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ADB:List, Friedrich

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Artikel „List, Friedrich“ von Emanuel Leser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 761–774, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:List,_Friedrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 09:39 Uhr UTC)
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Band 18 (1883), S. 761–774 (Quelle).
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List: Friedrich L., dessen Name stets denkwürdig bleiben wird als der eines der eifrigsten und einflußreichsten Vorkämpfer für die industrielle Ausbildung und die Verkehrsentwickelung Deutschlands, war geboren zu Reutlingen am 6. August 1789, † am 30. November 1846 in der Nähe von Kufstein. Sein Vater, Johannes L., war ein vermögender Weißgerber, angesehen unter seinen Mitbürgern und vielfach zu städtischen Ehrenämtern berufen. Auch seine Mutter, eine geborene Schäfer, wird als eine tüchtige, allgemein beliebte Frau geschildert. Bis nach Vollendung seines vierzehnten Jahres besuchte er die Reutlinger Lateinschule, kam dann in die Lehre in das väterliche Geschäft, wurde aber, da er für das Handwerk wenig Neigung zeigte, nach einigen Jahren zum Cameralbeamten bestimmt. So machte er dann die verschiedenen Stufen der rein praktischen Ausbildung zu diesem Beruf durch, wurde Incipient in Blaubeuren, bestand mit etwa zwanzig Jahren das Examen als Substitut, kam als Steuer- und Güterbuchcommissär nach Schelklingen bei Ulm und wurde von da an das Oberamt Tübingen versetzt, in welcher Stellung er Gelegenheit fand, durch den Besuch von Vorlesungen, Lektüre und den Verkehr mit Angehörigen der Universität den Kreis seiner Kenntnisse zu erweitern und für den höheren Unterricht, der ihm bis dahin gefehlt hatte, sich einigen Ersatz zu verschaffen. Nach einer zweiten Prüfung im Verwaltungsfach wurde er im Ministerium in Stuttgart zuerst Kanzleiassistent, dann Secretär, zuletzt 1816 Oberrevisor mit dem Titel Rechnungsrath. Es war die Zeit, in der Württemberg durch den Kampf um die Verfassung auf das Tiefste erregt war. L., in den liberalen Ideen des Revolutionszeitalters erwachsen, schloß sich mit Entschiedenheit jener Auffassung an, die in dem Minister Wangenheim ihr Haupt und ihre Verkörperung fand und der Ausbildung eines auf modernen Grundlagen beruhenden Repräsentativsystems vor der Festhaltung der alten ständischen Ueberlieferungen den Vorzug gab. Als daher der Minister zur Erziehung der Staatsdiener in einem aufgeklärteren Geiste die staatswirthschaftliche Fakultät an der Universität Tübingen gründete, übertrug er dem jungen Ministerialbeamten, der allerdings für den akademischen Beruf nur unvollkommen vorgebildet war, den Lehrstuhl für Staatspraxis. L. bemühte sich nach Kräften, die Obliegenheiten seiner neuen Stellung zu erfüllen und begann auch eine literarische Thätigkeit. Als Grundriß zu seinen Vorlesungen veröffentlichte er ein kleines Schriftchen „die Staatskunde und Staatspraxis Württembergs“ (1818), worin er seinen freien politischen Ansichten entschiedenen Ausdruck gab; namentlich aber redigirte er auch in demselben Geiste eine Zeitschrift, den „Volksfreund aus Schwaben, ein Vaterlandsblatt für Sitte, Freiheit und Recht“, das zum anerkannten Organ des constitutionellen Liberalismus wurde. Diese Publikationen waren jedoch geeignet, bei der Regierung, die inzwischen wieder einen reaktionären Charakter angenommen hatte, auch seine Wirksamkeit als Lehrer zu verdächtigen, und so war er schon im Mai 1818 genöthigt, in einer Eingabe an den König seine Vorträge dagegen zu verwahren, als verbreiteten sie umstürzende Lehren. Im folgenden Jahre aber kam es trotzdem zum unheilbaren Bruch. In den Osterferien 1819 wollte L. zu wissenschaftlichen Zwecken nach Göttingen reisen. Da traf er in Frankfurt zur Meßzeit mit einer Anzahl Kaufleute zusammen, die über den herrschenden wirthschaftlichen Nothstand klagten und die Zollschranken, die zwischen den deutschen Staaten bestanden und neuerdings durch das preußische Zollgesetz für die kleineren Staaten noch empfindlicher geworden waren, für die ungünstigen [762] Verhältnisse in erster Linie verantwortlich machten. Mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit und geistigen Beweglichkeit ergriff L. diese neue Ideenreihe. Ohne rechte Befriedigung in seinem letzten Beruf, erblickte er nun ein Feld der Thätigkeit vor sich ausgebreitet, das er instinktiv als dasjenige erkannte, wofür sowol seine Beanlagung wie sein Entwickelungsgang ihn in besonderem Maße befähigten. Er veranlaßte die Kaufleute, die nur daran gedacht hatten, eine Bittschrift an den Bundestag zu richten, daß sie einen bleibenden Verein stifteten, für dessen Zwecke er mit seiner vollen Kraft thätig zu sein versprach. Mit Feuereifer warf er sich auf die neuen Geschäfte. Zunächst ersetzte er die beabsichtigte, von dem Kaufmann Elch aus Kaufbeuren entworfene Petition durch eine von ihm verfaßte, welche am 14. April die Unterschrift von 70 Kaufleuten fand. Dann war er einige Tage, um die Bewegung zu beleben und auszubreiten, am Rhein. Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt übernahm er den Auftrag, die Geschäftsführung für den neuen Verein zu besorgen und zunächst die Statuten desselben zu entwerfen. Dann überreichte er am 20. April 1819 als „Bevollmächtigter des deutschen Handels- und Gewerbevereins“ die von ihm redigirte Denkschrift dem Bundestag. Diese älteste nationalökonomische Ausarbeitung List’s ist für seine Entwickelung natürlich höchst merkwürdig, während sie zur Zeit ihrer Entstehung nur den lebendigen Ausdruck einer von Vielen getheilten Empfindung bildete. Die Aufgabe, die ihm gestellt war, erfüllte er in einem Geiste, der sich vollständig von der freihändlerischen Theorie der Engländer beherrscht zeigte. Nicht auf die Begründung eines deutschen Grenzzollsystems, sondern auf die Beseitigung der bestehenden Binnenzölle ist der Nachdruck gelegt; ja, nur von dem auch durch Adam Smith für berechtigt erklärten Standpunkt der Retorsion wird überhaupt ein Zollsystem vertheidigt. Dagegen bezeichnet es L. als eine notorische Irrlehre, daß die inländische Industrie durch Zölle geweckt werden könne. In politischer Hinsicht brachte die Eingabe die freiheitliche Gesinnung zum Ausdruck, die den Verfasser durchdrang, die aber freilich bei der Bundesversammlung nicht auf Beifall rechnen konnte. Die sanguinischen Erwartungen, womit L. die neue Aufgabe ergriffen hatte, wurden rasch herabgestimmt. Zunächst gab die Thätigkeit für den Handelsverein die Veranlassung, daß er sein staatliches Amt einbüßte. Es wurde alsbald nach der Ueberreichung der Petition Seitens seiner Regierung eine Rechtfertigung von ihm verlangt, wie er als Beamter ohne eingeholte Erlaubniß eine weitere Stellung habe annehmen können. Es fehlte offenbar nur noch diese neue Verdrießlichkeit, um ihm seine Professur vollkommen zu verleiden, und er antwortete daher mit einem Entlassungsgesuch, das auch nach einigen Weiterungen am 21. Mai einfach genehmigt wurde. Inzwischen hatte auch die Bundesversammlung über seine Eingabe beschlossen, es abgelehnt, die Existenz eines Handelsvereins anzuerkennen, im Uebrigen die Petenten an die Einzelregierungen verwiesen. Man beschloß jetzt, an die Minister der größeren Staaten mündliche Vorstellungen zu richten, daneben auch die Zwecke des Vereins durch ein Zeitungsunternehmen zu fördern. Redakteur des letzteren, das vom 1. Juli 1819 ab als „Organ für den deutschen Handels- und Gewerbestand“ erschien, wurde L., wie er auch in der Deputation, welche die verschiedenen Residenzen zu besuchen hatte, eines der drei Mitglieder war. So war er im Sommer 1819 außer in Stuttgart auch in Karlsruhe und München, und im Januar 1820 begab er sich nach Wien, wo damals die Conferenzen der deutschen Minister die in Karlsbad begonnen hatten, ihre Fortsetzung fanden. Diesem Congreß wurde am 15. Februar eine neue von L. verfaßte Denkschrift wegen Beseitigung der deutschen Binnenzölle überreicht. Dieselbe war ausführlicher als die an den Bundestag, aber in demselben Geiste gehalten. Von den Schutzzöllen wird geurtheilt, daß sie zu „Produktionen [763] zwingen, welche der Natur des Landes, zu dessen Vortheil der Zwang Statt findet, nicht angemessen sind, und diejenigen beschränken, welche seiner Natur entprechen“. Die Wirkungen des Merkantilsystems werden als traurige bezeichnet; dagegen heißt die Welthandelsfreiheit ein Ideal, „wodurch einzig nur die höchste Stufe menschlichen Wohlstandes erreichbar scheint“. Auch in andern Punkten zeigt sich der Verfasser der Denkschrift als treuer Schüler des Smith’schen Systems. Er legt auf die Bilanz zwischen Produktion und Consum großes Gewicht; er legt der Vermehrung der Ausfuhr mehr Bedeutung bei als der Verhinderung der Einfuhr und erklärt, daß der Wohlstand der Nationen auf demselben Wege behindert[1] und geschädigt werde wie derjenige der Einzelnen. Wie es sich nun aber auch mit der Angemessenheit dieses theoretischen Standpunktes verhalten mag, so lag der Hauptmangel der Eingabe darin, daß sie zu allgemein gehalten war und zu sehr an das Gefühl sich wandte, statt die praktische Durchführbarkeit einer Zolleinigung bestimmter nachzuweisen; denn der Vorschlag, die Zölle an eine Aktiengesellschaft zu verpachten, der darin vorkam, konnte doch kaum auf Beifall rechnen. In der That ward am 23. Mai in der kühlsten Form die Ablehnung von der Conferenz beschlossen. L. dehnte seinen Aufenthalt in Wien bis in den Juni aus und suchte, außer dem Zwecke, der ihm aufgetragen war, noch andere wirthschaftliche Angelegenheiten anzuregen und zu fördern, wie eine Industrieausstellung und eine überseeische Handelsgesellschaft. Aber auch diese Projekte traten der Verwirklichung nicht näher. Die Verbindung mit dem Handelsverein und der Zeitschrift desselben dauerte jedoch auch nach der Rückkehr an seinen Wohnsitz fort; sie wurde erst durch die Ereignisse gelöst, die im folgenden Jahre in sein ganzes Leben eine tiefe Umgestaltung brachten. L. war damals schon in der Oeffentlichkeit bekannt genug, und bereits im vorhergehenden Jahre hatte seine Vaterstadt ihn zum Abgeordneten zur württembergischen Kammer gewählt. Allein da er das dreißigste Jahr noch nicht zurückgelegt, so war die Wahl ungültig gewesen. Ende 1820 wählten ihn die Mitbürger abermals, und am 6. December trat er in die Kammer. Mit dem größten Eifer schickte er sich auch jetzt an, in der neuen Stellung Bedeutendes zu leisten. Allerdings wurde bald nach seinem Eintritt die Kammer für mehrere Wochen vertagt; allein er suchte nun gerade diese Zwischenzeit zu benutzen, um eine umfassende Thätigkeit als Abgeordneter wirksam vorzubereiten. Er gedachte nämlich, unter Ueberreichung einer Petition seiner Wähler die hauptsächlichen Mißstände der Landesverwaltung in der Kammer zur Sprache zu bringen. Die Petition setzte er selbst auf, um sie lithographirt unter den Reutlinger Bürgern zur Unterschrift circuliren zu lassen. Das Schriftstück setzte sich aus zwei Bestandtheilen zusammen, aus einer Schilderung der Gebrechen im Staatswesen und aus Vorschlägen zu Verbesserungen. Mit wirklichem Scharfblick bezeichnete er als die Hauptquelle alles Uebels das Ueberwuchern einer hochmüthigen Bureaukratie und die sociale Zurücksetzung der wahrhaft produktiven Stände. Demgemäß ist die hauptsächliche Forderung, die er stellt, eine wesentliche Erweiterung der Selbstverwaltung. Im Einzelnen bestehen die verlangten Reformen in freier Wahl zu den Gemeindeämtern, selbständiger Gemeindegerichtsbarkeit, Unabhängigkeit der Corporationen von den Verwaltungsbehörden, Zuziehung von Schöffen und Geschworenen in allen Zweigen der Rechtspflege, endlich Beseitigung des Domanialbesitzes und überhaupt aller Betriebsverwaltungen. Nur aus einer genauen Bekanntschaft mit der Litteratur politisch gereifterer Nationen läßt es sich erklären, wenn ein Deutscher damals zu so freien Anschauungen sich bekannte, wie denn namentlich die Grundanschauung der Petition nahe an den Gedanken anklingt, den wenige Jahre früher die bekannte Parabole St. Simon’s in eine so drastische Form gekleidet hatte. Freilich wurde für L. [764] selbst gerade das Mißverhältniß zwischen seiner aus der Fremde geschöpften besseren Erkenntniß und dem engen Gesichtskreis der eigenen Landsleute zum schmerzlichen Verhängniß. Noch ehe das Schriftstück in Umlauf gesetzt war, belegte die Stuttgarter Polizei den beim Drucker vorgefundenen Theil der Auflage mit Beschlag und leitete am 22. Januar 1821 gegen L. als Verfasser eine strafrechtliche Untersuchung ein, der auch von dem zuständigen Gerichte in Eßlingen durch Beschluß vom 3. Februar Folge gegeben wurde. Nicht allein daß sich nun L. von einer Criminalstrafe bedroht sah, er büßte auch sofort sein kaum gewonnenes Abgeordnetenmandat ein. Denn die württembergische Verfassung enthielt die allerdings ganz unvernünftige Vorschrift, daß Niemand, der in eine Criminaluntersuchung verwickelt sei, als Volksvertreter fungiren könne, und das Ministerium verfehlte nicht, in Bezug auf eine mißliebige Persönlichkeit wie L. die Anwendung dieser Bestimmung von der Kammer zu fordern. Nun gab es zwar unter den Abgeordneten einige wahrhafte und entschiedene Freunde des Verfassungsstaates, die den correkten Standpunkt vertraten, daß die angerufene Stelle in einem zu schroffen Widerspruch mit dem Wesen jeder Constitution stehe, um nach ihrem Wortsinn interpretirt werden zu dürfen, allein sie wurden überstimmt, einerseits von den unbedingten Anhängern der Regierung und andrerseits von jenen charakterschwachen Mitgliedern, die den Schein einer formellen Gesetzwidrigkeit nicht auf sich zu laden wagten. Am 24. Februar 1821 beschloß die Kammer im Gegensatz zu dem Antrag der Majorität ihres Ausschusses, dessen Berichterstatter Uhland war, mit 56 gegen 30 Stimmen, daß L. bis zur Entscheidung seines Prozesses aus der Versammlung auszutreten habe. Eines noch schreienderen Unrechtes aber als seine Collegen machten sich die württembergischen Gerichte gegen L. schuldig. Fünfzehn Monate lang wurde die Untersuchung gegen ihn fortgesetzt, und die Anstrengungen, die er zu seiner Vertheidigung machte, sogar eine Rede, die er gegen die ihn bedrohende Ausschließung in der Kammer gehalten hatte, wurden zu neuen Gegenständen der Anklage gemacht. Zuletzt erklärte der Gerichtshof, gestützt auf ein älteres Gesetz, das ganz sicher durch die Verfassung von selbst abrogirt war, und auf eine falsche Interpretation der geltenden Bestimmungen über die Presse, am 6. April 1822 ihn für schuldig und verurtheilte ihn zu zehnmonatlicher Festungshaft. L. legte zwar alsbald Recurs ein, entzog sich aber gleichzeitig der Execution des gefällten Richterspruchs durch die Flucht. Jetzt begann für ihn ein unstätes Leben. Einige Zeit hielt er sich im Elsaß auf, dann auf badischem Gebiet. Nachdem aber im December 1822 auch das württembergische Obergericht das erstinstanzliche Urtheil gegen ihn bestätigt hatte, machten auch die Nachbarstaaten Schwierigkeiten, ihm den Aufenthalt zu gestatten. Und doch mußte L. auch um seiner ökonomischen Existenz wegen bestrebt sein, einen gesicherten Wohnsitz zu gewinnen. Er hatte sich im J. 1818 zur Zeit seiner Tübinger Professur mit einer jungen Wittwe verheirathet und hatte jetzt bereits für den Unterhalt einer größeren Familie zu sorgen. Ohne festen Aufenthalt war er, soweit er nicht von dem kleinen Vermögen zehren wollte, das seine Frau ihm zugebracht, allein auf den kärglichen Ertrag seiner Schriftstellerei für Tagesblätter und auf die mäßigen Unterstützungen angewiesen, die ihm seine Freunde vom Handelsverein zukommen ließen. Verschiedene Pläne, die sein stets beweglicher Geist entwarf, die Begründung einer deutschen Zeitung im Elsaß, das Einschlagen einer journalistischen Laufbahn in Paris oder London, eine Habilitation an der Universität Freiburg, gediehen nicht bis zur Ausführung. Als auch die Versuche, in der Schweiz eine neue Heimath zu finden, gescheitert waren, sah er sich, nachdem fast 2½ Jahre seit seiner Flucht vergangen waren, im Sommer 1824 vor die Alternative gestellt, nach Amerika [765] auszuwandern oder nach Württemberg zurückzukehren. Er wählte das Letztere, indem er sich der Hoffnung hingab, es werde ihm seine Strafe wenigstens auf dem Gnadenwege erlassen werden, nachdem er noch vor Kurzem in einem Aufsatze der Zeitschrift „Themis“ die Ungerechtigkeit seiner Verurtheilung schlagend nachgewiesen hatte. Allein er täuschte sich auch darin. Er war kaum nach der Heimath zurückgekehrt, als er im August 1824 verhaftet und in das Gefängniß auf dem Asperg verbracht wurde. Jetzt wurde ihm allerdings klar, daß er besser gethan hätte, Württemberg ferne zu bleiben, und als man überdies ihm wegen Aeußerungen, die er in einem Begnadigungsgesuch gethan, eine neue Strafverfolgung in Aussicht stellte, ja ihn auch mit einer Vorladung vor die Mainzer Centraluntersuchungscommission bedrohte, da verpflichtete er sich der Regierung gegenüber, außer Landes gehen und auf sein Bürgerrecht verzichten zu wollen, und unter dieser Bedingung wurde er, nachdem er die Hälfte seiner Strafzeit abgebüßt, im Januar 1825 der Haft entlassen. Jetzt blieb ihm doch kein anderer Weg als die Auswanderung nach Amerika, die er besser schon Jahre vorher bewerkstelligt hätte. Am 26. April 1825 schiffte er sich mit seiner Familie in Havre ein und erreichte am 10. Juni New-York. Leider waren nun gerade in der neuen Welt seine eigenthümlichen Fähigkeiten vorerst nicht zu verwerthen; denn um eine öffentliche oder nur eine litterarische Rolle zu spielen, war er der englischen Sprache bei Weitem nicht genug mächtig. Trotzdem daher der eben in der Union anwesende General Lafayette sich für ihn als für einen politischen Flüchtling interessirte, sah er sich genöthigt, durch den Ankauf eines kleinen Gütchens im Staate Pensylvanien und durch den Betrieb der Landwirthschaft seinen Unterhalt zu suchen. Er war wenig geeignet auf diesem Wege Bereicherung oder auch nur sein Auskommen zu gewinnen und so verließ er nach kaum einem Jahre die erworbene Besitzung, um in der Nähe in dem Städtchen Reading die Redaction eines deutschen Blattes zu übernehmen. Dadurch kam er wieder in Berührung mit dem politischen Leben, und der Zufall hatte ihn überdies in eine Gegend geführt, die als Sitz einer bedeutenden Industrie für die handelspolitischen Fragen, mit denen er in Deutschland schon so eifrig sich beschäftigt, ein besonders lebhaftes Interesse besaß. L. blieb seiner Vergangenheit darin treu, daß er sich wiederum auf die Seite der strebsamsten und erwerbthätigsten Klassen stellte. Freilich handelte es sich nun nicht darum, wie in Deutschland Beschränkungen des inneren Verkehrs entgegenzutreten, sondern die industrielle Bevölkerung verlangte im Gegentheil Abschließung vom Ausland durch hohe Sätze des Zolltarifs. Diese Bestrebungen waren natürlich mit der Smith’schen Theorie, in deren Geist seine früheren Argumentationen im Wesentlichen gehalten waren, nicht zu vertheidigen. Allein ihm blieb stets die Wissenschaft den praktischen Interessen untergeordnet, und er besaß Belesenheit genug in neueren staatswissenschaftlichen Schriften, um auch mit dem Gedankenkreis der Schutzzöllner, wie sie namentlich in Frankreich und in Amerika selbst aufgetreten waren, bekannt zu sein. So vermochte er zur Unterstützung der pensylvanischen Industriellen theoretische Erörterungen zu veröffentlichen, deren Hauptgegenstand die Bekämpfung der berühmtesten volkswirthschaftlichen Schriftsteller bildete. In einer englischen Darstellung, die allerdings den Ausländer nicht verleugnet, und in der Form von Briefen entwickelte er seine neuen Lehrsätze und übergab sie dem Druck in zwei rasch nach einander folgenden Broschüren, von denen die erste den Titel führt: „Outlines of American political economy in a series of letters addressed by Frederick List Esq., late professor of political economy in the university of Tubingen in Germany to Charles J. Ingersoll Esq., vice-president of the Pennsylvania society for the promotion of manufactures and the mechanic arts. To which is added the celebrated letters of Mr. Jefferson to Benjamin [766] Austin and of Mr. Madison to the editors of the Lynchburg Virginian“ (Philadelphia 1827, 40 S. 8°). Die zweite erschien unter dem Titel: „Appendix to the outlines of American political economy in three additional letters to C. J. Ingersoll“ (ebenfalls Philadelphia 1827). Es finden sich hier diejenigen specifischen Argumente zu Gunsten des Schutzzolls, die vorher und seitdem oft in der Discussion dieser Frage vorgebracht worden sind, namentlich der Satz, daß durch den Schutzzoll die Produkte zwar anfangs vertheuert, aber im Laufe der Zeit billiger verschafft, daß dadurch fremde Kapitalien in das Land gezogen würden, daß die ungeschützten Betriebe in den geschützten regelmäßige Abnehmer für ihre Erzeugnisse gewinnen u. dgl. Von größerer principieller Tragweite waren einige andere Erörterungen. Namentlich wurde Smith der Vorwurf gemacht, daß er zwar die wirthschaftlichen Bestrebungen vom Standpunkt der Einzelnen und der gesammten Menschheit betrachte, aber das Mittelglied, welches durch die verschiedenen Nationen gebildet werde, vernachlässige. Eine weitere Betrachtung geht dahin, daß es Aufgabe der Gesetzgebung über den Handel nicht blos sei, dem Lande Reichthum, sondern auch ihm Macht zu verschaffen, und daß diese Macht sowol politische als produktive, also wirthschaftliche Macht sein könne; die letztere sei charakterisirt durch die größere oder geringere Ergiebigkeit, welche ein bestimmtes Kapital in der produktiven Verwendung zeige. Endlich kann charakteristisch gefunden werden, daß historische Erfahrungen als Beweismittel vielfach benutzt werden und daß im Zusammenhang damit auch die Mannigfaltigkeit der Verhältnisse ihre Betonung findet, wodurch ungleiche Maßnahmen bei den verschiedenen Nationen gerechtfertigt erscheinen. Aber auch diese Ausführungen, die der nur mit der englischen Litteratur Bekannte für ganz originell halten mag, mochten den Amerikanern nur als eine bloße systematische Formulirung von Sätzen und Anschauungen erscheinen, denen sie in den Verhandlungen ihrer politischen Körperschaften und in den Aussprüchen hervorragender Staatsmänner schon begegnet waren. Gerade in Amerika waren die Schutzzölle von einem nationalen Standpunkte aus vertheidigt worden, wie denn die Schutzzollpolitik sich emphatisch das „amerikanische System (American System)“ nannte und ebenso hatte man es als eine Frage der politischen Macht hingestellt, für gewisse wichtige Bedürfnisse, namentlich Kriegsmittel, vom Ausland unabhängig zu sein. Auch der Versuch, die gemachten Vorschläge durch Berufung auf die Geschichte zu unterstützen oder die scheinbar widerstreitenden Erfahrungen wegen der Verschiedenheit der Umstände als unanwendbar zu erklären, war bei den Politikern ein gewöhnlicher Gebrauch. Einzelnes in den List’schen Schriftchen warf auch ein ungünstiges Licht auf die Urtheilsfähigkeit des Schriftstellers in praktischen Fragen, so die Anregung, durch die Sclaven nicht blos Ackerbau, sondern auch Manufacturen betreiben zu lassen. Unter diesen Umständen haben die List’schen Erörterungen keine nachweisbare Spur in der amerikanischen Nationalökonomie hinterlassen, obgleich sie zur Zeit ihrer Veröffentlichung von den Schutzzöllnern Pensylvaniens sehr freundlich aufgenommen wurden. Diese ehrten nach dortiger Sitte L. durch ein öffentliches Festessen, das sie am 3. November 1827 im Mansion-House in Philadelphia für ihn veranstalteten und worüber eine eigene kleine Schrift (Account of the dinner given to professor List by the Pennsylvania society for the encouragement of manufactures, s. l. 1827) Bericht erstattete. L. aber setzte diese Bestrebungen zu Gunsten des Schutzzolles in Amerika nicht fort. Vielleicht trug dazu der Umstand bei, daß seit 1828 die öffentliche Meinung im Lande sich entschiedener dem Freihandel zuwandte; aber es lag auch an sich in List’s Art, rasch mit den Gegenständen, denen er sein Interesse zuwandte, zu wechseln. Ohnehin schien sich ihm um dieselbe Zeit eine besonders günstige Gelegenheit zu bieten, um seine ökonomischen [767] Verhältnisse erheblich zu verbessern. Er entdeckte Steinkohlenlager und es gelang ihm, eine Gesellschaft mit ansehnlichem Kapital zur Ausbeutung derselben zu bilden. Freilich ging die Durchführung des Unternehmens an andere Personen über, aber dasselbe wurde doch entscheidend für die weitere Gestaltung seines Schicksals. Er hatte jetzt den ersten finanziellen Erfolg von seinem Aufenthalte in Amerika erzielt und einen solchen, der sich als groß genug herausstellen konnte, um ihm eine unabhängige Existenz in der alten Heimath zu gestatten. Eine Rückkehr dahin aber war namentlich deshalb erwünscht, weil das amerikanische Klima seinen Angehörigen (wie es scheint, namentlich der Frau) nachtheilig wurde. Ohnehin hatte er die deutschen Verhältnisse stets im Auge behalten und nachgedacht, wie die Beobachtungen und Erfahrungen, die sich ihm in der neuen Welt darboten, für die wirthschaftliche Entwickelung Deutschlands nutzbar gemacht werden könnten. Schon im April 1827 hatte er sich brieflich an den bekannten Techniker Joseph v. Baader in München gewandt, um ihm über die Verbesserung der Transportmittel in den Vereinigten Staaten zu berichten. Baader fand die Mittheilungen so beachtenswerth, daß er sie der Allgemeinen Zeitung zum Abdruck übergab. Dadurch wurde L. veranlaßt, die Pläne, die ihm in Bezug auf Deutschland vorschwebten, noch weiter zu entwickeln und der Oeffentlichkeit vorzulegen. Das geschah in zwei Broschüren („Mittheilungen aus Amerika“, Heft 1, 1828 und Heft 2, 1829). Hier ist der Vorschlag zur Herstellung eines bairischen Eisenbahnnetzes und zur Verbindung desselben durch eine Eisenbahn mit den Hansestädten im Einzelnen ausgearbeitet, übrigens auch schon im ersten Beginn des Eisenbahnwesens die wirthschaftliche Tragweite desselben in mustergültiger Weise dargelegt. So mußte er sich um so mehr mit der Hoffnung auf eine ersprießliche Thätigkeit im Vaterland schmeicheln, als dort eine energische Persönlichkeit zur Ueberwindung des Widerstandes, der sich selbst den vortheilhaftesten Neuerungen entgegenstellte, erforderlich war. Seine Verbindungen in Amerika verschafften ihm jetzt wenigstens den Vortheil, daß er unter dem Schutze der Union zurückkehrte, nachdem er wie ein Flüchtling die Heimath verlassen hatte. Am 8. November 1830 unterzeichnete der Präsident seine Ernennung zum amerikanischen Consul in Hamburg. L. unternahm sofort die Ueberfahrt und landete am 20. December in Havre. Allein er war noch in Frankreich, als er erfuhr, daß er auf die Stellung in Hamburg vergeblich gerechnet hatte; der amerikanische Senat verwarf die Ernennung des Präsidenten. So kam L. gar nicht nach Deutschland, sondern beschränkte sich darauf, in Paris persönliche Beziehungen zu suchen und einige litterarische Thätigkeit zu entwickeln. Namentlich veröffentlichte er in der Revue encyclopédique einige Aufsätze, die den Titel führten „Idées sur les réformes économiques, commerciales et politiques applicables à la France“ und besonders der Ausbildung des Eisenbahnsystems in Frankreich und der Anknüpfung engerer Handelsbeziehungen mit Nordamerika das Wort redeten. Ende October 1831 trat er die Rückreise nach Amerika an, aber nur zu dem Zwecke, seine Familie abzuholen und sich selbst eine officielle Einführung nach Deutschland zu verschaffen. Die amerikanische Regierung kam auch jetzt seinen Wünschen entgegen. Sie ernannte ihn zum Consul in Leipzig und als die sächsische Regierung sich abgeneigt zeigte, ihn als solchen anzunehmen, zum Consul für das Großherzogthum Baden. Im Sommer 1832 kehrte die Familie List’s wieder nach Deutschland zurück. Sie ließ sich zuerst in Hamburg nieder, siedelte aber im Sommer des nächsten Jahres nach Leipzig über. Das erste Unternehmen, um welches L. nach seiner Rückkehr auf deutschen Boden sich Verdienste erwarb, war ein litterarisches. Er hatte den Plan gefaßt, die Herausgabe eines encyklopädischen Werkes über die Staatswissenschaften zu veranlassen und es gelang ihm, seinen Gedanken zur Verwirklichung zu bringen. Er fand [768] einen Buchhändler, der mit ihm auf gemeinsame Rechnung den Verlag übernahm, bestimmte die freisinnigen Staatsrechtslehrer Rotteck und Welcker die Redaction des aus vielen Einzelbeiträgen sich zusammensetzenden Werkes zu besorgen, und hatte die Genugthuung, daß vom J. 1834 an das „Staatslexikon“ in seinen einzelnen Lieferungen an die Oeffentlichkeit trat und eines immer zunehmenden Erfolges beim Publikum sich erfreute. Inzwischen hatte freilich L. selbst schon seine hauptsächliche Thätigkeit wieder anderen Angelegenheiten zugewendet. Er war noch nicht lange in Leipzig, als er eine Broschüre verfaßte und in einer ansehnlichen Auflage unentgeltlich verbreitete, deren Gegenstand in ihrem Titel „Ueber ein sächsisches Eisenbahn-System als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahn-Systems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden (Leipzig 1833)“ deutlich bezeichnet ist. Darin setzte er nicht blos die Wichtigkeit der Eisenbahnen wie die Einträglichkeit derselben für den Unternehmer überzeugend auseinander und widerlegte alle Bedenken, die dem vorsichtigen Praktiker aufsteigen konnten, sondern er entwickelte und formulirte auch auf das Genaueste, in welcher Weise die finanziellen und technischen Vorbedingungen zur Herstellung einer ersten Eisenbahnlinie in Sachsen zu verwirklichen seien. Als sich dann ein Comité zur Ausführung seiner Vorschläge gebildet hatte, da waren seine Beharrlichkeit, seine Sachkenntniß und die Ueberzeugungskraft, die seinen Darlegungen beiwohnte, von entscheidender Bedeutung für das Zustandekommen des wichtigen Werkes. Aber er begnügte sich nicht mit dem ersten Erfolg, sondern suchte fast in allen Theilen Deutschlands zur Erbauung von Eisenbahnen anzuregen oder, wo die Herstellung ohnehin gesichert war, dem zweckmäßigsten unter den vorgeschlagenen Plänen zum Sieg zu verhelfen, und das Einleuchtende seiner Argumente wie seine wachsende Autorität in diesen Fragen übten meistens einen gewichtigen Einfluß. 1835 richtete er wegen einer Eisenbahn von Basel nach Mannheim eine Denkschrift an die badische Ständeversammlung, im Mai desselben Jahres war er in Magdeburg und Berlin, um für eine Verbindung von Berlin mit Hamburg zu wirken, dann ging er in den ersten Monaten des Jahres 1836 nach Süddeutschland und hielt Umschau, ob nicht auch dort seine Thätigkeit zu verwerthen sei. Von diesen Interessen ganz erfüllt, entschloß er sich sogar Ende 1835, eine eigene Zeitschrift für Fragen des Eisenbahnwesens zu gründen, die als „Eisenbahnjournal und National-Magazin für die Fortschritte im Handel, Gewerbe und Ackerbau“ bis Ende 1837 in 40 Nummern erschien. Auch der bedeutendste litterarische Beitrag, den er für das Staatslexikon lieferte, besprach die modernen Verbesserungen der Communicationswege und erschien in besonderem Abdruck 1838 unter dem Titel „Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung“. Alle diese Unternehmungen brachten freilich, wenn sie auch im Ganzen eine günstige Aufnahme und eine freundliche Beurtheilung fanden, L. selbst nur einen sehr geringen materiellen Lohn ein. Als daher im Sommer 1837 auch seine Vermögensverhältnisse sich verschlechterten, indem das amerikanische Bergwerksunternehmen, woran er noch in ansehnlicher Weise betheiligt war, in das Stocken gerieth, sah er sich genöthigt, die Geschäfte, die ihn in den letzten Jahren in Anspruch genommen, alle abzubrechen und sich um die Erlangung einer lohnenderen Berufsthätigkeit zu bemühen. Er begab sich nach Paris, wo er hoffte für die eigenthümliche Idee, die er zuerst aufgebracht und wonach die Kosten des Eisenbahnbaues durch die Ausgabe von Papiergeld bestritten werden sollten, einen geeigneten Boden zu finden. Darin täuschte er sich allerdings. Dafür aber verlebte er in der französischen Hauptstadt, wohin ihm nach einiger Zeit auch seine Familie folgte, ein paar Jahre ruhigen litterarischen Schaffens. Er schrieb für die Allgemeine Zeitung regelmäßige Correspondenzen, hauptsächlich [769] über die laufenden Vorkommnisse in der inneren französischen Politik, nahm aber auch seine Arbeiten über Handelspolitik wieder auf, die er in Amerika begonnen und dort nach kurzer Zeit unterbrochen hatte. Zuerst beschäftigte er sich mit der Beantwortung einer Preisfrage, welche die Pariser Akademie gestellt hatte und wonach die zweckmäßigste Art des Uebergangs vom Schutzzoll zum System des Freihandels geschildert werden sollte. Er hielt sich aber in der Ausarbeitung, die er einreichte, ebenso wie die übrigen Bewerber zu wenig an das gestellte Thema, so daß die Akademie den Preis überhaupt nicht ertheilen konnte und auch die Aufgabe zurückzog. In Deutschland aber öffneten sowol die Allgemeine Zeitung als die Deutsche Vierteljahrsschrift seinen handelspolitischen Erörterungen bereitwillig ihre Spalten, und so erschienen in den Jahrgängen 1839 und 1840 in diesen Zeitschriften eine Reihe von Aufsätzen, worin er bald in einer mehr principiellen Weise, bald im Anschluß an Zeitereignisse seine Ansichten über Zollgesetzgebung darlegte. Ueberdies fand er Muße, dieselben Gegenstände auch noch umfassender zu behandeln und von einem systematischen Werke, das er darüber plante, wenigstens einen ersten Band auszuarbeiten. Im Frühjahr 1840 endigte der Pariser Aufenthalt. L. hatte zuletzt hier noch den Schmerz gehabt, von dem Tode seines einzigen Sohnes, der in die französische Fremdenlegion getreten war, die traurige Kunde zu erhalten. Auch die Spannung, welche damals in den Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland eintrat, sowie der Wunsch, das Werk, das er beendigt, zum Druck zu bringen, waren dazu angethan, ihn zur Rückkehr nach der Heimath zu bestimmen. Hier fand er alsbald wieder Gelegenheit sich über Eisenbahnfragen zu äußern und seine Anschauungen, die er theils in Localblättern, theils in der Allgemeinen Zeitung bekannt gab, wurden von ausschlaggebendem Einfluß. 1841[2] erschien sein Buch „Das nationale System der politischen Oekonomie“, 1. Bd., Stuttg. u. Tübingen (auch unter dem Titel „Der internationale Handel, die Handelspolitik und der deutsche Zollverein“). Es ist List’s einzige größere Arbeit geblieben und diejenige, auf welcher sein schriftstellerischer Ruf bei der Nachwelt hauptsächlich beruht. Man würde der Schrift Unrecht thun, wenn man an sie den Maßstab wie an eine rein wissenschaftliche Untersuchung legen wollte. Nicht nur daß dieselbe in den Einzelangaben, die sie enthält, vielfach ungenau und unzuverlässig ist, so bildet überhaupt ihren Inhalt nicht die unbefangene Erwägung der verwickelten Momente, welche bei der Entscheidung einer schwierigen Streitfrage in Betracht kommen, sondern das einseitige Zusammentragen von Beweisen, welche für eine bestimmte vorgefaßte Meinung angeführt werden können. Auf der anderen Seite aber entspräche es noch weit weniger der Wahrheit, wenn man List’s Hauptwerk die Originalität abstreiten oder es gar, wozu die Leidenschaftlichkeit von Gegnern sich hat hinreißen lassen, als Plagiat bezeichnen wollte. Freilich besteht die theoretische Grundlage, worauf er seine Lehre von der Nützlichkeit der Schutzzölle stützt, nur aus ganz wenigen Sätzen, und auch diese sind fast alle bereits vor seinem Auftreten ausgesprochen gewesen. Aber wahrhaft selbständig und in hohem Maße bewundernswerth erscheint die geistige Kraft, mit der er das beschränkte Material, das er zu Hülfe genommen, auszugestalten und für den Zweck, den er verfolgt, nutzbar zu machen weiß. Der vom Grafen Soden betonte Gegensatz zwischen Vermögen und Produktionskraft, die Lehre der amerikanischen Schutzzöllner von dem Nutzen der Fabriken für den Stand der Landwirthe, die in List’s englischer Schrift schon vorgetragene, offenbar von Say angeregte Unterscheidung der produktiven Kräfte in persönliche Eigenschaften, gesellschaftliche Zustände und materielles Kapital, – das sind die einfachen, unscheinbaren Elemente, die, in alle ihre Consequenzen verfolgt und in immer neuer Verknüpfung vorgeführt, ihm die [770] mannigfachsten und ansprechendsten Argumente zu Gunsten des Schutzzolls zur Verfügung stellen. Aber auch den gebräuchlicheren Sätzen der Nationalökonomie weiß sein gewandter Geist nicht selten eine Fassung zu geben, daß daraus eine ungeahnte Stütze für seine Theorie entsteht und einige Begriffe, die er zu diesem Zwecke entwickelt hat, wie derjenige der Werkfortsetzung, der Arbeitsvereinigung, sind ein bleibender Besitz der Wissenschaft geworden. Gerade der Umstand, daß er seine Reaction gegen die Smith’sche Lehre auf die einzige Frage des Schutzzolls beschränkt, war geeignet die Wirkung seiner Schrift zu erhöhen, während andere ältere oder gleichzeitige Schriftsteller, welche in einem verwandten Geiste gegen eine Mehrzahl von Annahmen des herrschenden Systems ihre Bedenken vortrugen, nur in einem beschränkten Kreise und sehr allmählich Anhänger zu gewinnen vermochten. Für deutsche Verhältnisse war der Erfolg des „nationalen Systems“ ein ungewöhnlicher; schon nach vier Monaten zeigte sich eine zweite Auflage nöthig, die im folgenden Jahre[3] erschien, 1844 folgte eine dritte. Die deutschen Industriellen, in deren Interesse es lag, die Erhöhung der Zölle als eine gemeinnützige Maßnahme dargestellt zu sehen, hatten hier eine unschätzbare Unterstützung erhalten, wie sie ihnen weder vorher noch nachher durch ein litterarisches Werk zu Theil geworden ist, und zugleich durften sie sich von der Person des Verfassers noch weitere wirkungsvolle Bemühungen um die einmal ergriffene Sache versprechen. L. schmeichelte sich wol anfangs mit dem Gedanken, daß seine jüngste schriftstellerische Thätigkeit ihm zu einer Staatsstellung in einem der süddeutschen Länder verhelfen werde. Er hoffte zuerst auf Baiern, suchte dann in Württemberg, wo er vom Mai bis in den November 1841 sich aufhielt, die zweckdienlichen Verbindungen anzuknüpfen oder zu erneuern, erzielte aber kein Resultat. Um so mehr befestigte sich in ihm der Plan, für die Verfechtung der Schutzzollpolitik seine ganze Thätigkeit einzusetzen. Nachdem er noch in Württemberg zur Bildung von Fabrikantenvereinen angeregt hatte, welche ihrerseits über den Standesinteressen wachen sollten, fuhr er fort mit der Feder für die Sache zu wirken. Anfangs 1842 nahm er mit seiner Familie, die inzwischen längere Zeit in Weimar gelebt hatte, seinen Wohnsitz in Augsburg und benutzte zunächst die Allgemeine Zeitung und die Deutsche Vierteljahrsschrift, mit denen er in fortwährender Verbindung blieb, zur weiteren Darlegung und Verbreitung seiner wirthschaftlichen Anschauungen. Schon damals schien scharfsichtigen englischen Diplomaten die ganze schutzzöllnerische Bewegung Deutschlands sich gleichsam in seiner Person zu verkörpern. Einzelne allerdings seiner Arbeiten traten aus dem Kreise von Problemen, denen er seine hauptsächliche Kraft widmete, heraus, so namentlich die Abhandlung über „Die Ackerverfassung, die Zwergwirthschaft und die Auswanderung“, die aber darum nur um so wichtiger ist für das Verständniß und die Beurtheilung seiner Geistesrichtung. Er tritt hier auf als begeisterter Anhänger der Zusammenlegung der Felder, von der er die größten Vortheile für die Landwirthschaft erwartet und zeigt damit, welch tiefen Eindruck auf seinen empfänglichen Sinn die verschiedenartigsten ökonomischen Neuerungen gleichmäßig hervorbringen konnten. Dann spricht er sich beim Vergleich der größeren Landgüter mit den kleinen für die ersteren aus und urtheilt auch über die Verpachtung günstig, – beide Anschauungen offenbar beeinflußt durch den Hinblick auf England, dessen Zustände ihm in allen Punkten beneidens- und darum erstrebenswerth schienen. Endlich ist es bemerkenswerth, daß er empfiehlt, die deutsche Auswanderung statt nach Amerika nach Ungarn zu lenken; denn er läßt hierdurch erkennen, daß seine Aufmerksamkeit schon anfing, wieder auf neue Länder, die vorher seinem Gesichtskreis ferne gelegen, sich zu richten. Seine litterarische Thätigkeit steigerte sich 1843. Seit dem Anfang dieses Jahres veröffentlichte er eine Wochenschrift, das „Zollvereinsblatt“, die speciell den [771] handelspolitischen Fragen gewidmet war und die Anschauung von der Pflicht des Staates, die Industrie durch hohe Sätze des Zolltarifs, außerdem, soweit es damit zu vereinigen, durch Erweiterung des Absatzes zu fördern, verbreiten sollte. In diesem Blatte nun kam die Eigenart seines Talentes zu ihrem Recht und die Stärke desselben zu ihrer vollen Erscheinung. Diejenigen Jahrgänge und Nummern, denen L. seine ganze Kraft gewidmet hat, können als bleibendes Muster dienen für ein Parteiorgan, das Alles auf einen einzigen Gedanken bezieht und doch gerade durch die unaufhörlich wechselnde Umhüllung, aus der es denselben hervortreten läßt, ihm stets neue Anziehungskraft verleiht. Dazu tritt selbst innerhalb der Beschränkung, welche die Tendenz auferlegt, die ungewöhnliche Begabung des Herausgebers für glückliche Auswahl und gefällige Behandlung des Stoffes auf das Deutlichste hervor. Freilich konnte nach kurzer Zeit den lebhaften Mann die bei allem Wechsel der Anregungen immerhin äußerlich gleichmäßige Beschäftigung als Journalist nicht mehr ausfüllen, zumal wol auch der Lohn, den er durch Anerkennung und materiellen Gewinn empfing, nicht im Verhältniß stand zu der Größe der geforderten Anstrengungen. Ohne daß er darum Anfangs seine Arbeiten für die Zeitschrift einschränkte, befand er sich seit dem Sommer 1844 lange Zeit auf Reisen. Zuerst war er in Belgien und bemühte sich den dortigen Handelskammern und dem Ministerium selbst die Vortheile eines Handelsvertrags mit dem Zollverein zu entwickeln. Im Herbst erschien er auf der Versammlung der Land- und Forstwirthe in München und trat mit einem Vortrag auf, worin er seine Lehre, daß die Beschützung der Industrie auch auf den Ackerbau günstig zurückwirke, zu beweisen suchte; freilich konnte er in diesem Kreise für seine doch zunächst den Interessen anderer Berufsstände gewidmeten Bestrebungen keinen Anklang finden. Von hier begab er sich nach Ungarn, das wegen seiner unfertigen und zugleich unhaltbaren öffentlichen Zustände einem ideenreichen Reformator die ersprießlichste Wirksamkeit versprach. Im November und December 1844 reiste er dort umher, mit den hervorragendsten Angehörigen des Landes über die Verbesserungen, deren dasselbe bedürfe, Ansichten austauschend. Nach Wien zurückgekehrt, wo er mit großer Auszeichnung empfangen, auch (am 23. December 1844) durch ein großes öffentliches Bankett geehrt wurde, bemühte er sich die Regierung für diejenigen Maßnahmen zu interessiren, von denen ihm theils eine Abhülfe der Mißstände in Ungarn, theils eine Hebung der Macht des Gesammtstaates bedingt zu sein schien. Abgesehen von umfassenden Verbesserungen der Communicationswege, die er vorschlug und deren Nutzen wie Ausführbarkeit er mit gewohnter Meisterschaft entwickelte, empfahl er namentlich auch die Beseitigung der Zollgrenze zwischen den Reichstheilen und wußte hierbei die Argumente, die für Verkehrsfreiheit sprechen, so gut ins Licht zu setzen wie sonst seine Theorie der Beschränkung. Ein halbes Jahr, bis in den Sommer 1845, verweilte er in Wien. Er scheint, nachdem er in Deutschland vergeblich eine seiner Befähigung entsprechende öffentliche Stellung zu erlangen gesucht hatte, seine Hoffnung auf den Kaiserstaat gesetzt zu haben, dessen stagnirende Zustände in der That der frische Hauch des List’schen Geistes durch die fruchtbarsten Anregungen hätte beleben können. Allein auch in Oesterreich führte die Gunst, welche einzelnen der von ihm vertretenen Bestrebungen in den maßgebenden Kreisen gezeigt wurde, doch nicht zu dem Wunsch, ihn dauernd im Lande zu fesseln. Im Juli 1845 war er wieder in Augsburg, getäuscht in den Erwartungen, mit denen er vor dem Antritt seiner Reise und während derselben sich geschmeichelt hatte. Dem Zollvereinsblatt wandte er sich mit erneutem Eifer zu und es fehlte jetzt auch nicht an Zeichen der Dankbarkeit, die ihm von Seiten der Industriellen zugingen. Aber die Sache, für die er kämpfte, war doch vom Siege recht weit entfernt. Das zeigte sich gerade damals einerseits in den Karlsruher Conferenzen [772] der Zollvereinsstaaten, deren Beschlüsse fast durchweg mit seinen schutzzöllnerischen Vorschlägen in Widerspruch standen, dann aber auch in den zunehmenden Angriffen, denen er seine Theorieen ausgesetzt sah. Es steht damit gewiß im Zusammenhang, wenn in seiner Zeitschrift, namentlich seit Anfang des Jahres 1846, der Ton leidenschaftlicher und gereizter, der Inhalt, von dem persönliche Erörterungen einen großen Theil bilden, unerquicklicher wird. Im März und April 1846 hielt sich L. in München auf, um während der Kammerverhandlungen über die Zollfragen mit den Abgeordneten in persönlicher Berührung zu sein. Nach seiner Rückkehr erfolgte ein Ereigniß, das wol als ein empfindliches Symptom gelten konnte für den geringen Fortschritt, den die Annahme seiner Lehre aufzuweisen hatte. Der Buchhändler Cotta nämlich gab gegen Ende April den Verlag seiner Zeitschrift auf. L. seinerseits setzte darum doch die Herausgabe des Blattes fort; aber auch ihm mochte die Wirksamkeit desselben in einem ungünstigeren Lichte erscheinen und er wandte einen großen Theil seiner Thätigkeit und seiner vollen Hoffnungen[4] einem neuen Plane zu. Er wollte für die Durchführung der Sache, deren Vorkämpfer er seit Jahren war, bei dem natürlichen und gleichsam rechtmäßigen Gegner derselben Hülfe suchen. Hatte er hauptsächlich gegenüber der Concurrenz der Engländer Zollschutz verlangt, also eine Schädigung englischer Exporteure und Fabrikanten befürwortet, so sollten ihm – das wagte er zu hoffen – jetzt die englischen Staatsmänner seine Vorschläge durchsetzen helfen, da die deutschen sich nicht willfährig zeigten. Er wollte das englische Volk überzeugen, daß die Kräftigung Deutschlands, die in Folge eines entschiedeneren Schutzsystems eintreten werde, wenn auch ökonomisch nachtheilig, in politischer Hinsicht für England ein unschätzbarer Vortheil sei, indem dessen gefährliche Rivalen Frankreich und Rußland dadurch an Macht und Einfluß wesentlich einbüßen würden. Von diesem Gedanken erfüllt, reiste er im Juni 1846 nach London und reichte dort dem Ministerium eine Denkschrift ein, worin er seine Ideen ausführlich darlegte. So auffallend und fast abenteuerlich dieses Vorgehen erscheinen mag, so hat dasselbe doch die Bedeutung, daß dadurch zweierlei ganz außer Zweifel gestellt wird. Einerseits nämlich drückt sich darin aus, wie aufrichtig er selbst überzeugt war, daß in den Schutzzöllen und in der durch sie erweckten Industrie die wichtigste Förderung der Wohlfahrt Deutschlands bestehe; andererseits liegt hier das deutlichste Zeichen vor von der hohen Meinung, die er in Betreff der Weisheit und Vorurtheilslosigkeit englischer Staatsverwaltung hegte. Allerdings konnte der leitende Minister, der gerade in seinem eigenen Lande das Schutzsystem verließ, die Voraussetzung nicht zugeben, daß die Befolgung desselben Deutschland zum Heile gereichen werde, und so fiel selbstverständlich die Antwort auf die Denkschrift ablehnend aus. Damit war schon der Plan vereitelt. Es hätte höchstens noch L. in Deutschland als Verdienst gedankt werden können, daß er denselben gefaßt hatte; aber auch das war nicht der Fall. Denn die Abschrift seiner Ausarbeitung, die er an den König von Preußen sandte, brachte ihm nicht mehr als eine höfliche Empfangsanzeige ein. Was er an litterarischer Ausbeutung[5] in England gewann, war unbedeutend, und so kehrte er von der Reise auf das Tiefste verstimmt und auch körperlich erschöpft im September nach Augsburg zurück und sah sich wieder den unerfreulichen Verhältnissen und der lästigen Aufgabe gegenüber, in die er sich nicht mehr finden konnte. Im November suchte er durch eine Reise sich zu zerstreuen und zu erholen. Er ging nach München und beschloß dort weiter nach dem Süden sich zu wenden, um durch Fußwanderungen seine erschütterte Gesundheit zu verbessern. Er kam bis Schwaz in der Nähe von Innsbruck; aber das schlechte Wetter zwang ihn umzukehren. Sein Befinden hatte sich inzwischen nur verschlimmert und ließ ihm seine Lage, die er schon lange als eine traurige betrachtete, [773] in immer trüberem Lichte erscheinen. In völliger Verzweiflung verbrachte er einige furchtbare Tage in Kufstein und am 30. November 1846 machte er seinem Leben in der Nähe dieser Stadt ein Ende. Auf ihrem Kirchhof wurde er beerdigt. Sein vorzeitiger und gewaltsamer Tod erregte in ganz Deutschland die tiefste Theilnahme. Der König von Baiern setzte seiner Wittwe und seinen beiden unverheiratheten Töchtern Pensionen aus; eine Sammlung wurde in vielen süddeutschen Städten zum Besten seiner Hinterbliebenen veranstaltet, an der sich der König von Württemberg mit einem Beitrag von 2000 Gulden betheiligte; für die Herstellung eines würdigen Grabmales sorgten seine Verehrer. 1863 ist ihm in seiner Vaterstadt Reutlingen eine eherne Statue errichtet worden, sowie auch sein Geburtshaus jetzt eine Gedenktafel trägt. List’s eigenthümlichstes Streben in seiner älteren Zeit wie später war darauf gerichtet, dem lässigen[6] und vorurtheilsvollen Stand der berufsmäßigen Staatsdiener die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten zu entwinden und über die Lebensinteressen der Nation diejenigen bestimmen zu lassen, die von dem Ausfall der Entscheidung am nächsten berührt werden. Trotzdem hat er zuletzt viel vergebliche Mühe darauf verwandt, zur Verwirklichung seiner gemeinnützigen Pläne eine amtliche Stellung zu erlangen. Dieser Widerspruch hat sein trauriges Ende herbeigeführt. Die Wirksamkeit seiner Lehre und seinen Ruhm bei der Nachwelt hat sein früher Tod nicht beeinträchtigt. Denn seine Kraft war, als er starb, durch die Geistesanstrengungen und die Seelenschmerzen, die er ertragen, erschöpft, und das Beste, was er in sich trug, hatte er der Welt bereits gegeben. Die Erfahrungen der Folgezeit haben nicht bestätigt, daß nur auf dem von ihm vorgeschlagenen Wege das wirthschaftliche Aufblühen Deutschlands erfolgen konnte. Aber seine bleibende Bedeutung beruht auch nicht auf den Einzelheiten seiner Lehrsätze und Entwürfe, sondern auf einem dreifachen großen Verdienst, das man ihm niemals wird bestreiten können. Einmal hat er allein unter den liberalen Wortführern seiner Zeit die Bedeutung der wirthschaftlichen Fragen neben den politischen, ja vor denselben erkannt und vertreten. Zweitens lebte in ihm ein tiefes Verständniß für die allmähliche Entwickelung und Vervollkommnung der Formen des wirthschaftlichen Lebens[7], deren höchste er in seinem Lande verwirklicht zu sehen strebte. Endlich hat er eine ausgezeichnete Stellung durch die formellen Vorzüge seiner Schriften. Nicht aus der Studirstube hervorgegangen, sondern aus der Praxis und beherrscht von dem Verlangen, das praktische Leben unmittelbar zu beeinflussen, hat er wie kaum ein Zweiter unter allen nationalökonomischen Autoren[8] klare, fesselnde und wirkungsvolle Darstellungen hinterlassen. So gehören denn seine Schriften zu der namentlich in Deutschland geringen Zahl von Werken über fachwissenschaftliche Gegenstände, denen eine Stelle in der Nationallitteratur gesichert ist.

L.’s Leben ist bald nach seinem Ende von einer Reihe sehr namhafter Schriftsteller als Ganzes oder in einzelnen seiner Theile kurz besprochen worden, so von D. F. Strauß in den Jahrbüchern der Gegenwart, von Mathy in der Rundschau, von Laube in den Grenzboten, von Welcker im Staatslexikon. Eine ausführliche Biographie mit Benutzung aller zugänglichen Materialien hat Häusser verfaßt: „Friedrich List’s Leben. Aus seinem Nachlasse bearbeitet“ (auch unter dem Titel: Friedrich List’s gesammelte Schriften, herausgegeben von Ludwig Häusser, Bd. I, Stuttgart und Tübingen 1850). Die von Häusser veröffentlichte Gesammtausgabe der Schriften enthält gerade die weniger leicht zugänglichen nicht; namentlich fehlen fast alle Veröffentlichungen über Eisenbahnen und die zwei englischen Schriften. – Ueber L.’s Bedeutung urtheilen die Arbeiten über die Geschichte der Nationalökonomie: Twiss, view of the progress of political economy, p. 247 ss.; Hildebrand, Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft, I. S. 59–97; Kautz, Die geschichtliche Entwickelung [774] der Nationalökonomik und ihrer Litteratur, S. 670–684; Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus, S. 324–364; Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, S. 970–991; Derselbe, in Lindau’s Nord und Süd[8], Jahrg. III, Heft 7; Eisenhart, Gesch. der Nationalökonomik, S. 138–162.[8]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 763. Z. 10 v. o. l.: befördert (st. behindert). [Bd. 19, S. 828]
  2. S. 769. Z. 25 v. o. l.: Ende des J. 1840 (st. 1841). [Bd. 19, S. 828]
  3. S. 770. Z. 14 v. o. l.: die auch im J. 1842 erschien (st. im folgenden Jahre). [Bd. 19, S. 828]
  4. S. 772. Z. 15 v. o. l.: seine vollen Hoffnungen (st. seiner). [Bd. 19, S. 828]
  5. S. 772. Z. 10 v. u. l.: Ausbeute (st. Ausbeutung). [Bd. 19, S. 828]
  6. S. 773. Z. 12 v. o. l.: dem nach seiner Meinung zu lässigen Stand etc. [Bd. 19, S. 828]
  7. S. 773. Z. 30 v. o. l.: des Erwerbslebens (st. wirthschaftl. Lebens). [Bd. 19, S. 828]
  8. a b c S. 773. Z. 34 v. o. l.: hat er wie wenige unter den hervorragenden nationalökonomischen Autoren etc. Am Schlusse der Litteratur ergänze bei Lindau, Nord und Süd: Bd. III (1877) S. 44 ff. und füge hinzu: Ferner Eheberg, Einleitung zur 7. Auflage des nationalen Systems (Stuttg. 1883). [Bd. 19, S. 828]