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ADB:Posselt, Wilhelm

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Artikel „Posselt, Wilhelm“ von Paul Gurr in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 99–102, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Posselt,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 08:22 Uhr UTC)
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Posselt: Wilhelm P., der Kaffernmissionar, am 20. Juni 1815 zu Diekow bei Berlinchen (Neumark) als Sohn eines Schullehrers geboren, wurde früh zum Lehrerberufe bestimmt. Im Seminar zu Neuzelle fiel ihm 1833 das Barmer Missionsblatt in die Hand, dessen Ueberschrift: „Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln“ ihn mit solcher Gewalt ergriff, daß er in sich den Ruf Gottes fühlte, Missionar zu werden. Sein Vater gab ihm dazu bewegten Herzens den Segen mit der Bescheidung: „So gehe hin mein Sohn! Der Herr lasse dich armes Reis grünen, blühen und viel Früchte tragen! Schöpfe getrost aus der Fülle Jesu Gnade um Gnade, und der heilige Geist erquicke Dich!“ Nach kurzem Abschied von Freunden und Bekannten, Eltern und Geschwistern machte er sich zu Fuß auf nach Berlin und trat 1834 in das dortige Missionsseminar ein. Nach 5½jähriger treu und fleißig ausgekaufter Studienzeit hielt er 1839 in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin seine Abschiedsrede über Römer 1 V. 16 und landete am 11. December 1839 mit den Missionaren Liefeld und Winter an der Tafelbai. Ein afrikanischer Ochsenwagen brachte ihn nach Itemba zu Missionar Schultheiß, dem er als Mitarbeiter zur Seite gegeben war. In seiner selbstverfaßten Lebensbeschreibung schildert er in fesselnder Weise seine dortigen Lehrjahre, wie er mühsam die Sprache lernte und in allen Zweigen der Haushaltung, beim Anfertigen von Tisch und Sofa, beim Reiten und Fahren, Jagen und Bauen viel Lehrgeld zahlen mußte, wie er von den Eingeborenen bei seiner Gutmüthigkeit ausgeplündert wurde und dann doch mit frischem Muthe die Missionsarbeit begann. Recht mühsam war es für ihn, die Schulkinder zum Schulbesuch zu bewegen. Er mußte sie einzeln aufsuchen, in die elenden Kaffernhütten hineinkriechen und sie aus den Schlupfwinkeln hervorsuchen, in denen die Eltern sie versteckt hielten. Wenn die letzten kamen, waren die ersten oft wieder fortgelaufen, so daß seine Geduld sehr auf die Probe gestellt wurde. Die Station Itemba ist nicht mehr vorhanden, 1846 wurde sie im Kaffernkriege zerstört, dann wieder aufgebaut, um 1850 vollständig vernichtet zu werden.

[100] Es war ein gewaltiges Ringen, mit welchem die Kaffern gegen die englische Besitzergreifung kämpften. In drei großen, blutigen Kriegen suchten sie ihre Herrschaft zu behaupten, bis sie endlich trotz ihres Muthes den Feuerwaffen ihrer Feinde weichen und Englands Oberherrschaft anerkennen mußten. Mitten unter diesen Kriegswirren gründete P. mit Liefeld zusammen eine neue Station, die sie Emmaus nannten (jetzt heißt sie Wartburg) im Gebiete dreier Häuptlinge, die ihm ihren Schutz anboten. Als aber der eine Häuptling ihm den Wunsch aussprach, die Station nach dem Häuptlingskraal zu verlegen, erklärte er in echt kafferisch gewähltem Gleichniß: „Du bist ein großer Stier und ich auch; wenn wir so nahe bei einander wohnen, werden wir uns stoßen“. Dieser Grund war stichhaltig. Einige Kaffern halfen ihm eine kleine runde Hütte bauen, in der er wohnte, bis er daran denken konnte, sich ein festes Wohnhaus zu errichten. Doch wie mühsam mußte dazu das Holz im Urwalde gefällt und meilenweit herangetragen, Ziegelsteine geformt, getrocknet und gebrannt werden. Und als das Haus mit großem Fleiß endlich fertig gestellt war und sich P. darin mit seiner Gattin glücklich und heimisch fühlte, da brannte es ab, und er mußte wieder zum Wanderstabe greifen.

An den schönen Ufern des Flusses Indwe, an der Grenze der Kaffernstämme der Galeka und der Tambuki, ließ er sich von neuem nieder und begann wieder mit Gebet und Gottvertrauen die Missionsarbeit. Doch trugen die Angesichter seiner schwarzen Zuhörer so sehr den Stempel der Abgestumpftheit gegen alles Göttliche und der irdischen Lüste, daß er oft ganz verzagen und muthlos werden wollte. Seine Frau ermuthigte ihn dann wohl: „Wilhelm, thu Deine Schuldigkeit“; und er machte oft die köstliche Erfahrung, daß sich gerade dann suchende Seelen fanden, wenn er es am wenigsten erwartet hatte.

Plötzlich aber brach wieder der Krieg aus zwischen den Engländern und den Eingeborenen, und die Station mußte wieder aufgegeben werden. Das ganze Kaffernland stand in Flammen. P. floh nach Silo, einer Station der Brüdergemeine, kam dann nach Bethanien und nahm hier den Ruf eines englischen Beamten an, nach Natal zu gehen und dort den Sulu das Evangelium zu predigen.

Die Sulu sind wilde, grausame Krieger und wurden damals von allen afrikanischen Völkerstämmen als gefürchtete Gegner respectirt. In dem freien Sululande, von Natal durch den Tugelafluß getrennt, hausten die Sulukönige Tschaka, Dingan, Mpanda, Cetschwayo als blutdürstige Tyrannen und vergossen das Blut ihrer Unterthanen mit Strömen. Dem zu entgehen flohen viele in das von den Engländern besetzte Natal, um dort, wie sie sagten, „mit beiden Augen schlafen zu können“. Hier lebten sie froh und heiter in den Tag hinein. Im Gegensatz zu den Xosa-Kaffern, welche P. zuerst kennen gelernt, waren sie ehrlich, so daß P. niemals seine Speisekammer zu verschließen brauchte und ihnen getrost Haus und Hof anvertrauen konnte. Weniger zuverlässig sind sie mit ihrem Munde, und man kann das Wort: „U namanga“, d. h. „du lügst“ zu jeder Stunde hören. So spricht das Kind zum Vater, ja selbst der Heide zum Missionar. – Alles Wunderbare erscheint ihnen als Lüge.

Unter dem Schutze der englischen Regierung ließ sich P. am Fuße des Drakengebirges bei dem Häuptling Usikali nieder und gründete mit Missionar Güldenpfennig eine neue Station, die sie Emmaus nannten. Zwei kleine Lehmhäuser überließ ihm ein Bur, desgleichen eine Wasserleitung und einen Obstgarten. Als Kirche wurde ein Viehkraal benutzt, ein Stein bildete die [101] Kanzel; und von weit und breit kamen zahlreiche heilsbegierige Sulus, die sich auf der Station ansiedeln wollten.

Wiederum brach Krieg aus. Die Sulu jenseits der Grenze, mit dem Könige Mpanda an der Spitze, setzten die ganze Gegend in Schrecken. P. war zu Muthe wie einer Mutter, die ihr neugeborenes Kind verlassen mußte, er floh nach Pietermaritzburg, der Hauptstadt von Natal. In dieser Zeit starben kurz hinter einander sein jüngster Sohn Nathanael, seine Gattin, seine jüngste Tochter Christiane, und sein Sohn Johannes verrenkte sich, 3½ Jahre alt, durch einen Fall die Hüfte, so daß er zeitlebens lahm blieb. Da brachte ein Bremer Schiff 182 deutsche Ansiedler nach Afrika. Ein jüdischer Unternehmer wollte mit Hülfe dieser deutschen Arbeiter eine große Baumwollenplantage einrichten. Etwa 2–3 Meilen von Durban entfernt legten sie eine Arbeitercolonie an, welche sie Neu-Deutschland nannten. Einen Lehrer für ihre Kinder hatten sie mitgebracht, aber der Geistliche fehlte noch. So baten sie P., ihr Pfarrer zu werden. Wußten sie doch nur zu gut, daß ihnen auch beim besten Willen ihr Deutschthum dort in der Fremde bald verloren gehen werde, wenn es nicht durch einen deutschen Missionar gepflegt werde. Gern willfahrte P. ihrem Wunsche unter der Bedingung, daß er auch seine Arbeit unter den Heiden ungestört fortsetzen dürfe. Ein Zelt diente zunächst als Kirche; mit den schwarzen Plantagearbeitern begann er eine Abendschule und suchte auch die wilden Heiden in ihren Gebüschen auf, sie zum Gottesdienste einladend.

Doch schon nach vier Jahren drohte die deutsche Gemeinde sich aufzulösen. Der geplante Baumwollenbau ließ sich nicht einrichten, Weizen wuchs des mageren Bodens wegen nicht in der Nähe des Strands, die Familien verarmten und Viele zogen fort. So ging denn auch P. 1852 nach Emmaus zurück und zog wieder in das alte Haus ein, das Güldenpfennig soeben verlassen hatte. Nach 1½ Jahren aber holte die deutsche Gemeinde ihren Pfarrer wieder; sie hatte sich inzwischen gesammelt und vom Missionscomité die Erlaubniß erhalten, daß P. sie geistlich versorgen dürfte. Der Empfang war rührend. Die ganze Gemeinde eilte ihrem Pfarrer eine Meile weit entgegen und holte ihn mit einer Fahne ein, auf der die Worte: „Glaube, Liebe, Hoffnung, Geduld“ zu lesen waren. So hatte P. endlich nach der achten Wanderung ein dauerndes Heim gefunden und nannte die neue Station nach seiner verstorbenen Gattin Christianenburg.

Mit großer Thatkraft und unermüdlichem Fleiße waltete er seines doppelten Amtes. Unter seiner Fürsorge entwickelte sich die deutsche Gemeinde allmählich trotz der größten Schwierigkeiten zu einer erfreulichen Blüthe, so daß heute dort allgemeiner Wohlstand herrscht. Auch wußte er ihre Opferwilligkeit so zu steigern, daß sie sich bald aus eigenen Mitteln eine feste Kirche baute. Gleichen segensreichen Einfluß hatte er auf die schwarze Gemeinde. Für die Missionsgesellschaft kaufte er 800 Morgen Land, verpflanzte hierauf die Kafferngemeinde und lebte unter ihr – wie er selbst sagte – „als Fürst und Vater“. Er war ein Original im vollen Sinne des Wortes, einer deutschen Eiche vergleichbar, mit hartem, festem Holz und knorrigen Aesten. Wie kaum ein anderer ist er den Kaffern ein Kaffer geworden. Er sprach nicht nur ihre schwierige Sprache so geläufig wie seine Muttersprache, sondern hatte auch eine besondere Gabe, mit den Sulu umzugehen und sich ihr Vertrauen zu erwerben und zu bewahren. Wohl mehr als 100 Mal trat er persönlich ins Mittel, wenn ein Vater seine Tochter einem Wüstling für Vieh zum Weibe verkaufen wollte. Oft gab er sein Letztes dahin, um den wüthenden Vater zu befriedigen, wenn ihm die verkaufte Tochter entlaufen war. Und so gelang es ihm mit der Zeit, diesen Frauenverkauf „lobula“ in seiner Gemeinde fast ganz auszurotten. [102] Mit Entschiedenheit trat er gegen jedes Laster auf. Als einmal die Trunksucht einzureißen drohte, erklärte er kurz und bündig: „Gottesdienst und Schule hört so lange auf, bis mir jeder den Topf bringt, in dem er sich den Fusel braut“, und am nächsten Morgen bereits wurden die Brautöpfe gebracht und an einem Baume vor dem Missionshause zerschlagen. So blühte denn diese Station auf trotz schwieriger Verhältnisse, so daß P. bis an sein Ende 974 Seelen taufen konnte.

Auch als Superintendent der Berliner Mission in Natal hat er es verstanden, sich das Vertrauen und die Liebe seiner Amtsbrüder wie der heimathlichen Missionsleitung zu bewahren. Rührend war sein Verhältniß zu seinem Vorgesetzten, Missionsdirector Wangemann, den er mit Vorliebe seinen „guten, alten Baba“ nannte, und den er oft herzlich zu trösten wußte, wenn er bei Schwierigkeiten der Missionsleitung und mancherlei Widerwärtigkeiten, die ihm begegneten, bisweilen ganz verzagen wollte. Zwei Mal hat Director D. Wangemann persönlich die Missionsstationen in Südafrika visitirt und war beide Male entzückt von dem Aufblühen der Station Christianenburg. Auf seiner zweiten Visitationsreise fand er seinen „alten Freund“, wie er P. gern nannte, auf dem Sterbebette, reichte ihm noch das heilige Abendmahl und ordinirte am Bett des Vater seinen Sohn Johannes zum Predigtamte. Dabei legte der sterbende Vater dem Sohne die Hand aufs Haupt und segnete ihn ein mit denselben Worten, mit denen ihn einst sein Vater zum Missionsdienst gesegnet hatte.

Am 12. Mai 1885 ist Missionar P. in Christianenburg gestorben. Nach seinem Tode sagte ein Mitglied der schwarzen Gemeinde zu seinem Sohne Johannes: „Dein Vater war ein Moses, er hat uns aus dem Diensthause des Heidenthums geführt“. Sein Andenken wird immer in Ehren gehalten werden. In Afrika wie in der Heimath galt er als ein tüchtiger Missionar und als ein Pfleger des Deutschthums in Afrika.