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ADB:Müller, Joseph (Philologe)

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Artikel „Müller, Joseph“ von Wilhelm Heyd in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 518–519, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Joseph_(Philologe)&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 10:32 Uhr UTC)
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Müller: Joseph M., Philolog und Geschichtsforscher, geboren in Brünn am 2. Mai 1823, † in Turin am 13. Juli 1895. In Wien zur Bekleidung philologischer Lehrstellen vorgebildet, hielt er zuerst ebenda Vorlesungen an der Technischen Hochschule (um 1850), siedelte aber bald (1852) in die damals noch österreichische Lombardei über, um da zunächst am Lyceum in Mailand zu unterrichten; bis sich ihm die Universitätslaufbahn erschloß. Wir finden ihn mindestens seit 1856 in Pavia als Professor für deutsche Sprache und Litteratur, dann für das gleiche Fach in Padua (Anstellungsdecret vom 29. August 1859). Als aber im Verlauf der italienischen Befreiungskämpfe auch die ganze Lombardei sammt Venetien den Oesterreichern entrissen wurde, verließ M. seine unhaltbar gewordene Stellung in Padua und begab sich zurück nach Wien (1866). Hier ehrte ihn nun zwar die Akademie durch Ernennung zum correspondirenden Mitglied ihrer philosophisch-historischen Classe (bestätigt am 3. August 1866); aber ein Lehramt mit Besoldung fand sich für ihn in der alten Heimath nicht. So ging er denn wieder nach Italien und erhielt noch im selben Jahr einen Ruf auf die Lehrkanzel der griechischen Philologie in Palermo, wurde jedoch von dem Archivdirector Donaini in Florenz bei archivalischen Arbeiten festgehalten (1867). Mittlerweile erging an M. ein anderer Ruf, welcher ihn für die übrige Zeit seines Lebens (Herbst 1867 bis Sommer 1895) an die Turiner Hochschule fesselte. Er begnügte sich nicht damit durch seine Vorlesungen ideale classische Bildung zu verbreiten und in der „Rivista di Filologia e d’istruzione classica“ (bestehend seit Juli 1872) ein wissenschaftliches Organ für Philologen zu gründen, er suchte noch als Universitätsprofessor durch Schul- und Handbücher den griechischen (und deutschen) Unterricht in Secundärschulen zu heben („Dizionario greco italiano“ 1871; „Corso pratico di lingua tedesca“ 1873 ff.). Außerdem erwarb er sich das Verdienst, deutsche Hauptwerke seines Lehrfaches wie Otfr. Müller’s griechische Literaturgeschichte (1858–59), G. Curtius’ griechische Grammatik (1874), E. Curtius’ griechische Geschichte (1877 ff.) durch Uebersetzungen zum Gemeingut der Italiener zu machen. Lernen wir durch die bisher erwähnten Schriften in M. den Schulmann kennen, welchem das classische Griechisch zum Lieblingsstudium geworden, so befremdet uns einigermaßen das Interesse für das Idiom und die Geschichte der späteren Griechen, welches gerade in seinen frühesten litterarischen Hervorbringungen sich geltend macht. Schon in seinen Heimathjahren schwebte ihm als Ideal die Sammlung der in Archiven, Klöstern, Druckwerken noch übrigen Reste byzantinischer Urkunden vor (siehe Sitzungsberichte der philos.-hist. Classe d. Wiener Akademie 1851, S. 323 ff.; 1852, S. 336 ff.) und es gelang ihm im Bunde mit dem Slavisten Miklosich allmählich sechs Bände „Acta et diplomata graeca medii aevi sacra et profana“ zusammenzubringen (1860–90). Da ihm bei diesem Werk (speciell für den dritten Band) die Durchsuchung der italienischen Archive nach Urkunden profaner Natur als Aufgabe zufiel, begegneten sich seine Studien mit [519] denen von Tafel und Thomas, Heyd (Colonie commerciali degli Italiani in Oriente ne medio evo … recate in italiona da Gius. Müller, 1. 2, 1866 bis 68), Amari (zu dessen Diplomi arabi dal R. Archivio Florentino M. im Supplementband 1864 eine reiche Nachlese gab) und Anderen, welche vom Standpunkt der italienischen Handelsgeschichte aus zum Theil die gleichen Stoffe bearbeiteten, und er stellte sich ganz an die Seite dieser Forscher, indem er als Pendant zu den Veröffentlichungen ähnlicher Art aus venetianischen und genuesischen Archiven die „Documenti sulle relazioni delle città toscane coll’ oriente cristiano e coi Turchi fino all’anno 1531“ herausgab (1879). – Das Zugänglichmachen von Geschichtsquellen ging ihm über die eigene schriftstellerische Production; wenn er den Stoff dazu nicht gerade immer innerhalb der eben beschriebenen Kreise suchte, so verfiel er jedenfalls nie auf Werthloses. Es war zweifellos verdienstlich, daß er (1856–57) eine Sammlung ungedruckter lombardischer Chronisten ins Leben rief, wovon er die größere Hälfte selber besorgte. Noch werthvoller ist die Herausgabe der Briefe des großen Mailänder Staatsmannes Girolamo Morona und anderer ihn betreffenden Documente („Miscellanea di storia italiana“ 2. 1863, 3. 1865), wie auch die des Carteggio di Vittoria Colonna (im Verein mit Erm. Ferrero 1889).

Wurzbach, Biogr. Lexikon 19, 389 f. – Nekrologe in Rivista di Filologia N. F. I, 445–448 und in den Sitz.-Ber. d. philos., philol. u. hist. Cl. d. Münch. Akad., Jg. 1896, S. 151. – Briefl. Mittheilungen von Müller.