ADB:Offenbach, Jacques
*), zählt zu den vielgenanntesten, aber auch am raschesten wieder vergessenen Componisten der letztvergangenen Musikperiode. [167] Obwol aus Deutschland stammend, fand er den dankbaren Boden für sein eigenartiges Talent und seine musikalische Wirksamkeit allein in Paris, wo er um die Mitte der 30er Jahre anlangte und das er fortan hie und da nur noch für kurze Zeit verließ *). Ein bildsamer, sich leicht accommodirender, regsamer und nach Erfolgen und Geld geizender junger Mann, traf O. gerade zu der Zeit in der Weltstadt ein, als Berlioz dort heiße Kämpfe gegen den verrotteten Musikgeschmack der Pariser und für die erhabenen Werke Glucks, Mozarts und Beethovens u. a. zu bestehen hatte oder, wie die damaligen Franzosen meinten, als er sich gegen die Melodie erklärt hatte. Vorläufig besuchte der musikalisch sehr beanlagte Knabe die Celloclasse Vaslins im Conservatoire (1835–37) und erreichte es verhältnißmäßig frühe, eine Anstellung (mit 63 Frs. Monatseinkommen) im Orchester der Opéra comique zu erlangen. Seine Fortschritte, sein Talent und – des hochangesehenen Halévy’s einflußreiche Empfehlung hatten ihm den Sieg über zahlreiche Mitbewerber verschafft. Von 1841 an trat er als Solocellist auf, doch vermochte er grade keine Sensation durch seine Concertvorträge zu erregen. In’s eigentliche Fahrwasser gelangte er erst, als er nach Barbereau’s Abgang, an dessen Stelle Capellmeister im Théatre français wurde. Er besaß viel natürliches Geschick zur theatralischen Direction und es gelang ihm auch, das an sich unbedeutende Orchester dieser Bühne in kurzer Zeit emporzubringen. Vorher schon hatte er sich mit Glück in Compositionen verschiedener Art versucht. Er hatte für sein Instrument dankbare Solostücke und für das Vaudeville-Theater und den Komiker Grassot zahlreiche kleine Lieder geschrieben. Seine damals noch deutsch-gefühlsseligen Weisen waren sangbar, lieblich und fanden allgemeinen Anklang, so besonders seine Melodien zu Lafontaine’schen Fabeln **). Aber bescheidene Erfolge konnten O. nicht genügen; seine Seele dürstete nach Sensations-Erfolgen; durch jedes Mittel, um jeden Preis wollte er emporkommen und einen Namen gewinnen. Er hatte bereits eine Anzahl lustiger Einacter geschrieben, die er vergebens den Pariser Theaterdirectoren anbot. Keiner wollte mit dem unscheinbaren Judenjüngling einen ersten Versuch wagen. Da machte er Aufsehen durch den „Chanson de Fortunio“, eine Einlage in A. de Mussets „Chandelier“. Plötzlich schien es auch, als sollte er sein heißersehntes Ziel erreichen; die Posse „Pepito“ (1853) wurde in den Variétés gegeben. Doch auch das ging vorüber, ohne daß seine Hoffnungen sich erfüllt hätten. Mittlerweile hatte sich O. 1850 um die große Naturalisation beworben und sich in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche aufnehmen lassen, also alles gethan, sich bei den Parisern auch sonst ins günstigste Licht zu setzen. Da es trotzdem mit seinen Bestrebungen am Theater anzukommen, gar nicht vorwärtsgehen wollte, legte er den Dirigentenstab des Théatre français nieder, erwarb 1855 die Concession zu einem neuen Sommertheater und gründete daraufhin im Juni d. J. mit fremdem Gelde, gerade zur Zeit der Weltausstellung, in der salle Lacazes (Herz [?], Champs Elysées) seine besondere, Bouffes Parisiens, genannte Bühne. Der Name Bouffes sollte an die italienischen Singspiele früherer Zeiten erinnern, denen die Bouffons des vorigen Jahrhunderts und die Opéra comique entstammten. Dem veränderten Geschmack der Gegenwart klug Rechnung tragend, reducirte er den scenischen Apparat und die Anzahl der handelnden [168] Personen in seinen Singspielen auf ein Minimum; Chöre benützte er gar nicht. Das musikalische Element mußte demgemäß sehr beschränkt werden; aber dafür gelangte nun das einfache, discret begleitete Lied (la Chanson) wieder zu seinem Rechte. O. arbeitete mit eisernem Fleiß. Vielfach brachte er in einem Jahre 6–8 neue Piècen auf seine Bühne. Allerdings bestanden seine Singspiele meist nur aus Vaudeville-Gesängen, kurzen einstimmigen, in eine musikalische und textliche Pointe auslaufenden Liedern. In seiner Art stellte er sich als eine glänzende Specialität, eine der originellsten Künstlerindividualitäten dar; seine Fantasie erschien unerschöpflich, sein Talent bethätigte sich in überzeugendster Weise. Sohn seines Jahrhunderts, ein wirklich moderner Mensch, war er zugleich Geschäftsmann und Philosoph. Trotzdem er mit erstaunlicher Leichtigkeit producirte, arbeitete er nicht flüchtig, sondern jedes Detail berücksichtigend. Er vermochte unter allen erdenklichen Störungen, von schmerzhaften Krankheiten gepeinigt, an jedem Orte, zu jeder Zeit unermüdlich weiterzuschaffen. Seine Partituren sind mit peinlichster Sorgfalt abgefaßt. Nie hielt er eine für ganz abgeschlossen. Noch während der Proben änderte und besserte er, schied er unbedenklich hübscheste Nummern aus, wenn sie die Handlung aufhielten, und schrieb neue, sofern er es geboten glaubte. Seiner künstlerischen Gewissenhaftigkeit ward keine Beruhigung, solange er nicht jedes seiner Werke vollendet und bühnenwirksam wußte. Auch an seinen ihm so leicht zufließenden Melodien änderte er unausgesetzt, bis namentlich der Rhythmus ihm packend und originell erschien. Er glich hierin H. Heine, der auch an seinen leichtesten und flüchtigsten Versen rastlos änderte und feilte. O. bedurfte der einfachsten Begleitung weniger Accorde, um eine Unzahl ansprechender und charakteristischer Weisen darüber zu schreiben. Sein harmonisches und contrapunctisches Können stand überhaupt weit unter seinem melodischen und rhythmischen Talent, dennoch besitzt seine Musik eine komische Kraft eminenter Art, und bei aller Zurückhaltung besaß er für charakteristische Instrumentirung ein sehr feines Verständniß. – O. siedelte aus den Champs-Elysées *) nach wenigen Monaten schon in ein in der passage Choiseul gelegenes Theater über, in dem früher der Escamoteur Comte ein vielbesuchtes Kindertheater gehabt hatte. Die beiden Eröffnungsopern „Une Nuit blanche“, und „Les deux Aveugles“, hatten wünschenswerthen Erfolg. Nichts aber ward auch von jetzt ab von dem Unternehmer versäumt, um das Publikum anzuziehen. Er eröffnete Concurse, schrieb Preise aus und componirte in diesem von fabelhafter Thätigkeit erfüllten Jahre noch fünf einactige Operetten **). 1857 und 1858 machte er sogar mit seiner Truppe Reisen nach Deutschland und England. – O. feierte in seinem kleinen Theater die größten Triumphe, besonders seit er 1858 mit seinem 300 mal aufgeführten „Orphée aux enfers“ hervorgetreten war. Dem unermüdlich vorwärts strebenden wurden aber allmählich die Grenzen, in denen er sich bisher bewegen mußte, zu enge. Er legte 1866 die Direction der Bouffes Parisiens nieder und führte seine folgenden Compositionen, allerdings mit wechselndem Glücke, in den Variétés, Menus-Plaisirs, Folies-Nouvelles, Folies-Dramatiques, im Gaîté und Palais-Royal, in der [169] Opéra comique u. a. O. auf *). Das Jahr 1870 vertrieb ihn zeitweise aus Paris. Unter den wieder dahin zurückgekehrten Deutschen war er einer der ersten. Aber das für Frankreich so unglückliche Kriegsjahr brachte auch in seiner Carrière eine jähe, ungeahnte Wendung. Die Gunst des Publikums hatte sich von ihm abgekehrt, er wurde in stille Acht gethan. Man wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den verhaßten Germanen, der in Paris so reich geworden und geflohen war, als Gefahr nahte. In Deutschland ward er nicht minder geschmäht, weil er seine Lieblingsstadt wieder aufgesucht, um die dortigen corrumpirten Genußmenschen durch seine raffinirten Melodien noch mehr zu corrumpiren. „Paris schämte sich momentan seiner in der Kaiserzeit verübten Leichtfertigkeiten. Es half O. nichts, daß er sein Band der Ehrenlegion in Foliogröße trug, den Kopf so hoch wie möglich hielt, rastlos arbeitete, in einem durch die Blätter die Runde machenden Brief, das deutsche Bier verleugnete, deutsches Sauerkraut verunglimpfte, jede Zusammengehörigkeit mit den barbarischen têtes-carrées jenseits des Rheins energisch abwies. Man wollte ihm fortan nun einmal seine Herkunft, die er weder durch seine Nase, noch durch seine Aussprache verleugnen konnte, nicht mehr verzeihen“. Das war aber nicht das Einzige, was ihm schwere Sorgen verursachte. Neben sich sah er Sterne emporsteigen, die den seinen erbleichen machten. Lecocq, der durch seine „La Fille de Mad. Angot“, in der er Offenbach so geschickt alle seine Finten abgeguckt hatte, plötzlich der Held des Tages geworden war, drohte „La belle Hélène“ zu verdrängen. Die undankbaren Pariser jubelten nur ihm jetzt noch zu. Es erhob sich ein wilder Zeitungssturm, wie er nur in Paris möglich ist, gegen den „Prussien“, von dem man sich nun einmal nicht mehr amüsiren lassen wollte, und um sein Unglück voll zu machen, verfolgte ihn. den leidenschaftlichsten Spieler, der in guten Tagen oft in einer Nacht 50,000 Frs. gewonnen oder auch verloren hatte, das hartnäckigste Pech im Spiel. Partituren und Karten, Freunde und Glück verriethen ihn gleicherweise. Es half ihm nichts, daß er mit fieberhafter Hast componirte; alle seine Stücke hatten entweder keinen, oder nur geringen Erfolg. Da verfiel er auf den unglückseligen Gedanken, die Direction des Gaîté–Theaters zu übernehmen (Sept. 1873), um sich dadurch wieder auch financiell zu arrangiren. Er führte Novitäten mit einem selbst in Paris unerhörten Luxus auf, schrieb Oper auf Oper **), um nach kurzer Zeit das Directionscabinet, das er mit einem Vermögen von einer Million betreten hatte, als Besitzer einer Baarschaft von 300 Frs. wieder zu verlassen. Nach seiner Rückkehr aus Amerika (auch während der Reise hatte seine Feder nicht geruht) finden wir ihn aufs neue am Schreibtisch, um einige 100,000 Frs., die er mitgebracht, wieder zur Million hinaufzutreiben. Obwohl nun 58 Jahre alt und von Krankheit schwer heimgesucht, schien er weder den Muth, noch die Spannkraft der Jugend verloren zu haben. Eine Operette nach der anderen vollendete er, aber fast alle fielen durch ***). Endlich errang seine hundertste, „La Fille du [170] tambour-major“, wieder glänzenden Erfolg. Darauf hin kam sogar der Director Koning vom Renaissance-Theater, der Beschützer Lecocq’s, zu ihm und erbat sich, wie einst in guten Tagen, wieder ein Stück von ihm. In dem selbstbewußten Ausruf voll Stolz und Bitterkeit: „Endlich wird man auf Ihrer Bühne wieder Musik hören“! machte sich der Groll, der 10 Jahre Offenbach’s Seele gepreßt hielt, Luft. Er schrieb noch ein großes Ballet: „Les Papillons“ (? „La belle Lurette“ ?) und eine große Oper: „Les contes d’Hoffmann“, deren Aufführung er aber nicht mehr erlebte. Ein Gichtanfall, der das Herz ergriff, machte nach 12stündiger Agonie seinem thätigen Leben ein Ende. Er starb mit den Tröstungen der Religion versehen, nach schmerzlichem Todeskampf, am 5. Oct. 1880 morgens gegen 4 Uhr und ward, von der Madeleinekirche aus, auf dem Montmartre begraben.
Offenbach: Jakob (Jacques) O., geb. am 21. Juni 1819 zu Köln, † am 5. October 1880 in Paris, Sohn des Juda O. (eigentlich Eberscht), Vorsängers der Judengemeinde in KölnNeben 16 Heften Cellocompositionen und mehreren Liederwerken hatte O. in 27 Jahren, seit seinem „Pepito“ 102 Bühnenstücke geschrieben. – Mit ihm verschwand eine überaus originelle und charakteristische Figur aus der Komödie des Pariser Lebens, in der er durch anderthalb Jahrzehnte eine allererste Rolle gespielt und auf das er einen wohl fascinirenden, aber nichts weniger als veredelnden Einfluß geübt hatte. Er war nicht der erste Deutsche und nicht der einzige deutsche Jacob (Giacomo Meyerbeer), der den Parisern und von Paris aus, der ganzen Welt zu Dank sang, und, indem er den unverwüstlichen Schwächen der Menschen, deren Erforschung und Befriedigung ebensoviel Geist, Gewandtheit und Arbeit erfordern, als die edelsten und höchsten Darbringungen echter Kunst, unausgesetzt schmeichelte, das Kunstleben verliederlichte. Er vermochte sich bis zum Aufgeben seines eigenen Ichs, bis zum letzten Funken von Gewissenhaftigkeit, bis zur Schamlosigkeit einer frivolen Zeitströmung anzupassen. Aber man wird ihn, den stets originellen, vielleicht weniger strenge beurtheilen, wenn man sieht, wie seine Nachahmer in Deutschland (Suppé, Strauß, Deiringer u. a.) mit allen Kräften darnach jagen, ihn noch zu überbieten und „à la O. zu rhythmisiren, zu cancanisiren, zu frivolisiren, zu chantiren und zu charmiren“. O. hatte das Glück, wenn man es so nennen will, am Beginn seiner Laufbahn den feinsten Faiseurs des dramatischen Handwerkes: Meilhac und Halévy, bekannt zu werden. Schöne Seelen ziehen sich an. Die beiden Poeten waren Meister in der musikalisch-dramatischen Parodie. Das Erhabene zu persifliren, es für ihre Bühnenspiele ungenirt auszubeuten, war ihre Lust; sie waren es, die Offenbach’s Carriere bestimmten und Mons. Jacques hinwiederum besaß ein eminentes Talent gerade für die musikalische Parodie *). Er war so recht der Musiker des verlotterten zweiten Kaiserreichs und das „genre canaille“, das er mit so glänzendem Geschicke cultivirte, die „Offenbachiade“, die er ganz allein schuf und der er seinen Namen gab, das unübersetzbare Wort „musiquette“ (Miniatur- und Caricaturmusik), womit man in Frankreich seine Stücke sehr treffend bezeichnete, das alles kennzeichnet sein Schaffen. Seine Musik war dabei nichts weniger als französisch. Was man an ihr französische Leichtigkeit nannte, war kosmopolitische Luftigkeit, sein sogenannter französischer Esprit uralter Judenwitz, seine französische Grazie weltmännische Liebenswürdigkeit. Aber können wir ihn auch als einen Künstler in des Wortes edelster [171] Bedeutung nicht anerkennen, er war als Musiker eine völlig ausgeprägte Persönlichkeit. „Sein Melodiensinn, seine Kunst das Orchester zu führen, seine geniale Präcisirung knapper Rhythmen, seine feine klare Zeichnung musikalischer Situationen, die charakteristischen Wendungen, wodurch er wichtige Schlagwörter hervorzuheben wußte, sind keinem seiner Nachahmer in gleichem Grade verfügbar. Zudem war er ein witziger Componist. Bisher wähnte man, der im Verstande wurzelnde Witz sei durch Töne, die man nur dem Gefühle und den Seelenstimmungen dienstbar glaubte, in der Musik nicht auszudrücken, aber Offenbach’s Witz in Tönen vervollkommnete den Witz seiner Librettisten, denen überhaupt der Witz eher ausging, als dem Musiker. Als sie über keinen mehr zu verfügen hatten, kehrte auch ihm der Erfolg den Rücken.“ In seiner Thätigkeit lassen sich recht wol drei Perioden unterscheiden, die so ziemlich mit den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren zusammenfallen. Die erste Periode ist die der kleinen einactigen Singspiele, in denen sich Offenbach’s Talent von der liebenswürdigsten und anspruchslosesten Seite zeigt. Diese Piecen machten seinen Namen mit einem Schlage bekannt, der Reiz ihrer heitergraziösen und doch charakteristischen Weisen lockte und fesselte das schaarenweise zuströmende Publicum. Sein Stil scheint noch von Mozart und Weber, von Auber und Adam entfernt beeinflußt. Offenbach’s Ehrgeiz mußte bald über die engen Formen der ersten Versuche hinausstreben; aber auch seine Kunst wuchs. Seine Erfindung wurde üppiger, seine Technik sicherer und raffinirter. Uebertreffen die bessern Partituren der zweiten Periode an musikalischem Reichthum und Witz die der ersten, so finden wir dafür in ihnen auch die frühere Einfachheit und Natürlichkeit geopfert, um frivol grotesken oder prunkhaft luxuriösen Handlungen gerecht zu werden. Diese Periode bedenklicher und ausgelassener Parodien und Travestien beginnt mit „Orphée aux enfers“ *). – Nachdem er, bevor er in seiner dritten Periode, in der er das Feld der Travestie wieder verließ und nach „la Grand-Duchesse de Gérolstein“, 1867, sich aufs neue der eigentlichen Komödie zuwandte, noch einige allerliebste Piècen geschrieben hatte **), schuf er mit immer erstaunlicher, aber doch allmählich ermattender Fruchtbarkeit noch eine Reihe von Operetten, in denen sein Talent zwar nur zeitweise noch in alter Frische aufleuchtet, die aber, feiner und maßvoller als die der zweiten Periode, sich von deren grotesken Uebertreibungen frei halten. Daß er übrigens fähig war, Hervorragendes auch im Genre der großen Oper zu leisten, bewies er durch sein letztes Werk, das im Wiener Ringtheater am 7. December 1881, am Abend vor der schauerlichen, dasselbe heimsuchenden Katastrophe seine Première in Deutschland erlebte. „Es finden sich darin Nummern von verwegener Originalität und satanisch angefachter Lustigkeit. Der Text, ein Potpourri aus Hoffmann’s sämmtlichen Erzählungen bietend, in sprunghafter Weise bizarr und spannend fortschreitend, läßt z. B. den ersten Act mit einem in der ganzen Theaterlitteratur nur dies eine Mal [172] erscheinenden Effecte schließen. Hoffmann verspricht einem großen Zuhörerkreise die Geschichte seiner drei unglücklichen Liebschaften zu erzählen und beginnt mit den Worten: „Meine erste Geliebte hieß Olympia“. In diesem Moment fällt der Vorhang. Die nun folgende Handlung tritt an die Stelle der Erzählung. Die Musik ist in den nächsten Acten voll Originalität, bald anziehend durch Grazie und überraschende Charakteristik, bald eine Gänsehaut hervorrufend durch phantastische Aufgeregtheit und dämonische Gewalt; sie erreicht ganz das wilde, berückende Traumgetümmel der Hoffmann’schen Phantasiestücke; kaum vermögen wir noch zu unterscheiden, was Hexenspuk und Wirklichkeit ist. Alle diejenigen, welche O. nur nach seinen früheren Werken beurtheilten, erkannten hier, daß sie sich über sein Talent doch sehr getäuscht hatten. Er wollte werthvolleres und bedeutenderes als das bisher von ihm gegebene schaffen und schloß seine Laufbahn mit dieser „Opéra fantastique“, die nicht wie seine bekannten Werke eine Fülle leicht hinströmender Melodien, unwiderstehliche Heiterkeit und Komik, und jene Züge Offenbach’schen Witzes, dagegen ernstere Vorzüge besitzt: geistvolle Charakteristik, gewinnende Zartheit, dramatische Verve und eine originelle Erfindung mit einem Stich ins Bizarre.“ Die Instrumentirung, von Offenbach’s Freund Guiraud vollendet, ist bei großer Einfachheit von bezauberndem Wohlklang. Sein energisches Streben und Können hat hier ein Werk geboten, das in seinem Ausdruck als ebenso wahr und stark, wie in seiner Art als merkwürdig und einzig dastehend bezeichnet werden muß. – Zwei größeren, für die Opéra-Comique geschriebenen Werken: „Le Roi Barkouf“, 1860 und „Robinson Crusoé“, 1867, sowie fünf ähnlichen, für Wien gelieferten: „La jeune Fille d’Elisondo“, 1859, „La Fée du Rhin“, 1864, „Coscoletto“, 1866, „Le Corsair Noir“ und „Fleurette“, 1872, blieb Erfolg versagt. Seine leichtbewegliche, contrapunctischer Hülfsmittel entbehrende Schreibweise reichte für ernste dramatische Stoffe nicht aus. O. selbst empfand, daß seine Stücke den vorhandenen Bühnenformen sich nicht immer einreihen ließen. Sie gehörten weder der festgestellten Gattung der Oper oder Operette oder komischen Oper, noch der der Posse an. Er nennt sie daher „bouffes“, „pièces“ u. s. w. Es ist nicht zu leugnen, daß, wie alle Werke der französischen Opernlitteratur, auch die Offenbachs durch meist unglaublich schandvolle Uebersetzungen und grobkörnige, geist- und anmuthslose, durch plumpe Uebertreibungen abstoßende Aufführungen sehr an Wirkung eingebüßt haben, aber dennoch – und wir haben gewiß nicht zurückgehalten, die guten Seiten seiner Thätigkeit und seine Vorzüge anzuerkennen, muß man im Großen und Ganzen seine Weisen meist als jeden edlen Ausdrucks entbehrend und dem Gebiet des Gassenhauers angehörig, bezeichnen. Gerade seine verbreitetsten Lieder tragen bedenklich den Stempel der Gemeinheit an der Stirn. Es ist daher nicht zu beklagen, wenn sie mit jedem Jahre mehr und mehr verklingen. Es war sein Verhängniß für ein Publicum schreiben zu müssen, das nach des Tages Mühen sich gedankenlos an dem üppigsten Blödsinn und dem banalsten Klingklang amüsiren wollte. Je toller das Unwesen auf der Bühne wurde, je unverhüllter sich die lüsterne Ausgelassenheit dort gab, um so lauter jubelte das Parterre. Mit Riesenschritten ging es nun aber auch abwärts, bis jede Spur wahrer Kunst getilgt war. – O. war der Held des Tages, seine Stücke machten die Reise um die Welt, Goldströme flossen in des Componisten Tasche. Es ist bezeichnend, daß er von Deutschland aus nur von Wien, Baden-Baden und Ems Aufträge erhielt. O., der als guter, wohlwollender Mensch geschildert wird, war für Freundschaft sehr empfänglich und schwach, er war naiv, weichmüthig und arglos wie ein Kind. Er lächelte gerne über die Schwächen Anderer und liebte es mit einem gewissen Aplomb Witzblitze zu schleudern. „Seine spindeldürre Gedankenstrichgestalt, auf der die messerschneidenscharfe Maske eines outrirenden Satyrs [173] saß, war klein, verwittert, energielos und zerfallen, der Rücken leicht erhöht; die Beine zappelten beständig. Er erschien stets, immer auffallend pariserisch gekleidet, als ein echter Boulevardier vom Monocle bis zu den Tuchgamaschen. Nicht ein einziger bedeutender Zug kennzeichnete seine Physiognomie. Die Nase wies auf schneidig kleinliche Findigkeit hin, die Augen schimmerten klüglich, zuweilen etwas schadenfroh, um den Mund lag es beständig wie eine verächtliche Kritik des ganzen Welttreibens; der lang ausgezogene Seitenbart zuckte mit dem zuckenden Munde und den eingefallenen gelblichen Wangen unaufhörlich. Sein Augenglas ruhte nie; es fiel regelmäßig immer wieder von der Nase über das länglich spitze Kinn und wurde dann in demselben großen Bogen von dem magern rechten Arme, gewöhnlich mit einer dazu gemachten geistreich sein sollenden Bemerkung wieder an seine Stelle gesetzt.“ Sein Leben, äußerlich so glänzend, scheinbar so beneidenswerth, thatsächlich so reich an berauschenden Erfolgen, war keineswegs vom Sonnenschein dauernden Glückes erhellt. Am Beginn seiner Laufbahn stand die Noth, am Ende derselben die Sorge an seiner Seite. Abgesehen von vielen finanziellen Unfällen, quälte es ihn unaufhörlich, den Abstand seiner letzten, schwachen Werke, mit denen früherer Perioden sich zugestehen zu müssen. Das berauschende Prickeln, das diese belebte, war in jenen zu öder Langeweile erstarrt. Sehr schätzbare Essays über O. besitzen wir von H. Dorn, M. Goldstein, Ed. Hanslick, M. Nordau u. a.
Jules O. war ein älterer Bruder von Jacques und kam mit diesem zugleich nach Paris. Auch er wurde dort für seine ganze Lebensdauer gefesselt. Er starb drei Tage nach seinem berühmten Bruder und ward an dessen Seite zur ewigen Ruhe gebettet. Er war Violinspieler und dirigirte lange den deutschen Männergesangverein „Teutonia“. Der energielose, träumerische, bequeme, in seinen Ansprüchen an das Leben höchst bescheidene Mensch, mußte zuletzt von seinem Bruder unterstützt werden, um nicht Hungers zu sterben. (Ueber ihn H. Widmann in e. Feuilleton der N. Fr. Presse).
[166] *) Von ihm erschien 1838: „Hagadah oder Erzählung von Israels Auszug aus Egypten“. 1839: „Allgemeines Gebetbuch für die israelitische Jugend“.
[167] *) Eine nothgedrungene, ziemlich mißrathene Reise, die er 1876 durch Nordamerika machte, beschrieb er selbst in seinem Buche: „Notes d’un musicien en voyage“. Paris, Lövy, 1877, in 12°. O. galt für einen gewandten Theatercapellmeister, war aber nur ein mittelmäßiger Orchesterdirigent, dem namentlich das Verständniß für unsere Classiker ganz abging.
[167] **) Die in den Salons am liebsten gesungenen waren: „Das Heimchen und die Ameise“; „Der Rabe“; „Der Schuhflicker“; „Die Ratte“; „Der Wolf und das Lamm“ etc.
[168] *) Dort wurden gegeben: „Entrez, Messieurs! Entrez, Medames!“ „Oy ay aye“; „Luc et Lucette“.
[168] **) Außer den beiden angeführten: „Le Rêve d’une nuit d’été“; „Le Violoneux“; „Mad. Papillon“; „Périnette“; „Ba-Ta-Clan“. In den nächsten Jahren folgten 1856: „Un Postillon en gage“; „Tromb-Al-Ca-Zar“; „La Rose de Saint-Flour“; „Les Dragées du Baptême“; „Le Financier et le Savetier“; „Le Soixante-Six“; „La Bonne d’enfants“. 1857: „Les trois Baisers du Diable“; „Croquefer ou le dernier des Paladins“; „Dragonette“; „Vent du soir ou l’horrible Festin“; „Une Demoiselle en loterie“; „Le Mariage aux lanternes“; „Les deux Pècheurs“; „Les petits Prodiges“. 1858: „Mesdames de la Halle“; „La Chatte métamorphosée en femme“.
[169] *) Staunenswerthen Erfolg hatten: „Geneviève de Brabant“ (1859); „La belle Hélène“ (1864); „Barbe-Bleue“ (1866); „La Vie Parisienne“; „La Grand-Duchesse de Gérolstein“ (1867) u. a.
[169] **) In den Jahren 1871–1875 schuf O. folgende Werke: „Boule de neige“ 1871; „Le Roi Carotte“, 1872, die einzige Composition dieser Zeit (eine Verhöhnung des kleinstaatlichen deutschen Hoflebens), die ungeheuren Erfolg hatte und 100 Aufführungen nacheinander erlebte; „Fleurette“; „Fantasio“; „Les Braconniers“, 1873. „Pomme d’api“; „La jolie Parfumeuse“; „Bagatelle“, 1874. „Mad. l’Archiduc“; „Wittington et son Chat“ (für London); „Les Hannetons“; „La Boulangerie a des écus“; „Le Voyage dans la Lune“; „La Créole“ 1875. Die meisten dieser Werke sind nicht flüchtige Einacter, sondern Piecen von drei und vier Acten.
[169] ***) In diese letzte Zeit fallen: „Pierrete et Jacquot“, 1876. „La Boîte au Lait“; „Le Docteur Ox“, 1877. „La Foire Saint-Laurent“; „Maitre Peronilla“, 1878. „La Marocaine“; „Mad. Favart“; „La belle Lurette“, 1879 u. a.
[170] *) Für O. arbeiteten alle gleichzeitigen Librettisten (stets in Compagnie), von den obengenannten sind allerdings seine besten Texte. Nur um den jedenfalls interessanten Beweis zu geben, wie zahlreich das Genre der Operndichter in Paris vertreten ist, führen wir hier die Dichter der Offenbachiaden an: Léon Battu, Hector Crémieux, E. Blum, Eug. Grangé, J. Noriac, Chivot, Duru, Alb. Millaud, Et. Tréfeu, Méllesville, Carmouche, Ph. Gille, Leterrier, Vanloo, Mortier, Nuitter, Ascher, Forges, Riche, Prével, Vict. Sardou, Elie Frébault, Scribe, Boisseaux, Jul. Servières, Jaime, Clairville, M. Delaporte, Laurencin, Lussan, Jul. Adenis, Mestepés, Chevalet, Siraudin, M. Carré, Bourget, Dupenty, Jul. Moineaux, Méry, P. Dubois, Arm. Lapointe, Saint-Rémy u. a.
[171] *) Hierher zählen, außer schon genannten Operetten, noch: „Un Mari à la porte“; „Les Vivandières de la grande armée“, 1859. „Le Carnaval des revues“; „Daphnis et Chloé“; „Barkouf“; „Le Papillon“, 1860. „La Chanson de Fortunio“; „Le Pont des soupirs“; „M. Choufleury restera chez lui le …“; „Apothicaire et Perruquier“; „Le Roman comique“, 1861; „Monsieur et Madame Denis“; „Le Voyage de M. M. Dunanan père et fils“, 1862. „Les Bavards“, 1863. „Lischen et Fritzchen“; „L’Amour chanteur“; „Il Signor Fagotto“; „Les Géorgiennes“; „Le Fifre enchanté ou Le Soldat magicien“; „Jeanne qui pleure et Jean qui rit“, 1864. „Coscolotto“; „Les Bergers“, 1865.
[171] **) 1869: „La Princesse de Trébizonde“; „Vert-Vert“; „La Diva“; „Les Brigands“; „La Romance de la rose“. Unmittelbar vorausgegangen waren diesen Piècen: 1867: „La Permission de dix heures“; „La Leçon de chant“. 1868: „L’Île de Tulipatan“; „Le Château à Toto“; „La Périchole“.