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ADB:Kirchhof, Nicolaus Anton Johann

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Artikel „Kirchhof, Nicolaus Anton Johann“ von Werner von Melle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 8–11, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kirchhof,_Nicolaus_Anton_Johann&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:57 Uhr UTC)
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Band 16 (1882), S. 8–11 (Quelle).
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Kirchhof: Nicolaus Anton Johann K., hamburgischer Senator und Kaufmann, ward am 23. September 1725[WS 1] zu Itzehoe in Holstein geboren, wo sein Vater Propst und Hauptprediger war. Nachdem er eine gute Erziehung genossen, trat er als Lehrling in ein Detailgeschäft ein, dessen kleinlicher Betrieb aber die Fortentwickelung seines hochstrebenden Geistes nicht zu hemmen vermochte. [9] In den wenigen Mußestunden, die ihm nach seiner Arbeit am Ladentisch und bei den Geschäftsbüchern verstattet waren, widmete er sich mit regem Eifer und unermüdlichem Fleiße dem Studium der höheren Wissenschaften, von denen schon damals besonders die Physik, die Mathematik und die Astronomie sein lebhaftes Interesse erregten; daneben war er auch stets bemüht sich in den verschiedenen kaufmännischen Fächern weiter auszubilden. Lange aber hielt es ihn nicht in dem kleinen Itzehoe und dem engen Kreise des dortigen Detailgeschäfts. Sobald er nur konnte, schnürte er sein Bündel und wanderte voll hochfliegender Pläne dem großen Hamburg zu, wo es ja vor ihm schon so manchem intelligenten Kopf gelungen war sein Glück zu machen. In kurzer Zeit fand er hier die Mittel, um sich selbständig als Großkaufmann zu etabliren; seine verschiedenen Unternehmungen erwiesen sich als erfolgreich, er konnte sein Geschäft von Jahr zu Jahr weiter ausdehnen und gehörte bald zu den ersten und angesehensten Kaufleuten der Stadt. Doch auch als Chef eines großen Handlungshauses fand er wie früher als Lehrling Zeit seine Lieblingsstudien fortzusetzen. Insbesondere machte er im Gebiete der Physik nicht unerhebliche selbständige Forschungen, deren Resultate er dann in einer Reihe wissenschaftlicher Schriften der Oeffentlichkeit übergab. Auch erwarb er mit der Zeit eine sehr reichhaltige Sammlung physikalischer Apparate, die fast sämmtlich nach seiner Anleitung von englischen Künstlern angefertigt waren und, zusammen in einem großen Saale aufgestellt, sein „Musäum“ bildeten, in welchem er mehrere Jahre hindurch allwöchentlich öffentliche Vorlesungen über physikalische Gegenstände hielt. Im J. 1765 betheiligte sich K. in hervorragender Weise an der Gründung der noch heute bestehenden „Hamburgischen Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“. Schon früher hatten sich mehrere hervorragende Patrioten, zu denen außer K. vor Allem der später als Wolfenbüttler Fragmentist so berühmt gewordene Professor Hermann Samuel Reimarus, der Nationalökonom Professor Büsch und der Architekt Sonnin gehörten, allwöchentlich versammelt, um, wie ein zeitgenössischer Schriftsteller sagt, „über praktische, auf das Wohl des Bürgers unmittelbar wirksame Gegenstände sich das Resultat ihrer Erfahrungen, ihres Nachdenkens und Lesens gegenseitig mitzutheilen.“ Der eines Tages aufgetauchte Gedanke, diesen angeregten Freundeskreis zu einer großen gemeinnützigen Societät, deren Mitglied jeder rechtschaffene Bürger werden konnte, zu erweitern, ward von allen Seiten mit Beifall begrüßt und von K. und Büsch ungesäumt ins Werk gesetzt. Die neue Gesellschaft wollte „neue Erfindungen, neue durch Erfahrung bewährte Handlungs- und Gewerbsvortheile aufsuchen und den Mitbürgern mittheilen; über den Verfall einzelner Gewerbe und die Mittel, ihnen aufzuhelfen, Untersuchungen und Vorschläge veranlassen und dadurch zu näheren Versuchen einzelner oder mehrerer Privatmänner den Weg bahnen“. Sie wollte „dahin streben die hamburgischen Künstler und Handwerker durch Anleitung, Beispiel und Belohnungen zweckmäßiger, leichter, wohlfeiler und geschmackvoller arbeiten zu lehren, praktisch nützliche Erfindungen zu veranlassen und zu verbreiten und inländischen Kunstfleiß zum Wetteifer mit dem auswärtigen aufzumuntern.“ Dieses ihr Programm hat die Gesellschaft, die auch oft kurzweg als die „patriotische“ bezeichnet wurde, bis auf den heutigen Tag mit stetigem Eifer und nicht geringem Erfolge durchgeführt. Ja sie hat sich nicht auf ihr eigentliches Gebiet, Kunst und Gewerbe, beschränkt, sondern ist auch wiederholt bestrebt gewesen den Handel und Verkehr zu fördern, einen rationellen Betrieb der Landwirthschaft zu begünstigen und zum allgemeinen Besten dienende öffentliche Einrichtungen verschiedener Art ins Leben zu rufen. An allen diesen Bestrebungen nahm K., der bis zu seinem Tode dem Vorstande der Gesellschaft angehörte, lebhaften Antheil. Insbesondere interessirten ihn auch hier diejenigen Gegenstände, die mit seinen [10] Lieblingsstudien in gewisser Verbindung standen. So focht er z. B. eifrigst für die Einführung der neuen Blitzableiter und erfand selbst eine seiner Zeit viel gerühmte und in einer eigenen Schrift von ihm ausführlich beschriebene „Zurüstung, die Nützlichkeit der Blitzableiter sinnlich zu beweisen.“ Daß einem so ungemein rührigen und vielseitig gebildeten Manne wie K. auch bürgerliche Ehrenämter übertragen wurden, ist nicht zu verwundern. Läßt man doch in Hamburg seit alter Zeit mit Vorliebe vielerfahrene und weitblickende Großkaufleute in hervorragender Weise an der Regierung und Verwaltung des Freistaates Theil nehmen. K. war successive Commerzdeputirter und Bankbürger, d. h. Mitglied der betreffenden speciell den Handelsinteressen dienenden Verwaltungscollegien. Ein besonderes Verdienst aber erwarb er sich durch Einführung einer wichtigen Reform in Bezug auf die Valuta der Hamburger Bank. Diese Bank war bereits im J. 1619 entstanden nach dem Vorbilde einer 10 Jahre früher in Amsterdam ins Leben gerufenen Depositen-Giro-Bank, der ältesten Anstalt dieser Art. Den auf den Conten der Interessenten der Bank gutgeschriebenen und unter ihnen circulirenden Bankfonds bildeten eingebrachte reichsconstitutionsmäßig gemünzte Thaler. Der Münzfuß dieser Speciesthaler ward aber in manchen Territorien und selbst in den kaiserlichen Landen allmählich sehr beträchtlich verringert. Die Stadt Hamburg ließ allerdings noch Thaler nach dem alten schweren Münzfuß ausprägen, allein dieselben wurden, so weit sie nicht sofort in den Verwahrsam der Bank kamen und hier blieben, von Speculanten aufgekauft und eingeschmolzen. Die große Masse der zur Begründung von Guthaben oder zur Rückzahlung von Belehnungen in die Bank gebrachten Thaler bestand aus leichteren Sorten, welche selbstverständlich auch von der Bankverwaltung wiederum vorzugsweise beim Herausziehen von Guthaben ausgekehrt wurden. Um einer weiteren Verringerung der Species eine feste Grenze zu setzen, ließ die Bankverwaltung dann 1744 Normalgewichte von 7960 Richtpfennigstheilen anfertigen und hielt von da an streng darauf, daß Speciesthaler unter diesem Gewicht nicht mehr angenommen wurden. Kamen bei neu eingebrachten Beträgen schwerere Thaler vor, wurden solche sorgfältig ausgesucht und zurückgestellt. In den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts aber hatte der im Umlauf befindliche Vorrath von Species Reichsthalern merklich abgenommen, weil diese Geldsorte fast gar nicht mehr gemünzt wurde. Es entstand daraus natürlich eine empfindliche Verlegenheit für die directe Kreirung von neuen Bankguthaben, zumal starke Belehnungen mitunter nur nachgesucht wurden, um die Bankverwaltung zur Verabfolgung auch eines Theiles der zurückgesetzten schweren Species, die sich vortheilhaft einschmelzen ließen, zu nöthigen. Es war klar, daß auf diese Weise die Hamburger Bankvaluta sich auf die Länge nicht werde halten lassen. Dies erkannte auch K. Ein praktisches Auskunftsmittel aber war trotz seiner und Anderer Bemühungen lange Zeit nicht zu finden. Da bemerkte eines Abends im J. 1768, als man die brennende Tagesfrage im Locale der Patriotischen Gesellschaft besprach, der Architekt Sonnin, welcher der ganzen Angelegenheit fern stand und das Gespräch bis dahin ruhig angehört hatte: „Ei, ei! Was doch die Chinesen für kluge Leute sind! Die kehren sich an kein Gepräge, sondern nehmen alles Silber nach Gehalt und Gewicht. Wenn wir das doch auch thäten, so brauchten wir uns nicht die Köpfe darüber zu zerbrechen, sondern wir rechneten alsdann am einfachsten und gewissesten.“ Der in diesen Worten ausgesprochene Gedanke ward von K. sofort lebhaft aufgenommen und durch ihn und den späteren Senator Lütkens nach Ueberwindung vielfacher Schwierigkeiten praktisch durchgeführt. 1770 ging die Hamburger Bank in Folge eines Beschlusses von Senat und Bürgerschaft zur Silberbarren-Valuta über, an der sie seitdem immer festgehalten hat. „Unsere Bank“, sagte K., „ist nunmehr einzig und allein auf feinem [11] Silber gegründet und dadurch die solideste von ganz Europa geworden.“ Jahrelang hatten indeß K. und seine Freunde in dieser Angelegenheit noch mit einer heftigen Opposition zu kämpfen, die erst durch die Erfolge des neuen Systems schließlich zum Schweigen gebracht wurde. Am 16. Juli 1784 ward K. durch seine Wahl zum Senator ein noch weiteres Gebiet öffentlicher Thätigkeit eröffnet, in dem er 16 Jahre lang unermüdlich und segensreich wirkte. Ein männliches Bestreben, überall das Beste zu schaffen, Aufklärung zu befördern, Männern von Geist und Kopf einen Wirkungskreis zu eröffnen, jedes hergebrachte Vorurtheil zu entlarven und jeden engherzigen Departementssinn zu entfernen – das ward ihm mit Recht nachgerühmt. Er starb, 75 Jahre alt, am 10. September 1800. „Dank und Hochschätzung seiner Mitbürger“, so schrieb ein Zeitgenosse, „sind der schönste Zweig der Bürgerkrone, den der Genius des Vaterlandes um Kirchhof’s Urne windet.“

Hamb. Schriftstellerlexikon, Bd. II, Hamb. 1857, S. 585 f. Hamburg u. Altona. Eine Zeitschrift zur Geschichte der Zeit, der Sitten und des Geschmacks, Bd. IV S. 10–14. Verhandlungen u. Schriften der Hamb. Gesellschaft zur Beförderung der Künste u. nützl. Gewerbe, Bd. I, Hamb. 1792, S. 54 und Bd. VII, Hamb. 1807, S. 101–106. Die Hamb. Bankvaluta in ihren Beziehungen zur allgem. deutsch. Münzreform, Hamb. 1872, S. 1 ff. Meyer, Skizzen zu einem Gemälde von Hamburg, Bd. II S. 175.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Laut NDB war das Geburtsdatum der 23. Juli 1725.