ADB:Litolff, Henry Charles

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Artikel „Litolff, Henry Charles“ von Carl Krebs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 49–50, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Litolff,_Henry_Charles&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 15:34 Uhr UTC)
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Litolff: Henri L., bedeutender Claviervirtuose und interessanter Componist, wurde am 6. Februar 1818 in London geboren, wo sein Vater (aus Colmar im Elsaß) sich nach wechselvoller Laufbahn, die ihn über den Musiker zum napoleonischen Officier führte, als Violinist niedergelassen und mit einer Engländerin verheirathet hatte. Henri erregte schon in seinem 12. Jahre als Clavierspieler Aufsehen und wurde dann von Ignaz Moscheles zu einem Virtuosen weitergebildet. Mit 17 Jahren schloß er gegen den Willen seiner Eltern eine übereilte Ehe, ging nach Paris, wo er kein rechtes Fortkommen fand, und lebte dann mehrere Jahre in Melun, durch Clavierunterricht sich und seine Frau kümmerlich ernährend, bis 1840 gelegentlich eines Wohlthätigkeitsconcertes, das eine Anzahl berühmter Musiker nach Melun führte, sein Talent gewissermaßen für Frankreich entdeckt wurde. Duprez besonders war es, der ihn veranlaßte, nach Paris überzusiedeln und der ihm dort die Wege ebnete. Hier brachte er sich bald als Componist (Concert-Symphonie in H–moll) wie als ausgezeichneter Pianist zu voller Geltung und unternahm, nach Trennung von seiner Frau, ausgedehnte Concertreisen, die ihn nach Rußland führten (1841–45 war er in Warschau Capellmeister), von da nach Deutschland, nach Prag, Dresden, Leipzig, Berlin, wo er sich überall mit großem Erfolg hören ließ, und ging 1846 wieder nach London.

Sein Aufenthalt in London dauerte nicht lange, bald war er wieder auf Reisen, feierte in Amsterdam Triumphe, und kam 1847 nach Braunschweig, wo er so günstige Aufnahme fand, daß er sich hier dauernd niederließ. Das Jahr 1848 sah ihn in Wien, in die Revolutionsbewegung verstrickt, als Mitglied der Nationalgarde und der Studentenlegion, die er, ein moderner Tyrtäus, durch einen schwungvollen Marsch nach dem Liede „Erwacht, erwacht, o Brüder!“ zu ihren Thaten anfeuerte. Doch kehrte er wieder nach dieser Episode in sein ruhiges Braunschweiger Leben zurück, wo er, eifrig mit Componiren beschäftigt und auch in Concerten als Virtuose thätig, ziemlich bedenklich [50] erkrankte. Nach seiner Genesung setzte er eine formelle Scheidung von seiner Frau durch und verheirathete sich 1851 zum zweiten Mal mit der Wittwe des Musikverlegers Meyer; das Geschäft führte er unter der Firma „Henry Litolffs Verlag“ selbständig weiter.

Anfangs widmete er sich ganz ernstlich den buchhändlerischen Geschäften, dann aber wurde wieder das Künstlerblut in ihm lebendig und trieb ihn aufs neue in die Welt hinaus, in die Aufregungen des Concertsaals, denen er auf die Dauer nicht entsagen konnte. Durch Deutschland, Holland und Belgien zog er, um sich endlich in Paris niederzulassen. Da er in Braunschweig nur noch gelegentlich auf kurze Zeit erschien, so klagte seine Frau auf Trennung der Ehe. L. übertrug den Verlag auf seinen Stief- und Adoptivsohn Theodor, der sich später (1868) dadurch ein großes Verdienst erwarb, daß er die billigen Classikerausgaben der „Collection Litolff“ ins Leben rief; er selbst nahm 1860 eine dritte Frau, eine Comtesse de la Rochefoucauld und lebte seitdem zurückgezogener, hauptsächlich seinem tonkünstlerischen Schaffen hingegeben. Er starb am 6. August 1891 in Paris.

Als Componist hat L. sein Bestes in Clavierwerken geleistet, deren Satz glänzend, deren Erfindung zumeist interessant ist, wenn auch seine lebhafte Phantasie öfter Neigung zeigt, in Phantastik und Bizarrerie auszuarten, und wenn auch die Durcharbeitung seiner Gedanken nicht immer so gut ist, wie der ursprüngliche Einfall. Eigenthümlich sind seine fünf symphonischen Concerte (concertos symphonies) für Clavier und Orchester, viersätzige Stücke, in denen besonders die Scherzi durch sprühenden Geist und effectvolle Clavierbehandlung hervortreten. Das Orchester ist dem Clavier coordinirt, ja es hat oft Wichtigeres und Bedeutenderes zu sagen als das Soloinstrument. Die weiteste Verbreitung haben das dritte (1846), eine Huldigung für Holland, und das pompöse vierte (1854) gefunden; zwar wird man ihren Componisten nicht, wie es Griepenkerl gethan hat, mit Beethoven vergleichen, wol aber seinen eigengearteten Geist und seine kühnen Intentionen an erkennen. Sein „Eroica“ betiteltes Violinconcert soll (nach Fétis) diesen Werken sehr nachstehen. Ferner hat er Trios für Clavier, Violine und Violoncello geschrieben, sowie ein Oratorium „Ruth et Booz“ (1869). In der Operncomposition, der sich L. namentlich in späteren Jahren mit Eifer hingab, hat er es zu Erfolgen nie gebracht. Schon in Braunschweig führte er 1847 seine „Braut vom Kynast“ auf; „Rodrigue de Tolède“, den er 1859 auf einem Landsitz der Gräfin de la Rochefoucauld bei Fontainebleau schrieb, kam nicht auf die Bühne; „Les Templiers“ wurden 1886 in Brüssel gegeben. Von seinen Operetten hat nur eine freundliche Aufnahme gefunden: „Heloïse et Abélard“; die übrigen: „La boite de Pandora“, „La belle au bois dormant“, „La fiancée du Roi de Garbe“, „La Mandragore“, „Le chevalier Nahel“, „L’escadron volant de la reine“ gefielen ebensowenig wie seine Opern. Dagegen wurden seine Ouvertüren zu Dramen von Griepenkerl, „Die Girondisten“ und „Robespierre“, viel gespielt, und besonders die zuletzt genannte, bei der am Schluß, nach der ziemlich realistischen Schilderung einer Hinrichtung höchst wirksam die Marseillaise eingeführt wird, erweckt noch heute bisweilen das Interesse der Concertbesucher.