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ADB:Oppolzer, Johann Ritter von

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Artikel „Oppolzer, Johann Ritter von“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 405–407, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oppolzer,_Johann_Ritter_von&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 06:04 Uhr UTC)
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Oppolzer: Johann Ritter v. O., Arzt, ist im J. 1808 in Gratzen, einem kleinen Städtchen in Böhmen, geboren, wo sein Vater in sehr bescheidenen Verhältnissen als Wirthschaftsbeamter der gräflich Bucquoi’schen Familie lebte. Durch den frühzeitigen Tod seiner Eltern in die dürftigste Lage gerathen, war er gezwungen, schon als Gymnasiast und sodann auch während seiner medicinischen Studien in Prag sich die Mittel für seinen Unterhalt durch Unterrichtgeben zu verschaffen; trotzdem lag er seiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit außerordentlichem Fleiße ob, so daß er die Aufmerksamkeit seiner Lehrer auf sich zog, die Achtung und das Vertrauen derselben gewann und von dem Professor Krombholz zum Assistenten an der medicinischen Klinik ernannt wurde. Im Jahre 1835 erlangte er nach Vertheidigung seiner Dissertation: „Observationes de febri nervosa intestinali anno 1834 Pragae epidemica“ die Doctorwürde und verblieb dann noch vier Jahre in seiner Stellung als klinischer Assistenzarzt im allgemeinen Krankenhause. Im J. 1839 legte er dieselbe nieder und habilitirte sich als praktischer Arzt in Prag. Trotz seiner Jugend gelang es ihm durch sein gewandtes, sicheres Auftreten am Krankenbette und durch seine Humanität sich schnell das Vertrauen des Publicums zu verschaffen, so daß er in kurzer Zeit einer der beschäftigtesten Aerzte Prags wurde und die große Genugthuung hatte, schon zwei Jahre nach seiner Niederlassung (1841) an Stelle seines Lehrers Krombholz zum Professor der medicinischen Klinik und Primararzt im allgemeinen Krankenhause ernannt zu werden. – In dieser Stellung, in welcher er seinen über Deutschland hinausreichenden Ruf als Arzt und Lehrer begründet hat, verblieb er bis zum Jahre 1848; dann folgte er einer Berufung als Professor der Klinik am Jacobshospitale in Leipzig, wo er jedoch nur zwei Jahre verweilte, und von wo er im Herbste 1850 nach Wien übersiedelte, nachdem er zum Professor der med. Klinik und zum Primararzte am allgemeinen Krankenhause ernannt worden war. In Wien gelangte er auf den Höhepunkt seines Ruhmes; im Sturme eroberte er sich das allgemeine Vertrauen des Publicums, die ungetheilte Anerkennung und Hochachtung seiner Collegen, unter denen er keinen Feind, ja selbst, trotz der enormen Erfolge, welche er erzielte, keinen Neider gefunden hat, und die Liebe und Anhänglichkeit der Studirenden, welche er durch seine klinischen Vorträge begeisterte und durch sein freundliches Entgegenkommen an sich fesselte; wie einst zu Boerhaave nach Leyden, oder zu Schönlein nach Zürich und Berlin, so wallfahrteten jetzt die strebsamen jungen Aerzte aus allen Gauen Deutschlands schaarenweise nach Wien, um Oppolzer’s Unterricht theilhaftig zu werden. In unermüdeter Thätigkeit, in rastlosem Eifer hat O. an dieser Stelle bis zum April 1871 gewirkt. Bei der damals in Wien herrschenden [406] Epidemie von Flecktyphus hatte er das Unglück, sich im Krankenhause zu inficiren; am 8. April fühlte er sich bereits krank, dennoch setzte er noch 4 Tage lang seine Thätigkeit fort, am 11. brach er während eines klinischen Vortrages ohnmächtig zusammen, am folgenden Tage wurde er bettlägerig, der Ausbruch des Hautausschlages bestätigte die von ihm an sich selbst gestellte Diagnose, bald trat Bewußtlosigkeit und am 16. d. M. Nachmittags 1 Uhr der Tod ein.

O. nimmt unter den deutschen Klinikern der neueren und neuesten Zeit, neben Peter Frank und Schönlein eine der ersten Stellen ein. – Als O. lehrend auftrat, hatte in der Wiener Schule die einseitig anatomische Richtung in der Pathologie und der damit im Zusammenhange stehende Nihilismus in der Therapie den Höhepunkt erreicht[WS 1]; beiden trat er in entschiedener Weise entgegen. In der Antrittsrede, welche er bei Eröffnung seiner Klinik in Leipzig über den gegenwärtigen Standpunkt der Pathologie und Therapie hielt, erklärte er: „Gewaltig irren diejenigen, die da meinen, ein Arzt des neuesten Standpunktes sei derjenige, welcher einen Kranken mit der größten Genauigkeit untersucht, selbigen beklopft und behorcht, und sich damit zufrieden stellt, daß er seine Diagnose in der Leiche bestätigt findet. Ein solcher Arzt hat nicht begriffen, daß das höchste Ziel aller medicinischen Forschung das Heilen sei“. Als die erste Aufgabe des Arztes am Krankenbette bezeichnete O., eine Analyse der Krankheitserscheinungen von streng physiologischem Standpunkte vorzunehmen, sich aus jeder derselben ein Urtheil über ein bestimmtes Organleiden zu bilden, aber auch zu einer klaren Erkenntniß des Zusammenhanges aller an dem Kranken auftretenden Functionsstörungen vorzudringen; denn nie, sagt er, darf der Arzt vergessen, daß er es nicht mit Krankheiten sondern mit kranken Menschen zu thun hat. Er selbst war ein Diagnostiker par excellence und die Schärfe, mit welcher er oft die schwierigsten und verwickeltesten Fälle am Krankenbette beurtheilte und diagnosticirte, riß seine Schüler und Collegen zur Bewunderung hin. – Denselben physiologischen Standpunkt verlangte er vom Arzte auch für das therapeutische Handeln, indem er gleichzeitig erklärte, daß der Arzt stets bestrebt sein müsse, mit den einfachsten Mitteln zu heilen; die letzten verständlichen Worte, welche er in seinen Fieberphantasieen ausgesprochen hat, lauteten: „Die Medicamente helfen schon, man muß sie nur vorsichtig zu wählen wissen und regelmäßig anwenden“. Die Größe Oppolzer’s hat man in seinen glänzenden Leistungen als Arzt und Lehrer zu suchen und es beeinträchtigt diesen seinen Ruhm nicht, wenn man erklärt, daß er große wissenschaftliche Erfolge nicht gesucht und auch nicht erzielt hat. – Daß seine litterarische Thätigkeit eine nur beschränkte geblieben ist, kann nicht Wunder nehmen, wenn man die fortdauernd angestrengte Thätigkeit berücksichtigt, welche er als Lehrer und consultirter Arzt entwickelt hat. – Außer seiner – oben erwähnten – Dissertation hat er keine selbständige Schrift veröffentlicht, dagegen eine Reihe zum Theil interessanter Mittheilungen in verschiedenen medicinischen Journalen erscheinen lassen. Außerdem haben seine Schüler über eine große Zahl seiner klinischen Vorträge und klinischen Beobachtungen berichtet. In den Jahren 1866–1872 hat Ritter v. Stoffella, Schwiegersohn und mehrjähriger Assistent von O., die Vorlesungen desselben über specielle Pathologie und Therapie veröffentlicht; der erste Band (1846–1870) enthält die Krankheiten des Herzens und der Gefäße und die Krankheiten der Respirationsorgane, vom zweiten Bande (1872) ist nur eine Lieferung (die Krankheiten der Mundhöhle) erschienen. Die Schrift hat eine (theilweise) Uebersetzung ins Italienische und Niederländische erfahren. – Persönlich fesselte O. durch Einfachheit in seiner äußeren Erscheinung und Freundlichkeit in seinem Wesen; die Kranken gewann er für sich durch die Gewandtheit und [407] Sicherheit, mit der er am Krankenbette auftrat und durch die aufopfernde Theilnahme, welche er ihnen bewies, die Aerzte durch seine humane, echt collegialische Gesinnung. So erfreute er sich der Liebe aller, die mit ihm in Berührung kamen und der Schmerz um seinen Verlust, den ganz Wien bis in die höchsten Kreise hinauf fühlte, war um so größer, als er plötzlich und unvermuthet eintrat. – An äußeren Anerkennungen hat es O. nicht gefehlt; die letzte, die ihm zu Theil geworden ist, war seine im J. 1869 erfolgte, mit der Verleihung des Ritterkreuzes des Leopoldordens verbundene Erhebung in den Adelstand.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ereicht