Sprachvereins; er half die Gesellschaft für deutsche Litteratur begründen und belebte mindestens von Zeit zu Zeit die Sitzungen dieser Vereine durch inhaltreiche treffliche Vorträge. In seinem gastlichen Heim verkehrten lebhaft und zwanglos Freunde der Eltern wie der erwachsenen Kinder. Die freibleibenden Abende pflegte K. stets im Kreise der Familie zu verbringen. Als Schriftsteller kehrte er in Berlin zu seiner ersten Liebe, dem deutschen Unterrichte, zurück. Nach einigen kleineren Vorspielen trat er seit 1883 mit Verbesserungsvorschlägen für die deutsche Grammatik überhaupt und für die Schulgrammatik insonders hervor: „Die deutsche Satzlehre; eine Untersuchung ihrer Grundlagen“ (Berlin 1883; 2. Aufl. 1888); „Zur Methodik des deutschen Unterrichts“ (das. 1883); „Grundriß der deutschen Satzlehre“ (das. 1884, mehrfach neu aufgelegt); „Zustand und Gegenstand“ (das. 1886); „Leitfaden der deutschen Grammatik“ (das. 1888). Vielleicht überschätzte er Tragweite und Werth seiner Neuerungen. Die lebhafte Discussion ist bald wieder stiller geworden. Aber sie war anfangs sehr belebt und hat mindestens mittelbar ihre Frucht getragen. Auch der ästhetischen Würdigung und pädagogischen Verwerthung der deutschen classischen Dichtung, namentlich der Goethe’schen, suchte er durch eine Reihe von Schriften zu dienen: „Goethe’s Torquato Tasso“ (das. 1884); „Drei Charakterbilder aus Goethe’s Faust“ (das. 1885); „Deutsche Dramen als Schullectüre“ (das. 1886); „Lehrstoff für den deutschen Unterricht in Prima“ (das. 1886); „Goethe’s Lyrik, ausgewählt und erklärt“ (das. 1889). Mit Bedacht meidet er darin alles Uebermaaß des litterarhistorischen und biographischen Apparates zu Gunsten des ästhetischen Verstehens und Genießens. Auch für einige Zeitschriften lieferte K. noch Beiträge und ließ während der Berliner Jahre sich gern mit einzelnen Arbeiten [511] in der Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung vernehmen. Seine „Schulreden“ bei der Entlassung der Abiturienten, zuerst 1881 zum Besten der von ihm begründeten Wittwenkasse des Gymnasiums zu Stettin erschienen, erfuhren eine zweite vermehrte Auflage 1887 (Berlin); in zwei Programmen wurde die Sammlung bis 1892, in den „Neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik“ von Fleckeisen und Masius bis an Kern’s Tod ergänzt. – Das Alter hatte ihm bisher nichts anhaben können, und er schien nach trüberen Tagen den Gipfel des Glückes erreicht zu haben, als 1893 seine drei Söhne nach Berlin heimgekehrt, die Tochter dort verheirathet, sein Bruder ebenfalls Gymnasialdirector in Berlin geworden war. Aber im J. 1894 stellte sich ab und zu Schwäche ein, die im Herbst überhand nahm und ihn zuletzt an allem Arbeiten hinderte. Doch blieb er geistig klar, spielte noch gern Schach und ließ sich vorlesen. Unerwartet schied er in der Nacht vom 13. zum 14. December 1894, aufrichtig betrauert im engen wie im weiteren Umkreise.

Vgl. die Nekrologe seines Schwiegersohnes G. Koch im Biogr. Jahrbuche für Alterthumskunde von Bursian etc. (Berlin 1897, Jahrgang 1896), seines Sohnes Otto Kern in Bd. I der von ihm herausgegeb. „Kleinen Schriften“ seines Vaters (das. 1895), seines Freundes Bellermann im Goethejahrbuche (Frankfurt 1880), P. Wendland’s in der Vossischen Zeitung vom 20. December 1894. – S. auch das Programm des Kölln. Gymnasiums zu Berlin und das „Ecce“ von Schulpforta von 1895.

[507] *) Zu S. 114.