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ADB:Kneller, Gottfried

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Artikel „Kneller, Gottfried“ von Wolfgang Michael in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 814–820, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kneller,_Gottfried&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 05:03 Uhr UTC)
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Kneller *): Gottfried K., eigentlich Kniller, in England Sir Godfrey Kneller genannt, berühmter Maler, war geboren zu Lübeck 1646 oder 1649 (?) und starb in London am 19. October 1723. Sein Großvater besaß ein Gut in der Gegend von Halle und war Bergwerksinspector und Finanzverwalter des Grafen Mansfeld. Von seiner Gattin, einer geborenen Krause (wir kennen sie freilich nur in der anglisirten Namensform Crowsen bei de Piles und [815] Horace Walpole), hatte er einen Sohn Zacharias. Derselbe war 1611 zu Eisleben geboren, studirte in Leipzig und lebte eine Zeit lang in Schweden, wo er die Gunst der Königin Marie Eleonore, der Wittwe Gustav Adolf’s, genoß. Nach ihrem Tode ließ er sich in Lübeck nieder, er ist daselbst als Werkmeister zu St. Catharinen im J. 1675 gestorben. Es heißt, er habe Architektur und Mathematik studirt. Mit mehr Sicherheit können wir sagen, daß schon er als Maler eine gewisse Bedeutung besessen hat; eine Reihe tüchtiger Porträts von seiner Hand sind noch jetzt in Lübeck erhalten. Aus seiner 1639 geschlossenen Ehe mit Lucia Beuten stammten vier Söhne; einer der jüngeren war Gottfried, der Maler.

Die Feststellung des Geburtsjahres macht Schwierigkeiten. Das früher stets genannte Jahr 1648 ist nicht genügend beglaubigt. Hingegen enthält das Taufregister von St. Marien zu Lübeck die Taufdaten (1642. Dec. 15; 1644. Oct. 6; 1646. Aug. 6; 1649. Aug. 23), aber nicht die Namen von vier Kindern des Zacharias K. Ferner nennt ein von Schröder in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengestelltes, heute im Lübecker Staatsarchiv befindliches genealogisches Register, dessen Quelle freilich nicht mehr bekannt ist, den Namen Gottfried an dritter Stelle. Diese Angaben würden combinirt das Geburtsjahr 1646 ergeben. Damit stehen nun aber die handschriftlichen Notizen der Vertue Collection im Britischen Museum in Widerspruch. Eine beiläufige Bemerkung daselbst (Add. Mss. 23068 f. 9), welche etwa auf das Jahr 1650 führt, mag nicht viel zu bedeuten haben. An anderer Stelle aber (Add. Mss. 21111 f. 36 b) findet sich die Erzählung von Mr. Byng, einem Schüler von K., dieser und sein älterer Bruder seien 1718 bei ihm gewesen und hätten gesprächsweise ihr Alter verglichen. Der ältere war damals 73, der jüngere, Sir Godfrey, 69 Jahre alt, „so daß“, wie die Notiz schließt, „Sir Godfrey im Jahre 1649 geboren ist.“ So stehen die Quellenangaben einander entgegen, und ob nun das aus dem Taufregister zu errathende Jahr 1646 oder das durch die eigenen Aussagen der beiden Brüder gestützte Jahr 1649 den Vorzug verdient, können wir heute nicht mehr entscheiden.

Von seinem Vater für einen militärischen Beruf bestimmt, kam K. in jungen Jahren nach Leyden, um daselbst die Kriegswissenschaften zu studiren. Da soll nun, bei der Beschäftigung mit Mathematik und Fortificationswissenschaft, die wohl vom Vater ererbte Liebe zur Malerei in dem jungen Manne erwacht sein. Er beschließt, ein Maler zu werden und begibt sich nach Amsterdam. Dort wird er durch Ferdinand Bol, den Schüler Rembrandt’s, in die Kunst eingeführt. Ja, er ist auch diesem selbst nahe getreten und hat gelegentlich seinen Unterricht genossen. Das Bildniß des jungen Prinzen von Oranien im Palast von Kensington, wenn es wirklich Kneller’s Werk ist, zeigt den Rembrandt’schen Einfluß deutlich genug, und dasselbe mag bei anderen Bildern aus der ersten Periode des Künstlers der Fall sein. Dagegen ist die von Horace Walpole mitgetheilte Angabe, K. habe auch den Unterricht von Franz Hals empfangen, kaum zu belegen, und schwerlich wird sich ein Kneller’sches Bild nachweisen lassen, welches den Einfluß von Franz Hals bemerken ließe.

Als fertiger Maler kehrt K. in seine Vaterstadt zurück und lebt dort seiner Kunst. Unter mehreren, in Lübeck von ihm erhaltenen Werken pflegt die Darstellung eines studirenden Alten, halb Porträt, halb Genrestudie als das bedeutendste genannt zu werden, wie denn überhaupt die Bilder dieser frühen Periode (das eben genannte trägt die Jahreszahl 1668), zu seinen sorgfältigsten Arbeiten gehören sollen und sicherlich noch ganz frei sind [816] von dem schablonenhaften Charakter, der vielen seiner späteren Bilder anhaftet. Aus dieser Zeit (1672) stammt auch eine Behandlung des Themas „Tobias und der Engel“, ein Bild, welches bis zu Kneller’s Tode in seinem persönlichen Besitz verblieb, und welches beweist, daß er damals auf die Darstellung biblischer oder historischer Stoffe bedacht war. In Lübeck blieb K. nur wenige Jahre. 1672 begab er sich nach Italien, um seine künstlerische Ausbildung daselbst zu vervollständigen. Er kam nach Rom und studirte die Werke der Antike, wie diejenigen Raffael’s und der beiden Caracci, er arbeitete bei Carlo Maratta und Bernini, ohne sich freilich in seiner Kunst einer bestimmten Richtung anzuschließen. Er ging nach Neapel und später nach Venedig, wo er nicht nur die Werke der großen Venetianer studirte, sondern selbst bereits einen bedeutenden Namen als Maler gewann. Er ward von den großen Familien beschäftigt und zwar ebensowohl als Historien- wie auch schon als Porträtmaler, d. h. auf demjenigen Gebiete, auf dem er sich später ausschließlich bethätigte. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, verweilte und malte einige Zeit in Nürnberg und später in Hamburg.

Nach dem Tode seines Vaters, der 1675 starb, ging K. zusammen mit einem (schon erwähnten) wenige Jahre älteren Bruder, welcher ebenfalls Maler war und ihn immer begleitete, abermals ins Ausland. Wie es heißt, wollte er damals über Frankreich nach Italien reisen. Zunächst aber begab er sich nach England, und dort machte er sein Glück. Wir wissen genau, wie das geschah. Er kam nach London mit einer Empfehlung an einen dort lebenden reichen Kaufmann aus Hamburg, Namens Banks. Dieser nahm ihn in seinem Hause freundlich auf und ließ sich und seine Familie von K. malen. Die Bilder kommen einem Mr. Vernon zu Gesicht, welcher Secretär des Herzogs von Monmouth, des natürlichen Sohnes Karl’s II., war. Durch Vernon, den er gleichfalls malt, kommt K. zu Monmouth. Auch Monmouth läßt sich von ihm malen, und das Bild erregt das Wohlgefallen des Königs. Karl II. willigt ein, dem vielversprechenden deutschen Künstler eine Sitzung zu gewähren.

Der erste lebende Porträtmaler in England war damals Peter Lely, ein Niederländer, welcher, an Van Dyck sich anlehnend, den Geschmack der Engländer in seinen Porträts immer glücklich zu treffen wußte, der in der Zeit der Republik das Bildniß Oliver Cromwell’s gemalt, und in der Restaurationsperiode die gefälligen Schönheiten vom Hofe Karl’s II. durch seinen Pinsel verewigt hatte. Der nun zwischen ihm und K. sich erhebende Wettstreit findet seinen bezeichnendsten Ausdruck in einer ganz eigenartigen Atelierscene. Der König hatte seinem Bruder, dem Herzog von York, versprochen, sich für ihn von Lely malen zu lassen; Monmouth soll dagegen das von Kneller’s Hand gefertigte Bildniß des Monarchen erhalten. Karl beschließt, der Einfachheit halber beiden Künstlern gleichzeitig zu sitzen. Als der König Platz genommen hat, wählt Lely, als der angesehenere, den günstigsten Standpunkt, K. stellt seine Staffelei auf, so gut er kann, und der Malerkrieg beginnt. Als die Sitzung zu Ende war, bemerkten die anwesenden Herrschaften, York, Monmouth und andere Edelleute, überrascht und bewundernd, daß Kneller’s Bild nahezu beendet war und vortrefflich wirkte, während Sir Peter bei dem seinigen kaum die Untermalung begonnen hatte. Lely selbst kann nicht umhin, zu erklären, daß Mr. K. ein tüchtiger Meister und das Porträt wohl gelungen sei.

Die Erzählung dieser kleinen Begebenheit ist gut beglaubigt, und sie zeigt uns schon den ganzen K. Rasche, kühne Zeichnung, schnell aufgetragene Farben, frappirende Aehnlichkeit waren die Eigenheiten seiner Kunst, welche immer eines gewissen Erfolges sicher war. Kein Zweifel, daß hier ein ungewöhnliches [817] Können vorhanden war. Aber dazu gesellt sich nun ein stark virtuosenhafter Zug, die momentane äußere Wirkung überwiegt, von tieferem Erfassen der Charaktere, von schärferer Individualisirung ist selten etwas zu bemerken. Wer von dem Porträtmaler fordert, daß er über die Zufälligkeiten der augenblicklichen Erscheinung hinaus das innere Leben des Menschen, gleichsam die dauernden Züge desselben, zu erfassen und zu künstlerischem Ausdruck zu bringen vermöge, der wird in der Kunst eines K. nicht die höchste Stufe der Bildnißmalerei erkennen.

K. war nun in England ein gemachter Mann. Er ward der bevorzugte Porträtist der vornehmen Gesellschaft, und er ist es – wenn wir die beschriebene Scene etwa in das Jahr 1678 zu setzen haben – 45 Jahre lang, bis an sein Ende geblieben. Lely starb 1680 und der Hofklatsch versäumte nicht, die Fabel zu verbreiten, das Emporkommen des glücklichen Nebenbuhlers habe ihm den Tod gegeben. K. war bald der Alleinherrscher auf dem Gebiete der Malerei. Freilich schlägt er nun auch denselben Weg ein, wie so viele andere ausländische Künstler in England vor ihm – es genügt, den Namen Van Dycks zu nennen. Die Historienmalerei gibt er auf und widmet sich ausschließlich dem Porträt. Man verlangt nichts anderes mehr von ihm, die Masse der Aufträge nimmt ihn völlig in Anspruch, der bequeme Gewinn lockt ihn fort von der Bahn der ernsten Arbeit und der künstlerischen Vertiefung. Wohl hat die Gesellschaft auch Sinn für andere Zweige der Malerei, für religiöse und historische Stoffe, für Landschaft und Genre, aber diese Bilder holt man sich vom Auslande. Schon kommen gelegentlich die großen Sammlungen Italiens zum Verkauf; die englischen Großen zahlen die höchsten Preise. Man kauft die Niederländer des 17. Jahrhunderts, man kauft Claude Lorrain und Poussin und Velasquez. Die Sitze des englischen Adels füllen sich mit den Kunstschätzen aller Zeiten. Aber von dem einheimischen Künstler verlangt man nur, daß er Porträtmaler sei. Noch Hogarth nannte die Porträtmalerei den einzigen blühenden Zweig an dem hohen Baume der britischen Kunst. K. aber meinte, die Historienmaler rufen die Todten ins Leben, beginnen aber selbst erst zu leben, wenn sie todt sind. „Ich male die Lebenden und ich selbst lebe von ihnen.“

K. malt die elegante Gesellschaft wie sie repräsentirt, vornehm, würdevoll, feierlich, aber ohne rechtes Leben. Es sind Typen, nicht Menschen, die er schafft. Er malt Könige und Adlige, Minister und Feldherren, und wir sehen eigentlich nur allgemein gültige Verkörperungen der Majestät, der vornehmen Geburt, der Staatskunst, der Strategie. Die Gesichter immer mit derselben hoheitsvollen Miene, sie sind einander alle ähnlich, die bartlosen, von der mächtigen Allongeperücke umrahmten Köpfe. Der König wird dargestellt im Krönungsmantel mit Krone und Scepter, das linke Bein weit vorgestreckt, um den Hosenbandorden sichtbar werden zu lassen. Eine bleierne Langeweile weht uns Moderne an aus diesen Gesichtern mit ihrer ewigen Amtsmiene.

Selbst Kneller’s Frauen zeigen mehr Haltung und Würde als Anmuth und weiblichen Reiz. Die Charakterisirung im Einzelnen ist noch unvollkommener als bei den männlichen Porträts, Haltung und Kleidung noch schematischer als bei diesen. Ein Hals und oberen Theil der Brust freilassendes Gewand umschließt den Oberkörper mit leichter Drapirung, der Kopf ein wenig zur Seite gewendet, das gelockte Haar auf einer Schulter ruhend. Halb zufällig mag dem Maler in seinen jüngeren Jahren wohl noch einmal die Darstellung eines anmuthigen Frauenbildes gelungen sein, wie das der jugendlichen Lady Marlborough [818] in der National Portrait Gallery. Die Königin Maria, Wilhelm’s III. Gemahlin, hatte den wenig glücklichen Gedanken, den sie sich auch nicht ausreden ließ, wieder einmal eine Galerie von schönen Frauen ihrer Hofgesellschaft malen zu lassen, wie Lely es an dem galanten Hofe Karl’s II. gethan hatte. Es fehlte aber – zur Ehre des englischen Hofes sei es gesagt – ebenso sehr an den pikanten Objecten für eine solche Galerie, wie an dem richtigen Maler. K. wurde mit der Aufgabe betraut. Das Ergebniß seiner Arbeit waren die tugendhaft steifen Hampton Court Beauties, welche von den Lely’schen Windsor Beauties so verschieden sind, wie der ehrbare Hof Wilhelm’s III. von der lustigen Gesellschaft Karl’s II.

Ihrem Umfange nach ist die von K. geleistete Arbeit ungeheuer. Er hat die Gunst von fünf englischen Souveränen genossen. Die Familie der Stuarts hat er in allen ihren Gliedern so oft gemalt, daß er 1688 wohl mit Recht von sich sagen durfte, er könne besser als irgend ein Anderer über die Echtheit des eben geborenen Prinzen entscheiden, denn Niemand kenne so genau wie er die Gesichtszüge der Stuarts. Und noch in anderer Weise ist Kneller’s Name mit der Geschichte der „glorreichen Revolution“ verknüpft. Jakob II., heißt es, habe gerade K. zu einem Porträt gesessen, das er Mr. Pepys als Geschenk zugedacht hatte, als er die Nachricht von der Landung Wilhelm’s von Oranien erhielt. Der König bewahrte seine Ruhe vollständig und erklärte: „Ich habe Mr. Pepys mein Bild versprochen, und ich will die Sitzung zu Ende führen.“ Wilhelm III., Königin Anna und Georg I. haben immer neue Ehren auf Kneller’s Haupt gehäuft. Wilhelm erhob ihn zum Ritter und gewährte ihm eine jährliche Rente von 200 £. K. durfte ihn wiederholt malen. Mehrere dieser Porträts sind heute im Kensington Palast, und man mag dort Vergleiche anstellen zwischen ihnen und dem viel früheren Bildniß Wilhelm’s, das einst der junge K. angefertigt hatte. Hier künstlerisches Erfassen, leuchtende Farben, gute Charakterisirung, dort conventionelle Auffassung und Behandlung. Man sieht, wie ein bedeutendes Können im Dienste der Mode und Schablone verflacht ist. Auch in einer allegorischen Darstellung hat K. Wilhelm III. einmal behandelt, auf welcher der König als Bringer des Friedens auf englischem Boden im J. 1697 erscheint; ein Bild, das ehedem als Wunderwerk gepriesen wurde, und in dem wir heute doch nur eine steife Nachahmung Rubens’scher Malweise und Figuren zu erkennen vermögen. Königin Anna und endlich der erste hannöverische König übernahmen von ihren Vorgängern auf dem englischen Throne auch die traditionell gewordene Bewunderung Kneller’s; Georg I. erhob ihn 1715 zum Baronet. „Noch lebt er in voller Gunst bei dem gegenwärtigen König“, schreibt ein Zeitgenosse in demselben Jahre.

Die ganze vornehme Gesellschaft folgte dem Beispiele des Hofes. Die Landsitze in England zeigen uns die Personen von Stande um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts in Kneller’schen Porträts. Die Zahl seiner Bilder wurde wohl ohne Uebertreibung nach Tausenden geschätzt. Mehr als 500 fanden sich unvollendet in seinem Nachlasse. Diese Zahlen werden freilich nur verständlich, wenn man weiter vernimmt, daß K., um den massenhaften Aufträgen genügen zu können, sich einen Stab von Hülfsarbeitern hielt, denen er immer mehr die nebensächlichen Theile des Bildes überließ. Wir wissen, daß auch Größere, wie Rubens, dasselbe gethan haben. Niemandem fiel es ein, K. einen Vorwurf daraus zu machen, „denn es ist eine allgemeine Regel in England“, so schreibt der eben erwähnte Zeitgenosse, „daß von dem Meister nur Gesicht und Hände, die Kleider und das Beiwerk aber von Anderen gemalt werden.“

[819] Kneller’s Name ist endlich auch aufs engste verknüpft mit der Geschichte der ersten englischen Kunstakademie. Sie ward 1711 begründet als eine private Vereinigung einer Anzahl von Malern, nebst einigen Bildhauern und Architekten, denen sich auch noch einer oder der andere Kupferstecher oder Kunstschnitzer hinzugesellte. Der Gedanke der Gründung soll von K. ausgegangen sein. Viele der namhaftesten Künstler folgten seinem Rufe. Unter den 62 Namen der ersten Mitgliederliste finden wir diejenigen von Dahl, Thornhill, Richardson und Clostermann, Laguerre und Vertue. Freilich hafteten dem Unternehmen noch alle Mängel einer rein privaten Veranstaltung an, das Fehlen der schützenden Staatsautorität, der durchgreifenden Organisation und der ausreichenden Mittel. Die Leitung wurde, ähnlich der Verfassung der großen Handelsgesellschaften, einem Gouverneur und 12 Directoren anvertraut. K. ward einstimmig zum Gouverneur ernannt, im nächsten Jahre auch wiedergewählt, obwohl der Schwede Dahl gehofft hatte, sein Nachfolger zu werden und enttäuscht seinen Austritt anmeldete. An Erfolg kann es dem Unternehmen nicht gefehlt haben, denn im zweiten Jahre traten 12, im dritten 14 neue Mitglieder hinzu. K. selbst blieb bis 1718 an der Spitze, aber das Bestehen der Anstalt läßt sich bis 1750 weiter verfolgen. Sie scheint mit ihrer Entwicklung gleichsam auszumünden in die Gründung der Royal Academy im J. 1768.

Es versteht sich, daß der geschilderte große Betrieb dem Meister reichen Gewinn eintrug. Er verstand es, ihn in beweglichen Werthen sowie in Häusern und Grundstücken nutzbringend anzulegen. Auch trotz der großen Verluste, die er wie so mancher Andere durch die Südsee-Katastrophe 1720 erlitt, ist K. 1723 noch als reicher Mann gestorben. Sein Vermögen vermachte er seiner Gattin Susannah, geb. Cawley, mit der er in kinderloser Ehe gelebt hatte. Nach ihrem Tode aber sollte es an den Sohn einer natürlichen Tochter fallen und in seiner Familie forterben, freilich unter der Bedingung, daß diese Nachkommen den Namen Kneller annehmen und beibehalten würden. Unter den mit Legaten bedachten Personen befanden sich auch seine Gehülfen. Einer derselben, Edward Byng, sollte die unfertigen Bilder vollenden oder vollenden lassen. Die im Leben Kneller’s geübte Praxis wurde so gleichsam über seinen Tod hinaus noch fortgesetzt. Im Garten seines prächtigen Landsitzes zu Whitton fand K. seine Ruhestatt. In der Westminster Abtei aber ward ihm ein Denkmal errichtet – der einzige Maler, dem solche Ehre zu Theil ward. Und um eine wahrhaft würdige Aufschrift für dasselbe zu finden, hat Pope die Grabschrift Raffael’s ins Englische übersetzt. Im Tode wie im Leben ward also K. gleich überschwenglich geehrt.

So sehen wir in K. einen nach England verschlagenen deutschen Maler, dem der leicht gewonnene Beifall des Publicums verhängnißvoll geworden ist. Wie Van Dyck hat er sich, mit Größerem beginnend, auf das einzige Gebiet der Porträtmalerei beschränkt. Nur hat Van Dyck alsdann die höchste Vollkommenheit auf diesem Gebiete erreicht; bei K. aber ist über der Massenproduction die künstlerische Ader verdorrt.

In der Geschichte der englischen Kunst steht K. an dem Endpunkt einer Entwicklung, welche, mit Holbein und den frühen Niederländern beginnend, die englische Nation in ihrem Kunstleben zweiundeinhalb Jahrhunderte lang als die im Banne des Auslandes stehende und lediglich empfangende erscheinen läßt. Wenn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine nationale englische Kunst in stolzer Schönheit und Unabhängigkeit erstand, so liegen zwar die wenig beachteten Anfänge dazu schon in den Jahrzehnten, mit denen wir es in dieser biographischen Skizze zu thun hatten. Aber es ist die Abkehr von der [820] Kneller’schen Malweise, Der Ruf Jonathan Richardson’s nach einer nationalen englischen Kunst berührt uns wie ein Protest gegen das Ausländerthum im allgemeinen und gegen K. insbesondere. Von Richardson selbst ging auch die neue, vom Zwange der Tradition befreite Malweise aus. Von K. aber führt keine Brücke zu Reynolds hinüber.

Die auf das Geburtsdatum bezüglichen Lübecker Notizen sind mir von Herrn Dr. Fr. Bruns in Lübeck gütigst mitgetheilt. – Für die Lebensumstände Kneller’s und für die Geschichte der Akademie von 1711 sind handschriftliche Nachrichten in der Vertue Collection im Britischen Museum erhalten. Weiteres findet sich bei R. De Piles’ The Art of Painting. 3. ed. 1750; A. Houbraken, Große Schauburgh der Niederländischen Maler, herausgeg. von Wurzbach 1880 ff.; C. H. v. Heinecken, Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen, 1768; Hor. Walpole, Anecdotes of Painting in England, ed. R. N. Wornum, London 1876. Vgl. ferner: W. Ackermann, Der Porträtmaler Sir G. Kniller, Lübeck 1845 ; E. Law, Royal Gallery of Hampton Court, London 1898; R. S. Cobbett, Memorials of Twickenham, 1872; Art. Kneller im Dict. Nation. Biogr; W. Michael, Die Anfänge der englischen Porträtmalerei (Zeitschr. f. bild. Kunst, N. F. XV, H. 4).

[814] *) Zu Bd. LI, S. 255.