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ADB:Olshausen, Hermann

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Artikel „Olshausen, Hermann“ von Friedrich Sieffert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 323–328, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Olshausen,_Hermann&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 13:42 Uhr UTC)
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Olshausen: Hermann O., gelehrter, besonders um die Auslegung neutestamentlicher Schriften verdienter Theologe, wurde als der älteste Sohn von Detlef Johann Wilhelm O. (s. o.) geboren am 21. August 1796 zu Oldesloe im Herzogthum Holstein, wo sein Vater damals Prediger war. Von letzterem erhielt er zunächst mit seinen jüngeren Brüdern gemeinsam den ersten Unterricht. Als aber derselbe nach Glückstadt versetzt war, besuchte er zu seiner weiteren Ausbildung die dortige Gelehrtenschule. Dann begab er sich 1814, um sich dem Studium der Theologie zu widmen, auf die Universität Kiel und nach zweijährigem Aufenthalt daselbst zur Vollendung seiner Studien nach Berlin. An letzterem Orte empfing er nun mannigfache für sein weiteres Leben in verschiedener Beziehung entscheidende Einwirkungen. Für seine innere Entwickelung wurde es bedeutsam, daß hier sein christlicher Glaube durch den Einfluß eines Kreises von Freunden, der sich besonders an Neander angeschlossen hatte, volle Lebendigkeit und Entschiedenheit erhielt. Durch Neander wurde er aber auch zugleich in wissenschaftliche Arbeit eingeführt, deren Erfolg wiederum für seinen äußeren Lebensgang bestimmend wurde. Als bei Gelegenheit des 300jährigen Reformationsjubiläums 1817 von Seiten der Berliner Universität für die Aufgabe, das in Melanchthon’s Briefen enthaltene Material für die Kenntniß seines Lebens [324] zu verwerthen, ein Preis ausgesetzt war, gewann O. denselben durch seine eingehende Arbeit, die dann auch unter dem Titel „Melanchthons Charakteristik aus seinen Briefen dargestellt“ 1818 im Druck erschien. Dadurch wurde nun das preußische Ministerium auf ihn aufmerksam, infolge dessen er sofort eine Repetentenstelle erhielt und, nachdem er 1820 den Grad eines Licentiaten der Theologie sowie die Privatdocentenwürde erworben und durch seine Schrift „Historiae ecclesiae veteris monumenta praecipua“, 1820, seine wissenschaftlichen Kenntnisse auch auf dem Gebiete der älteren Kirchengeschichte erwiesen hatte, 1821 zum außerordentlichen Professor an der Universität zu Königsberg i. Pr. ernannt wurde.

Hatte er nun bisher unter Neander’s Einfluß besonders kirchengeschichtliche Studien betrieben, so wandte er sich jetzt ganz der neutestamentlichen Bibelauslegung zu. Den Uebergang dazu machte er durch eine die älteste Geschichte des neutestamentlichen Canons betreffende Untersuchung „Die Aechtheit der vier kanonischen Evangelien, aus der Geschichte der zwei ersten Jahrhunderte erwiesen“, Königsberg 1823. Nachdem er so der Kritik gegenüber die Fundamente seiner exegetischen Arbeit zu sichern gesucht hatte, lag es ihm daran, zunächst die allgemeinen Grundsätze derselben aufzustellen im Gegensatze gegen die herrschenden Auslegungsmethoden. Das that er in den Schriften „Ein Wort über tieferen Schriftsinn“ 1824 und „Die biblische Schriftauslegung; noch ein Wort über tieferen Schriftsinn“ 1825 nebst der Vertheidigung derselben in der Evangelischen Kirchenzeitung. Ueber zwei Extreme zugleich will hier O. hinausführen zu einer tieferen und richtigeren Anschauung, über die einseitig grammatisch-historische Erklärung, welche den religiösen Sinn der Schriften nicht zur vollen Geltung kommen läßt, wie über die dogmatische Exegese, welche eine Form des Religiösen statt des Wesens betone und die verschiedenen Stufen der religiösen Entwickelung aus Mangel an Erfahrung verkenne. Um von beiden Methoden das Wahre festzuhalten, das Irrige zu vermeiden, müsse man den Standpunkt des lebendigen Glaubens einnehmen, der die christliche Lehre ins Leben übertrage und das persönliche Streben nach Erneuerung einschließe. Auf diesem Standpunkte stehend, hätten schon die Apostel selbst die Schrift in der rechten Weise ausgelegt als etwas in allen Theilen zu unserer Zucht und Besserung Geschriebenes, und so seien sie zu einer Auslegung gelangt, welche der sogenannten allegorischen ähnlich sehe, während sie doch nicht die Typen und Allegorien als etwas an sich Bedeutsames suchten, sondern nur, um das ewige Leben der Leser zu fördern, in parabolischer Rede jedes Natur- und Menschenverhältniß zum sittlichen Spiegel, in allegorischer Auslegung jedes Verhältniß des Volks, jede Ordnung in Sitte und Cultus zu einem Erziehungsmittel für ein höheres Dasein werden ließen. Dem solle die rechte Bibelauslegung, die lieber nicht als allegorische, sondern besser als biblische zu bezeichnen sei, so viel wie möglich entsprechen. Dieselbe müsse eine feste grammatisch-historische Grundlage haben, aber auch der Thatsache gerecht werden, daß die biblischen Schriften religiöser Art und zwar die tiefsten Ausflüsse des religiösen Lebens in der Menschheit, Erzeugnisse der Centralnaturen des menschlichen Geschlechtes seien. Danach sei für alles Schriftverständniß religiöser Sinn und zwar ein lebendiges Bedürfniß nach Erneuerung und Heiligung erforderlich. Stehe jemand auf diesem echt religiösen und ethischen Standpunkt, so brauche er nicht grübelnd nach Typen und Allegorien in der Bibel zu suchen, was vielmehr nur nachtheilig sei; sondern seine Auslegung gestalte sich von selbst ähnlich wie die der Apostel. Ungesucht werde er in der heiligen Geschichte überall Bilder erkennen, die Bibel werde ihm ein lebendiges Ganzes, eine einzige Weissagung vom Siege des Lichts über die Finsterniß, ein wundervolles Bild der Entwickelungsgeschichte der Menschheit, in dessen Mitte [325] Jesus, seine Thaten, sein Leiden, sein Sterben prophetisch strahle als die funkelnde Sonne, aber innig eins mit den Menschen, seinen Brüdern, so daß von ihm, als dem Centrum, aus das Licht über uns durchströme durch alle Radien bis in die fernsten Punkte des Umkreises, denn was seine Heiligen gethan hätten je und je, das thue er in ihnen, aber auch sie in ihm, ja die biblische Sprache bezeichne als Christus die ganze in der Geistessalbung begriffene Menschheit von Ur an bis ans Ende der Tage und die in der Heiligung der Menschheit sich wirksam zeigende Gottheit, also die in der Gesammtheit menschwerdende Gottheit (vgl. besonders „Biblische Schriftauslegung“ S. 33). Von diesem Standpunkte aus könne man auch allein die biblische Prophetie verstehen, nämlich sowol den örtlichen und zeitlichen Sinn, den die Rationalisten mit Recht aufgewiesen hätten, anerkennen, als zugleich die Wahrheit der prophetischen Auffassung zur Geltung kommen lassen, denn die heilige Schrift sei die Geschichte der Menschheit in ihren innersten Lebensimpulsen aufgefaßt; indem also alles Geschichte in ihr sei, sei zugleich alles Weissagung. – Man wird nicht sagen können, daß dies alles klar und deutlich ist. Und die subjective Willkür, welche die Gefahr aller allegorischen Auslegung ist, hat auch O. von der durch ihn empfohlenen Form derselben nicht ferngehalten. Aber der Reichthum an Geist und feiner Beobachtung ist in jenen Ideen, an welchen jeder Kenner der Schrifttheologie Hofmann’s in dieser manche Anklänge finden wird, nicht zu verkennen, und das sie einen wirklichen Fortschritt in der Auslegung der biblischen Schriften nach manchen Seiten hin begründen konnten, das vermochte O. bald durch eigene Ausführung seiner Theorie zu bewähren. Zwar zunächst wandte er seine Arbeit einigen anderen Gegenständen zu, wie sein Universitätsprogramm „De naturae humanae trichotomia N. T. scriptoribus recepta“, 1825 und seine Ausgabe der Schrift Augustin’s „De spiritu et litera“ 1826 beweisen. Nachdem er aber 1826 Doctor der Theologie und 1827 ordentlicher Professor geworden war, ging er daran einen „Biblischen Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments zunächst für Prediger und Studirende“ zu verfassen, von welchem 1830 der erste Band erschien. Derselbe läßt in der That seine Auslegungsgrundsätze nach ihren Schatten- und Lichtseiten sehr erkennbar wiederspiegeln. Denn einerseits zeigt sich darin manches Gezwungene und Spielende, namentlich in typologischen Versuchen, sowie auch ein erheblicher Mangel an Erkenntniß der natürlich bedingten schriftstellerischen Eigenthümlichkeit der einzelnen neutestamentlichen Autoren. Aber auf der anderen Seite ist es durchaus rühmlich anzuerkennen, daß das Bestreben alles Einzelne möglichst aus dem Zusammenhange der gesammten Offenbarungsgeschichte zu erklären und von dem Buchstaben zum innersten Geiste, von den Worten zu den wirkenden Lebensmächten in der Bibel weiter vorzudringen, zu einer wirklichen Bereicherung und Vertiefung ihres Verständnisses geführt hat. Es war daher zu bedauern, daß O. nicht mehr als die vier ersten Bände seines Unternehmens erscheinen lassen konnte, deren schnelle Verbreitung in mehreren aufeinander folgenden Auflagen das Bedürfniß nach einer solchen Schriftauslegung bewies. Indessen fand das von ihm begonnene Werk in Ebrard und Wiesinger ebenbürtige, in wesentlich gleichem Geiste und dabei größerer Freiheit von seinen typologischen Neigungen arbeitende Fortsetzer.

Daß er aber selbst zur Vollendung seiner exegetischen Arbeit nicht kam, hatte zum großen Theil seinen Grund darin, daß er seine Zeit und Kraft gleichzeitig in reichem Maße den Interessen des praktischen religiösen und kirchlichen Lebens widmete. Und die Gestaltung desselben war damals in Königsberg der Art, daß es eine Natur wie O. in hohem Maße zur entschiedenen Betheiligung und Stellungnahme veranlassen mußte. Während im übrigen dort im Beginn dieses Jahrhunderts eine an die Kantische Philosophie sich anschließende religiöse [326] Aufklärung von ziemlich platter Art zur Herrschaft gekommen war, hatte sich ein tieferes, wärmeres und lebendigeres Christenthum zunächst in einer sehr bedenklichen Form entwickelt. Den ersten entscheidendsten Anstoß dazu hatte eine der originellsten und wunderlichsten Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts gegeben, Heinrich Schönherr, der aus christlichen und modernen naturphilosophischen Ideen sich ein den gnostischen Lehren des kirchlichen Alterthums verwandtes theosophisches System zusammengewoben hatte. Durch das Aufeinanderstoßen von zwei ewigen einander entgegengesetzten Urwesen ist nicht blos die Welt, sondern auch Gott entstanden. Krone der Schöpfung ist der Mensch, in welchem der ganze durch jene hindurchgehende Proceß der Zusammenwirkung der beiden urwesentlichen Kräfte zum Abschluß kommen soll. Je nach der Stärke der letzteren in den Menschen theilen sich diese in Central- und Nebennaturen und je nach dem Vorwiegen einer der beiden urwesentlichen Kräfte in Licht- und Finsternißnaturen. Die Harmonie aber zwischen den urwesentlichen Kräften, die Erlösung, wird hergestellt durch denjenigen Menschen, der in seiner Person die äußersten Enden des Weltganzen umfaßt und sich zu den anderen Menschen wie das Ganze zu seinen Theilen verhält, Jesus Christus. Durch Vergießung seines Blutes, in dem sich seine Heiligkeit fixirt hat, auf die Erde verbreitet sich auch jene als Samen der Wiedergeburt durch die Welt hin. Dies waren die Grundgedanken des Systems, welches Schönherr als ein vermeintlich in der Bibel selbst enthaltenes, zum Theil in dieselbe durch allegorische Erklärung hineingelegtes zunächst in einem kleinen Kreise von Freunden und unter einigen Leuten geringen Standes verbreitete, bis der durch ihn zu lebendigem christlichem Glauben erweckte Prediger Ebel mit seiner liebenswürdigen fesselnden Persönlichkeit, reichen Begabung und vielseitigen Bildung auch in den vornehmsten Cirkeln der Königsberger Gesellschaft und von der Kanzel herab in weiten Kreisen der Gemeinde die Schönherr’schen Ideen zu verbreiten begann, freilich mit vorsichtiger Zurückstellung ihrer vom biblischen Christenthum abweichenden Elemente für engere Kreise von Eingeweihten. Als O. nach Königsberg kam, war bereits seit 1819 infolge von heftigen Zwistigkeiten ein gänzlicher Abbruch aller persönlichen Beziehungen zwischen Schönherr und Ebel erfolgt, der aber den Letzteren in seiner Ueberzeugung von der Wahrheit der Schönherr’schen Ideen in keiner Weise wankend machte und auch seinem wachsenden Erfolge nicht schadete. Eine ganze Reihe von angesehenen, durch hohe Geburt, geistige Begabung und äußere Stellung hervorragenden Männern mit Frauen schaarten sich um die fast zauberhaft anziehende Persönlichkeit Ebel’s und die geistvolle Form, in der er das positive Christenthum für Erkenntniß und Leben geltend machte. Alles dies verfehlte auch auf O. seine Wirkung nicht. Bald nach seiner Ankunft in Königsberg schloß er sich dem Ebel’schen Kreise an. Und selbst die dürftigen Andeutungen, die hier nur von der Theosophie Schönherr’s und der hermeneutischen Theorie Olshausen’s gegeben werden konnten, werden erkennen lassen, wie stark Letzterer durch jene von Ebel verbreiteten und dem Bibelglauben noch mehr angenäherten Schönherrschen Ideen beeinflußt war. Indessen allmählich mußte doch das Ungesunde, das schon in den Wurzeln der ganzen von Schönherr ausgegangenen Entwickelung neben vielem Guten enthalten war, immer stärker an die Oberfläche treten. Und O. besaß hinreichend nüchternes, durch den einfachen Bibelglauben in seiner Grundlage bestimmtes Urtheil, um dies zu erkennen. Besonders aber wurde zunächst ihm nun doch auch wie anderen die immer drückender gewordene geistige Herrschaft, welche Ebel über seine Anhänger ausübte, schließlich unerträglich. Nach dem Vorgange eines angesehenen medicinischen Collegen, des Professors Sachs, der zum Ebel’schen Kreise gleichfalls gehört hatte, sagte auch O. sich von demselben im Beginne des Jahres 1826 vollständig los, was [327] er in einem ausführlichen Briefe an Ebel und sodann noch in einer öffentlichen Schrift „Christus, der einige Meister“, Königsberg 1826, rechtfertigte, übrigens an beiden Orten gar nicht etwa mit Hinweis auf bedenkliche Seiten der von Ebel verkündeten Lehre, sondern lediglich mit Berufung auf die Gefahren hierarchischer Herrschaft und knechtischer Abhängigkeit für die christliche Entwickelung der Einzelnen. – Für die so verloren gegangene christliche Gemeinschaft in den Ebel’schen Cirkeln wurde O. bald darauf reich entschädigt, als er im October 1827 mit Agnes v. Prittwitz-Gaffron, die er das Jahr vorher auf einer Reise in Schlesien kennen gelernt hatte, eine Ehe einging, welche, obschon kinderlos geblieben, doch eine überaus glückliche war, weil sie aus der innigsten Gemeinschaft des christlichen Glaubenlebens beruhte. Und allmählich fanden sich nun in Königsberg auch einige Geistliche zusammen, welche, ohne dem Ebel’schen Kreise anzugehören, auf den eine entschiedene Verkündigung des biblischen Christenthums ursprünglich beschränkt gewesen war, doch das Letztere auch ihrerseits vertraten. Der Sammelpunkt dieser Elemente wurde nun ein durch O. gegründetes Predigerkränzchen. welches sich schnell zu einer öffentlicheren Conferenz entwickelte. Aber damit wuchs auch die Spannung zwischen beiden Kreisen, durch O. selbst freilich am meisten verschärft, und es kam zu bedauerlichen heftigen Auftritten. Als nun das große Publikum darüber seine Freude hatte, indem es die verhaßten „Mucker“, welchen Namen es ursprünglich für die Ebeljaner gebildet, nun aber auch auf die Anhänger Olshausen’s übertragen hatte, untereinander im Kampfe sah, da suchte O. zur Klärung und zur Vertheidigung der von ihm begründeten Conferenz beizutragen durch seine Schrift „Ein Wort der Verständigung an alle Wohlmeinenden über die Stellung des Evangeliums zu unserer Zeit“, 1833. Damit aber rief er einen erbitterten litterarischen Kampf hervor. Ein Anhänger Ebel’s und der Schönherr’schen Ideen, der Prediger Diestel in Königsberg, veröffentlichte gegen O. zwei Gegenschriften: „Wie das Evangelium entstellt wird in unserer Zeit“, 1833, und „Zur Scheidung und Unterscheidung ein Merkzeichen gestellt der gegenwärtigen Christenheit“, 1834, worauf O. nicht nur mit einem Angriff auf Diestel antwortete „Die zwei neuesten Schriften des Herrn Prediger Diestel beurtheilt“, 1834, sondern nun auch mit einer Kritik des Schönherr’schen Systems in der Schrift: „Lehre und Leben des Königsberger Theosophen Johann Heinrich Schönherr“, 1834, worin er den Anhängern dieses Theosophen Verfälschung des Christenthums, besonders der Rechtfertigungslehre, vorwirft. Zur Antwort dienten dann wieder zwei Schriften aus dem Kreise der dadurch Angegriffenen: „Ursache und Wirkung auch im Bereiche des Glaubens geltend gemacht und erwiesen“, 1835, von Diestel, und: „Die apostolische Predigt ist zeitgemäß. Ein Wort an Alle, welche Christen sein wollen“, 1835, von Dr. Ebel selbst. Sie enthalten nicht sowol eine Vertheidigung als vielmehr den Gegenvorwurf gegen O., daß seine einseitige Betonung des Glaubens die christliche Heiligung und somit den sittlichen Charakter des Christenthums gefährde.

Auf diese letzten Schriften aber hat O. nicht mehr geantwortet. Er war dem unerquicklichen Streit bereits dadurch entzogen, daß er Ende des Jahres 1834 einem Rufe nach Erlangen gefolgt war. Beigetragen hatte zu diesem Entschlusse auch seine Hoffnung, daß ein Wechsel des Klima’s für seine längst schwankend gewordene Gesundheit günstig wirken werde. Und zunächst schien sich diese Erwartung auch zu bestätigen. Auch in Erlangen wirkte er mit reichem Erfolg bei seinen akademischen Zuhörern und mit vielseitigem Segen. Auch in eine litterarische Fehde über eine kirchliche Frage der Gegenwart ließ er sich noch einmal ein, indem er die kirchliche Separation der exclusiven Lutheraner in Schlesien besprach in dem Schriftchen: „Was ist von den neuesten kirchlichen Ereignissen in Schlesien zu halten?“ 1835, und auf die wüthenden Angriffe gegen ihn [328] aus jenen Kreisen mit unerschütterter objectiver Ruhe antwortete: „Erwiederung auf die Schriften von Scheibel, Kellner und Wehrhan“, 1836. Und nachdem er im Herbst 1838 zwei Berufungen nach Gießen und nach Kiel abgelehnt hatte, fühlte er sich in Erlangen, wo man die allgemeinste freudigste Theilnahme an diesem Entschluß bekundet hatte, desto heimischer. Aber bald darauf erneuerte sich sein Brustleiden in beunruhigendem Grade und am 4. September 1839 erlag er einer Lungenentzündung, nachdem er seinem Abscheiden in getrostem festem Glauben entgegengesehen hatte.

(Berliner) Allgem. Kirchenztg. 1839 S. 346. – Hallesche Litteratur-Zeitung 1839. – Lexikon der schlesw.-holst. Schriftsteller von 1796–1828, II. Abth. S. 413 f. – Ein Nekrolog von seiner Wittwe in Rheinwald’s allg. Repert. für theol. Litteratur 1840, S. 91 ff.