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ADB:Lussy, Melchior

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Artikel „Lussi, Melchior“ von Georg von Wyß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 657–660, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lussy,_Melchior&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 03:58 Uhr UTC)
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Lussi: Melchior L., Landammann in Nidwalden, geb. 1529, † am 14. November 1606. Zweiter Sohn eines wohlhabenden Nidwaldners, Johann L. im sogenannten Winkelriedhause bei Stans, erhielt L. in der Klosterschule in Engelberg und bei einem Oheim Peter L., Commissär der drei Länder in Bellinzona (1546/48), seine Erziehung. Im Latein und Italienischen gründlich bewandert, betrat er im 19. Lebensjahre die Laufbahn der öffentlichen Geschäfte. 1548/50 Dolmetsch des schweizerischen Landvogtes in Locarno und hier u. A. Zeuge des Glaubensgespräches zwischen dem italienischen Reformator Beccaria und der katholischen Priesterschaft (5. August 1549), 1551 Landschreiber von Nidwalden, 1553 oberster Feldschreiber bei den Schweizertruppen im Dienste König Heinrichs II. von Frankreich, nahm L. in dieser letzteren Stellung Antheil an den Feldzügen gegen die Kaiserlichen in der Picardie, im Lüttich’schen und im Hennegau, u. A. an der Einnahme von Marienbourg (28. Juni 1554); einmal nur mit genauer Noth einer Stückkugel entgehend. Nach dem Siege bei Renti (13. Aug. 1554) mit den Truppen vom Könige entlassen und heimgekehrt, dann Bote Nidwaldens in Locarno bei Ausführung des Tagsatzungsbeschlusses, der die Evangelischen aus dem Tessin vertrieb (Januar 1555), erwarb sich L. die Gunst des hierbei mitwirkenden päpstlichen Legaten bei den Eidgenossen, Riverta, Bischof von Terracina, wurde Mitglied der Gesandtschaft, welche die katholischen Kantone im Frühjahr 1556 an Papst Paul IV. abordneten, die, von Riverta geleitet, in Rom die beste Aufnahme fand, und L. erhielt, wie seine Mitboten alle, am Osterdienstage vom Papste feierlich den Ritterschlag. In dieser neuen Würde und als Mitglied des Rathes von Nidwalden unterstützte L. Riverta 1557 nachdrücklichst bei Werbung schweizerischer Truppen für den Papst, der, mit Frankreich verbündet, Spanien bekriegte. L. erhielt vom Legaten die Hauptmannsstelle über eine Fahne von 300 Mann und wurde, als die zehn geworbenen Fahnen, meist Söldner aus den drei Ländern und Zug, in Chiavenna zusammentraten, von den Hauptleuten zum Obersten des Regiments erwählt. In Rom vom Papste mit Jubel empfangen, rückten die Schweizer, begleitet von einigen wenig zuverlässigen französischen und italienischen Mannschaften, unter dem Befehl des Cardinals Caraffa als Generalfeldobersten gegen die Spanier aus, wurden aber unweit Paliano in der Terra di Bari von einem spanisch-neapolitanischen Heerhaufen überfallen und in blutigem Treffen mit großem Verluste geschlagen (18. Juli 1557). Nur der Bewilligung der Sieger verdankten die Uebriggebliebenen freien Abzug ohne Entwaffnung nach Rom. Auch der Herzog von Guise, der mit einem französischen Heere im Neapolitanischen stand, mußte sich jetzt auf Rom zurückziehen und als die Nachricht von der Schlacht von St. Quentin (10. August 1557) ihn nach Frankreich abrief, machte Papst Paul IV. mit Spanien Friede. In den Ländern erregte dieser Ausgang des Kriegszuges großes Unwillen. Als vom Regimente Lussi’s kaum die Hälfte der [658] Ausgezogenen heimkam, entstand in Schwyz, in Zug und in Nidwalden die heftigste Gährung. L. ward in Stanz auf offenem Markte von den Wittwen der Umgekommenen mit Messern angefallen und nur mit Noth vor ihrer Wuth geschützt. Indessen entzog ihn im Frühjahr 1558 die Ernennung zum Commissär in Bellinzona nicht nur weiteren Angriffen, indem sie ihm dort seinen Wohnsitz anwies, sondern gab ihm auch bald Gelegenheit neue, erfolgreichere Beziehungen auswärts anzuknüpfen. Im Spätherbst 1559 sandten die fünf inneren katholischen Kantone der Eidgenossenschaft („die fünf Orte“) L. in Geschäften an die Republik Venedig und Anfangs 1560 erhielt er von der Gesammtheit der katholischen Orte den Befehl, auch nach Rom zu gehen, um in ihrem Namen den neuen Papst. Pius IV. zu begrüßen. L. benutzte den Anlaß, Venedig seine Dienste anzubieten, kam mit einem Patent der Republik als Oberst anzuwerbender Schweizertruppen und einem für ihn vortheilhaften Werbe- und Dienstvertrag (27. April 1560) auch reichbeschenkt vom Papste heim. Das Verhältniß zu Venedig, eine Goldquelle für L., blieb über 40 Jahre, bis zu Ende seines Lebens, bestehen, indem der Vertrag periodisch, in der Regel je nach sechs Jahren erneuert wurde. Mit sieben auf einander folgenden Dogen: H. Priuli (1560 und 1565), P. Loredano (1568), L. Mocenigo (1571), H. Venieri (1577), N. da Ponte (1583), Pasq. Cicogna (1586) und M. Grimani (1596) schloß L. Capitulationen, theils persönlich in Venedig selbst, wo er meist zur Begrüßung des jeweiligen neuen Dogen einzutreffen pflegte, theils durch Bevollmächtigte seinerseits. Der Vertrag hinderte ihn nicht, den größten Theil seiner Zeit in seiner Heimath und deren öffentlichen Geschäften zuzubringen. Nur in den Jahren des Krieges der Republik mit den Türken, 1570–1573, nahmen ihn die Verpflichtungen gegen Venedig lebhafter in Anspruch, wobei er übrigens von Nidwalden, das seine Tractate mit der Republik ausdrücklich guthieß (1571) und auch von den drei Ländern (1573) unterstützt und gegen Vorwürfe der Tagsatzung über seine Werbungen in Schutz genommen wurde. In späterer Zeit, insbesondere als die Ereignisse in Frankreich seit 1589 immer allgemeinere Bedeutung für die übrigen Staaten gewannen, diente L. der venetianischen Republik insbesondere als Berichterstatter über die französischen Einflüsse und Werbungen in der Schweiz. Schon seine ersten Erfolge in Venedig und bei Papst Pius IV. hatten ihm hier zu Hause die Bahn weiterer Ehren eröffnet. Im Frühling 1561 wurde er zum ersten Male zum Haupte seines Kantons, zum Landammann, erwählt, eine alljährlich wechselnde Würde, die er später noch zehn Mal bekleidete. Noch größere Auszeichnung war es, daß ihn die katholische Schweiz im Frühjahr 1562 zu ihrem weltlichen Vertreter beim Concile von Trient ernannte, wo er dem geistlichen Abgeordneten Joachim Eichhorn, Abt von Einsiedeln, zur Seite stand. L. wohnte der Versammlung bis zum Schlusse (December 1563) jedoch nicht ohne Unterbrechungen bei, da ihn u. A. Pius IV. zur Betreibung päpstlicher Angelegenheiten im Sommer 1563 in die Schweiz sandte. Die Wahrung der Rechte der schweizerischen Obrigkeiten circa sacra (gegenüber den Beschlüssen des Tridentinums „quoad mores“ behielten sie sich ihre Freiheiten vor) und ein Streit mit den Herzogen von Florenz und von Baiern um den Vorrang in den Sessionen beschäftigten L. in Trient vorzüglich. Oft führten spätere Verhandlungen der Kantone auf seine von ihnen gutgeheißenen dortigen Erklärungen zurück. Auch 1564 war er wieder für Pius IV. in der Schweiz thätig und seine Einwirkung führte hauptsächlich zum Abschlusse des vom Papste gewünschten Bündnisses mit den Kantonen (10. April 1565), welches L., zum zweiten Male Landammann, im Sommer 1565 dem Papste nach Rom überbrachte. Ende 1566 war es wiederum L., der im Namen der katholischen Schweiz dem neuen Papste Pius V. in Rom huldigte und auch bei Gregor XIII. erfüllte er 1572 [659] und bei Gregor XV. im J. 1591 dieselbe Verrichtung. Wie in Venedig und Rom war L. aber auch in Mailand, theils bei Gelegenheit jener Reisen, theils in besonderen öfteren Missionen (1570–1594) der Vertreter der katholischen Orte bei der spanischen Statthalterschaft und beim Erzbischof Borromäus und erschien in derselben Eigenschaft auch in Turin bei Herzog Emanuel Philibert (1570) und Karl Emanuel I. (1594), sowie bei König Philipp II. am Hofe zu Madrid (1589); hier zur Beschwörung des Bündnisses, das sechs katholische Orte im Jahre zuvor mit der Statthalterschaft in Mailand (wobei auch L.) abgeschlossen hatten. Seinen eignen Kanton insbesondere vertrat L. in den Reihen der schweizerischen Gesandtschaften, die 1575 und 1585 bei König Heinrich III. in Paris erschienen und 1582 ebendaselbst den Bund ihrer Obern mit dem Könige beschworen; sowie während mehr als 30 Jahren bei den meisten der schweizerischen Tagsatzungen und kantonalen Conferenzen, die sich damals fast allmonatlich zu folgen pflegten. Die Geschenke und die Jahrgehalte, die L. bei jenen Sendungen ins Ausland nach und nach erwarb, beliefen sich auf ansehnliche Summen. Einfluß und Reichthum wuchsen ihm Hand in Hand; nicht nur in Nidwalden für den reichsten, auch in der Eidgenossenschaft galt er für einen der begütertsten Männer. Seine politische Richtung und Laufbahn stand übrigens in engem Zusammenhange mit seinen religiösen Ueberzeugungen. Mitten unter den Geschäften lebte in L. Etwas von jenem Hange zur Zurückgezogenheit und Beschaulichkeit, der seinen berühmteren Landsmann, Bruder Claus von Flüe, ganz eingenommen hatte, dem aber, wenn er bei L. sich entscheidend geltend machen wollte, die Seinigen stets entgegentraten, während die Berührungen mit dem heiligen Karl Borromäus die streng kirchliche Denkweise Lussi’s befestigten und förderten. Aus Antrieben der letzteren Art ging es hervor, daß L. mit seinem urnerischen Landsmann J. Walter v. Stoll[1] dem Orden der Kapuziner Eingang in die Schweiz eröffnete, wozu Stoll[1] 1581 das Ordenskloster in Altorf, L. 1583 das Kloster in Stans gründete. Demselben Gemüthszuge entsprang Lussi’s Wallfahrt nach Palästina (1583/84), von wo er als „Ritter des heiligen Grabes in Jerusalem“ Anfangs 1584 in die Heimath zurückkam. Er veröffentlichte eine deutsche Beschreibung dieser Reise („Lussi, M. Reissbuch gen Hierusalem.“ 4°. Freiburg im Uechtland 1590). – So hatte L. 48 Jahre lang in den öffentlichen Geschäften gestanden, 1592 noch – der erste – das durch Vertrag zwischen Ob- und Nidwalden errichtete neue Amt eines Landeshauptmanns beider Landestheile erhalten, 1595 die Landammannstelle zum elften Male bekleidet, 1596 noch Venedig, Anfangs 1597 mehrere Tagsatzungen besucht, als ihn ein Schlaganfall zum Rücktritte aus dem öffentlichen Leben zwang. Noch ein Jahrzehnt verlebte er in der Stille; die letzte Spur seiner Theilnahme an officiellen Akten bildet ein Gesuch, das er im J. 1600 der katholischen Tagsatzung einreichen ließ, für die in Rom früher schon auch von ihm betriebene Canonisation des Bruders Klaus nachdrücklicher zu wirken und den Bau eines Kapuzinerklosters in Locarno zu fördern; ein Gesuch, dem die Tagsatzung entsprach. Seit Lussi’s Rücktritt erloschen die Beziehungen der Familie L. und der katholischen Kantone zu Venedig. Zwar ertheilte die Republik noch 1602 einem gleichnamigen Sohne und einem Neffen Lussi’s Ehrengeschenke. Allein der Gegensatz, in den dieselbe zu Spanien trat und die neue Gestalt der Weltlage, die König Heinrich IV. an der Spitze Frankreichs schuf, führten jetzt Venedigs Verbindungen mit den protestantischen Graubündnern und mit Zürich und Bern herbei, welche den früheren mit der katholischen Schweiz ein Ende machten. In Nidwalden behaupteten Söhne und Seitenverwandte von L. auch ferner noch großes Ansehen und wichtige Rollen; doch kehrte nicht wieder, was man 1570 gesehen hatte: daß vier Brüder L. (worunter der unsrige der zweite) gleichzeitig [660] die vier höchsten Landesämter, der Reihenfolge ihres Alters nach geordnet, bekleideten. –

Helvetia (Zeitschrift gegr. v. Balthasar), Bd. VII, Aarau 1832 [„Leben und Wandel des Obersten M. Lussi“, geschrieben 1671]. – Amtl. Sammlung der Eidgen. Abschiede, Bd. IV, Abth. 2 und Bd. V, Abth. 1 (Jahre 1556–1617), Bern 1861 u. 1872. – Cérésole, La République de Venise et la Suisse. Venise 1864. – Briefliche Mitth. von A. v. Deschwanden, Gemeindschreiber in Stans.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. a b S. 659. Z. 26, 27 v. o.: Der Gefährte Lussi’s bei Einführung des Kapuzinerordens in der Schweiz heißt nicht J. Walter von Stoll (wie irrig gedruckt steht), sondern J. Walter von Roll. [Bd. 21, S. 796]