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ADB:Mayr, Simon (Opern- und Kirchenkomponist)

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Artikel „Mayr, Simon“ von Arnold Niggli in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 146–148, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mayr,_Simon_(Opern-_und_Kirchenkomponist)&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 18:03 Uhr UTC)
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Mayr: Johann Simon M. (oder Mayer), Operncomponist, wurde den 14. Juni 1763 zu Mendorf im baier. Regierungsbezirk Oberpfalz geboren. Den ersten Unterricht erhielt er durch seinen Vater, der das Amt eines Schullehrers und Organisten im Dorf bekleidete. Als achtjähriger Chorknabe sang er bereits so ziemlich Alles vom Blatt und erregte in seinem 10ten Jahre auch durch seine Fertigkeit auf dem Clavier Aufsehen. 1774 wurde er von den Eltern im Jesuitenstift zu Ingolstadt untergebracht, um sich seinerseits für den Lehrerberuf vorzubereiten. Die Aufhebung des Jesuitenordens in Baiern veranlaßte ihn zum Studium der Rechte überzugehen, zu welchem Behuf er die Universität Ingolstadt bezog. Hier setzte er seine musikalischen Studien fort, lernte neben dem Clavier verschiedene andere Instrumente spielen und gewann sich durch seine Leistungen die Theilnahme des schweizerischen Adelichen und Musikliebhabers Thomas de Bessus, welcher ihn 1786 mit sich nach Graubündten nahm. Nachdem er hier 2 Jahre als Hauslehrer zugebracht, begleitete er seinen Gönner nach Bergamo, wo ihn letzterer dem Capellmeister Carlo Lenzi zur weiteren tonkünstlerischen Ausbildung übergab. Doch vermochte der Lehrer den bereits zu einer gewissen Selbständigkeit gelangten Schüler nicht zu befriedigen und schon bereitete sich M. zur Rückkehr nach seinem Heimathlande vor, als der kunstsinnige Canonicus Graf Pesenti auf sein Talent aufmerksam wurde und ihn mit den nöthigen Mitteln versehen nach Venedig sandte, damit er daselbst den Unterricht Ferdinando Bertoni’s, des Capellmeisters von St. Marco genieße. Bertoni wies ihn besonders auf das Praktische der Composition hin, berücksichtigte dagegen das tonwissenschaftliche, die Lehre vom Contrapunkt weniger, so daß sich M. genöthigt fand, durch eifriges Selbststudium der wichtigsten Lehrbücher die Lücken seiner Fachbildung auszufüllen. Nach gewissenhafter Vorarbeit schrieb er in der Lagunenstadt seine ersten Messen, mehrere Vespern, sowie das lateinische Oratorium: „Jacob a Labano fugiens“. Letzteres wurde in Gegenwart des Königs von Neapel, des Großherzogs von Toscana und des Vicekönigs von Mailand aufgeführt und fand so viel Beifall, daß M. dem Erstlingswerk rasch 3 weitere Oratorien folgen ließ: „David“, „Tobiae matrimonium“ und „Sisara“. Nachdem auch sie günstig aufgenommen worden waren, schrieb [147] er für Forli eine Passion und ein weiteres oratorisches Werk: „Il sacrificio di Jefte“. Er hätte sich wohl dauernd auf diesem, seinem mild-frommen Sinn bestens zusagenden Gebiet festgesetzt, wäre nicht sein edler Mäcen Pesenti plötzlich gestorben und dessen aufmunternde Unterstützung dahin gefallen. Dem Rath Piccini’s folgend, der sich damals gleichfalls in Venedig befand, wandte er sich nun der Oper zu. 1794 erschien seine „Saffo ossia i riti d’Apollo Leucadio“ auf der Bühne des Theaters Fenice und wurde von glänzendem Erfolg gekrönt. Eine Reihe ähnlicher Werke verbreiteten den Ruf des Componisten durch ganz Italien, so daß er bald mit Bestellungen überhäuft ward. Bis zum Jahre 1814 schrieb er 77 Opern, deren Namen Fétis in seiner Biographie Universelle des Musiciens aufzählt und mit denen M. längere Zeit die Bühnen des Südens mehr oder weniger beherrschte. Er hatte sich den italienischen Stil vollständig zu eigen gemacht und wußte in anmuthig übersichtlichen Formen eine Fülle reizender Melodien zu entfalten, so daß ihm selbst ein Rossini seine Bewunderung zollte. Das Crescendo, welches in den Rossini’schen Opern bekanntlich eine Hauptrolle spielt, soll M. nach Calvi in der Ouvertüre zu Lodoiska (1796 zu Venedig aufgeführt) zuerst zur Anwendung gebracht haben. Seine zugkräftigsten Werke waren neben der genannten Lodoiska „Laura und Lidia“, „La Rosa bianca e la Rosa rossa“, „Ginevra di Scozia“ und „Medea“. Die Cavatine „O quanto l’anima“ aus der ersterwähnten Oper hörte man seiner Zeit auf den Straßen und Plätzen der italienischen Städte nicht weniger oft und gern als Rossini’s weltbekanntes „Di tanti palpiti“ aus Tancred. Von eigentlich dramatischem Leben, von individualisirender Charakteristik findet sich freilich in Mayr’s Opern eben so wenig, wie bei seinen italienischen Zeitgenossen – einige wenige Meister im komischen Genre ausgenommen – überhaupt. Die Personenzeichnung ist eine schablonenhafte, die Musik ein durchaus lyrischgefärbtes, anmuthiges Tonspiel, dessen wesentlichste Ausdrucksform die zweitheilige Arie bildet. Einzig in der detaillirteren und reicher behandelten Instrumentation fühlt man den Einfluß der deutschen Meister, besonders Haydn’s heraus, den M. mit Vorliebe studirt hat. Schon 1801 war er zum Ehrenmitgliede des philharmonischen Collegs in Venedig ernannt worden. 1802 nahm er die Capellmeisterstelle an der Kirche Santa Maria Maggiore zu Bergamo an und blieb dieser seiner Lieblingsstadt nunmehr bis zum Tode treu. 1805 wurde er zum Director des musikalischen Lyceums ernannt, in welcher Stellung er Jahrzehnte lang als gewissenhafter, die Zöglinge mit wahrhaft väterlicher Liebe behandelnder Lehrer wirkte. Für die dramatische Classe der Anstalt schrieb er eine Reihe von Opernlibretto’s, hielt Vorlesungen im Athenäum und verfaßte eine größere Zahl instructiver Abhandlungen („Piccolo catechismo elementare“, Metodo di applicatura“, „Alcuni cenni sul modo di scrivere pei corni da caccia“, „Trattato per il pedalo“, „La dottrina degli elementi musicali“, „Breve metodo d’accompagnamento“) sowie musikhistorische Arbeiten („Franchino Gaforio, Michele Alberto da Carrara“, „Cenni storici intorno all’ Oratorio musicale“, „Considerazioni del vecchio suonatore di viola dimorante in Bergamo“, „Intorno ad un articolo di Scoellinger risguardante la vita e le opere di Luigi Palestrina“, „La vita di Clementi“, „La vita di Santa Cecilia in due parti“, „Cenni biografici di Antonio Capuzzi primo violinista della chiesa di S. Maria Maggiore di Bergamo“). Die verlockendsten Offerten von auswärts lehnte er ab. So wollte man ihm schon 1803 die Direction der italienischen Oper in Wien übertragen. 3 Jahre später suchte ihn Napoleon I., welcher 1805 anläßlich seiner Krönung als König von Italien des Componisten Lodoiska zu Mailand gehört, als Director der Pariser Hofconcerte unter Zusicherung eines Gehaltes von 24 000 Frcs. und einer Pension von 6000 Frcs. nach zehnjähriger [148] Dienstzeit zu gewinnen. 1807 wurde ihm die Stelle eines Censors am neuen Conservatorium zu Mailand, 1808 die Nachfolgerschaft Paër’s als Capellmeister in Dresden, 1814 die Oberleitung der königlichen Theater zu Mailand, 1822 die Capellmeisterschaft zu Novarra angeboten. – Im Jahre 1808 gründete er zu Bergamo die Scuola caritatevole di musica und im folgenden Jahre das Pio Istituto musicale für altgewordene Musiker und deren Wittwen und Waisen. Zu Gunsten letzterer Anstalt führte er damals zuerst in Italien Haydn’s Schöpfung auf und veröffentlichte gleichzeitig eine lebesgeschichtliche Skizze über den deutschen Meister. Von 1816 hinweg schrieb er nur noch Kirchenmusik, deren Gebiet er mit 17 solennen Messen, 4 Requiems, 25 Psalmen für Chor und Orchester sowie einer Menge anderer mit Orgelbegleitung bereicherte. 1834 veranstaltete er nach dem Muster der deutschen Musikfeste mehrtägige Aufführungen in Bergamo. Als er 1838 nochmals nach Baiern reiste, um seine Heimath zu besuchen, bereitete man ihm zu Ehren in München eine glänzende Feier und bei seiner Rückkehr ward ihm in Bologna unter begeisterten Ovationen eine Medaille sowie sein Porträt gemalt von Diotti überreicht. Er starb den 2. Decbr. 1845 zu Bergamo, nachdem er einige Jahre zuvor erblindet war, sein Geschick übrigens mit der ihm eigenen milden Heiterkeit ertragen hatte. 1852 wurde ihm ein Denkmal gesetzt und am 12., 13. und 14. Septbr. 1875 fanden dann großartige Feierlichkeiten für die Ueberführung der Asche des Tonkünstlers sowie derjenigen seines Schülers Donizetti nach der Basilika von Santa Maria Maggiore in Bergamo statt. Bei diesem Anlaß wurde auch von Federigo Alborghetti und Michel Angelo Galli eine biographische Arbeit über die beiden Musiker, sowie eine Sammlung nachgelassener Briefe und Aufsätze Mayr’s herausgegeben, nachdem schon früher (1841) eine Reihe von Gedichten zum Ruhme des Künstlers nebst biographischer Notiz von Adolfo Gustavo Maironi Daponte erschienen war.