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ADB:Mayer, Charles

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Artikel „Mayer, Charles“ von Moritz Fürstenau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 88–89, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mayer,_Charles&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:15 Uhr UTC)
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Mayer: Charles M., berühmter deutscher Pianofortevirtuose, Componist und Lehrer, ward am 21. März 1790 in Königsberg in Preußen geboren, mit welcher Angabe die in den lexikalischen Werken von Schilling, Fétis, Bernsdorf und Riemann mitgetheilten Geburtsdaten berichtigt sein mögen. M. kam schon als Kind nach Rußland, indem sein Vater, ein tüchtiger Clarinettist, einem Rufe als Capellmeister nach St. Petersburg folgte, wo er vier Jahre lebte und sich dann mit seiner Familie nach Moskau wandte, woselbst sich Mayer’s Mutter, eine Tochter des seiner Zeit beliebten Violinvirtuosen Jean Guillaume Lévèque, als Gesangs- und Clavierlehrerin niederließ. Schon als fünfjähriger Knabe entwickelte M. außergewöhnliche Anlagen zur Musik: er spielte ohne Notenkenntniß Alles blos dem Gehör nach. Den ersten Unterricht empfing er von seiner Mutter, welche ihn später dem berühmten Meister John Field übergab, der durch seine unvergleichlich zarte und gebundene Spielweise auf die ganze Kunstrichtung des jungen M. den wesentlichsten Einfluß ausübte. Im Field’schen Hause war M. der erklärte Liebling und so darf es nicht Wunder nehmen, daß er bereits im neunten Jahre zu Moskau mit größtem Beifall Concerte gab. Im J. 1812 flüchtete sich nach der Einnahme Moskaus Mayer’s Familie nach Petersburg, woselbst seine Mutter eine Anstellung als Lehrerin im adeligen Fräuleinstift annahm. Da nun auch Meister Field nach Petersburg übersiedelte, so konnte M. seine Ausbildung bei ihm fortsetzen, was er auch mit solchem Eifer und so entschiedenem Erfolge that, daß selbst Kenner sein Spiel schwer von dem Field’schen unterscheiden konnten, wenn sie die spielende Person [89] nicht sahen. Die erste Kunstreise machte M. 1814 in Begleitung seines Vaters, und zwar zunächst nach Warschau, von wo aus Deutschland, Holland und Frankreich mit bestem Erfolge besucht wurden; namentlich zu Paris erntete er den reichsten Beifall. In Amsterdam schrieb er seine ersten großen Variationen über „God save the King“, welche sich einer allgemeinen Beliebtheit zu erfreuen hatten. – M. kehrte 1819 nach Petersburg zurück, und nun begann seine Glanzperiode als Virtuos und Lehrer; sein Haus war der Sammelpunkt aller musikalischen Notabilitäten der kaiserl. Hauptstadt, und um sich einen Begriff von seiner Beliebtheit als Lehrer zu machen, genüge die Angabe der ansehnlichen Zahl von 800 Schülern, welche er während seines 25jährigen Aufenthaltes in Petersburg ausbildete. – Auf einer Kunstreise im J. 1845 feierte er namentlich in Stockholm und Kopenhagen, Hamburg, Leipzig und Wien große Triumphe, überall durch sein gediegenes Spiel überraschend und Beifall und Ehre reichlich erntend; unter Anderen ward er am kunstsinnigen Hofe in Stockholm mit großer Auszeichnung aufgenommen und mit dem Diplom als Ehrenmitglied der königl. musikalischen Akademie ausgezeichnet. In Kopenhagen gab er eine Reihe von Concerten und spielte auch vier Mal am Hofe, wobei er vom Könige mündlich mit dem Titel eines Hofpianisten beschenkt wurde. In Ermangelung großer Neigung, sich wieder nach Petersburg zu begeben, woselbst ihm indessen ein gewichtiger Nebenbuhler in Adolf Henselt erwachsen war und ihn zu erneuter Anstrengung genöthigt haben würde, gab er dem Hange zur Ruhe nach und ließ sich 1846 in Dresden nieder, wo er im Umgang mit der dortigen Künstlerschaft fleißig als Lehrer, Virtuos und Componist wirkte, bis ihn am 2. Juli 1862 der Tod ereilte. – Als Virtuos gehört M. der älteren, mit der Behandlungsart Field’s noch eng verwandten Pianistenschule an. Seine sorgfältig durchgearbeitete und in ihrer Weise vollendete Technik war außerordentlich sauber, delicat, voll ruhiger Gleichmäßigkeit, seine Tonleiter vorzüglich; außerordentliche Glätte, formelle Abrundung, gewinnende Gefälligkeit und geschmackvoll schattirter Tonwohlklang zeichneten seinen Vortrag aus. Die Eigenschaften des trefflichen Virtuosen kennzeichnen auch seine höchst zahlreichen, melodiös ansprechenden, formell sehr routinirt gemachten und höchst claviermäßig und für den Spieler dankbar gesetzten Claviercompositionen. Freilich erscheinen dieselben etwas äußerlich und ohne tiefere innere Bedeutung. Im Ganzen sind 351 Clavierwerke von M. erschienen, darunter zwei Concerte (op. 70 u. 89), sowie eine große Anzahl Rondo’s, Fantasien, Etuden, Salon- und Charakterstücke u. s. w. Noch jetzt werden seine Etuden (op. 31. 55. 61) sehr geschätzt. Auch ein Rondo brillant (op. 25), ein Allegro de Concert (op. 60) und das Concert op. 70 werden noch hie und da gespielt. Ganz besonders bei Ausführung seiner Werke traten alle Vorzüge von Mayer’s Clavierspiel, auch noch in den letzten Jahren seines Lebens, in voller und anziehender Wirkung hervor.