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ADB:Lucchesini, Girolamo Marchese

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Artikel „Lucchesini, Girolamo“ von Paul Bailleu in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 345–351, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lucchesini,_Girolamo_Marchese&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 09:17 Uhr UTC)
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Lucchesini: Girolamo L., geb. am 7. Mai 1751 zu Lucca als ältester Sohn des Marquis Franz L. und seiner Gemahlin Maria Catharina, siedelte 1761 mit den Eltern nach Modena über, wo er sich unter den Schülern des adelichen Gymnasiums durch natürliche Anlagen und litterarische Fähigkeiten [346] auszeichnete. Zu seinen damaligen Jugendfreunden gehörte der spätere Vicepräsident der italienischen Republik Melzi. Nach dem Tode des Vaters in seine Heimath zurückgekehrt, begann er im J. 1779 eine Reise nach Frankreich und Deutschland, die ihn über Wien und Dresden nach Berlin führte. Von Karl v. Grothaus, der ihn in Dresden kennen gelernt hatte, und, wie es heißt, von d’Alembert warm empfohlen, fand er bei Friedrich dem Großen die freundlichste Aufnahme und wurde am 9. Mai 1780 zum Kammerherrn ernannt. Er vermittelte den litterarischen Verkehr Friedrichs namentlich mit den Gelehrten Italiens, wie er u. a. die Berufung des Abbé Denina veranlaßte, und gehörte zu der täglichen Tischgesellschaft des Königs, der an seinen umfassenden Kenntnissen und an seiner lebhaften und gediegenen Unterhaltung Gefallen fand. Zu Anfang des J. 1786 vermählte sich L. mit Charlotte v. Tarrach, einer jüngeren Schwester der Gräfin Pinto, die nach dem Tode ihres ersten Gatten im J. 1793 den Obersten Bischoffswerder heirathete. Bedeutender als unter Friedrich dem Großen, der ihn nur bei seinen litterarischen Arbeiten verwendet hatte, wurde die Stellung Lucchesini’s unter König Friedrich Wilhelm II., der seine Begabung für die Diplomatie erkannte und gebrauchte. Noch im J. 1786 wurde L. zu jenen diplomatischen Verhandlungen herangezogen, die unter der Leitung des Herzogs Karl August von Weimar die Befestigung des Fürstenbundes zum Zwecke hatten. Es wurde dabei der Gedanke gefaßt, sich der Theilnahme von Mainz auch über den augenblicklich regierenden Kurfürst-Erzbischof Karl Friedrich hinaus zu versichern und zu diesem Zwecke in der Person Dienheim’s einen zuverlässigen Coadjutor zu erwählen. Dazu aber bedurfte man der Zustimmung des römischen Stuhles, mit dem der Erzbischof von Mainz infolge der Emser Beschlüsse zerfallen war. Um diese Streitigkeiten auszugleichen und das Breve eligibilitatis für den Coadjutor zu erlangen, wurde beschlossen, den Marquis L. nach Rom zu senden. Im Februar 1787 verließ er Berlin und begab sich über Weimar und Mainz nach Rom, wo seine Unterhandlungen im April und Mai den glücklichsten Erfolg hatten. Gegen das Versprechen, dem Fürstenbunde treu zu bleiben und die kirchlichen Verhältnisse in Deutschland, ohne Rücksicht auf die Verabredungen in Ems, im statu quo ante zu erhalten, empfing der Kurfürst von Mainz das Breve für den an Stelle Dienheim’s gewählten Dalberg. Nach einem längeren Aufenthalte in Italien, wobei er auch mit dem französischen und spanischen Gesandten in Rom (Bernis und Azara) über die Gründung eines Bundes der italienischen Staaten nach Art des deutschen Fürstenbundes unterhandelte, kehrte L. im Frühjahr 1788 wieder über Mainz und Weimar nach Berlin zurück. König Friedrich Wilhelm II., der mit der diplomatischen Thätigkeit Lucchesini’s außerordentlich zufrieden war und von seinem Scharfblick wie von seiner Gewandtheit die höchste Meinung hatte, ernannte ihn im September 1788 zum Gesandten in Petersburg, mit dem Auftrage, sich zunächst in Warschau, wo gerade der Reichstag beisammen war, über die Lage der Dinge in Polen zu unterrichten. Am 8. October in Warschau angelangt, entwickelte L. hier bald eine so erfolgreiche Thätigkeit, indem er den russischen Einfluß in Polen durch den preußischen mehr und mehr verdrängte, daß man in Berlin von seiner Sendung nach Petersburg Abstand nahm und ihn am 12. April 1789 bei dem König und der Republik Polen als preußischen Vertreter beglaubigte. Seine Stellung und seine Aufgabe waren, wie das der infolge der widerspruchsvollen Pläne Hertzberg’s eigenthümlich unsichere und schwankende Charakter der preußischen Politik in Polen mit sich brachte, überaus schwierig und nicht ohne Zweideutigkeit. Er sollte zugleich Rußland schonen und die Polen für Preußen gewinnen, eine Allianz mit ihnen sch1ießen und sie zu Abtretungen bestimmen, ihre Hülfe für den Fall eines Krieges mit [347] Rußland und Oesterreich sichern und doch weder ihre Regierung noch ihre Armee zu Festigkeit und Bedeutung gelangen lassen. Seine geschmeidige Natur zeigte sich dieser Aufgabe gewachsen, und wenn er nicht alles erreichte, was man erreichen wollte, so war jedenfalls durch ihn der Einfluß Preußens in Warschau damals größer als je vorher oder nachher. Dabei wurde er wiederholt von Warschau abberufen, um bei entscheidenden Wendungen der preußischen Politik seinen Rath zu geben. Im August 1789 lud ihn Friedrich Wilhelm zu sich nach Schlesien, wo die Hinausschiebung der diplomatischen Action gegen die Kaiserhöfe auf das Jahr 1790 beschlossen wurde. Im Januar 1790 ging L. in außerordentlicher Mission nach Dresden, um den Kurfürsten von Sachsen zum festen Anschluß an Preußen gegen Oesterreich zu vermögen. Am 29. März 1790 gelang es ihm, nach langwierigen Verhandlungen, deren Ergebniß den preußischen Wünschen nicht völlig entsprach, den Allianzvertrag mit Polen zum Abschluß zu bringen. Im Juli 1790 nach Schlesien berufen, wo die Verhandlungen mit Oesterreich unter Hertzberg’s Leitung zu keinem Ende zu kommen schienen, bestärkte er den König in der Abwendung von den Hertzberg’schen Plänen und in der Forderung der Herstellung des Zustandes vor dem Kriege mit den Türken, wozu sich Oesterreich in den Reichenbacher Declarationen bequemte. Hertzberg selbst hat die wachsende Abneigung des Königs gegen sein politisches System immer dem Eingreifen Lucchesini’s zugeschrieben, der in der That seit dieser Zeit im Vertrauen des Königs höher stand als der Minister selbst. Aus seiner Feder stammten die Denkschriften und Instructionen, welche, der Kenntniß des Grafen Hertzberg meist entzogen, für die neue Richtung der Politik Preußens gegenüber den Streitigkeiten Oesterreich-Rußlands mit der Türkei maßgebend wurden. Nachdem er im August auf kurze Zeit nach Warschau zurückgekehrt war, begab sich L. im September über Wien nach Sistowa, wo die Vertreter Preußens, Englands und Hollands mit den Vertretern Oesterreichs und der Türkei sich zusammenfanden, um den endgiltigen Frieden zwischen den letzteren beiden Mächten zu vermitteln. Nach dem Zeugnisse des österreichischen Bevollmächtigten ist es L. gewesen, der sich bei diesen Verhandlungen vor allen durch Geschicklichkeit und Thätigkeit auszeichnete. „Er hat die Türken und die Vermittler alle unterjocht“, schreibt Graf Herbert, „er ist die bewegende Kraft von allem, was hier geschieht“. Herbert rühmt an ihm außerordentliche Beweglichkeit, umfassende Kenntnisse in allen Dingen und besonders in der Diplomatie, einen geschmeidigen Geist und gefälliges Wesen; aber er tadelt zugleich den zu großen Hang zur Intrigue, der ihm so häufig vorgeworfen ist, und bezeichnet ihn als den schlimmsten Feind des Hauses Oesterreich unter den preußischen Staatsmännern. (Vgl. Berichte Herbert’s im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien.) Infolge der Forderung Oesterreichs, daß den Friedensbedingungen nicht der status quo, wie er vor dem Kriege war, sondern wie er hätte sein sollen, zu Grunde gelegt werden müsse, dauerte es bis zum 4. August 1791, ehe der Friede zwischen Oesterreich und der Türkei unterzeichnet werden konnte. Nach einem Aufenthalt in Wien, der zu vertraulichen Besprechungen mit Kaunitz über die französischen Angelegenheiten Anlaß gab, ging L. über Berlin, wohin ihn der König berufen hatte, um ihm seine besondere Zufriedenheit auszudrücken, auf seinen Gesandtschaftsposten in Warschau zurück (December 1791). Die Wendung in der Politik des preußischen Staats, der von dem Gegensatz gegen die Kaiserhöfe zu einer Verständigung mit denselben überging, erschwerte jetzt die Stellung Lucchesini’s in Warschau ungemein. Wenn er früher den Eifer der Polen gegen Rußland anzufeuern hatte, so fiel ihm jetzt die Aufgabe zu, zurückhaltend und mäßigend zu wirken und namentlich die von den Polen aus dem Allianztractat mit Preußen hergeleiteten Ansprüche auf Unterstützung zurückzuweisen. [348] Bei diesen Schwierigkeiten, die durch den Einmarsch der Russen im Sommer 1792 noch gesteigert wurden, kam es ihm sehr erwünscht, als er im August die Aufforderung König Friedrich Wilhelms erhielt, ihm zur Führung der diplomatischen Verhandlungen in den Feldzug nach Frankreich zu folgen. Es waltete dabei zugleich die Absicht vor, den Marquis nach der Einnahme von Paris, an der man nicht zweifelte, und nach Herstellung der Autorität des Königs zum Vertreter Preußens in Frankreich zu ernennen. Ueber Berlin, Leipzig, Frankfurt und Trier in der Nähe der Verbündeten Heere angelangt, wurde er vom König am 25. September in das Hauptquartier nach Hans berufen und mit der Leitung der nach der Kanonade bei Valmy von den Franzosen angeknüpften diplomatischen Verhandlungen beauftragt. Wiewol dem Kriege gegen Frankreich ebenso wie der Allianz mit Oesterreich innerlich abgeneigt, zeigte L. bei diesen Besprechungen doch den französischen Bevollmächtigten (Kellermann) und geheimen Emissären die größte Zurückhaltung und den Oesterreichern um so mehr Vertrauen und Bundestreue, als er schon damals für den Posten in Wien in Aussicht genommen war. Bei dem fortgesetzten Rückzuge der preußischen Armee blieb L. im Gefolge des Königs, indem er alle einlaufenden Sachen, mit Ausnahme der militärischen, bearbeitete und dem König vorlegte, die Immediatcorrespondenz mit den preußischen Gesandten und dem Cabinetsministerium in Berlin leitete und die Verhandlungen mit den Bevollmächtigten der befreundeten Mächte Oesterreich und England führte. Im November 1792 war er in Gießen bei dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt, dessen Truppen er für den Feldzug gegen Frankreich in Bewegung setzte. Im December ist er vor Frankfurt a./M.; nach der Wiedereinnahme dieser Stadt, für die er sehr thätig war, blieb er dort bis zum März 1793, wo er dem König wieder ins Feld folgte. Seine hauptsächlichste diplomatische Aufgabe bildeten jetzt die Verhandlungen mit Oesterreich, welche infolge der zweiten Theilung Polens, die ohne Oesterreich nur zwischen Rußland und Preußen vereinbart war, und der hierauf von dem neuen österreichischen Minister Thugut erhobenen Forderungen große Schwierigkeiten darboten. Bei den Unterhandlungen hierüber, zu denen von österreichischer Seite erst Prinz Reuß, dann besonders Graf Lehrbach verwendet wurden, vertrat L. mit Geschick das ausschließlich preußische Interesse, indem er mit Entschiedenheit den Gesichtspunkt festhielt, daß Preußen für seine Theilnahme an dem Kriege gegen Frankreich, bei der seine Leistungen über die Stipulationen der Verträge weit hinausgingen, besondere Entschädigungen vor Oesterreich beanspruchen dürfe. Der König bewies ihm dabei wiederholt seine höchste Zufriedenheit. „Mein L.“, schreibt der König einmal nach Berlin, „der mit Lehrbach beständig conferiren muß, thut mir gute Dienste“. König Friedrich Wilhelm behielt ihn auch bei sich, als er im Herbst 1793 das preußische Heer am Rhein verließ und die neuen polnischen Erwerbungen bereiste. Am 20. November 1793 ernannte er ihn zu seinem Gesandten in Wien und vier Tage später zum „wirklichen geheimen Staats- und Kriegsminister“, wie es in der Bestallung heißt, „in Betracht seiner ausgebreiteten Kenntnisse und Einsichten, seiner ausgezeichneten Verdienste um Unsern Staat und der bei ihm verspürten unverbrüchlichen Treue und Devotion gegen Uns und Unser Königliches Haus“. Anfang December 1793 begann L. seine gesandtschaftliche Thätigkeit in Wien, hauptsächlich um für Preußen die finanzielle Beihülfe Oesterreichs zur Fortsetzung des Krieges am Rhein zu gewinnen, Bemühungen, die bei dem Gegensatz der preußischen und österreichischen Interessen nothwendig erfolglos blieben. Im Mai 1794 nach Posen zum König berufen, der sich selbst an die Spitze des gegen die Polen bestimmten Heeres gestellt hatte, blieb er dem König während der ganzen Dauer des Feldzugs in derselben Weise [349] zur Seite, wie in den vorhergehenden Jahren bei den Kämpfen gegen Frankreich. Er wirkte dabei unablässig darauf hin, daß der Krieg in Polen mit aller Entschiedenheit geführt werde, damit bei der endlichen Auflösung der Republik, Preußen, im Besitz von Krakau und Warschau, das entscheidende Wort zu sprechen habe, und suchte aus demselben Grunde den König von der Führung des Krieges am Rhein zurückzuhalten, wo nach seiner Ansicht das preußische Interesse weniger in Frage kam, als an der Weichsel. Nach der unglücklichen Wendung des polnischen Feldzuges und der Rückkehr des Königs nach Berlin, ging auch L. im September 1794 wieder nach Wien, wo er bis zum J. 1797 verblieb. Er verkehrte hier viel mit polnischen Emigranten, mit der Familie Zichy, und mit den italienischen Diplomaten, besonders mit dem Vertreter Sardiniens, Castell’alfer. Dagegen gelang es ihm nicht, sich zu dem leitenden Minister Thugut in ein gutes Verhältniß zu setzen. Seine ungünstigen Urtheile über die österreichische Politik, die nicht verborgen blieben, seine rücksichtslose Vertretung der preußischen Interessen, wie er sie im Gegensatz zu Oesterreich auffaßte, erregten vielen Anstoß und veranlaßten schon im J. 1795 das österreichische Cabinet, den Wunsch nach seiner Abberufung auszusprechen. König Friedrich Wilhelm II., der ihn für den besten seiner Diplomaten hielt, ohne doch seinem Charakter volles Vertrauen zu schenken, ging darauf nicht ein, besonders da auch die Gräfin Lichtenau, die bei ihrer Reise nach Italien in Wien mit L. viel verkehrt hatte, sich sehr günstig für ihn äußerte. Eine Reise Lucchesini’s nach Italien, bei der er am 23. Februar 1797 in Bologna mit Napoleon zusammentraf, erweckte von neuem die größte Unzufriedenheit in Wien. Man forderte jetzt, wie man sagte, „wegen seines eingewurzelten Hasses gegen das Erzhaus“, mit aller Bestimmtheit seine Abberufung, die denn auch nach einigem Zögern zugestanden wurde (April 1797). In den nächsten Jahren lebte L. theils in Italien, wo er noch Güter besaß, theils in Meseritz, der früheren Starostei des Fürsten Jablonowski, die ihm Friedrich Wilhelm II. auf Antrag von Hoym im J. 1796 verliehen hatte. Dem neuen König Friedrich Wilhelm III. machte er im März 1798 seine Aufwartung und fand die freundlichste Aufnahme; schon damals war von seiner Ernennung zum Gesandten in Paris die Rede. Als dann im October 1800 die Regelung der territorialen Verhältnisse des Deutschen Reiches, über welche bereits zwischen Frankreich und Oesterreich verhandelt wurde, die Vertretung der preußischen Interessen durch einen besonders thätigen und gewandten Diplomaten nöthig machte, sandte König Friedrich Wilhelm III. auf Vorschlag des Grafen Haugwitz den Marquis L. zunächst in außerordentlicher Mission nach Paris. Von Talleyrand, mit dem er immer in freundschaftlichem Verkehre blieb, gut aufgenommen, erregte er jedoch bald den Unwillen des ersten Consuls. Napoleon warf ihm vor, daß er zu viel in den oppositionellen Kreisen von Paris, namentlich bei [Anne Louise Germaine de Staël|Frau v. Staël]], verkehrte, daß er mit England geheime Verbindungen unterhalte und sich zu viel und zu eifrig in die italienischen Verhältnisse einmische. In Wirklichkeit mochte er sich hauptsächlich durch die ungünstigen Urtheile verletzt fühlen, die er in den intercipirten Berichten Lucchesini’s über sich lesen konnte. In der That blieb dem scharfblickenden Italiener der treulose und gewaltthätige Charakter Napoleons und seiner Politik auch in der Zeit nicht verborgen, wo Napoleon, wie in den Jahren 1800 und 1801, anscheinend eine Politik des Friedens befolgte. Wiederholt wurde noch im Laufe des J. 1801 die Zurückberufung Lucchesini’s angeregt, jedoch von preußischer Seite bei dem Mangel thatsächlicher Beschwerdepunkte abgelehnt. Nachdem es dann L. gelungen war, trotz aller entgegenstehenden sachlichen und persönlichen Schwierigkeiten am 23. Mai 1802 den Vertrag über die Entschädigung Preußens glücklich zum Abschluß zu bringen, ließ Napoleon den [350] Widerspruch gegen ihn fallen und nahm seine Beglaubigung als ständiger Vertreter Preußens entgegen (23. September 1802). Trotz seiner Abneigung gegen Napoleon, dessen Charakter und Politik er in seinen Berichten allezeit gleich scharf verurtheilt, war L. im übrigen für eine nähere Verbindung Preußens mit Frankreich und es lag nicht an seinem Eifer, wenn die hierüber im Winter von 1803 auf 1804 gepflogenen Unterhandlungen scheiterten. Im Sommer 1805 folgte er dem Kaiser Napoleon nach Italien und überreichte ihm zu Mailand in feierlicher Audienz den schwarzen Adlerorden (12. Mai). Von Italien aus kehrte er über Baireuth, wo er in vertrautem Umgang mit dem König, der Königin, Hardenberg und Lombard längere Zeit verweilte, erst im Juli wieder nach Paris zurück. Bei den Verhandlungen über eine Allianz zwischen Preußen und Frankreich, die im August 1805 begonnen, zu den Verträgen von Schönbrunn und Paris führten, war L. an sich wenig betheiligt. Doch brachte er selbst auf Wunsch des Grafen Haugwitz den letzteren Tractat im Februar 1806 von Paris nach Berlin, um die Ratificirung zu beschleunigen. In den Berathungen, die hierüber in Berlin stattfanden, sprach er sich für Annahme des Vertrages aus, und es bezeichnet seine Gesinnung, daß er nach erfolgter Ratification an seine in Paris zurückgebliebene Gattin schrieb: „Sage Talleyrand, Seine Kaiserliche Majestät werde sehen, daß ich ein besserer Franzose bin als er denkt“ (25. Februar). Seine Vorliebe für die Allianz Preußens mit Frankreich hindörte ihn jedoch auch im J. 1806 nicht, mit Aufmerksamkeit der immer weiter greifenden Ausdehnung der französischen Macht zu folgen und seine Regierung rechtzeitig vor den drohenden Plänen Napoleons zu warnen. Es waren hauptsächlich seine Berichte über die Entwürfe Napoleons, gegen Hannover und über die Absichten Murat’s auf die preußischen Besitzungen in Westfalen, welche im August 1806 in Berlin den Entschluß zur Mobilisirung und in Folge derselben den Ausbruch des Krieges hervorriefen. L. selbst mußte bereits am 14. September Paris verlassen, da Napoleon, dem ein Schreiben an Haugwitz voll mißtrauischer Aeußerungen über ihn in die Hände gefallen war, nachdrücklich Beschwerde gegen L. erhoben hatte. In Naumburg traf er mit dem König und Haugwitz zusammen, die ihn veranlaßten, bei der Armee zu bleiben. Nach der Niederlage von Jena und Auerstädt, während deren er in Frankenhausen verweilte, floh er über Nordhausen und Wernigerode nach Magdeburg, wo der König ihn mit einer Sendung an Napoleon zur Einleitung von Friedensverhandlungen beauftragte (18. October). Nach einigen vorläufigen Besprechungen mit Duroc in Wittenberg (22. und 23. October) folgte er auf Befehl Napoleons dem französischen Hauptquartier nach Charlottenburg, wo er am 30. October mit dem ihm beigegebenen General Zastrow den Vertrag über einen Präliminarfrieden unterzeichnete, der jedoch von Napoleon verworfen wurde. Neue Verhandlungen mit Talleyrand führten dann zum Abschluß eines Waffenstillstandsvertrages (Charlottenburg, 16. November), der jetzt von preußischer Seite als unannehmbar nicht ratificirt wurde. In Folge des Abbruchs der Verhandlungen verließ L. am 2. December Berlin und traf über Posen und Thorn am 14. in Königsberg ein. Hier empfing er die Andeutung, daß der König seiner Dienste nicht weiter bedürfe, sodaß er sich entschloß, am 3. Januar 1807 Königsberg zu verlassen, und über Wien nach Italien reiste. Im September 1807 mit einer Pension von 1000 Thlrn. definitiv aus dem preußischen Staatsdienst ausgeschieden, wurde er Oberhofmeister bei Elisa Bacciocchi erst in Lucca, dann in Florenz; im J. 1810 scheint er die Herzogin nach Paris begleitet zu haben. Nach dem Sturze Napoleons beschäftigte er sich vorwiegend mit litterarischen Arbeiten. In der Akademie von Lucca hielt er Vorlesungen über einzelne Abschnitte der Geschichte Friedrichs des Großen, die auch in den Abhandlungen [351] der Akademie gedruckt erschienen. Außerdem veröffentlichte er eine „Geschichte der Ursachen und Wirkungen des Rheinbundes“, ein Buch ohne erheblichen Werth, da fast nur gedrucktes Material benutzt ist. Eine Geschichte des Congresses von Sistowa wurde nicht vollendet. In Berlin scheint er nicht wieder gewesen zu sein; doch blieb er mit der Akademie der Wissenschaften in Verbindung, und hat auch dem König Friedrich Wilhelm III., mit dem er schon vorher Briefe gewechselt hatte, bei dessen Reise nach Italien seine Aufwartung machen dürfen (1822). Sein Tod erfolgte am 20. October 1825. – Von seinen Söhnen starb der zweite, Moritz, im Jünglingsalter, der älteste, Franz (geb. 1786) trat in preußische Dienste, war Secretär bei einigen Gesandtschaften und schließlich Kammerherr des Prinzen Karl von Preußen.

Ueber die diplomatische Thätigkeit Lucchesini’s findet sich reiches Material in den Werken von Häusser, Sybel, Ranke (Hardenberg), Hüffer, Bailleu (Preußen u. Frankreich, II.) u. A. Biographisches gibt die Abhandlung von H. Hüffer, Zwei neue Quellen zur Geschichte Friedrich Wilhelms III. Acten der Staatsarchive zu Berlin und Wien.