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ADB:Leßmann, Daniel

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Artikel „Leßmann, Daniel“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 453–454, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Le%C3%9Fmann,_Daniel&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 05:01 Uhr UTC)
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Leßmann: Daniel L., Historiker und Dichter, geb. am 18. Januar 1794 zu Soldin in der Neumark, † am 2. September 1831. L., von jüdischen Eltern geboren, besuchte das Joachimsthal’sche Gymnasium in Berlin, studirte Medicin, machte den Krieg von 1813 mit, wurde bei Lützen verwundet und betheiligte sich nach seiner Wiederherstellung weiter an den Kämpfen. Nach Beendigung des Krieges nahm er seine medicinischen Studien wieder auf, ging als Hofmeister nach Wien und in O’Donnell’s Begleitung nach Italien und blieb einige Zeit in Verona. Seit 1824 lebte er dauernd in Berlin, mit der jungen Schriftstellerwelt bekannt, in der Gesellschaft beliebt. Er arbeitete fleißig an den verschiedenen Berliner Zeitschriften mit, schrieb für sie Skizzen über südliches Leben, historische Aufsätze, Novellen, Gedichte. Er war mit Heine bekannt, als dessen eifriger, nicht immer glücklicher Nachahmer er galt; Grüße Heine’s an ihn finden sich vielfach in Heine’s Briefen an Moser. Aus einer Antwort Moser’s (Strodtmann, Heine 1, S. 319) geht hervor, daß L. 1824 zum Christenthum übertrat, wahrscheinlich, wie viele der Gleichstrebenden, um leichter eine Stelle zu erlangen. Die getäuschte Erwartung beförderte seinen Hang zur Schwermuth. Schon 1826 erschienen „12 Wanderlieder eines Schwermüthigen“; nach seinem Tode wurden, wol nach seiner eigenen Angabe, Reiseberichte, die er aus und über Südfrankreich, Spanien, England geschrieben hatte, unter dem Titel „Das Wanderbuch eines Schwermüthigen“, Berlin 1831/32, 2 Bände, veröffentlicht. Durch diesen Hang wurde die Neigung zum Selbstmord befördert. Freilich sagt er in seinem Roman „Louise v. Halling“ (1827, II, 14 f.): die Spanier fänden den Selbstmord natürlich, „was ihnen auch bei ihrer unersprießlichen Lumpennatur wenig zu verargen“ ; aber in einem Gedichte aus demselben Jahre (bei Gubitz III, 5) macht er ziemlich bestimmte Andeutungen, daß er sich selbst auf diese Weise aus der Welt zu schaffen gedenke. Diesen Gedanken brachte dann die Cholerafurcht im J. 1831 zur Reife. Unter dem Vorgeben, eine Fußreise nach Leipzig und Dresden zu unternehmen, entfernte er sich von Berlin und wurde an dem obengenannten Tage zwischen Kropstädt und Wittenberg erhängt gefunden. L. war ein kenntnißreicher, talentvoller Schriftsteller. Zu einer vollen Ausbildung seines Talentes kam er nicht, theils in Folge seines frühen Todes, theils in Folge seiner krankhaften Ueberreizung, die ihn zu einer unmäßigen Selbstüberschätzung veranlaßte. Er besaß Humor, Satire, leichte Darstellungsgabe. Er hatte fremde Länder gesehen und sprach gern davon, ließ sich aber allzuleicht verleiten, die gelehrten Kenntnisse, die er gesammelt hatte, in Anmerkungen mitzutheilen und durch Darstellung fremdländischer Sitten und Gebräuche den Fluß der Erzählung aufzuhalten. Diese Eigenheiten, gute und schlechte, zeigen sich deutlich in seinem Romane „Louise von Halling. In Briefen [454] aus Südspanien“, 2 Bde., Berlin 1827, der wol als sein Hauptwerk zu betrachten ist. In diesem Romane, der wol auch von Goethe gelesen wurde (vgl. Goethe-Jahrbuch II, 341), wird die Geschichte eines deutschen adligen Mädchens erzählt, das mit Schwester und Schwager, Angelika und Leopold, und einem gelehrten Begleiter Laurentius nach Spanien gereist ist. Dort lernt Louise einen jungen Edelmann, Don Sebastiano, kennen und lieben, den sie, obgleich sein adelsstolzer erzkatholischer Vater zuerst die Verbindung mit einer deutschen Protestantin durchaus nicht zugeben will, doch heirathet. Mannigfache Episoden halten die Entwickelung auf. Louise war einem deutschen Hauptmann versprochen, dessen Hand sie ausschlägt; sie wird von einem andern Spanier, Don Claudio, begehrt, der ihrem Geliebten schwere Gefahren bereitet; Sebastiano’s Vater hat Leopold schwer gekränkt, erhält aber schließlich durch seine Vermittlung den Grandentitel. Der ganze Roman ist in Briefen abgefaßt, welche die vier deutschen Reisenden – nur ganz ausnahmsweise treten andere Correspondenten auf – an ihre Freunde in der Heimath schreiben. Die vier Briefschreiber sind trefflich charakterisirt: die schwärmerische Louise, die zum ersten Male das Wirken der Liebe spürt; Angelika und Leopold, weltmännisch gebildet, von seinem Sinne für die Interessen und Merkwürdigkeiten des fremden Landes; Laurentius, der gelehrte Sonderling, der an der Natur keine Freude hat, weil sie ewig neu schafft, der aber allen alten Steinen und Inschriften nachgeht, gelegentlich auch verliebt, aber nicht sonderlich betrübt über den unglücklichen Ausgang dieser Liebe ist, sich und die Welt in behaglicher Weise ironisirt. Schilderungen des Landes und seiner Sitten, Uebersetzungen spanischer Poesieen, Mittheilung eigener Gedichte unterbrechen die Erzählung. Denn L. war auch Dichter, Uebersetzer, Gelehrter. Zwei Sammlungen Gedichte erschienen von ihm: „Amathusia“, Berlin 1824, „Gedichte“, Berlin 1830, besonders merkwürdig wegen ihrer sehr geschickten Nachahmung des Heine’schen Tons. Seine Uebersetzungen, von Manzoni’s „Die Verlobten“, 3 Bde., und Giovanni Rosini’s „Die Nonne von Monza“, 2 Thle., sind wichtig, weil sie sehr dazu beitrugen die Werthschätzung der italienischen Litteratur in Deutschland zu befördern. In Betreff seiner historischen Schriften ist vor Allem zu erwähnen, daß er in seinen Studien das Mittelalter, dessen Verächter er gelegentlich höhnt, und die ausländische Geschichte bevorzugt. Eine selbständige Arbeit ist: „Mastino II. della Scala. Ein Beitrag zur Geschichte der oberitalienischen Staaten im Mittelalter“, Berlin 1828. Erwähnenswerth sind ferner seine „Biographischen Gemälde“, 2 Bde., Berlin 1829–30, welche Philipp den Schönen und Alfons Albuquerque, Innocenz III. und Fürst Michael Glinski behandeln. In seinem Nachlasse (vgl. unten) findet sich wenigstens eine größere historische Studie, die gleichfalls die eben angegebenen Merkmale zeigt, nämlich Georg Podiebrad. Nach seinem Tode wurden von Freunden verschiedene seiner Schriften herausgegeben. Die Wanderungen sind schon oben genannt. Dazu kommt ein zweibändiger Roman „Die Heidemühle“, Berlin 1838, und „Nachlaß“, 3 Bde., Berlin 1837/38. Beide Werke sind in der Vereinsbuchhandlung, d. h. in Gubitz’ merkantil-litterarischer Anstalt, erschienen und verdanken wol diesem thätigen Freunde ihr Erscheinen. Der Nachlaß enthält zumeist die bereits im „Gesellschafter“ gedruckten Skizzen, Novellen, historische Aufsätze, deren Ueberschriften bei Goedeke verzeichnet sind. Durch Gubitz weiß man ferner, daß L. ein großes, etwa 60 Druckbogen umfassendes, nicht völlig abgeschlossenes Manuscript einer „Weltgeschichte des Alterthums“ hinterließ, das nach der Einleitung mit der „biblischen Schöpfungsgeschichte“ begann und mit dem Abschnitt „Letzte Cultur der Griechen“ schloß. Es ist ungedruckt geblieben.

Vgl. Goedeke, Grundr. III, S. 730–732. Ferner Gubitz, Erinnerungen, Berlin 1869, III, S. 1–7.