ADB:Peithner von Lichtenfels, Taddäus Freiherr
Joh. Thad. Ant. v. Peithner, dem im Hinblicke auf seine Verdienste als Reorganisator der böhmischen Bergwerke, montanistischer Studien etc. 1780 der Ritterstand mit dem Ehrenworte „von Lichtenfels“ verliehen worden war. Sein Sohn Thaddaeus, geb. 1764, als Hofrath der allgemeinen Hofkammer 1829 gestorben, ist der Vater des obengenannten österreichischen Staatsmannes gleichen Namens, geb. zu Wien am 6. Mai 1798. Ursprünglich der Landwirthschaft bestimmt, trat er 1816 auf der k. k. Patrimonialherrschaft Vösendorf in Dienst, betrieb aber, innerem Drange folgend, von da aus als Privatist in Wien juristisch-politische Studien, die er [543] in drei Jahren mit vorzüglichem Erfolg beendigte. Noch während ihrer Dauer aber nahm L., um praktische Ausbildung zu erlangen, bei dem damaligen Herrschaftsgerichte des Benedictinerstiftes der Schotten in Wien als Auscultant Civilpraxis. Seit dem 13. December 1819 diente er bei dem zu seiner Zeit als Gericht erster Instanz fungirenden Wiener Magistrate im Criminaljustizfache. 1820 trat L. in den unmittelbaren Staatsdienst als Conceptspraktikant der k. k. Hof- und niederösterreichischen Kammerprocuratur. Während dieser Dienstleistung erwarb er 1822 an der Wiener Universität den Doctorgrad. Schon nach vier Jahren erfolgte seine Beförderung zum Secretär der k. k. Innerberger Hauptgewerkschaft in Eisenerz, damals dem bedeutendsten Eisen-, Berg- und Hüttenwerke. Am 15. März 1828 eröffnete sich L. ein neuer erweiterter Wirkungskreis als Oberamtsrath der k. k. montanistischen Direction für Steiermark in Eisenerz. In diese Zeit (1827) fällt seine erste Vermählung mit Anna Kurzweil. L. verlor diese seine erste Frau bereits im J. 1834 nach einem schweren Leiden, in welchem er sie ganz allein pflegte, da sie Niemanden sonst in ihrer Nähe dulden wollte. Schon in so jungen Jahren hatte es L. verstanden sich in seiner keineswegs leichten Stellung durch seltenen Diensteifer und vollste Sachkenntniß ein solches Ansehen zu erringen, daß die k. k. Eisenbergsdirection in Eisenerz, als L. im J. 1828 als Rath an das kaiserlich österreichische Mercantil- und Wechselgericht in Wien berufen wurde, ihm den wärmsten Dank ausdrückte.
Lichtenfels: Thaddaeus Peithner Freiherr v. L., österreichischer Staatsmann, entstammte einer tiroler Familie, welche sich ursprünglich Peindtner nannte und im J. 1609 vom Erzherzoge Maximilian den Adelsstand verliehen erhielt. Später, um 1630, wanderte ein gewisser Christian Peithner von Tirol aus und hat sich, wie mit Bestimmtheit behauptet wird, in der böhmischen freien Bergstadt Gottesgab niedergelassen. Aus diesem Zweige stammt der, 1792 als Hofrath der k. k. Hofkammer im Münz- und Bergwesen verstorbeneSchon nach wenigen Jahren, am 9. März 1834, verwechselte L. diese Stellung mit der eines Rathes am k. k. innerösterreichisch-küstenländischen Appellationsgerichte in Klagenfurt, welches damals eine Reihe vorzüglicher Juristen zählte. L. entwickelte in dieser sieben Jahre dauernden Amtsthätigkeit, neben welcher er noch das Directorat der philosophischen Studien an dem dortigen Lyceum führte, eine solch’ hervorragende Wirksamkeit, daß er, vielleicht der jüngste Rath, gleichwol im J. 1841 berufen wurde, in Pest bei der königlich ungarischen Septemviraltafel eine ebenso formell wie materiell schwierige Vertretung alter Processe zu führen. Im Januar 1836 hatte sich L. zum zweiten Male verehelicht mit Johanna Schwarz. In dieser Ehe fand L. reichen Trost in dem vielen Leide, das später über den hartgeprüften Mann hereinbrach. Beide Gatten haben sich durch alle Mühe und allen Kummer hin, welche ihnen zugetheilt waren, 41 Jahre lang getreulich zur Seite gestanden. Im Mai 1841 ward L. zum Hofrathe der k. k. obersten Justizstelle befördert, in der der oberste Gerichtshof mit der obersten Administrativverwaltung vereinigt war. Schon nach wenig Wochen wurde er zum Beisitzer und im November desselben Jahres zum Referenten der k. k. Hofcommission in Justizgesetzsachen ernannt, in welcher Eigenschaft er bis zur Auflösung dieser Commission im J. 1848 thätig war. Eine Reihe hervorragender Gesetzentwürfe, zum Theile solcher, welche später im In- und Auslande Grundlage neuer Gesetzgebungen wurden, war die Frucht seiner damaligen Thätigkeit. Damals wurde L. durch die in gleichem Maße äußerst schmeichelhafte wie verantwortliche Aufgabe geehrt, als Lehrer der Rechtswissenschaften des jungen Erzherzogs Franz Josef, des dermalen regierenden Kaisers, zu fungiren.
Als im J. 1850 in Ausführung der neuen Strafproceßordnung eine Generalprocuratur am obersten Gerichts- und Cassationshofe errichtet wurde, ward L. im September dieses Jahres zum Generalprocurator ernannt. Nicht zum wenigsten in dieser Stellung erwarb sich L. jene genaue Kenntniß der Bedürfnisse, Vorzüge und Mängel der österreichischen Justizpflege, welche es mit sich brachte, daß er in seinem späteren öffentlichen Wirken als der genaueste Kenner der Justiz eine solch’ hervorragende Rolle spielen konnte und mußte. In diese Zeit fällt auch seine Berufung zum Präsidium der mit den legislativen Arbeiten für Ungarn und Kroatien betrauten Commission, von welchem er jedoch schon 1851 wegen [544] Ueberbürdung mit Geschäften zurückzutreten gezwungen war. Als mit der Aufhebung der Schwurgerichte im J. 1852 auch die Stelle des Generalprocurators einging, wurde L. als Sectionschef in das Justizministerium berufen. Bald war er eine der Stützen für die große reformatorische Thätigkeit, der es damals auf allen Gebieten des Rechtes die Fülle gab. Die Entlastung von Grund und Boden, die theilweise reformirte Einführung der österreichischen Gesetze in Ungarn und dessen Nebenländern und als Vorbedingung dieser Einführung die Aufhebung der Aviticität daselbst, gehören hierher. Wesentlichen Einfluß nahm L. auf die Erlassung einer Reihe höchst wichtiger, die Volkswirthschaft betreffenden Gesetze, für welche die Grundlagen erst zu finden waren, wie z. B. die Regelung der Entlastung von Grund und Boden, die Commassätion, die Anlegung von Grundbüchern in Ungarn etc. Alle diese schwierigen Aufgaben traten damals an die österreichische Justizverwaltung heran. L. ist es zum guten Theile zu danken, daß die sich zu jener Zeit förmlich jagenden Reformen in ruhig erwogener, zum Theile mustergiltiger Weise in Angriff genommen und in erstaunlich kurzer Zeit oft glänzend durchgeführt werden konnten.
Das große Ansehen, das L. als Jurist genoß, veranlaßte 1857 seine Berufung in den damaligen Reichsrath, jene berathende Corporation, welche, nach den Statuten vom 13. April und 20. August 1851 unmittelbar dem Kaiser unterstellt, berufen war, durch ihre Einsicht, Kenntnisse und Erfahrungen die Krone und das Ministerium zu unterstützen, damit in der Gesetzgebung gediegene Reife und Einheit der leitenden Grundsätze erzielt werde. In dieser Stellung fand L. die reichste Gelegenheit ebensosehr den Zustand aller staatlichen Verhältnisse und die Bedürfnisse der Gesammtverwaltung, wie andererseits die Sonderbestrebungen der Parteien und Nationalitäten vollauf kennen zu lernen.
Das Jahr 1860 brachte wichtige Neuerungen. Das kaiserliche Patent vom 5. März dieses Jahres war für das öffentliche Leben Oesterreichs von weittragenden Folgen, es bezeichnet die Einleitung der parlamentarischen Epoche und auch L. wurde berufen an den Verhandlungen des „verstärkten Reichsrathes“ theilzunehmen. Galt L. bisher mit Recht unbestritten als der erste Justizkenner in Oesterreich, als Kronjurist par excellence, so entfaltete sich nun seiner reichen Begabung im verstärkten Reichsrathe ein neues Feld des Denkens und Wirkens, das unbegrenzt weite Feld der Politik. Wie mit einem Schlage wird aus dem beinahe exclusiven Juristen der Staatsmann. Jede seiner Reden, seien es kleine Bemerkungen oder gehören sie zu jenen gewaltigen oratorischen Werken, durch die L. die ganze Richtung der Gesetzgebung zu bestimmen, eine und zwar seine Anschauung zur herrschenden zu machen wußte; immer und überall begegnen wir der Auffassung, welche in der größten wie kleinsten Bestimmung, im Verfassungsentwurfe ebensowol wie in einer Geschäftsordnungsfrage die tausend Fäden, womit jeder Theil zum Ganzen in Beziehung steht, völlig klar erfaßt und aus dieser Beziehung zum obersten Principe mit wunderbarer Schärfe die Folgerungen zieht, Lichtenfels’ oberstes Postulat war und blieb unverrückt die Gestaltung des einheitlichen zu einem in sich bedingten Organismuß erstarkten Gesammtösterreich. Diesem Ziele ordnete er jedes andere unter; an jede Frage der Gesetzgebung, zumal der politischen, trat er zunächst und in erster Linie mit der Untersuchung heran, wie sie sich zu jener Forderung verhalte. Schon zu Beginn der im Verlaufe so stürmischen Verhandlungen des verstärkten Reichsrathes entfaltete L. in großartiger Weise seine staatsmännischen Anschauungen von dem Wesen und der Aufgabe Oesterreichs. Als die Berathung des Staatsvoranschlages für das Jahr 1861 nur allzureiche Gelegenheit zur Entwickelung der verschiedenen politischen und staatsrechtlichen Programme gegeben hatte, da griff auch L. mit einer berühmt gewordenen Rede in den Kampf der Geister ein und entwickelte, erst, wie [545] es seine Art war, die gegnerische Ansicht kritisirend, ja secirend, dann aber zu positiven Forderungen aufsteigend, sein politisches Programm, an dem er bis zu seinem Ende unverbrüchlich festhielt. Dem eine Sonderstellung Ungarns und die Anbahnung föderalistischer Grundsätze für das ganze Reich befürwortenden Majoritätsvotum des Budgetcomité’s tritt L. entgegen und für die Ansichten der centralistischen Minorität ein; die begeisterte Hingabe an die großen Traditionen der habsburgischen Kaiserkrone, an die Idee eines machtvollen österreichischen Gesammtstaats, die lebhafte Ueberzeugung von der politischen Nothwendigkeit einer einheitlichen Gesetzgebung und obersten Leitung der Verwaltung waren hierbei für L. allezeit in erster Linie maßgebend. Das fachmännische Eingreifen des Juristen und das gesunde volkswirthschaftliche Urtheil über die Bedürfnisse des modernen Verkehrs bestärkten ihn in dem unentwegten Eintreten für die Rechtseinheit auf dem Gebiete der Verwaltung nicht minder wie der Rechtspflege und des materiellen Rechts. Eine Verleugnung aller staatsmännischen Klugheit endlich nennt es L., diesen Vortheil einer einheitlichen Gesetzgebung aufzugeben. … „Ich glaube, daß wir uns an der Markscheide befinden, ob der österreichische Staat mit Hilfe politischer Institutionen, welche seine vollständige Einheit begründen, sich zur wahren Größe emporschwingen, oder ob er der Schwäche einer bloßen Personalunion oder höchstens eines Föderativstaates verfallen und dadurch gezwungen werden soll, als eine Großmacht aufzuhören und als eine Macht zweiten Ranges in Europa zu erscheinen.“
Alle Sonderbestrebungen, seien sie nationaler, politischer oder feudal-socialer Art, finden an L. ihren energischen Gegner. Der von den galizischen Polen mit dem Hinweise auf gewährleistete Zusicherungen gestellten Forderung auf Einführung der polnischen Sprache in Amt und Schule, entgegnet L.: „Ich kann überhaupt dem Bestreben, die Nationalitäten dadurch von einander abgeschlossen zu halten, daß jede so viel als möglich sich ausschließlich bloß ihrer Sprache bediene, und wie es scheint, selbst die Unterrichtsanstalten so einzurichten, daß jede Nationalität sich kaum anders als in ihrer Sprache auszudrücken fähig sei, nicht beipflichten. Das politische Band, welches mehrere Nationalitäten zu einem Staate verbindet, ist meiner Meinung nach ein höheres, als das Prinzip der Nationalität. Oesterreich kann nach meiner Vorstellung nur durch eine innige Verbindung aller seiner Kronländer eine Großmacht sein. Zu dieser innigen Verbindung ist aber die Beförderung einer Sprache, welche ein allgemeines Verkehrsmittel unter den Parteien unter einander, unter den verschiedenen Kronländern und selbst mit einem großen Theile des gebildeten Europa bildet, mit welchem Oesterreich gleichfalls in politischer Verbindung steht, ein unerläßliches Erforderniß. Das Nationalitätsprinzip aber, wenn es dahin ausgedehnt würde, der Beförderung einer solchen Sprache Hindernisse zu legen, oder die Nationalitäten dadurch von einander abgeschlossen zu halten, daß das gegenseitige Verständniß erschwert wird, würde dadurch meines Erachtens ein Prinzip der Zersetzung, und würde weit eher dazu beitragen, den Staatsverband zu erschüttern, als zu befestigen. Ein solches Prinzip erscheint besonders verwerflich in jenen Kronländern, in welchen selbst wieder mehrere Landessprachen vorkommen. Entweder will man hier, um allen diesen Nationalitäten Rechnung zu tragen, verfügen, daß alle Geschäftsverhandlungen mit Jedem, wenn er auch die deutsche Sprache versteht, in der Sprache der Nationalität, welcher er angehört, gepflogen werden und also auch, wenn mehrere Individuen verschiedener Nationalitäten zusammentreffen, wovon jedes seine eigene Sprache in Anspruch nimmt, obwol alle der deutschen Sprache mächtig sind, in allen diesen Sprachen zugleich, dann geräth man in eine unauflösliche Verwirrung". … Dem ungarischerseits geäußerten Verlangen [546] nach Wiederherstellung der autonomen ungarischen Justiz antwortet L. nach einer vernichtenden historischen Kritik der früheren Justizzustände Ungarns, mit der Darlegung der entgegenstehenden Gründe u. A. folgendermaßen: „Sie (die österreichische Regierung) nahm daher, indem sie die österreichische Gesetzgebung einführte, einen ganz anderen Grundsatz zum Leitstern ihres Verfahrens an. Ich meine den Grundsatz der Gleichstellung vor dem Gesetze. Alle österreichischen Staatseinrichtungen, namentlich seine ganze bürgerliche und Strafgesetzgebung, sind von dem Geiste der Gleichstellung vor dem Gesetze durchweht. Alle bestandenen ungarischen Staatseinrichtungen und Rechtszustände waren aus dem umgekehrten Grundsatze der Ungleichheit vor dem Gesetze entsprungen. Ich brauche wohl nicht zu fragen, welcher dieser Grundsätze der gerechte, der humanere, welcher der den Forderungen der Zeit entsprechende sei? – Indem daher die österreichische Gesetzgebung diesem Grundsatze Geltung verschaffte, hat sie der Gesammtheit der ungarischen Bevölkerung ohne constitutionelle Formen in dieser Richtung wenigstens einen weit höheren Grad der bürgerlichen Freiheit gewährt, als dieselbe unter der früheren Gesetzgebung jemals besessen hatte“. …
Als die Schmerling’sche Verfassung vom 26. Februar 1861 ein einheitliches Reichsparlament einführte, bestehend aus einer von den einzelnen Landtagen erwählten Abgeordnetenkammer und einem Herrenhause, ward L. vom Kaiser in das letztere als lebenslängliches Mitglied berufen. Gleichzeitig war an die Stelle des ständigen Reichsrathes ein neuer Staatsrath gesetzt worden, dessen Aufgabe in gleicher Weise die Berathung von Krone und Ministerium war. L. ward mit dem Range eines Ministers dessen Präsident. Als solcher hatte er vollauf Gelegenheit sowol durch die Acte des Staatsraths, als im Ministerrathe, wo ihm ein Consultativvotum zustand, seine Ansichten zur vollsten Geltung zu bringen. Im Herrenhause zählte L. zu den aufrichtigen und eifrigsten Anhängern der Verfassung. Immer bestrebt, die Macht der Kaiserkrone den separatistischen Sonderbestrebungen gegenüber zu erhöhen und das Ansehen der Regierung zu stützen und zu kräftigen, sah L. nur im Festhalten an der Idee einer mächtigen Centralgewalt das Heil Oesterreichs. Als in der Adreßdebatte des J. 1863 der Satz aufgestellt und verfochten wurde, die Acte des Parlaments könnten für jene Länder, deren Vertretungen, wie z. B. der ungarische Landtag es gethan, sich geweigert hatten, den österreichischen Reichsrath zu beschicken, keine Rechtsverbindlichkeit haben, da trat L. mit allem Nachdrucke für die Competenz des Parlaments in die Schranken.
Die vom Ministerium Belcredi behufs Anbahnung einer Verständigung mit den dissentirenden Ländern im J. 1865 verfügte Sistirung der Verfassung, bewog L., die Präsidentschaft des Staatsraths in die Hände Sr. Majestät zurückzulegen.
Als nach der schweren Katastrophe des J. 1866 das Ministerium Belcredi demissionirt hatte und das Parlament wieder einberufen wurde, trat an dasselbe die schwere Aufgabe heran, den inzwischen mit Ungarn thatsächlich vereinbarten sogen. Ausgleichsbestimmungen seine Billigung zu ertheilen und andererseits die Verfassung jenen Aenderungen zu unterziehen, welche sowol die Zweitheilung der Monarchie erforderlich, wie die Sicherung der Verfassung und deren Ausbau in liberalem Sinne hatte wünschenswerth erscheinen lassen. Nur mit schwerem Herzen, durch die Noth der Thatsachen gezwungen, stimmt L. dem Ausgleiche zu. Und auch dann gilt das Kaiserthum Oesterreich ihm noch immer als der Inbegriff aller Länder. Für L. galt unerschüttert der Standpunkt, den er im verstärkten Reichsrathe und später so oft dargelegt hatte, als der allein richtige. „… Der Grundsatz, wie er im Februarpatente enthalten ist, daß die Competenz [547] des Reichsrathes die Regel und die der Landtage die Ausnahme sei, ist meines Erachtens das Band, welches alle Länder zu einem festen Ganzen verbinden soll, und gleichwol war bei diesem Grundsatze durch die in den Landesordnungen gestatteten Ausnahmen der Autonomie der Länder meines Bedünkens hinreichend Rechnung getragen …“ Dem Kaiser und dem Reich will L. an directer Macht erhalten, was zu retten ist. Mit erneuertem Eifer tritt er ein für das Ansehen der Krone. Ihm verdankt die österreichische Constitution die ausdrückliche Aufnahme der unerläßlichen Bestimmung: „Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich.“ Als durch das sogen. Nothwahl-Gesetz und später, im J. 1873, durch eine gründliche Wahlreform den Landtagen das Recht der Reichsrathswahl entzogen und an Stelle dieser indirecten die directe Wahl gesetzt wurde, um den Bestand des Reichsraths gegenüber obstructionistischen Bestrebungen mehrerer Landtage zu sichern, trat L. begeistert für diese Reformen ein, von denen er sich eine bedeutende Kräftigung der Reichsgewalt verspricht. Dabei bekämpfte er mit aller Energie das entgegengestellte Recht der Landtage. Mit noch nie gehörter Offenheit bespricht L. die Bestrebungen der oppositionellen herrschenden Polenpartei, als deren letztes Ziel er die Wiederherstellung des alten Polenreiches hinstellt. Dem österreichischen Patriotismus der galizischen Ruthenen und polnischen Bauern zollt L. bei dieser Gelegenheit warme Anerkennung. Immer wieder, so oft eine die föderalistischen Bestrebungen begünstigende Strömung in der an Wandlungen so reichen inneren Politik sich geltend macht, erhebt L. warnend seine Stimme, schildert er mit glänzender Beredsamkeit die Gefahren einer föderalistischen Gestaltung Oesterreichs. Seine eherne Consequenz gestattet auch nicht den Versuch eines sogen. Ausgleiches mit den Dissidenten. „Wenn wir also erklären, wir sind bereit, den Wünschen der Gegner der Verfassung entgegen zu kommen, so erklären wir uns bereit, in den Föderativstaat einzutreten. Daß ist meines Erachtens der Kern der Sache", führt L. in der Adreßdebatte des J. 1870 aus. Wie aber L. über den Föderalismus denkt, zeigt der weitere Verlauf dieser Rede. „Möge man uns immerhin aus der Zerstückelung des Staates die Stärkung desselben, möge man uns aus der immer weiteren Absonderung der Nationalitäten die entstehende Verbrüderung derselben weissagen. Wohl hat die Geschichte Beispiele, daß einzelne Staaten durch Bündnisse sich zu stärken gesucht haben, nimmer aber hat die Geschichte Beispiele geliefert, daß ein Staat durch Zerlegung in seine Theile sich zu kräftigen geglaubt hätte und immer wird eine solche Zerlegung den Verfall des Staates herbeiführen. Ich meine, wir haben einen doppelten Spiegel in unserer eigenen Erfahrung, der uns zur Lehre dienen soll, einen Spiegel der Vergangenheit, wenn wir in der Geschichte zurückblicken, was die einzelnen Länder gewesen sind, als noch jedes für sich selbständig war, ja was sie selbst unter dem Habsburger Scepter gewesen, als ihre Verbindung untereinander nur eine zeitweise und unvollständige war, und zu welcher Macht und Größe sie sich emporgeschwungen haben durch ihre innige Vereinigung, und nur durch ihre innige Vereinigung. Wir haben einen zweiten Spiegel in der Gegenwart, wenn wir auf die Länder der ungarischen Krone blicken und sehen, welche traurige Erfolge schon die Losreißung dieses Theiles unseres Reiches hervorgerufen hat.“ Keiner Macht auf Erden räumt L. die Befugniß ein, sich der Majestät des Staates überzuordnen, auch der Kirche nicht. So hoch L. ihre Aufgabe stellt, so unerbittlich beschränkt er sie auf das Gebiet der Pflege der Religion. Jede Einmischung in das politische Leben weist er zurück. Die Debatten aus Anlaß der Berathung eines Reichsvolksschulgesetzes, der Wiederherstellung des durch das Concordat aufgehobenen bürgerlichen Eherechts und vieler anderer Gesetzentwürfe über kirchliche [548] und Schulangelegenheiten geben Zeugniß dafür, welch energischen Gegner die katholische Kirche gegenüber ihrem Bestreben nach Ausdehnung ihres Einflusses und ihrer Macht, an Freiherrn v. L. gefunden hat, welch unerbittlichen, ja schonungslosen Gegner. Mit aller Macht seines reichen Geistes kämpft L. gegen das im J. 1855 mit dem hl. Stuhle abgeschlossene Concordat und für die staatliche Ordnung des Schulwesens, des Eherechts und der Beziehungen der Kirche zum Staate. Eine freie Kirche im freien Staate will L. ebenso wenig, als er zugegeben hätte, daß irgend eine andere, eine weltliche Gesellschaft im Staate sich gleichwol unabhängig von diesem stelle. „… Wenn man fragt, inwieferne die Majestätsrechte der Krone (durch das Concordat) verletzt worden sind, so glaube ich zur Antwort zu geben, die wesentlichste Verletzung der Majestätsrechte liegt im allgemeinen schon darin, daß man überhaupt ein Concordat geschlossen hat, d. h. daß man die Majestätsrechte in Beziehung auf kirchliche Angelegenheiten einer vertragsmäßigen Beschränkung unterworfen hat.“ Weniger denn je will L. nach der Promulgirung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des vom Lehrstuhle sprechenden Papstes den Unterricht, sei es der niedere oder hohe, dem Einflusse der Kirche überantwortet sehen. „Es leuchtet von selbst ein, und ist bereits vielfach bemerkt worden, daß der Papst, da das ganze Gebiet der menschlichen Handlungen in den Bereich des Glaubens und der Sitte gezogen werden kann, auf diese Weise der unfehlbare, oberste, unumschränkte Gesetzgeber auch in weltlichen Angelegenheiten sein würde. … Man glaube übrigens nicht, daß heutigen Tages die Lehren des Concils ohne allen praktischen Einfluß bleiben werden. Die praktische Anwendung auf Oesterreich in Verbindung mit dem Satze, daß auch frühere Aussprüche der Päpste als unfehlbar zu betrachten sind, hat sich schon ergeben. Seine Heiligkeit der Papst hat gewagt, in der Allocution vom 22. Juni 1868 die österreichische Staatsverfassung und die in Folge derselben erflossenen Gesetze ausdrücklich zu verdammen.“ … „Unmöglich läßt sich ein tieferer und ungerechterer Angriff auf die weltliche Macht denken, als dieser, unmöglich eine größere Aufreizung der Bevölkerung gegen die Gesetze des Staates, als diese, – und nun sollen wir durch eigens darauf berechnete Maßregeln dahin wirken, daß diese Lehren und nichts denselben Widersprechendes an unseren Lehranstalten vorgetragen werden. Ich glaube, man könnte uns ebenso gut zumuthen, selbst die Auflösung des österreichischen Staates zu decretiren. Weit entfernt daher, daß es darauf ankäme dafür zu sorgen, daß nichts den Lehren der katholischen Religion Entgegenstehendes gelehrt werde, kommt es vielmehr darauf an, dafür zu sorgen, daß weder auf unseren hohen noch auf unseren niederen Lehrstühlen, weder auf den Kanzeln der Kirche noch in der Seelsorge etwas gelehrt werde, was den Rechten des Landesherrn und den Rechten des Staates entgegengesetzt ist.“ …
Daß L. in gleich energischer Weise für die Wahrung des Reichsstandpunktes in allen Fragen der ökonomischen und Justizgesetzgebung eingetreten sei, braucht kaum erwähnt zu werden. Sein großes Wissen, seine reiche Erfahrung in allen Gebieten der Rechtswissenschaft und Rechtspflege stellten L. in die allererste Reihe der juristischen Koryphäen, an denen das österreichische Herrenhaus wahrlich nie Mangel gelitten. L. behielt sich sein Urtheil völlig frei. Eine Tagesmeinung, die Strömung der Zeit existirte für seinen selbständigen Kopf nicht. Mit herben Worten übte er Kritik an mancher modernen und populären Neuerung. So trat L. energisch dem Institute der Schwurgerichte entgegen, in welchen er große Gefahren sah, und von deren Einführung er eine Reihe von Schädigungen der Rechtspflege und des Rechtsgefühles prophetischen Blickes voraussagte.
[549] An Anerkennung und Ehren hat es L. nicht gefehlt. 1849 wurde ihm vom Kaiser in Anerkennung der um die Justizpflege und Gesetzgebung erworbenen Verdienste eine selten gewährte Auszeichnung, das Ritterkreuz des königl. ungarischen Stefansordens verliehen, welcher Decorirung 1852 die statutenmäßige Erhebung in den Freiherrenstand folgte. Ein Jahr später fanden Lichtenfels’ Verdienste erneute Anerkennung durch die Ernennung zu Sr. Majestät Geheimem Rathe mit dem Titel Excellenz. 1862 folgte die Verleihung des Großkreuzes des Franz-Joseph-Ordens und aus Anlaß der 1865 erfolgten Versetzung in den Ruhestand jene des Großkreuzes des k. ung. Stefansordens, der höchsten österreichischen Ordensauszeichnung.
L. war eine stille, ja in seinem Alter beinahe menschenscheue Natur. Jede laute äußere Anerkennung war für ihn beinahe beängstigend. Der tausend- und tausendstimmige Jubel des Volkes der ihn umbrauste, als nach der Schulgesetzdebatte des Jahres 1868 der stolze Bau des Concordates zusammenstürzte, war für L., der dabei mit der innigsten Liebe an seinem Volke hing, geradezu peinlich. Niemals strebte L. nach äußerem Erfolge für sich; immer nur der Sache galt sein rastloses Streben. Lichtenfels’ äußere Verhältnisse waren und blieben bescheiden. So unerbittlich er im politischen Kampfe war, so warm fühlte er für Jedermann, auch für seine Gegner, wenn sie erst als Menschen und Patrioten seine Achtung errungen. Dies war freilich nicht leicht, denn L. gehörte keineswegs zu jenen milden Naturen, welche nie verurtheilen. Selbst von einer bis zur Aufopferung gehenden Gesinnungstreue, forderte er diese seltene Tugend von Jedermann, von Freund wie Feind. Nichts war ihm mehr widerwärtig, ja verächtlich, als Schwanken, Unentschiedenheit und Unbestimmtheit. Wehe dem Gegner, den L. inkonsequent fand! Er, der dem Unglücke Anderer gegenüber ein beinahe kindlich weiches Gemüth zeigte, war unerbittlich, schonungslos im Kampfe der Geister. Wie etwa ein Napoleon einen Schlachtplan nicht entworfen haben mag um zu siegen, sondern um nach dem unausbleiblichen Siege den Gegner zu vernichten, so waren Lichtenfels’ parlamentarische Kämpfe nicht auf einen Stimmenerfolg, sondern darauf abzielend, des Gegners ganze Position dauernd zu vernichten. – L. war von der edelsten Loyalität, sich vollbewußt der Pflichten gegen die Krone, in der er den leuchtenden Repräsentanten des geliebten Gesammtvaterlandes sah; ihren Glanz, ihre Macht zu erhöhen, war sein begeistertes Streben. Daß diese seine Wünsche nicht immer in Erfüllung gegangen, ja daß er es am Ende seiner Tage sehen mußte, wie jene Kräfte, in deren Bekämpfung er so Großes geleistet, sich frei entfalten und den einheitlichen Bestand des Reiches zum Theile aufheben konnten, das war für L. ein Schlag, wie ihn ein stärkerer nicht hätte treffen können. Dieser Mißerfolg der begeisterten Arbeit eines ganzen Lebens, sowie die Fülle von Unglück, welche L. in seiner Familie erleben mußte, an der er mit der innigsten Liebe eines treuen Gatten und Vaters hing, brachten es mit sich, daß der in seiner Jugend heitere und frohsinnige Charakter immer ernster, abgeschlossener, ja beinahe dem Schwermuth zuneigend, ward. Sohn um Sohn aus dem erst großen Kranze höchst begabter Kinder sah L. ins Grab sinken. Oft äußerte er, von Schmerz erfüllt, ihm bleibe nichts als auszuharren und das Unvermeidliche zu ertragen. Und wie trug er! Selbst krank und von Kummer und der Last von Jahren gebeugt, bleibt L. unerschütterlich in Erfüllung dessen, was er einmal als seine Pflicht erkannt hatte. Während sein Sohn todtkrank darniederliegt, sehen wir L. ins Herrenhaus eilen; hören wir ihn seine Stimme erheben zum Kampfe mit der Weltherrschaft Roms, während bange Sorge ihn quält, ob er heimgekehrt den Stolz der Familie, sein jüngstes Kind noch lebend antreffen werde! … Eigene [550] und seines Sohnes Krankheit zwangen L. endlich im Süden Erholung zu suchen. Er fand sie nicht mehr. Bis zum letzten Augenblicke von wunderbarer Klarheit des Geistes, dabei das öffentliche Leben und den Gang der Wissenschaft stetig verfolgend, kämpfte L. die letzte Zeit seines Lebens so sehr mit schwerem Siechthum, daß er sich vom gewohnten öffentlichen Wirken völlig zurückziehen mußte. Am 15. Januar 1876 sprach L. zum letzten Male im Herrenhause. Was menschliche Liebe und Sorgfalt vermag, um schweres Leiden zu mildern, that die hingebende Pflege einer aufopfernden Gattin, einer edlen, selbst vom Schicksal hart getroffenen Tochter und eines treuen Sohnes. Eins aber vermochte sie nicht: Den größten Kummer Lichtenfels’, die Sorge um sein Theuerstes, sein Oesterreich, konnte ihm Niemand bannen. … Am 2. Octbr. 1877 schied dieser große Patriot in Wien aus dem Leben. Keiner auch seiner erbittertsten Gegner, der nicht Lichtenfels makellosem Charakter, seiner großartigen Auffassung aller Staats- und Rechtsfragen, seiner ehernen Consequenz hätte Bewunderung zollen müssen. Durch das alte Oesterreich aber zog die Klage und das schmerzliche Gefühl, daß es einen Mann verloren, der wie eine Verkörperung des österreichischen Staatsgedankens unerschütterlich gestanden an allen Tagen der heißesten Stürme und unentwegt die Fahne des Reiches geschützt und geschirmt!
- Familienpapiere. Schriftliche Notizen Lichtenfels’. Mittheilungen der Familie. Wurzbach’s biograph. Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. Nekrolog in den Juristischen Blättern. Verhandlungen des Verstärkten Reichs-Rathes. Stenographische Protocolle des Herrenhauses.