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ADB:Potthast, August

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Artikel „Potthast, August“ von Heinrich Meisner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 102–105, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Potthast,_August&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 09:53 Uhr UTC)
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Potthast: Franz August P., Bibliothekar und Historiker, wurde am 13. August 1824 zu Höxter in Westfalen geboren und kam, nachdem er den ersten Unterricht in seiner Vaterstadt empfangen hatte, 1835 zu weiterer Ausbildung auf das Gymnasium zu Paderborn, wo er 1844 die Maturitätsprüfung ablegte. Er bezog darauf die Akademie Münster, um Theologie und Philologie zu studiren, ging 1846 zur Fortsetzung seiner theologischen Ausbildung nach Paderborn zurück, wandte sich aber im Sommersemester 1847 in Münster ganz philosophischen und historischen Studien zu. Seit dem Herbst dieses Jahres studirte er in Berlin und wurde dort als Mitglied des bewaffneten Studentencorps Zeuge der Revolutionsunruhen. Den Gang seiner weiteren Studien kennzeichnet die Theilnahme Potthast’s an den Vorlesungen Boeckh’s, Jacob Grimm’s, Lachmann’s, Maßmann’s, Panofka’s, Ranke’s, Raumer’s und Ritter’s. Nach Vollendung seiner Universitätsausbildung verschiedene Zukunftspläne erwägend und mit mancherlei litterarischen Arbeiten beschäftigt, fand er für seine wissenschaftlichen Forschungen den rechten Anschluß an den Kreis der Historiker, die Pertz als Mitarbeiter an den Monumenta hist. Germ. um sich sammelte. P. übernahm für die „Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit“ die Uebersetzung der Lebensbeschreibungen der Aebte Gallus und Otmar von St. Gallen, die 1857 erschien. In der Bearbeitung der von der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften für die Wedekindstiftung gestellten Preisaufgabe über die Chronik des Henricus de Hervordia bot sich für P. ein höheres Ziel, dessen Verfolgung ihn für die nächsten Jahre beschäftigte. Er erhielt 1856 den Preis; seine Arbeit erschien u. d. T.: „Liber [103] de rebus memorabilibus sive chronicon Henrici de Hervordia, edidit et de scriptoris vita et chronici fatis auctoritateque dissertationem praemisit Augustus Potthast“ … Gottingae 1859 (XXXVII, 327 S.). Die Einleitung, die zugleich dem Verfasser als Dissertation bei seiner Promotion in Göttingen angerechnet wurde, gibt eine sorgfältige Analyse der einzelnen Bestandtheile und bringt alles Wissenswerthe über die bis zum Jahre 1355 reichende compilatorische Weltchronik und ihren Verfasser, der, wie nachgewiesen wird, nicht aus Erfurt, sondern aus Herford stammt; der Text, nach dem für die Monumenta geltenden Grundsätzen bearbeitet, stellt dem Bearbeiter ein glänzendes Zeugniß seiner Begabung für historische Kritik aus. – Mitten in diesen Studien fand P. noch Zeit, seit dem December 1855 den ältesten Söhnen des Herzogs Viktor von Ratibor in Berlin Unterricht zu ertheilen; er wurde später Erzieher derselben. In dieser Stellung, die er bis 1859 behielt, verlebte er den größten Theil des Jahres in Schloß Rauden. Die Frucht dieses Aufenthaltes ist die „Geschichte der ehemaligen Cistercienserabtei Rauden in Oberschlesien. Festgabe zur 6. Säcularfeier ihrer Gründung“. Leobschütz 1858 (VIII, 308 S.), in der er mit Benutzung handschriftlicher Quellen die im Ganzen ereignißlose, aber für die Verbreitung der Cultur in der Ostmark nicht unwesentliche Geschichte des Klosters von 1258 bis 1810 von streng katholischem Standpunkte aus behandelt. In Rauden war P. auch für das Germanische Museum in Nürnberg als Agent thätig. – Nach Berlin zurückgekehrt, kam P. wieder mit dem Kreise der Monumentisten in Berührung, ohne sich aber für eine bestimmte Mitarbeit zu entscheiden, da ihm als Ziel vorschwebte, sich der akademischen Laufbahn zu widmen. Nachdem er auf Waitz’s Veranlassung diesem Plane entsagt hatte, nahm er die Vorarbeiten zu seinem großen Werke, der „Bibliotheca historica medii aevi“, auf, zu dem ihm die Schätze der Bibliotheken in Berlin und Göttingen reichliches Material boten und welches die Stelle eines von der Redaktion der Monumenta geplanten, aber nicht zur Ausführung gelangten Repertoriums der historischen Quellenlitteratur des Mittelalters vertreten sollte. In diese Zeit fällt zugleich Potthast’s Uebergang in die bibliothekarische Laufbahn, indem er im April 1862 durch Pertz’s Vermittelung als Gehilfe an der Königlichen Bibliothek in Berlin angestellt wurde. In demselben Jahre erschien seine „Bibliotheca historica medii aevi. Wegweiser durch die Geschichtswerke des europäischen Mittelalters von 375–1500. [Nebst] Vollständ. Inhaltsverzeichniß zu Acta Sanctorum der Bollandisten. Anhang: Quellenkunde für die Geschichte der Europäischen Staaten während des Mittelalters“. Berlin 1862 (VIII, 1010 S.). Das Werk, dessen Haupttheil ein alphabetisches Verzeichniß aller historischen Schriftsteller und Werke des Mittelalters mit Angabe des Inhalts, der Entstehung, der Handschriften, Ausgaben und Erläuterungsschriften bringt, ist ein Denkmal umfassender Gelehrsamkeit und eisernen Fleißes, ein unentbehrliches Handbuch für mittelalterliche Geschichtsstudien. Ein Supplement dazu, das 1868 erschien, brachte die dem Verfasser inzwischen bekannt gewordenen Nachträge und die Verzeichnisse der Heiligen, der Päpste und Bischöfe. Die Vervollkommnung dieses seines Werkes hat P. fortdauernd beschäftigt, aber erst 33 Jahre später, als er von seiner amtlichen Thätigkeit sich zurückgezogen hatte, fand er trotz eines zunehmenden Leidens noch die Kraft und Geduld, eine zweite, in der Anordnung und der Correctheit der Titel wesentlich verbesserte und auf 147 + 1749 Seiten erweiterte Ausgabe der Bibliotheca 1896 erscheinen zu lassen. – Gelegentliche Mitarbeiterschaft an Berliner Zeitungen führte P. zu näherer Bekanntschaft mit deren Verlegern, für die er in der Folge auch größere Arbeiten übernahm. So bearbeitete er für die Verlagsbuchhandlung [104] Haude & Spener die „Geschichte des Siebenjährigen Krieges von Archenholz“ mit einem Lebensabriß des Verfassers, 1860 in 6. Auflage, von welcher Bearbeitung bis 1899 noch sieben Ausgaben erschienen sind. Wichtiger wurde für P. die Verbindung mit dem Verleger des „Berliner Fremdenblattes“, dem Geheimen Oberhofbuchdrucker Rudolf v. Decker. Für ihn schrieb er „Die Abstammung der Familie Decker. Festschrift bei hundertjähriger Dauer des königl. Privilegii der Geh. Oberhofbuchdruckerei. Am 26. October 1863“, Berlin 1863 (61 S.), und fand für den groß angelegten Plan einer Geschichte der Berliner Buchdruckerkunst und des Berliner Buchhandels bei ihm freudiges Entgegenkommen. Das Werk, mit ganzer Hingabe und dem dem Verfasser eigenen zähen Fleiße begonnen, rückte trotzdem nur langsam vorwärts und wurde später durch vermehrte dienstliche Obliegenheiten Potthast’s und durch den Tod Decker’s 1877 gänzlich abgebrochen. Gedruckt sind von der Geschichte der Berliner Buchdruckerkunst nur 38 Bogen; die Vorräthe davon standen lange in dem Speicher eines Spediteurs, bis sie infolge eines Mißverständnisses als herrnlose Maculatur verkauft wurden. Nur drei Exemplare entgingen der Vernichtung. Von dem handschriftlichen Material ist nur sehr wenig erhalten. Das erhaltene titellose Fragment bringt zunächst die Geschichte der Buchdruckerkunst zu Berlin im Umriß mit zahlreichen Urkunden und Excursen, so die Geschichte der Pflichtexemplare seit 1699 und die der Hofbuchdrucker; ferner eine tabellarische Uebersicht der Buchdruckereien Berlins und ihres Umfanges am Ende des Jahres 1864. Auf S. 117 beginnt die Geschichte der Familie v. Decker und ihrer Oberhofbuchdruckerei, nach Familienpapieren und Acten des Staatsarchivs bearbeitet; darin findet sich auch Allgemeines über das geistige Leben in Berlin, Ausführliches über die Schriftsteller und Künstler, die mit dem Verlage in Verbindung standen, und über die in Berlin erschienenen politischen Zeitungen seit 1628. Mit der Geschichte derselben vom Jahre 1849/50 schließt auf S. 608 der Druck. – Für denselben Verlag schrieb P. im J. 1881 eine kurze, von Patriotismus erfüllte Gelegenheitsschrift „Friedrich Wilhelm III. König von Preußen. Erinnerungsblätter an seine glorreiche Regierung, bei Gelegenheit des ihm errichteten ehernen Standbildes zusammengestellt …“ (71 S.). – Nachdem P. bereits am 1. April 1868 den Charakter als Custos an der kgl. Bibliothek erhalten hatte, wurde er am 30. Januar 1873 als solcher definitiv angestellt; aber nicht lange mehr blieb er an diesem Institute, denn schon am 22. Juni 1874 wurde er zum Bibliothekar des Reichstags ernannt. Dort fand er als erster geschulter Fachmann in der stetig anwachsenden Büchersammlung ein reiches Feld für seine organisatorische Thätigkeit, als deren Frucht der Katalog der Bibliothek des Reichstages 1877 und in vermehrter Ausgabe 1882 erschien. – Noch ehe P. seine neue Stellung antrat, hatte er sich an die Ausarbeitung einer von der Berliner Akademie der Wissenschaften gestellten Preisaufgabe gemacht und dieselbe in seinen bei Decker erschienenen „Regesta pontificum Romanorum inde ab a. 1198 ad a. 1304. Opus ab Academia litterarum Berolinensi duplici praemio ornatum eiusque subsidiis liberalissime concessis editum. Berolini 1874. 75“ (2 Bde., 2158 S.) gelöst. Die Bearbeitung der mehr als 25 000 Regesten, für die er in Jaffe’s Arbeiten ein Muster fand, stellte an Potthast’s Ausdauer neue große Anforderungen. Die Unterscheidung der unechten Stücke, die nach dem Vorgange von Böhmer und Stumpf mit besonderer Bezeichnung und Zählung den echten chronologisch angereiht sind, die Feststellung der Chronologie der undatirten Stücke, für die es nur wenige Vorarbeiten gab, konnte nur ein Historiker leisten, mit dessen Wissen sich kritisches Urtheil so glücklich verband, wie es bei P. der Fall war. Die [105] neueren Forschungen über Papstgeschichte seit der Oeffnung des vaticanischen Archivs haben Potthast’s Werk in einzelnen Theilen überholt, aber für eine neue Bearbeitung der Papstregesten wird es dennoch eine der Grundlagen bleiben. – In seiner Stellung als Reichstagsbibliothekar hatte P. seine Lebensaufgabe gefunden. Sammeln, Ordnen und Mittheilen, das gab ein reiches Arbeitsfeld; sein Wissen versagte bei den verschiedenartigsten Anfragen nie, und seine Arbeitskraft erlahmte nicht trotz des den ganzen Tag ausfüllenden Dienstes während der Reichstagssessionen. Als durchaus selbständige Natur sich schwer anschließend, bei der ersten Begegnung vielleicht schroff, hat P. stets in freundlicher und selbstloser Weise geholfen, weit über den Kreis seiner Beamtenthätigkeit hinaus, und, zufrieden mit der Anerkennung von seiten der Fachgenossen und näheren Freunde, nie nach äußeren Ehren gestrebt. Als er merkte, daß seine Arbeitskraft durch ein zunehmendes asthmatisches Leiden erlahmte, zog er sich im J. 1894 von seiner amtlichen Thätigkeit zurück und lebte fortan in Leobschütz, ganz seiner Lieblingsbeschäftigung, der Herausgabe der Bibliotheca historica, zugewandt. Dort starb er in der Nacht zum 13. Februar 1898.