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ADB:Poellnitz, Karl Ludwig Freiherr von

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Artikel „Pöllnitz, Karl Ludwig Freiherr v.“ von Reinhold Koser in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 397–399, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Poellnitz,_Karl_Ludwig_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:35 Uhr UTC)
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Pöls, Karl
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Pöllnitz: Karl Ludwig Freiherr v. P., geb. am 25. Februar 1692 zu Issum im Kurkölnischen, stammte aus einer thüringischen Adelsfamilie, welche mit seinem Großvater Gerhard Bernhard v. P. († 1679 als kurfürstlicher Oberstallmeister, vermählt mit Leonore v. Nassau, natürlicher Tochter Wilhelms I. von Oranien) nach Brandenburg gekommen war. Der Vater, Wilhelm Ludwig v. P., starb 1693 als brandenburgischer Oberst; er war mit dem Kurprinzen Karl Emil zusammen unterrichtet worden, wie demnächst sein Sohn Karl Ludwig der Spielgefährte und Mitschüler des Thronerben Friedrich Wilhelm wurde; so ist K. L. v. P., soweit seine Erinnerungen zurückreichten, am Berliner Hofe heimisch gewesen. Mit dem Jahre 1710 begannen dann für ihn die bewegten Wanderjahre, aus deren erster Periode (bis 1723) er in seinen Schriften viel erzählt hat, ohne daß es möglich wäre, die Dichtung von der Wahrheit streng zu sondern. Sicher ist, daß P., ein wahrer πολύτροπος, vieler Menschen Städte gesehen hat; nach London und dem Haag, nach Warschau und Wien, an die meisten kleineren Höfe Deutschlands, nach Venedig und Rom, nach Sicilien und Spanien ist er gekommen, zumal aber Paris übte immer von neuem seine Anziehungskraft auf ihn aus. Gewöhnlich erscheint er um eine Anstellung zu erhaschen, sein Glück am Spieltisch und in Liebeshändeln zu erproben, heute bei diesem und morgen bei jenem zu borgen und schließlich seine Gläubiger um ihr Geld und seine Wirthe um ihre Zeche zu prellen. „Cavalier von Geist und feiner Lebensart, aber Abenteurer ersten Ranges, ein richtiger Proteus: Höfling, Spieler, Schriftsteller, Colporteur, Protestant, Katholik, Kanonikus, was weiß ich weiter“ – so das Selbstporträt, das er in einer seiner Schriften entwirft. Laut eines Zeugnisses aus späterer Zeit, das allerdings so wenig wie Pöllnitz’s eigne Angaben vollen historischen Werth hat, ist er an den Höfen von Berlin, Versailles und Braunschweig Kammerherr gewesen, hat dem Herzog von Weimar als Fähndrich, dem Kaiser als Rittmeister, dem König von Spanien als Oberst, dem Papst als Kämmerling gedient. Seine Bemühungen, in der Heimath wieder eine Unterkunft zu erlangen, waren Anfang 1718, nachdem Friedrich Wilhelm I. bereits ein Kammerjunker-Tractament für ihn angewiesen hatte, daran gescheitert, daß sein 1717 in der Hoffnung auf ein Kanonikat erfolgter Uebertritt zum Katholicismus zu des Königs Ohren kam. Mit dem Jahre 1723 versiegt für die Geschichte der Kreuz- und Querzüge des fahrenden Glücksritters auch die trübe Quelle der autobigraphischen Berichterstattung, jede Spur von P. geht also verloren, [398] bis im nächsten Jahrzehnt die betriebsame Massenproduction des Schriftstellers P. einsetzt, die demselben einen europäischen Ruf verschaffte. Offenbar war es die Sorge um das tägliche Brod, die den verschuldeten Baron auf die Entdeckung seiner glücklichen litterarischen Ader führte. Zuerst erschien anonym sein historischer Roman über die unglückliche, 1727 gestorbene Herzogin von Ahlden („Hist. secrète de la duchesse d’Hanovre“, 1732), für welche der Stoff der Römischen Octavia des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig entlehnt wurde; es folgten 1734 die gleichfalls anonymen „Amusements des eaux de Spaa“ und noch in demselben Jahre gleichzeitig: die „Saxe galante“, die pikante Verherrlichung der Liebesheldenthaten des starken August, gleichsam der Nekrolog auf den eben Verstorbenen, begreiflicherweise auch anonym, und, unter Pöllnitz’s Namen, eine vor Ehrfurcht ersterbende Schilderung des neuen sächsischen Hofes („Etat abrégé de la cour de Saxe sous le règne d’Auguste III“). Den größten Erfolg aber hatten die auch noch 1734 veröffentlichten Memoiren, die binnen fünf Jahren fünf Auflagen erlebten: Reisebriefe über eine Rundtour durch Europa, welche in die Jahre 1729 bis 1733 verlegt wird, mit einer sehr geschickt zusammengesetzten Mosaik von Notizen über die Merkwürdigkeiten der bedeutendsten Städte, ihre Baulichkeiten und Kunstsammlungen, ihre vornehme Gesellschaft: „für die Cavaliere jener Zeit, das was der Baedeker für die heutigen Touristen“. Itinerar und Datirung der Briefe historisch zu nehmen, verbieten die denselben nachgewiesenen kleinen historischen Unmöglichkeiten; die Füllung für das willkürliche chronologische Gerüst gaben die Erinnerungen der früher wirklich gemachten Reisen. 1737 folgten die „Nouveaux Mémoires“, wieder in der Form, die so großen Beifall gefunden hatte: in Briefen an eine Dame gab P. eine Darstellung seiner früheren Reisen und sonstigen Erlebnisse, besonders aber der Vorgänge am Berliner Hofe von 1688–1710. Die neue Veröffentlichung gab vor, ohne Wissen des Verfassers an die Oeffentlichkeit zu treten, eine Vorsicht, die durch den Umstand geboten wurde, daß P. inzwischen an den preußischen Hof zurückgekehrt war.

Am 2. Febr. 1735 wurde er, soeben aus Wien angekommen, in der Tabagie Friedrich Wilhelms I. gesehen, am 9. ernannte ihn der König zum Kammerherrn mit dem dürftigen Gehalt von 250 Thalern. Der alt gewordene Jugendgefährte wurde jetzt im Tabakscollegium als lustiger Rath gern gelitten, den Höfen von Wien und Dresden diente P. gleichzeitig gegen ein Erkleckliches als Spion. Hier in Preußen war P. wieder Protestant. Nach dem Thronwechsel von 1740 ernannte ihn der neue König, der als Kronprinz dem „satyre boiteux“ das Zeugniß: „divertissant beim Essen, nachher einsperren“ ausgestellt hatte, zum Oberceremonienmeister, erhöhte seine Einkünfte auf 1400 Thaler und deckte 6000 Thaler Schulden; aber P. verscherzte die Gunst seines Wohlthäters ein erstes Mal schon 1742: „ce garçon n’a que d’esprit et pas pour un sous de conduite“, schrieb Friedrich damals. Wieder zu Gnaden angenommen, gab P. schnell neues Aergerniß; es war im Frühjahr 1744, als der verlebte Fünfziger bei einer reichen Nürnbergerin mit seiner Werbung kein Glück gemacht hatte und nun mißmuthig und an seinem Beruf als Spaßmacher für die Zukunft verzweifelnd, die Entlassung erbat. Der König, dem das Wort seines Kammerherrn, er wolle lieber den Schweinen, als den großen Herren dienen, zugetragen war, ertheilte ihm den Abschied in einem mit grausamer Satire abgefaßten Schriftstück auf Pergament mit Siegel und Unterschrift (1. April 1744). Vier Monate später war P. als reuiger Sünder wieder da und erhielt seine Stellung unter demüthigenden Bedingungen und mit einem um 200 Thaler verkürzten Gehalte zurück. Seitdem gab der einst so Ungebundene alle Selbständigkeitsgelüste auf. Die beschauliche Seßhaftigkeit seiner bescheidenen Existenz wurde nur durch die Stürme des siebenjährigen Krieges auf einige Zeit unterbrochen; mit dem Hofe flüchtete er 1757 nach Spandau, „mehr [399] Bettler als Sancho Pansa“, wie er mit seinem glücklichen Galgenhumor scherzte, und später nach Magdeburg. Dienstliche Mühewaltungen wurden von dem „inutile de la cour“, denn so nannte der König jeden Kammerherren, nur noch in besonderen Ausnahmefällen verlangt, wie etwa bei dem Empfang des türkischen Internuntius im Herbst 1763. Der König, welcher noch immer seinen Spaß an dem „alten Baron“ hatte, erfreute ihn gelegentlich durch kleine Aufmerksamkeiten; als er ihm 1765 zur Erwiderung für die Ueberreichung eines feisten Truthahnes einen lebendigen Mastochsen, zwischen den Hörnern als Frontispiz die doppeldeutige Widmung: „Pöllnitz, un boeuf“, in den Pferdestall treiben läßt, gelobt P. in seinem Dankschreiben, das unter dem Jubel der Berliner Bevölkerung an seinem Bestimmungsorte eingetroffene Thier zwar nicht wie den Gott Apis anzubeten, wol aber als Dankopfer für den größten der Monarchen mit dem Freudenruf „Vive le Roi“ zu verspeisen. P. starb zu Berlin am 23. Juni 1775, von Niemandem betrauert, wie Friedrich an Voltaire schrieb, als von seinen Gläubigern.

In Pöllnitz’s Nachlaß fanden sich verschiedene Handschriften eines Memoirenwerkes unter dem Titel: „Mémoires pour servir à l’histoire des quatre derniers souverains de la maison de Brandebourg royale de Prusse“, deren eine der Professor Brunn vom Joachimsthalischen Gymnasium 1791 herausgegeben hat. Der Verfasser hatte den Gegenstand, unter Erweiterung der die brandenburgisch-preußische Geschichte betreffenden Abschnitte seiner gedruckten Memoiren, schon vor dem zweiten schlesischen Kriege in seiner beliebten Briefform behandelt, mit der Arbeit damals aber den Beifall des Königs nicht zu gewinnen vermocht; Friedrich fand die Gesichtspunkte kleinlich und äußerlich und tadelte außerdem die Briefform, auf welche der Verfasser dann auch in der dem Druck von 1791 zu Grunde liegenden Redaction, wie er sie im wesentlichen 1753 abschloß, verzichtet hat. Die Darstellung, in welcher die Benutzung der brandenburgischen Memoiren des Königs, der Memoiren der Markgräfin von Bayreuth und zeitgenössischer Druckwerke erkennbar ist, erstreckt sich im Widerspruch mit dem Titel nur auf die Regierungen der drei vorletzten Monarchen; die Fortsetzung für das erste Jahr Friedrich’s II., nach zwanzig Jahren aus der Erinnerung niedergeschrieben, befindet sich als handschriftliches Fragment im Geh. Staatsarchiv zu Berlin. „Man wird wohlthun“, sagt J. G. Droysen über Pöllnitz’s preußische Geschichtschreiberei, „in dem geistreichen Geplauder dieses immer lächelnden Höflings die verstohlenen Absichtlichkeiten, die heimlichen Bosheiten und Giftstiche nicht unbeachtet zu lassen, mit denen er seiner Erzählung den nöthigen hautgoût giebt. Das ist, wenn man will, die Satisfaction, die er sich im Schreiben bereitet; für so manche Beschämung, Mißachtung, moralische Demüthigung, die er hinnehmen muß, ist es seine Genugthuung, von andern übel zu reden, von denen, die ihm immer wieder verziehen und wohlgethan, am übelsten. Das médire ist seine Virtuosität“.

Droysen, Baron von Pöllnitz (Geschichte der Preuß. Politik, Theil IV, Abth. 4). – Oeuvres de Frédéric le Grand XX. – Märkische Forschungen Bd. XX, 162.