ADB:Pelzel, Franz Martin
Gelasius Dobner, dann Pubitschka, Adauctus Voigt, Ungar u. a. angehörten. Daß Pelzel’s Familie ursprünglich tschechischer Herkunft war, wie man in Böhmen ziemlich allgemein glaubt und sich sein Großvater noch Kožišek (spr. Koschischek) d. h. Pelzlein genannt habe, müssen wir bezweifeln: deutsche Familien des Namens Pelzel giebt es noch heutzutage nicht blos in Böhmen sondern auch in Schlesien und so dürfte es wahrscheinlicher sein, daß Pelzel’s Vorfahren in Böhmen czechisirt wurden und der erwähnte tschechische Name einfach eine Uebertragung des deutschen Namens Pelzel ist. Er selbst war zweifelsohne ein Tscheche: „Als ein geborener Böhme, sagte er in seiner „Kurzgefaßten Geschichte der Böhmen“, erlernte ich das deutsche erst in meinem erwachsenen Alter.“
Pelzel: Franz Martin P., böhmischer Geschichtschreiber, Grammatiker und Litterarhistoriker, geb. am 11. November 1734 zu Reichenau in Böhmen, schließt sich würdig dem Kreise jener gelehrten Männer an, die sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts um die kritische Durchforschung der böhmischen Geschichte hervorragende Verdienste erwarben und welchen als bedeutendster RepräsentantSeine Studien begann P. in seiner Vaterstadt, setzte sie in Königgrätz fort und bezog 1754 die Hochschule in Prag, nachdem ihm seine Eltern, die aus ihm gern einen Wundarzt gemacht hätten, schweren Herzens die Einwilligung hiezu gegeben hatten. Die theologischen Studien, die er anfänglich trieb, sagten ihm jedoch ebensowenig zu, wie die juristischen, denen er sich schon nach einigen Monaten zuwendete. 1757 in Folge der kriegerischen Ereignisse, die sich um und in Prag abspielten, von dort vertrieben, ging er an die Hochschule nach Wien, beschäftigte sich jedoch auch hier lieber mit sprachlichen und historischen [342] als mit juristischen Studien. 1758 kehrte er nach Prag zurück, um dieselben zu beendigen. Da erhielt er eine Aufforderung, eine Erzieherstelle im Hause des Grafen von Sternberg anzunehmen; P. nahm die Stellung, die ihm Zeit genug zu litterarischen Arbeiten ließ, gerne an. Nachdem er des französischen schon früher mächtig geworden, lernte er von einem irischen Priester, der sich in dem gräflichen Hause befand, Englisch. Als er seine Aufgabe daselbst gelöst hatte (1769), dachte er daran, sich dem Studium der Medicin zu widmen, da erhielt er unter vortheilhaften Bedingungen eine Erzieherstelle im Hause des Reichsgrafen Franz Anton Nostitz. P. widmete sich mit Eifer seinem Berufe, doch gewann er auch hier noch Zeit zu seinen Studien, die sich immer mehr der Landesgeschichte Böhmens zuwandten. Für dieselben fand er in der gräflichen Bibliothek, deren Verwaltung er erhielt, reichliche Materialien. Der Aufenthalt im Hause des Grafen Nostitz bot ihm so viele Vortheile, daß er einen Ruf als Professor der tschechischen Sprache an die Neustädter Akademie ebenso ablehnte (1773), wie etwas später einen solchen nach Erfurt, wohin er als Nachfolger Meusels berufen war. Mit dem Jahre 1773 beginnt die Glanzperiode seines Wirkens: noch in demselben Jahre erschien der erste Band der „Abbildungen Böhmischer und Mährischer Gelehrten und Künstler nebst kurzen Nachrichten aus ihrem Leben und Werken“ (1–4. Thl. Prag 1773–1782); das Jahr darauf seine „Kurzgefaßte Geschichte der Böhmen“ (2 Thle. Prag 1774), ein Werk, das er selbst als „ein Mittelding zwischen den itzt zur Mode gewordenen Compendien und einer weitläufigeren Historie“ bezeichnet und das, durchaus quellenmäßig gehalten, für den beabsichtigten Zweck noch heute nicht ohne Nutzen ist (2. Aufl. Prag 1779; 3. Aufl. 1782, mit Fortsetzung von J. Schiffner 1817). Vier Jahre später folgte die Ausgabe von Ellenhard’s Chronik. In der nächsten Zeit versenkte sich P. in das Studium der Geschichte des Karolinischen Zeitalters und ließ als erste Frucht desselben im J. 1780 den ersten und 1781 den zweiten Band seines „Kaiser Karl IV., König von Böhmen“ erscheinen, denen dann (1788–1791) die beiden Bände der Lebensgeschichte des römischen und böhmischen Königs Wenzeslaus folgten. Die beiden Biographien sind Pelzel’s hervorragendste Leistungen, Werke voll der mühsamsten Forschung aber ebenso trocken wie die „Kurzgefaßte Geschichte der Böhmen“. Von einer höheren Auffassung findet sich weder in dem ersten noch in dem zweiten Werke eine Spur; mit unendlichem Fleiße wird Urkunde für Urkunde ihrem Inhalte nach aneinander gereiht – aber das heißt eben noch nicht Geschichte schreiben. Der panegyrische Ton, der übrigens in seinem Karl IV. durchklingt, verwickelte ihn in eine Polemik mit der deutschen Kritik, die sich mit seinem Standpunkte nicht einverstanden erklärte. Als eine Frucht dieser Studien ist die Edition der „Scriptores rerum Bohemicarum“ anzusehen, die P. in Gemeinschaft mit Joseph Dobrowsky veranstaltete (2 Bde. Prag 1783–1784) und die außer den Geschichtswerken des Cosmas von Prag und seiner Fortsetzungen noch die Chroniken des Domherrn Franz und Benesch von Weitmühl, sowie einige kleinere historische Denkmäler enthält. 1786 erschien sein Werk „Böhmische, Mährische und Schlesische Gelehrte aus dem Orden der Jesuiten vom Anfange der Gesellschaft bis auf die gegenwärtige Zeit“. In tschechischer Sprache publicirte er die „Nowá Kronyka češká“, d. h. „Neue böhmische Chronik, in welcher die Begebenheiten des Böhmerlandes vom Anbeginn bis auf die Gegenwart dargestellt werden“ (3 Thle. Prag 1791–1797). Das Werk wurde jedoch nur bis zum Tode Karls IV. geführt; ein vierter im Manuscript vorhandener Theil enthält die Geschichte der Hussitenkriege.
Es war im J. 1769, als sich eine Anzahl aufgeklärter Männer zur Stiftung einer gelehrten Privatgesellschaft vereinigte, die später (1784) zu einer königlich [343] böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften erhoben wurde. P. gehörte derselben von Anbeginn an und veröffentlichte sowohl in den Abhandlungen der Privatgesellschaft, als auch in den Abhandlungen und den „Neuen“ Abhandlungen der königl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften eine Reihe ausgezeichneter Arbeiten (das vollständige Verzeichniß derselben s. im Slovnik naučny VI, S. 212–213 und darnach in Constantin v. Wurzbach, Biographisches Lexikon XXI, S. 446 und 447), die uns P. nicht bloß als einen fleißigen Sammler, sondern namentlich auch als einen besonnenen und scharfen Kritiker zeigen. Pelzel’s Stärke lag eben mehr in der Forschung; die Kunst der Gestaltung besaß er in minderem Grade. Zu den bedeutenderen Monographien Pelzel’s gehören die „Abhandlung über den König Samo“ (1775); „Abhandlung vom böhmischen König Ottokar II., ob ihm die Kaiserkrone angeboten“ (1776); „Diplomatische Nachrichten, wie das Königreich Böhmen an das luxemburgische Haus gekommen“ (1777); „Diplomatische Beweise, daß König Wenzel IV. nicht drei sondern nur zweimal gefangen worden und wann ist Kaiser Karl IV. Markgraf von Mähren geworden“ (1779); „Geschichte der Deutschen und ihrer Sprache in Böhmen“ (2 Abtheilungen 1788–1791); „Ueber die Herrschaft der Böhmen in der Markgrafschaft Meißen“ (1788).
Neben dem Studium der vaterländischen Geschichte betrieb P. mit Eifer das der tschechischen Sprache und Litteratur. Schon 1775 erschien sein „Handbuch zum Gebrauche der Jugend bei Erlernung der deutschen, französischen und böhmischen Sprache“. In demselben Jahre edierte er Balbin’s „Dissertatio apologetica pro lingua Slavica praecipue Bohemica“ und drei Jahre später: „Przihody Wacslawa Wratislawa swobodného pana z Mitrovicz“ d. h. „Begebenheiten das Wenzel Wratislaw, Freiherrn v. Mitrowitz.“ Eine umfassendere Thätigkeit entfaltete er auf diesem Gebiete seit dem Jahre 1793, in welchem er die Lehrkanzel der böhmischen Sprache und Litteratur in Prag erhielt. Eine Frucht dieser Thätigkeit war zunächst seine „Akademische Antrittsrede über den Nutzen und die Wichtigkeit der böhmischen Sprache“ [Prag 1793 4°), dann die Schrift „Typus declinationum linguae Bohemicae nova methodo dispositarum“ (Prag 1793), die „Grundsätze der böhmischen Grammatik“ (Prag 1795; 2. Aufl. 1798), sowie einige Schriften, die er im Manuscript hinterließ. Bei der hervorragenden Stellung, die P. als Gelehrter in seiner Heimath einnahm, konnte es ihm auch an äußeren Zeichen der Anerkennung nicht fehlen. Er war Mitglied der kgl. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften, der Frankfurter und der deutschen gelehrten Gesellschaft. Der Großfürst von Kurland und Livland ließ ihm, als er im J. 1798 in Prag verweilte, eine goldene Medaille überreichen. P. starb am 24. Februar 1801, zu früh für die Wissenschaft, wie man aus dem Verzeichnisse der Arbeiten entnehmen kann, die er entweder ganz oder theilweise vollendet im Manuscript hinterließ (das Verzeichniß dieser Schriften s. im Slovnik naučny l. c.). Die kgl. böhmische Gesellschaft der Wissenschaften ließ ihm zu Ehren eine Gedächtnißtafel aufstellen.
- Die Literatur über Pelzel findet sich vollständig in C. v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXI. Bd. S. 448. Vgl. auch Slovnik naučny VI. 211 ff.