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ADB:Wangemann, Hermann Theodor

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Artikel „Wangemann, Hermann Theodor“ von Hermann Petrich in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 145–148, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wangemann,_Hermann_Theodor&oldid=- (Version vom 8. Dezember 2024, 07:24 Uhr UTC)
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Wangemann: Hermann Theodor W., Missionsdirector, geboren zu Wilsnack in der Priegnitz am 27. März 1818, † zu Berlin am 18. Juni 1894. Der Vater Johannes Theodosius W. zog schon 1821 mit seiner Familie nach Demmin, wo er Subrector wurde und später den Titel Musikdirector erhielt. Der Sohn besuchte die Stadtschule hier und von 1832–1836 das Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin, das er zu Ostern des genannten Jahres als Primus verließ. Er mußte sich, da er von Hause aus keine Unterstützung erwarten konnte, damals und später kümmerlich durchschlagen, gab neben seinen Schulstunden bis zu 23 Stunden Privatunterricht, verlor aber nie die Elasticität seines Geistes und Körpers. Vaterland, Freundschaft, Liebe waren die Sterne seines jugendlichen Idealismus, der ihn während seiner Schul- und Universitätszeit erfüllte und auf dem Turnplatz und in frischer Geselligkeit Nahrung fand. Er studirte bis 1840 vier Jahre lang nur in Berlin Theologie und Philologie, machte gleich im ersten Semester eine gewaltige Fußreise durch Süd- und Mitteldeutschland und wurde von Neander, dem er mit Begeisterung sich anschloß, zum Famulus ausgewählt. In Berlin bestand er die erste, in Stettin 1842 die zweite Prüfung, beide „sehr gut“, und promovirte auch in demselben Jahr in Halle. Daneben war er 1840–1844 Hauslehrer bei den Söhnen des in Afghanistan kämpfenden englischen Oberst v. Wild in Bern. Hier nahm sich besonders der preußische Gesandte v. Bunsen freundlich seiner [146] an und brachte ihn mit vielen wissenschaftlichen Geistern in Berührung. Mehr und mehr war er in ein rein positiv gläubiges Christenthum hineingewachsen. Im October 1845 trat er sein erstes Amt als Rector und Hülfsprediger zu Wollin i. Pom. an, betheiligte sich 1848 lebhaft an den politischen Kämpfen und wurde von seinen Mitbürgern, die er in einem patriotischen Verein gesammelt hatte, in das sogen. Junkerparlament abgeordnet. Im Sommer 1849 wurde er Seminardirector und Archidiakonus zu Cammin i. Pom. Hier, wo er durch Gründung des Domchors und durch kräftige Gemeindepflege seinen praktischen und organisatorischen Sinn bethätigte, begann er auch seine litteratische und öffentlich kirchliche Arbeit, mit der er unter die Führer der confessionellen Partei innerhalb der preußischen Landeskirche trat. Die Wirkungen der pommerschen Erweckung hatten ihn selbst ergriffen. In dem Geisteskampf dieser Tage, schreibt er 1855, „hat der Herr mir den von mir einzunehmenden Standpunkt klar und bestimmt in dem Lehrbegriff und der Lebensgemeinschaft der evangelisch-lutherischen Kirche und meine Geistesrichtung in dem Feldlager der objectiv-real-kirchlichen Bestrebungen angewiesen.“ So hat er neben seinem Camminer Amtsgenossen Meinhold wesentlich zur Sammlung und Festigung der confessionellen Partei durch Theilnahme an Conferenzen und durch seine Schriften beigetragen. Abgesehen von verschiedenen Hülfsmitteln für den Handgebrauch des Lehrers und Geistlichen („Kurze Geschichte des evang. Kirchenliedes“, 1. Aufl. 1853, 2. Aufl. 1855; „Biblisches Hand- und Hülfsbuch zu Luther’s Kleinem Katechismus“, 1. Aufl. 1855, 2. Aufl. 1857, u. A.) übernahm er mit dem Jahre 1858 die Redaction der „Monatsschrift für die evangelisch-luther. Kirche Preußens“, gab 1859 und 1860 seine „Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte, eine aktenmäßige Darstellung des Kampfes um die lutherische Kirche im 19. Jahrhundert“ in 3 Bänden mit einem Nachtrag „geistliches Regen und Ringen am Ostseestrande“ (1861) und 1865 eine „Glaubenslehre“ heraus. Ueberall zeigte er reiche Belesenheit, gewandte Darstellung und bei den geschichtlichen Werken auch großen Eifer in Sammlung mündlicher und schriftlicher Ueberlieferungen. Die formelle Durcharbeitung tritt dagegen zurück. – Das Jahr 1865 rief ihn auf einen andern Platz. Die erste Berliner Missionsgesellschaft (gegründet 1824) hatte durch den Abgang und Tod ihres bisherigen Inspectors Wallmann ihren Leiter verloren. Einstimmig wurde nach vielen Verhandlungen W. vom Comité zu seinem Nachfolger gewählt. Am 2. October 1865 trat er im Missionshause (Sebastianstraße) sein neues Amt an, dem hinfort seine ganze thatkräftige und gesegnete Lebensarbeit gehörte. Um sich aus eigner Wahrnehmung gründlich mit den Verhältnissen und Voraussetzungen des Missionsbetriebes vertraut zu machen, unternahm er vom 14. Juli 1866 bis zum 24. December 1867 seine erste Visitationsreise, die sich vom 17. September 1866 bis zum 27. September 1867 ununterbrochen auf afrikanischem Boden bewegte und ihn durch die 20 damaligen Berliner Stationen in Kapland, Britisch-Kafferland, Oranjefreistaat, Transvaal und Natal hindurchführte. Er bereitete selbst wiederholt Heiden wochenlang auf die Taufe vor, ordnete wichtige äußere Stationsangelegenheiten und verband die jungen Gemeinden zu Superintendenturbezirken. Nach seiner Rückkehr entfaltete er daheim unter Verwerthung der gemachten Erfahrungen eine sehr rege Wirksamkeit. Er veröffentlichte 1868 sein Tagebuch („Ein Reisejahr in Südafrika“), leitete seit demselben Jahre die Herausgabe der Berliner Missionsberichte, schrieb eine vierbändige gründliche „Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft“ (1872–1877) und berichtete daneben mündlich auf zahllosen Versammlungen und Festen. Die nächste sichtbare Frucht der neu geweckten Missionsliebe zeigte sich, als seit dem Januar 1872 der Bau des neuen Missionshauses am Friedrichshain zum Ersatz des nicht mehr [147] ausreichenden alten begonnen und im Herbst des folgenden Jahres vollendet wurde. Die zum Bau erforderlichen bedeutenden Geldsummen wurden großentheils durch Wangemann’s Vermittlung, in Posten von Pfennigbeträgen bis zu einer Einzelgabe von 60 000 Mk. durch die Missionsfreunde immer rechtzeitig aufgebracht und schließlich stand das ganze Haus schuldenfrei da, ohne daß es an den für die laufenden Jahresausgaben damals nöthigen etwa 200 000 Mk, gefehlt hätte. Heftige Angriffe, die im Winter 1869–1870 seitens einiger Mitglieder der Fortschrittspartei im preußischen Abgeordnetenhause und im J. 1877 seitens der „Gartenlaube“ gegen die evangelische Missionsarbeit gerichtet wurden, sowie große Mindereinnahmen in den Jahren 1875 ff. und 1886 ff. wurden für W. nur neue Anlässe, die Missionsgemeinde mit gutem Erfolg zu erhöhtem Eifer aufzurufen. Mit der Ausbreitung des Werkes in Afrika, wozu 1882 noch einige Stationen in China gekommen waren, wuchsen auch die Beiträge in der Heimath und standen bei seinem Tode auf jährlich etwa 320 000 Mk. Besondere Nothstände des ihm unterstellten Werkes legte er den Freunden wiederholt in eingehenden Denkschriften vor (1869, 1874, 1878, 1886, 1889) in denen er die Unerläßlichkeit einer besseren Organisation der heimischen Missionsgemeinde immer wieder mit Nachdruck betonte und Vorschläge zu ihrer Ausführung machte, die seit dem Jahre 1887 zum Theil ins Leben traten. Daß seine Feder manchmal zu schnell und aggressiv war, hat er selbst anerkannt. Zur Organisation des Werkes in Afrika war 1875 seine „Superintendenturordnung“ und 1882 seine „Missionsordnung“ vom Comité angenommen und eingeführt. Ueber die Grenzen seines eigentlichen Berufes griff seine Thätigkeit nur selten hinaus. 1875 betheiligte er sich persönlich und litterarisch-kritisch an der Pearsall Smith’schen Bewegung, 1878 an Stöcker’schen und socialdemokratischen Volksversammlungen, 1880 an der sogenannten Augustconferenz der confessionellen Partei, in deren Vorstand einzutreten er jedoch mit Rücksicht auf sein neutrales Amt ablehnte. 1879 gab er ein vielgelesenes Lebensbild seines verstorbenen Freundes Gustav Knak heraus, 1888 „Die lutherische Kirche der Gegenwart in ihrem Verhältniß zur Una Sancta“, eine Ergänzung und Einschränkung der oben genannten Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte, die ihm heftige Angriffe der nicht unirten Lutheraner zuzog. Zum Lutherjubiläum 1883 erhielt er von Greifswald aus die theologische Doctorwürde. 1884 bis 1885 unternahm er, sechsundsechzigjährig, seine 2. Visitationsreise nach Südafrika, veranlaßt durch das 50-jährige Jubiläum der ältesten dortigen Berliner Missionsstation, Bethanien im Oranjestaat, und gab 1886 „Ein zweites Reisejahr“ heraus. Sein Verhältniß zu den Missionaren, für deren Wohl er immer nach Kräften eintrat, war fast durchweg ein väterliches, die meisten von ihnen waren durch seine Schule gegangen. Im J. 1891 erlebte er es noch, daß seine Gesellschaft infolge der colonialen Aera den Fuß nach Deutsch-Ostafrika setzte und am 2. October des gen. Jahres ihre erste dortige Station Wangemannshöh im Norden des Nyassases begründete. Seine sonst ungemein widerstandsfähige Körperkraft hatte seit der letzten Heimkehr aus Afrika gelitten. Herzverfettung und wiederholte Grippenanfälle verurtheilten ihn öfter monatelang zur Unthätigkeit. Am 18. Juni 1894, nachdem er vier Wochen zuvor noch einmal zwei Zöglinge nach dem Maschonalande abgeordnet hatte, erlag er einem erneuten Anfall. W. ist drei Mal verheirathet gewesen; das erste Mal in Wollin mit der Tochter des Stettiner Consistorialpräsidenten v. Mittelstädt, die ihm schon nach Jahresfrist genommen ward; das zweite Mal in Cammin mit der Schwester seines Freundes v. Blankenburg in Zimmerhausen, die nach fünfjähriger Ehe starb, und das dritte Mal gleichfalls schon in Cammin mit der Schwester des Missionars Merensky, die ihn als Wittwe überlebt. – W. kann [148] als Typus eines norddeutschen Missionsmanns des 19. Jahrhunderts gelten. Genährt an dem Glaubensleben der Erweckungszeit, ungemein fleißig und pflichttreu, mit preußischer Ordnungsliebe und unverkennbarem organisatorischem Talent begabt, persönlich liebenswürdig und zugleich zäh seine Ansicht verfolgend – so wird die Nachwirkung seiner Amtsführung in der 1. Berliner Missionsgesellschaft wie in dem Missionsleben des deutschen Nordostens noch 1auge zu spüren sein.

Wangemann’s handschriftliche Aufzeichnungen. – Berliner Missionsberichte 1865–1894 a. v. O. – Ebd. 1894, S. 390–403 (Lebensbild Wangemann’s von Kratzenstein). – Petrich, H. Th. W. Sein Leben und Wirken. Berl. 1895.