Zum Inhalt springen

ADB:Mevius, David von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Mevius, David von“ von Roderich von Stintzing in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 544–547, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mevius,_David_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:29 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Mey, Johann de
Band 21 (1885), S. 544–547 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
David Mevius in der Wikipedia
David Mevius in Wikidata
GND-Nummer 11696149X
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|21|544|547|Mevius, David von|Roderich von Stintzing|ADB:Mevius, David von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11696149X}}    

Mevius: David M., Jurist, am 6. December 1609 geboren in Greifswald, wo sein Großvater Thomas M. und sein Vater Friedrich M. Professoren der Rechtswissenschaft gewesen sind, machte seine ersten juristischen Studien in seiner vom Kriege schwer bedrängten Vaterstadt unter Leitung seines Vaters. Als er 1629 nach Rostock zog, fand er auch dort die traurigsten Verhältnisse und ein Conflict, in welchen die Universität mit der kaiserlichen Besatzung gerieth, nöthigte ihn 1631 zur Flucht nach Kopenhagen. Er kehrte in seine Vaterstadt zurück, wo inzwischen nach Abzug der kaiserlichen Besatzung ruhigere Zustände herbeigeführt waren. 1633 trat er seine peregrinatio academica an, besuchte die Niederlande, England und Frankreich, wandte sich im Herbst 1634 abermals nach Leyden, verlebte hier den Winter und kehrte im April 1635 heim in seine Vaterstadt, wo ihm inzwischen eine außerordentliche Professur übertragen war. Am 30. Juli trat er seine Lehrstelle an, ward am 17. September von Matth. Stephani zum Doctor promovirt, rückte schon im Anfang des folgenden Jahres in eine erledigte ordentliche Professur ein, übernahm das Universitäts-Syndicat und wenige Monate später die durch den Tod seines Vaters erledigten Stellen eines Consistorialraths und des Inspectors vom Amte Eldena. Neben einer vielseitigen Lehrthätigkeit, über die uns seine eigenen Aufzeichnungen näher unterrichten, beschäftigte ihn eine ausgedehnte Praxis als [545] Mitglied des Spruchcollegiums und Rechtsbeistand vornehmer Häuser. Lieber hätte er, wie er selbst sagt, sich ganz der wissenschaftlichen Thätigkeit hingegeben, allein seine Besoldung reichte nicht hin, um die Bedürfnisse seines Hauswesens – er hatte sich inzwischen verheirathet – zu bestreiten.

Die Wechselfälle des Krieges gestalteten seine ökonomische Lage im Jahre 1637 noch schwieriger; Professoren und Studenten hatten der bedrängten Stadt den Rücken gewendet. Wie eine Erlösung erschien es M. daher, als im Februar 1638 die Stadt Stralsund ihm die Stelle des Syndicus antragen ließ. Er übernahm sie im Juli und hat sie ca. 15 Jahre lang bekleidet. In diesem einflußreichen Amte, an der Spitze der Verwaltung und Justiz eines kräftig entwickelten städtischen Gemeinwesens hat er eine ungemein erfolgreiche Thätigkeit entfaltet. Nach Außen hin handelte es sich zunächst darum, unter den territorialen Veränderungen in Folge des Krieges die Selbständigkeit Stralsunds zu behaupten. M. ward in diesem Anlaß 1641 zur Königin Christine nach Stockholm gesendet, deren hohe Gunst er sich erwarb; später hatte er bei den Friedensverhandlungen zu Brömsebroe und zu Osnabrück die Instructionen für die Gesandten auszuarbeiten und die Correspondenz zu führen. Ihm ist es wol vorzugsweise zu danken, wenn im Osnabrücker Frieden (Art. 10, § 15 und 16) der Stadt Stralsund alle Freiheiten, welche sie begehrte, ausdrücklich gewährleistet wurden. In den baltischen Gegenden war er bald die angesehenste juristische Autorität, an die man sich aus Mecklenburg und Pommern um Rath wendete; für beide Landschaften führte er wiederholt die Geschäfte eines Landsyndicus. – Als die Krone Schweden, dem Osnabrücker Friedensvertrage gemäß, für ihre in Deutschland erworbenen Territorien ein höchstes Gericht in der Stadt Wismar errichtet hatte, glaubte sie das Amt des Vice-Präsidenten, dem hauptsächlich die geschäftliche Leitung oblag, keinem Würdigeren anvertrauen zu können, als M., der den schwedischen Staatsmännern seit Jahren als hervorragender Jurist und politischer Agent bekannt war. Mit Eröffnung des Gerichtshofes am 15. Mai 1653 begann M. seine Functionen; die von ihm entworfene Gerichtsordnung ward vorläufig bestätigt und nach einer Revision im J. 1657 als Gesetz publicirt. Neben diesem hohen Amte ist M. vielfach in wichtigen politischen Angelegenheiten von der schwedischen Regierung verwendet worden, und die Gunst, welche ihm bereits Königin Christine zugewendet, als er als Gesandter Stralsunds wiederholt an ihrem Hofe verweilte, ward ihm auch von ihren Nachfolgern erwiesen und durch Belohnung mit Landgütern und ansehnlichen Geldgeschenken wiederholt bekräftigt. Zu den Begnadigungen gehörte u. a. auch die Ernennung (1652) zum professor primarius in der Greifswalder Juristenfacultät mit dem Rechte der Substitution. Die Ausübung dieses Rechtes hat ihm mancherlei Verdrießlichkeiten bereitet; dagegen ist der Wunsch, das Amt in späteren Jahren selbst zu verwalten und sein Alter in litterarischer Muße zu verleben, ihm nicht erfüllt. Auch die Herzöge und Landstände von Mecklenburg haben seinen Rath und seine Hülfe mehrfach in Anspruch genommen. Schon 1655 hatte er im Auftrage der letztern die drei ersten Bücher eines mecklenburgischen Landrechts ausgearbeitet, denen er 1666 das 4. Buch hinzufügte. Indeß ist dieser Entwurf nie zum Gesetz erhoben. Als M. im Sommer 1670 auf seinem Gute Brönkow weilte, erkrankte er plötzlich. Aus dem benachbarten Greifswald eilten sein Neffe Professor Fr. Gerdes in Begleitung des Mediciners Professor Helwig an sein Krankenlager. Auf Rath des Letztern ward M. nach Greifswald in das Haus seines Neffen gebracht, wo er am 14. August 1670 starb. Sein Leichnam ward am 16. August nach Wismar übergeführt; am Tage der Beisetzung, dem 20. September, hielt die Universität Greifswald eine Leichenfeier, zu welcher Professor Helwig als damaliger Rector [546] das Einladungsprogramm schrieb, welches einen kurzen Lebensabriß enthält. Ausführlicher ist die der Leichenpredigt des Pastors Reimarus angehängte Lebensbeschreibung (Wismar 1671 fol.). Dem auf der Greifswalder Bibliothek befindlichen Exemplar sind von einer alten Hand werthvolle Auszüge aus M.’s leider verlorener Selbstbiographie beigefügt. Die Einzelheiten seiner umfassenden und vielseitigen amtlichen Thätigkeit in Stralsund und Wismar gehören der Specialgeschichte an. Von allgemeiner und hervorragender Bedeutung aber sind die umfänglichen litterarischen Arbeiten, die er mit unermüdlicher Kraft und Ausdauer neben jenen Aemtern vollbrachte. Sein „Commentarius in jus Lubecense“ P. 1, 2 (1642), P. 3, 4 (1643. 4° 1664, 1679, 1700, 1744 fol.), die erste wissenschaftliche Bearbeitung des Lübischen Rechts ruht auf der Vertrautheit mit seiner praktischen Anwendung, welche er sich durch eigene Erfahrung und Studien in Greifswald erworben. Er konnte dort die Acten des Spruchcollegium, die handschriftlichen Observationen seines Vaters und Großvaters, ferner die Responsen Cothmanns, endlich in Stralsund die angehäuften Gerichtsacten, sowie die Aufzeichnungen des ehemaligen Syndicus Dr. Steinweg benutzen. Die historische Bedeutung dieses Werks liegt darin, daß M. einen neuen Zweig praktischer Rechtswissenschaft, eine „jurisprudentia Lubecensis“ schuf. Das Verständniß für dieses merkwürdige, in den nordostdeutschen Städten weitverbreitete Rechtsbuch ist durch ihn zuerst eröffnet worden; und wenn auch die neuere Zeit dasselbe namentlich in historischer Richtung vertieft hat, so behauptet doch Mevius’ Commentar auch heute noch seinen Werth. – Noch weiter reicht die Bedeutung und der Einfluß von Mevius’ berühmten „Decisiones“, welche zuerst unter dem Titel „Jurisdictio summi tribunalis regii quod est Wismariae“ 1664 bis 1669 in 6 Quartbänden erschienen. Nach Mevius’ Tode wurden von 1672 bis 1675 noch drei Bände aus seinen Papieren herausgegeben; bis zum J. 1794 sind noch zehn neue Auflagen dieses Werkes erschienen, an welches sich eine umfängliche Litteratur angeschlossen hat. Sein Inhalt besteht in den chronologisch geordneten Entscheidungen des höchsten Gerichts, dessen Vice-Präsident M. war. Allein keineswegs sind die Urtheile einfach abgedruckt; sondern aus jedem ist der darin zur Anwendung gebrachte juristische Gedanke ausgezogen und als „Decisio“ formulirt. Hieran schließt sich die juristische Begründung in knapper Ausführung; am Schlusse ist die Proceßsache, in welcher das Urtheil ergangen, mit dem Datum angegeben; die Anmerkungen enthalten Allegationen von Gesetzen und Litteratur, sowie Erläuterungen. Es hat dieses Werk sich in Theorie und Praxis eine ebenso große Autorität erworben, wie sein Vorbild, die „Definitiones forenses“ Benedict Carpzovs, die es an Gründlichkeit der juristischen Argumentation übertrifft. Von besonderer Bedeutung ist es im Norden Deutschlands für die Gestaltung des Civilprocesses geworden. Eine andere Schrift Mevius’ verdient Erwähnung, weil sie für längere Zeit die theoretische Grundlage für die Behandlung des Rechtsinstituts der Leibeigenschaft geworden ist. Im Nordosten Deutschlands hatte sich dasselbe unter den socialen Umgestaltungen des 16. Jahrhunderts und des 30jährigen Krieges ausgebildet. Zahllose Streitigkeiten zwischen den Grundherren und Bauern, sowie der Grundherren untereinander, die in Stralsund zu entscheiden oder zu schlichten waren, veranlaßten M. zur Ausarbeitung eines „Bedenken über die Fragen, so von dem Zustand, Abforderung und verminderter Abfolge der Bauers-Leute – vorkommen“ 1645. 4° (bis 1773 noch viermal gedruckt). M. hatte die Aufgabe, für ein durch gesetzliche Bestimmungen nur dürftig normirtes Institut Rechtsgrundsätze aufzustellen, eine Aufgabe, deren Schwierigkeit noch dadurch erhöht wurde, daß die Ausbildung desselben noch im Flusse und in den verschiedenen Gegenden Deutschlands ungleich war. Die Gefahr lag nahe, im Römischen Rechte die Hülfe zu suchen [547] und hervorragende Juristen vor M. waren der Versuchung erlegen, die römischen Rechtssätze über die Sclaverei auf die deutsche Unfreiheit zu übertragen. M. bemüht sich, diesen Irrthum zu vermeiden, und den deutschen Lebensverhältnissen und Gewohnheiten, wie sie sich im Nordosten gestaltet hatten, die Rechtsgrundsätze zu entnehmen, das römische Recht nur zur Analogie mit Vorsicht zu verwenden. Ob es ihm gelungen ist, die Grenzen richtig zu finden, möge dahingestellt bleiben. Nach Bildungsgang und Lebensführung ist M. ein wesentlich auf’s Praktische gerichteter Jurist, der das vitae non scholae discendum energisch zu betonen liebt und davor warnt, sich in historische Untersuchungen zu verlieren. Auch die dogmatische Synthese ist nicht seine Sache; er hat daher keine größeren systematischen Werke verfaßt. Dagegen legt er großes Gewicht auf die Philosophie und erklärt sie für die dem Juristen unentbehrliche praeliminaris scientia. Von früh an bis in sein spätes Alter haben rechtsphilosophische Fragen ihn beschäftigt, er hoffte, daß aus den höchsten Principien der Vernunft ein Naturrecht als „jurisprudentia gentium communis“ hergestellt und als höchste Entscheidungsnorm für den Praktiker publicirt werden könne. Es ist eine Lieblingsbeschäftigung in seinen Mußestunden gewesen, an einem breit angelegten System des Naturrechts zu arbeiten, dessen unvollendetes Manuscript sich in seinem Nachlasse vorfand. Publicirt ist von diesem Werke nur der „Prodromus“, der bei Mevius’ Tode druckfertig vorlag. („Prodromus jurispr. gentium communis etc. ex studiis D. Mevii“, 1671, 8°. In zweiter Auflage unter dem Titel „Dav. Mevii nucleus juris naturalis et gentium“, 1686, 8°, mit Vorrede, von einem Unbekannten herausgegeben.) Der Aufschwung, welchen die naturrechtlichen Studien unter Pufendorf’s Einfluß nahmen, hat Mevius’ Arbeiten auf diesem Gebiete in Vergessenheit gerathen lassen, während seine Leistungen in der praktischen Jurisprudenz bis zum heutigen Tage ihr Ansehen behaupten.