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ADB:Raumer, Karl Otto von

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Artikel „Raumer, Karl Otto von“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 418–420, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Raumer,_Karl_Otto_von&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 19:34 Uhr UTC)
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Raumer: Karl Otto v. R., preußischer Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten. Die Familie, auch Raamer von Rain genannt, stammt aus dem oberbaierischen Orte Rain am Lech und war gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu Eschenbach in der Oberpfalz ansässig, bis infolge der dortigen Gegenreformation der größte Theil derselben im Anfange des 17. Jahrhunderts nach Anhalt verpflanzt wurde. Hier gelangten mehrere Mitglieder aus drei Generationen zu den höchsten Staatsämtern und, nachdem der Adel der Familie 1693 durch Kaiser Joseph I. erneuert war, einige Mitglieder der folgenden Generation in preußischen Militärdienst. R., geboren am 7. September 1805 zu Stargard in Pommern, war der Sohn des preußischen Generalmajors Karl Friedrich Heinrich v. R. († am 2. Juli 1831), welcher sich als preußischer Major im Regimente Pirch bei Auerstädt rühmlich hervorgethan, und der Albertine geborne v. Tschirsky. Er besuchte bis 1824 das Gymnasium in Stettin, studirte bis 1826 in Göttingen und Berlin die Rechte und die Staatswissenschaften und wurde, nachdem er in Stettin die Vorbereitungsstadien des höheren preußischen Staatsdienstes zurückgelegt, schon 1834 Regierungsrath in Posen, dann in Frankfurt a. O. Im Frühjahr 1840 als Hülfsarbeiter in das Finanzministerium berufen, wurde er im Herbst desselben Jahres zum Geheimen Finanzrath, 1841 zum vortragenden Rath im Ministerium des Innern ernannt. 1843 war er Regierungsvicepräsident in Königsberg, 1845 Regierungspräsident in Köln. Infolge der dortigen Bewegung ward er 1848 in gleicher Eigenschaft nach Frankfurt a. O. versetzt. Als Gegner der damaligen Bewegung und als streng conservativer Mann bekannt, wurde er am 19. December 1850, auf Vorschlag O. v. Manteuffel’s zum Cultusminister in dem von diesem am 8. November gebildeten Ministerium ernannt. Dessen auf Reaction gegen die freiheitliche Richtung gehende Tendenz wurde durch R. in seinen Fächern in reichem Maße vertreten. Daher wurden er und seine wesentlichsten Maßnahmen von liberaler Seite fortwährend aufs stärkste bekämpft. Glaubhafte Auskunft über Raumer’s Auffassungen, Bestrebungen und Maßregeln als Minister ist drei Quellen zu entnehmen: Vor allem kommt in Betracht die bald nach seinem Tode erschienene Schrift: „Der Staatsminister von Raumer und seine Verwaltung des Ministeriums der geistlichen u. s. w. Angelegenheiten in Preußen“ (Berlin 1860). Derselben ist im wesentlichen Folgendes zu entnehmen: Indem R. gleich nach seinem Amtsantritt den Kampf für das geschichtliche Recht und die verfassungsmäßige Freiheit der evangelischen Kirche begann, ging er davon aus, daß die 1848 erfolgte Erschütterung des Königthums in Preußen eine tiefe Rückwirkung auf das kirchliche Gebiet geäußert habe und daß nun zu Früherem zurückgekehrt werden müsse. Er meinte, man sei 1848 darauf ausgegangen, daß der König das Kirchenregiment abtrete. Dies glaubte er nicht bloß in der politischen und kirchlichen Presse, in Volksversammlungen und Pastoralconferenzen zu erkennen, sondern auch in der Verfassung vom 31. Januar 1850, in den königlichen Erlassen vom 26. Januar 1849 und 29. Juni 1850, sowie in Verfügungen der obersten Kirchenbehörde. Das Bestehende sei bisher als bloßes Provisorium aufgefaßt und auf den Zeitpunkt hingewiesen, wo die evangelische Kirche sich über eine selbständige Verfassung einigen werde. In einem weiteren Fortschreiten auf diesem Wege sah er Gefahren und durch die Landesverfassung von 1850 hielt er den evangelischen Charakter Preußens, ja den Fortbestand der evangelischen Kirche in Frage gestellt. Verbesserungen der kirchlichen Zustände erwartete er nicht von äußeren Verfassungsänderungen. Deshalb hielt er die Einführung der [419] kirchlichen Gemeindeordnung von 1850 nicht für ersprießlich. Zwar glaubte er die Zurücknahme derselben nicht beantragen zu sollen, für Pommern aber erwirkte er im September 1852, auf Beschwerde des Provinziallandtages, eine der Sistirung gleichkommende Maßregel. Mit Eifer betrieb R. eine feste Dotation des Oberkirchenrathes und eine namhafte Erhöhung des demselben zur Verfügung stehenden Fonds. Bezüglich des Austrittes aus der evangelischen Kirche war er der Meinung, daß die im Patent vom 30. März 1847 über Bildung neuer Religionsgesellschaften gestattete äußerste Ausnahme zur Regel geworden sei, allein Elemente wie die Deutschkatholiken und die Freigemeinden dürften nach Artikel 12 der Verfassung nicht als Religionsgesellschaften anerkannt werden. Er gestattete daher nicht die Ertheilung von Religionsunterricht an die Kinder der Dissidenten durch den Sprecher, auch nicht die Abhaltung von Vereinsversammlungen derselben während der Zeit des evangelischen Gottesdienstes. Es kam ihm darauf an, die Staatsregierung freizuhalten von jeder Verantwortlichkeit für das Treiben der freien Gemeinden, soweit es sich als Religionsausübung gebe und daher strenge Zurückweisung aller daraus abgeleiteten Ansprüche. Hervorragenden Antheil nahm er an den 1854 im Landtage beginnenden Verhandlungen über Reform des Eherechtes. R. war, wie seit langer Zeit seine Familie, reformirten Bekenntnisses und hat öfter, gegen Bestrebungen zur Förderung der Union, dem geschichtlichen Bekenntniß Schutz angedeihen lassen, weil sich nach seiner Ansicht „die Union nicht als Einigungs-, wohl aber der Unionismus als Trennungsmittel und als Schiboleth des subjectivistischen und negirenden Zeitgeistes erwies“. Diesen zu bekämpfen, sah er vorzugsweise als seine „Mission“ an. Die Union wollte er nicht beseitigt sehen, hielt aber die Uebung von Gerechtigkeit gegen die geschichtlichen Sonderbekenntnisse gerade für den Weg, die Union ferner möglich zu machen. Zu diesem Zwecke wollte er dem Kirchenregimente durch tüchtige Besetzung der Kirchenbehörden das Vertrauen wieder erwerben. Daher die Berufung angesehener, bekenntnißtreuer Geistlichen, welche zugleich im Rufe treuen politischen Verhaltens standen, in die Provinzialconsistorien. Bei Ausführung dieser Absicht empfand er es störend, daß der Oberkirchenrath neben dem Ministerium das Recht der Mitwirkung in Personal- und Anstellungssachen besaß. Einen Versuch weiterer Beschränkung dieses Rechtes des Ministeriums hielt er für so bedenklich, daß er um Entlassung bat, die jedoch unter Bezeugung der königlichen Zufriedenheit abgelehnt wurde. Hinsichtlich der katholischen Kirche war R. bestrebt, unter Festhalten am Grundgedanken der deutschen Reformation, die gewaltigen Mächte der Autorität, Zucht und Erhaltung, welche der Katholicismus birgt, für den Staat und dessen Aufgaben fruchtbar zu machen und sie als Gegengewicht gegen die zersetzenden Elemente zu verwenden, welche, wie er glaubte, in der negativen Seite des Protestantismus Schutz und Halt suchten. Was das Schulwesen betrifft, so führte R. eine Aenderung des Lectionsplanes und des Reglements für die Abiturientenprüfungen an den Gymnasien in der Absicht ein, dadurch den Unterricht wissenschaftlicher und bildender zu gestalten, die alten Sprachen wieder mehr in den Vordergrund zu stellen und eine Ueberlastung der Schüler zu vermeiden. Ferner traf er Verfügungen zur tüchtigen Vor- und Ausbildung von Lehrern und gründete einen Convict für junge Theologen, welche sich dem Lehrerberufe widmen wollen, an der Klosterschule in Magdeburg. Bezüglich der Volksschule kam es ihm darauf an, deren Zusammenhang mit der Kirche zu stärken, für welche er den Staat nur als Depositar ansah. Am bekanntesten von allen Anordnungen Raumer’s sind die drei Schulregulative von 1854: für den Unterricht in den evangelischen Schullehrerseminaren, für die Vorbildung evangelischer Seminarpräparanden und die Grundzüge über Einrichtung und Unterricht der evangelischen einclassigen Elementarschule. Diese [420] Regulative sollten eine Reform bedeuten zum Zweck eines festen Wiederanschlusses an die Grundlehren des Christenthums sowie einer Vereinfachung des Lehrstoffes behufs Fernhaltung von Halbbildung. Die zweite Quelle über Raumer’s Tendenzen und ministerielle Amtsthätigkeit hat sein langjähriger vortragender Rath in Unterrichtssachen, L. Wiese, geliefert, indem er nach seiner Pensionirung „Lebenserinnerungen und Amtserfahrungen“ (Berlin 1886) herausgab. Derselbe schildert, wie R. seine Berufung als einen Act der wieder zu festem Regiment entschlossenen höchsten Obrigkeit des Staates auffaßte. Verglichen mit Eichhorn, sei er überaus nüchtern und mit einer Vorsicht zu Werke gegangen, welche sich nirgends des Vorwurfes habe schuldig machen wollen, den zweiten Schritt vor dem ersten zu thun. Wiese stellt R. als ein Vorbild der Pflichttreue, Beharrlichkeit und Genauigkeit im Arbeiten, sowie als einen Vorgesetzten dar, welcher von Anderen viel verlangt habe, weil er streng gegen sich selbst gewesen. Das Quellenmaterial über R. findet noch Ergänzung durch einen Artikel der „Nationalzeitung“ (Nr. 563) vom 2. December 1879 über „die preußische Schulverwaltung unter Raumer“, worin ein Abschnitt aus einer Manuscript gebliebenen ausführlichen Schrift eines „erleuchteten Schulmannes“ über die „Lehrverfassung der preußischen Gymnasien unter dem Raumer’schen Ministerium“ veröffent!icht wurde. Als im October 1857 mit der Uebernahme der Stellvertretung des Königs durch den Prinzen von Preußen der Wechsel in den Grundsätzen der Staatsregierung sich vorbereitete, welcher ein Jahr später, bei Einsetzung der Regentschaft ausgesprochen wurde, fühlte R. nicht mehr festen Boden unter den Füßen. Als insbesondere bei verschiedenen Gelegenheiten vom Regenten ausgesprochen wurde, es sei an der Zeit, von Einseitigkeiten und extremen Richtungen in Bezug auf die Religion zurückzukommen, wurde darin ein Vorwurf gegen R. gefunden, der am 8. November 1858 zurücktrat. Nach der Rückkehr von einer Erholungsreise starb er in Berlin am 6. August 1859 an der Ruhr. Er war seit 1841 vermählt mit Elise, Tochter des Majors, späteren Generallieutenants v. Brauchitsch, und hinterließ drei Söhne und vier Töchter.

Nekrol. in Kreuz-Ztg. Nr. 183 u. 185 v. 1859 u. A. Allg. Ztg. Nr. 224 v. 12. Aug. 1859.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 420. Z. 21 v. u. hinzuzufügen: Ribbeck, Ritschl II, 537 ff. [Bd. 33, S. 797]