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ADB:Riggenbach, Niklaus

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Artikel „Riggenbach, Nikolaus“ von Franz Maria Feldhaus in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 385–395, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Riggenbach,_Niklaus&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 03:04 Uhr UTC)
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Riggenbach: Nikolaus R., geboren zu Gebweiler i. Elsaß am 21. Mai 1817, † zu Olten i. d. Schweiz am 25. Juli 1899, zuletzt Civilingenieur, Erbauer von Bergbahnen nach seinem System.

Sein Vater, der ebenfalls Nikolaus hieß, betrieb zur Zeit der Continentalsperre eine große Rübenzucker-Raffinerie. Das Geschäft ging jedoch nach Aufhebung der Continentalsperre so zurück, daß es am Rande des Fallimentes stand, als sein Besitzer 1827 starb.

Der junge Nikolaus wurde nach Basel geschickt, wo er das Gymnasium bis zur fünften Classe besuchte. Er konnte dort den classischen Studien keinen Geschmack abgewinnen und gehörte zu den mittelmäßigen Schülern. Anfangs wohnte er bei seiner Großmutter, Wittwe Riggenbach, welche ein Landgut bei St. Jakob besaß, auf dem später der Rathsherr Geigy eine Villa baute. Auf dem Wege zur Schule ging er täglich an dem Landgute von Hieronymus Bischoff vorbei, dessen Frau eine Freundin seiner Mutter war und den Vorschlag machte, Nikolaus mit ihrem einzigen Sohn Emil zusammen erziehen zu lassen, welcher Vorschlag gern angenommen wurde. So lebte Nikolaus mehrere Jahre im Hause der Familie Bischoff, welche auch die Absicht hatte, ihn zu adoptiren. Seine Mutter hatte mittlerweile in Basel ein Geschäft gegründet, dem der Erfolg nicht fehlte. Als aber Hieronymus Bischoff seinen Plan, den jungen R. in sein Tuchgeschäft aufzunehmen, zu verwirklichen begann, genügte dieser so wenig seinen Anforderungen, daß Herr Bischoff erklärte, der Junge sei für das Tuchgeschäft zu dumm. Deshalb bat dieser seine Mutter, ihn wieder zu sich zu nehmen. Die Mutter gewährte seine Bitte und that ihn in die Bandfabrik von Emanuel Hoffmann, wo er auf dem Comptoir die Handlung erlernen sollte. Dort bekam er hauptsächlich Briefe abzuschreiben; viel lieber trieb er sich aber in den Fabrikräumen umher, wo ihn die Maschinen ungemein anzogen. Glücklicherweise hatte sein Principal hierfür Verständniß, nahm ihm oft das Briefecopiren ab und ließ ihn seiner Wißbegierde nachgehen. Bald erfaßte ihn ein unwiderstehlicher Drang, Mechaniker zu werden, dem aber die Mutter entgegentrat, indem sie ihm zur Pflicht machte, seine Lehrzeit zu beendigen, um möglichst bald eine Stütze für sie und seine Geschwister zu werden. „Oder“, fügte sie hinzu, „wenn Du Mechaniker werden willst, so werde es, aber ich zahle Dir keinen Batzen Lehrgeld dazu!“

Um diese Zeit schloß er sich einem Christlichen Jünglingsvereine an, lernte dort einen jungen Mechaniker kennen und klagte ihm sein Leid. Dieser war Geselle bei einem Bandstuhlmacher Börlin, redete mit seinem Meister und brachte es dahin, daß der junge R. von Börlin unter der Bedingung umsonst als Lehrling aufgenommen wurde, daß er täglich die Werkstätte aufräume und reinige.

Mit Freuden ging R. darauf ein, trat bei Börlin in die Lehre, und arbeitete von 1833 bis 1836 bei ihm, feilte, schmiedete, drehte und lernte allerlei, aber nichts gründlich.

Nach beendigter Lehrzeit mußte er sich selbst sagen, daß er mit dem Erlernten nicht werde durch die Welt kommen können, entschloß sich aber doch, in die Fremde zu gehen und wanderte zu Fuß nach Lyon. Dort fand er Beschäftigung in der Präcisionswerkstätte eines Herrn Gasquel und fand hier [386] Gelegenheit, sich als Mechaniker, namentlich als Dreher, gehörig auszubilden. Auch schloß er mit einem in der Seidenfabrikation beschäftigten jungen Manne, Namens Stünzi aus Horgen, Freundschaft. Auf seine Empfehlung hin wollte Herr Bonnet, der Chef der größten Lyoner Seidenfabrik, R. als Werkführer anstellen; doch hatte dieser Bedenken dagegen, die er Herrn Bonnet offen darlegte. Namentlich schien es ihm nicht passend, daß er, der erst zwanzig Jahre zählte, im Dienste ergrauten Leuten befehlen sollte und noch dazu in einem Geschäftszweige, für den er sich die erforderlichen Kenntnisse nicht zutraute. In Basel hatte er nur die Bandstuhlfabrikation und in Rünneburg, dem Stammorte seiner Familie, bei einer Frau Suter, das Bandweben erlernt. Trotz dieser Bedenken wurde er dazu bestimmt, die Werkführerstelle anzunehmen, und es ging dann auch über Erwarten gut, indem ihm die bei Frau Suter erworbenen Kenntnisse dabei sehr zu statten kamen.

Indessen hegte er den Wunsch, nach Paris zu reisen, von dem er sich für seine weitere Ausbildung viel mehr versprach, als von Lyon. So reiste er denn im September 1837 mit dem Postwagen nach Paris, wo er bald Arbeit fand. Bei seinen Mitarbeitern erwarb er sich dadurch große Beliebtheit, daß seine sichere Hand ihn befähigte, so oft einem Kameraden irgend ein kleiner Fremdkörper ins Auge gekommen war, diesen rasch und schmerzlos zu entfernen. „Le grand Nicolas“, wie sie ihn nannten, wurde in solchen Fällen stets zur Hülfe gerufen.

Er bewohnte mit drei anderen Mechanikern ein Logis. Der eine aus Graubünden hieß Meyer, der andere Wick von Mühlhausen, der dritte Kastor von Koblenz. Mit letzterem bewohnte R. das gleiche Zimmer. In der Regel war einer der vier Kameraden ohne Arbeit und kochte dann für die anderen. Mehr als durch diese gemeinsame Kocherei profitirten sie aber durch gemeinsames Studium. Sie besuchten Abends die Vorlesungen im Conservatoire des Arts et Metiers und repetirten dann oft bis zur Mitternachtsstunde das Gehörte, oder zeichneten und rechneten mit einander. Da sie jedoch bald einsahen, daß sie ohne Anleitung eines Kundigen den gewünschten Erfolg nicht haben würden, weil sie oft in den Vorlesungen manches nicht verstanden, so engagirten sie einen Studenten der Ecole centrale, um ihnen in Mathematik, Mechanik und Physik Unterricht zu ertheilen. Diese vier strebsamen jungen Leute wurden später bedeutende Männer: Wick Kesselfabrikant in Mühlhausen, Meyer Oberingenieur der Ungarischen Staatsbahn in Pest, Kastor Wasserbauingenieur und Erbauer der Paris-Mittelmeerbahn, der Straßburg-Kehler Rheinbrücke u. s. w.

R. sah damals, am Ende der dreißiger Jahre, den ersten Eisenbahnzug von Paris nach St. Germain fahren, und besonders der Anblick der Locomotive machte auf ihn einen so gewaltigen Eindruck, daß er sich vornahm, sich dem Eisenbahnfache und besonders dem Lokomotivbau zu widmen.

Zur Verwirklichung dieses Vorsatzes kam er in folgender Weise: Im J. 1839 kam der zweite Director der Keßler’schen Maschinenfabrik in Karlsruhe, Herr August Ehrhardt, nach Paris, um tüchtige Mechaniker für das Etablissement anzuwerben. Herr Ehrhardt hatte früher selbst in Paris gearbeitet und einige seiner früheren Bekannten für das Engagement ins Auge gefaßt. Diese erklärten ihm aber, daß sie seine Offerte nur annähmen, wenn er auch R. engagire, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig seien und daher nicht ohne diesen, ihren zuverlässigen Freund, nach Deutschland gehen wollten. So kam R. mit den französischen Monteurs nach Karlsruhe, und seine Laufbahn war damit für immer entschieden.

Im Juni 1840 kamen sie in Karlsruhe an und R. erhielt alsbald die [387] Arbeit, welche ihn am meisten interessirte, denn während bisher die wenigen Eisenbahnen, welche in Deutschland bestanden, ihre Lokomotiven aus England bezogen hatten, wurde jetzt in dem Keßler’schen Etablissement nach englischem Muster und unter Leitung eines englischen Ingenieurs die erste Lokomotive in Deutschland gebaut und für diese verfertigte R. die meisten feinen Bestandtheile.

Durch den Umgang mit dem englischen Ingenieur wurde das Bewußtsein in ihm wach, daß England für seinen Beruf das bahnbrechende Land sei, und der Wunsch, sich die Kenntniß der englischen Sprache anzueignen. Grammatik und Lexikon wurden angeschafft und die freien Stunden ohne Hülfe eines Lehrers zu diesem Studium verwendet. Seine Pariser Freunde gingen allabendlich in eine Brauerei, er aber zog sich allmählich davon zurück, um seine freie Zeit dazu zu verwenden, sich mit den in seinen Beruf einschlagenden Wissenschaften möglichst vertraut zu machen.

Nachdem R. zwei Jahre in der Keßler’schen Maschinenfabrik gearbeitet hatte, machten ihm seine Verwandten den Vorschlag, nach Basel zurückzukommen und mit einem jungen Manne Namens Schaub eine mechanische Werkstätte zu begründen. Diesem Vorschlage leistete er im März 1842 Folge; nachdem er aber mehrere Monate in der im „D’Albeloch“ (St. Albansthal) errichteten Werkstätte fleißig gearbeitet hatte, sah er ein, daß er mit seinem guten, braven, aber wenig praktischen Gesellschafter nicht voran kommen würde, und begrüßte es daher mit Freuden, als eines Tages derselbe Director Ehrhardt, der ihn in Paris mitgenommen hatte, im „D’Albeloch“ erschien und ihm den Antrag stellte, als Werkführer in die Keßler’sche Maschinenfabrik zurückzukehren.

Dort bestand seine Beschäftigung dann ausschließlich im Bau von Lokomotiven, deren während seines zehnjährigen Gesammtaufenthaltes in Karlsruhe, von 1840–42 und von 1844–53, die schöne Zahl von 150 unter seiner Mitwirkung hergestellt wurden. Auch in gesellschaftlicher Beziehung faßte er nun in Karlsruhe immer mehr Fuß und befreundete sich namentlich mit den jüngeren Professoren am Polytechnikum, aus deren Umgang er für seine theoretische Ausbildung manchen Nutzen zog.

Unter den Lokomotiven, die er in Karlsruhe baute, befanden sich die vier ersten für die erste schweizerische Eisenbahnstrecke Zürich-Baden. Für diese wurde 1846 die ganze mechanische Ausrüstung sammt den erforderlichen Wagen in Karlsruhe hergestellt. Im Frühjahr 1847 wurde R. beauftragt, die erste Lokomotive über die schweizerische Grenze zu bringen. Kurze Zeit darauf führte er auch den ersten schweizerischen Eisenbahnzug auf der Probefahrt von Zürich nach Schlieren. Am 9. August 1847 fand dann die Eröffnung der ganzen Bahnstrecke statt.

Um diese Zeit hatte die Keßler’sche Maschinenfabrik eine Dampfheizung für die Fabrik Geigy zu Steinen im Wiesenthal geliefert; sie wollte aber nicht functioniren, der Dampf zog nicht durch die Röhren und Oberst Geigy, der Chef der Firma drohte mit einem Proeeß. Man konnte sich die Sache nicht erklären. R., der seiner Hochzeit wegen um diese Zeit nach Basel ging, wurde beauftragt, den Apparat womöglich in Ordnung zu bringen. Bei der ersten Besichtigung konnte auch er die Ursache der merkwürdigen Erscheinung nicht finden, aber in der darauffolgenden, für ihn schlaflosen Nacht kam ihm der Gedanke, man müsse den Dampf den umgekehrten Weg, das heißt, den gleichen Weg mit dem Condensationswasser ziehen lassen. Er sprang sofort aus dem Bette, weckte den Monteur und führte mit ihm die nöthigen Aenderungen an der Leitung aus, und als dann Morgens 7 Uhr Oberst [388] Geigy die behaglich durchwärmten Fabrikräume betrat, war er voll Erstaunen, denn die Heizung war nun vortrefflich. Von der Zeit an hatte R. an den Gebrüdern Geigy väterliche Freunde, die ihm später von großem Nutzen waren.

Seine Vermählung mit einer Enkelin des Baseler Rathsherrn Socin fand im November 1847 in dem badischen Orte Binzen statt, weil er eigentlich den schweizerischen Sonderbundsfeldzug hätte mitmachen müssen, und der Großvater der Braut nicht wünschte, daß in Basel darüber gesprochen würde.

In Karlsruhe begründete er nun seinen eigenen Hausstand und erwarb bald eine Liegenschaft vor dem Ettlinger Thore. Im J. 1848 wurde ihm sein einziges Kind, ein Sohn geboren, der zwar nicht, wie der Vater wünschte, sein Fachgenosse, aber auf seinem Gebiete als Pfarrer und Universitätslehrer auch ein unermüdlicher Arbeiter wurde.

In dem Revolutionsjahre 1848 wurden auch die Arbeiter der Keßler’schen Maschinenfabrik unruhig und verlangten Riggenbach’s Entlassung, weil er zu streng sei. Dieser war bereit, seine Stellung aufzugeben, doch veranlaßte er Herrn Keßler, die Arbeiter zu fragen, ob sie jemand vorzuschlagen wüßten, der neben der praktischen Erfahrung die technischen Kenntnisse besitze und drei Sprachen verstehe, wie R., und da die Arbeiter niemand vorzuschlagen wußten, einigte man sich dahin, daß R. bleiben könne, wenn der Chef ihm zurede, etwas „toleranter“ mit dem Personal umzugehen. Man war jedoch bald genöthigt, das Geschäft zu schließen, denn am 13. Mai brach jene Militärmeuterei aus, infolge deren der Großherzog fliehen mußte und alles drunter und drüber ging. R. war froh, als einer seiner Brüder kam und in aller Eile seine Frau und das Kind sammt allen Werthsachen nach Basel abholte. Nachdem im Spätjahre 1849 die Stürme der Revolution vorüber waren, holte er sie wieder aus der Schweiz zurück.

Nicht lange danach wurde Herr Keßler nach Eßlingen berufen, um dort an die Spitze einer großen Maschinenfabrik zu treten, die mit der württembergischen Staatsbahn in Verbindung stand. Bei dieser Gelegenheit machten die früher erwähnten Gebrüder Geigy von Basel den Vorschlag, die Keßler’sche Maschinenfabrik mit R. als technischem Geranten zu übernehmen; da dieser aber seinem bisherigen Chef nicht Concurrenz machen wollte und die Geschäfte in Karlsruhe damals auch nicht gut gingen, lehnte er dieses Anerbieten ab; doch sollte sein Aufenthalt in Karlsruhe nicht mehr lange dauern.

Am 17. Februar 1853 wurde er von der neugegründeten schweizerischen Centralbahn-Gesellschaft als Chef der Maschinenwerkstätte der neuen Bahn nach Basel berufen. So gern er dahin zurückkehrte, wurde ihm der Abschied von Karlsruhe, wo er so lange gewirkt und viele Freunde gefunden hatte, doch schwer. Auch die Arbeiter wollten nichts mehr davon wissen, daß er zu streng gewesen sei und gaben ihm wohlthuende Beweise ihrer Anhänglichkeit. Da er für sein Haus nicht sogleich einen Käufer fand, mußte er es vermiethen, doch begab er sich vor seiner Abreise zu einem ihm befreundeten Mitgliede des Stadtrathes und ermächtigte ihn, für den Fall, daß die Liegenschaft zu einem für das öffentliche Wohl förderlichen Zwecke verwendet werden könne, einen auch nach den damaligen Verhältnissen niedrigen Preis anzugeben. Er war noch nicht lange in Basel, als er die Nachricht erhielt, der Pariser Christofle beabsichtige, in Karlsruhe eine Filiale seines Geschäftes zu gründen, finde aber keinen anderen geeigneten Platz, als eben dieses Grundstück. R. willigte ein, es an Christofle zu dem eben angegebenen niedrigen Preise zu verkaufen, und bald erhob sich hinter seinem ehemaligen Wohnhause die große Christofle-Fabrik, welche vielen hundert Arbeitern guten Verdienst gibt.

Als R. nach Basel kam, hatte sein Chef, der mit der Oberleitung des [389] Baues der Schweizer Centralbahn betraut war, bereits alle 54 Lokomotiven für diese Bahn nach einem und demselben Modelle bestellt. R. hielt es für seine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß für die Ebene leichte Maschinen, für die Steigungen dagegen mittlere und schwere vortheilhaft seien, erhielt aber zur Antwort: es sei beabsichtigt gewesen, ihn auch zum Maschinenmeister der neuen Bahn zu machen, wenn er aber mit den bestellten Maschinen nicht fahren könne, so werde ein anderer Maschinenmeister angestellt werden. In der That wurde ein anderer theoretisch sehr gediegen ausgebildeter junger Mann mit diesem Amte betraut. R. blieb ausschließlich dazu bestimmt, die Leitung der in Olten zu errichtenden Hauptwerkstätte zu übernehmen, mußte sich aber, bis diese errichtet war, anderweitig, theils zu technischen Bureau-Arbeiten, theils zu Reisen verwenden lassen.

Zunächst wurde er nach England geschickt, um die dort bestellten Schienen zu übernehmen. Sein Aufenthalt daselbst dauerte etwa vier Monate, und er benutzte diese Gelegenheit nach Kräften, um seine beruflichen Kenntnisse zu erweitern.

Bald nach seiner Rückkehr wurde er nach Oesterreich gesandt, um den Probefahrten auf der Sömmeringbahn beizuwohnen. Es concurrirten hierbei belgische Lokomotiven von Cockerill mit deutschen von Keßler. Obgleich die letzteren weit sorgfältiger gearbeitet waren, blieben sie bei den ersten Fahrten hinter den belgischen zurück, was für Keßler sehr fatal und für R., seinen ehemaligen Adjutanten, sehr unangenehm war. Dieser untersuchte am Abend sowohl die belgischen, als auch die deutschen Lokomotiven auf das sorgfältigste und theilte Herrn Keßler seine Ansicht mit, die geringere Leistung seiner Maschine sei wahrscheinlich nur der Construction der Funkenfänger an den Kaminen zuzuschreiben. Herr Keßler stellte dies in Abrede, R. aber nahm in der Nacht mit Hülfe eines Maschinisten der Keßler’schen Maschinenfabrik das Kamin von einer belgischen Lokomotive und setzte es auf die Keßler’sche, welche am nächsten Morgen erprobt werden sollte. Am anderen Tag arbeitete die deutsche Lokomotive bedeutend besser als die belgische und R. behielt Recht. Für diesen Dienst war Herr Keßler zeitlebens dankbar und unterstützte R. für die Folge stets in seinen Projecten.

Einem ähnlichen glücklichen Einfalle und praktischen Griffe hatte dieser bald darauf eine entscheidende Wendung in seiner Stellung bei der Centralbahn zu danken. Als die Probefahrt auf der Strecke Basel-Liestal stattfinden sollte, wozu die Behörden, die Directoren und alle höheren Angestellten der Bahn sammt ihren Familien und folglich auch R. mit seiner Frau eingeladen waren, kam dessen Chef mit verstörter Miene auf ihn zu und klagte, die Fahrt könne nicht stattfinden, weil sich unversehens herausgestellt habe, daß die drei vorhandenen Lokomotiven defect seien. R. bat um die Erlaubniß, sie untersuchen zu dürfen, und fand, daß zwei Maschinen nicht zu gebrauchen waren, und daß die dritte ein Loch in einem ihrer beiden Wasserreservoirs hatte, woran die Arbeiter unter Anleitung des gelehrten Maschinenmeisters beschäftigt waren, das Loch mit Baumwolle und Lappen zu verstopfen, was nicht gelingen wollte. R. trat hinzu, erklärte, für die Fahrt nach Liestal genüge ein Wasserreservoir, drehte den Verbindungshahn zwischen den beiden Reservoirs zu, schwang sich auf die Maschine und fuhr zur freudigen Ueberraschung seines Chefs mit dem so rasch curirten Dampfrosse vor. Die Fahrt der Gesellschaft ging vortrefflich von statten, und diese Kleinigkeit gab den Ausschlag, daß R. hinfort die technische Leitung des Centralbetriebes übertragen bekam; der gelehrte, liebenswürdige, aber etwas unbeholfene junge Herr aber zeichnete und schrieb fürderhin an seinem Pulte. Am 29. Februar [390] 1856 wurde R. zum Maschinenmeister ernannt, worauf er, sobald die Werkstätte fertig geworden war, nach Olten übersiedelte.

Als sein Chef nach Vollendung der schweizerischen Centralbahn nach Oesterreich ging, um die österreichische Südbahn zu bauen, wollte er R. durchaus mitnehmen und erklärte sich mit allen Bedingungen, die dieser stellen würde, im voraus einverstanden; R. aber fühlte sich verpflichtet, auf dem ihm überwiesenen, seinen Neigungen vollkommen entsprechenden Doppelposten eines Maschinenmeisters und Chefs der Hauptwerkstätte auszuharren.

Die Hauptwerkstätte in Olten hatte bald für hundert Arbeiter genug zu thun. Zunächst wurde die Eisenconstruction der Eisenbahnbrücke über die Aar bei Olten ausgeführt und in den Jahren 1863 und 1864 diejenige über die Aar bei Bußwyl der Linie Biel-Bern. Es war dies die erste Brücke in der Schweiz, bei deren Fundamentirung pneumatische Caissons angewendet wurden. Riggenbach’s Freund Kastor, dessen sich der Leser aus den Mittheilungen über die Pariser Zeit erinnern wird, hatte ihm von Paris Pläne, Modelle und Erfahrungen mitgetheilt, die er hierüber bei dem Bau der Kehler Rheinbrücke gesammelt hatte. Schon wenige Jahre nach Eröffnung der Brücke bei Bußwyl wurden in der Oltener Werkstätte auch Versuche im Lokomotivbau gemacht. R. trachtete danach, das Etablissement von dem Range einer Reparaturwerkstätte zu dem einer Maschinenfabrik zu erheben und wurde in diesem Streben von dem Directorium der Centralbahn unterstützt. Seine äußere Stellung blieb zwar während der zwanzig Jahre, die er bei der Centralbahn gearbeitet hat, eine bescheidene, dafür gewährte man ihm aber unbeschränkte Freiheit, die ihm am werthvollsten war. Auf seine Anregung hin wurden in der Oltener Werkstätte neue Lokomotiven gebaut und dieser Zweig der Thätigkeit wurde auch von seinen Nachfolgern gepflegt. Unter den ersten Maschinen, die hier gebaut wurden, waren vier ganz schwere für die Bahn von Neuenburg über Chaux-de-Fonds nach Locle. Im November 1859 verließ die erste dieser Lokomotiven von 800 Centner Gewicht die Hauptwerkstätte.

Beim Betriebe der Bahn durch den Hauenstein-Tunnel machte man die sehr mißliche Erfahrung, daß auf der starken Steigung zwischen Olten und Laufelfingen und namentlich in dem Tunnel das Gleiten der Triebräder auf den Schienen selbst durch Streuen von Sand nicht immer gehoben werden konnte. R. sann auf Mittel, diesem Uebelstande abzuhelfen und kam auf den Gedanken, daß eine Abhülfe nur mittelst einer Zahnstange, in die ein Zahnrad eingreift, zu erlangen sei. Auch war ihm sofort klar, daß auf diese Weise noch viel größere Steigungen überwunden werden könnten. Er machte ein kleines Modell einer solchen Bahn und zeigte es allen Technikern, die ihn besuchten. Professor Dr. Culmann vom Polytechnikum in Zürich bestärkte ihn in seiner Ansicht, aber sonst wollte Niemand in der Schweiz etwas davon wissen. Er reiste mit seinem Modell zu einer Ingenieur- und Architektenversammlung in Stuttgart. Auch da wurde er mit Achselzucken angesehen und seine deutschen Freunde sprachen es unter einander mit Bedauern aus, der alte R. sei ein Narr geworden. Wie ein Sonnenstrahl erhellte dieses Dunkel ein prophetisches Wort des schweizerischen Generalconsuls John Hitz. Als dieser Olten besuchte und das Bergbahn-Modell sah, rief er aus: „Well, Mr. Riggenbach, Sie bauen eine Eisenbahn auf die Rigi!“ Damit war Riggenbach’s bisher mehr theoretischen Studien ein praktisches Ziel gegeben und diese Worte machten ihm Muth, die Sache weiter zu verfolgen. Das erste Patent für diese Erfindung erhielt er in Frankreich am 12. August 1863, sechs Jahre bevor er von einer ähnlichen Erfindung des Amerikaners Marsh Kunde erhielt. Dieser trat erst 1869 mit seiner Erfindung hervor [391] und erhob keine Einwendung, als R. am 13. Februar 1872 ein amerikanisches Patent erhielt, obgleich dieser ihn davon in Kenntniß setzte. Er hat R. ausdrücklich als selbständigen Erfinder anerkannt. Die Aussage späterer Concurrenten, R. habe sein System in Amerika abgesehen, ist daher unbegründet.

Unter den vielen Ideen, die Riggenbach’s Kopf neben seinen Berufsgeschäften durchkreuzten, war auch die Frage, ob es nicht vortheilhaft sein würde, die hölzernen Lafetten der Geschütze durch leichtere eiserne zu ersetzen. Er legte Anfangs der sechziger Jahre ein Modell eines solchen Geschützgestelles dem Bundesrathe Stämpfli vor und dieser veranlaßte ihn, eine Musterlafette anzufertigen. Er stellte in der Folge eingehende Versuche damit an, und Riggenbach’s Modelle wurden mit kleinen Abänderungen vom eidgenössischen Militärdepartement angenommen, ohne daß der Erfinder irgend welchen Dank davon gehabt hätte. Patentschutz gab es nicht in der Schweiz. Beim Ausschreiben der Lieferung der ersten hundert Lafetten dieser Art wurde nicht einmal der Name des Erfinders genannt.

R. war kaum ein Jahr in Olten, als ihm diese Stadt das Bürgerrecht unter den ehrenvollsten Prädicaten ertheilte. Einige Jahre später that die benachbarte Gemeinde Trimbach das gleiche.

Am 25. September 1865 trat er eine Reise nach Costarica an, um seinen dorthin ausgewanderten Bruder August, über dessen Gesundheitszustand üble Nachrichten eingelaufen waren, zu besuchen und womöglich zur Rückkehr in die Schweiz zu überreden. Am 16. October kam er in St. Thomas an, am 23. desselben Monats in Colon (Aspinwall). Von da fuhr er mit der Eisenbahn nach Panama, wo er einige Tage auf die Ankunft der Post von New-York warten mußte. Diesem Aufenthalte folgte eine schöne Fahrt über den stillen Ocean nach Punta Arenas, dem Hafen von Costarica und ein anderthalbtägiger beschwerlicher Ritt nach der Hauptstadt San José. Dort hatte er Gelegenheit, die meisten Ausländer von Auszeichnung kennen zu lernen. Die costarikanischen Behörden hielten ihn für eine wichtige und interessante Persönlichkeit. Der Präsident, die Minister und viele Senatoren besuchten ihn. Es wurden ihm Propositionen aller Art gemacht, und die Regierung wollte ihm eine Jahresbesoldung von 10 000 Piastern (= 50 000 Franken) garantiren, denn sie stand damals mit einer Gesellschaft in New-York in Unterhandlung wegen Herstellung einer Eisenbahn quer durch das Land von einem Meere zum andern. R. fand aber wenig Gefallen an den Culturzuständen dieses Landes und ließ sich nicht halten. Da sein Bruder sich weigerte, mit ihm nach der Schweiz zurückzukehren, reiste er nach viermonatlichem Aufenthalte in Costarica nach New-York ab, besuchte Philadelphia, Washington, Baltimore, Pittsburg, Buffalo, die Seen, den Niagarafall, Albany und kehrte längs dem Hudsonflusse wieder nach New-York zurück. Nach einer sehr schlechten Ueberfahrt kam er am 1. Mai 1866 wieder in Olten an, wo er mit der Nachricht begrüßt wurde, daß er während seiner Abwesenheit in den Solothurner Kantonatsrath gewählt worden sei.

Er nahm sich nun die Energie und zähe Ausdauer der Yankees, die er in Nordamerika kennen gelernt hatte, zum Muster, um seinen Plan einer Eisenbahn auf den Rigi durchzusetzen, nahm sein Modell wieder zur Hand und ging auf die Suche nach Geld. Endlich gelang es ihm, das nöthige Capital zusammenzubringen. Es bildete sich eine Gesellschaft zum Bau einer Bahn von Vitznau nach Rigikulm. Befreundete Bankiers entschlossen sich, die nöthige Summe von 1 250 000 Franken vorzuschießen. Die Herren Oberst Näff und Olivier Zschokke von Aarau verbanden sich mit R. zur Ausführung. [392] Ersterer ging an die Aufnahme der Pläne und arbeitete während der Sommerszeit von 5 Uhr früh bis spät abends, um die Ausführung zu beschleunigen.

Während die Genannten im J. 1869 an der Arbeit waren, erhielt der Bundesrath durch Herrn Hitz die Nachricht, daß der amerikanische Ingenieur Marsh nach einem ähnlichen System eine Bahn auf den Mount Washington baue. Sofort schickte die Gesellschaft einen jungen Techniker dorthin, doch zeigte es sich, daß Marsh’s Ausführung nicht als Muster dienen könne.

Am 21. Mai 1870 war schon eine Strecke der Rigibahn fertig, so daß die erste Probefahrt vorgenommen werden konnte, doch dauerte es noch ein volles Jahr, bis die ganze Bahn dem Betrieb übergeben werden konnte, weil die Lieferung der Schienen, welche in Ars bei Metz bestellt worden waren, durch den deutsch-französischen Krieg verzögert wurde, und so fand am 21. Mai 1871, wiederum dem Geburtstage Riggenbach’s, sein Friedenswerk, und für ihn der Gegenstand langjähriger Sorgen und Kämpfe, seinen Abschluß.

Nach dem glücklichen Erfolge der Rigibahn wurde sein Bergbahnsystem immer mehr gewürdigt. Im J. 1873 bildete sich die „Internationale Gesellschaft für Bergbahnen“ mit dem Sitze in Aarau, zu deren Directoren Oberst Zschokke und R. ernannt wurden. Dieser konnte jedoch seine Stelle als Chef der Hauptwerkstätte in Olten nicht sofort verlassen, da erst ein Nachfolger gesucht werden mußte. Er berief einen früheren Angestellten, Herrn Egger, damals in England, zu seinem Adjuncten, der nach Jahresfrist seine Stellung übernahm. Zwanzig Jahre hatte R. im Dienste der schweizerischen Centralbahn zugebracht.

In Aarau, wohin er nun täglich fuhr, wurde eine sehr schöne Werkstätte errichtet und das Geschäft florirte anfangs sehr, wie ja im Anfange der siebziger Jahre alle Geschäfte gut gingen. Nach einander wurden die Bahnen: Arth-Rigi (20% Steigung), Wien-Kahlenberg (10% Stg.), Pest-Schwabenberg (10% Stg.), Rorschach-Heiden (9% Stg.), alle für Personen- und Güterverkehr erbaut und sämmtlich im J. 1874 eröffnet. Die drei ersten Eisenbahnen waren mit durchgehenden Zahnstangen, Rorschach-Heiden in gemischtem System hergestellt. Schon im J. 1870 war die Bahn zu Ostermendingen (Bern) in gemischtem System (10% Stg., Güterverkehr) erbaut worden. 1876 folgte Wasseralfingen in Württemberg (8% Stg.), 1877 Ruti im Kanton Zürich (10%), 1878 Laufen im Kanton Bern (6%), 1880 Oberlahnstein in Preußen (10%), alle nach gemischtem System und für Güterverkehr. Die Einfahrt in die Zahnstange geschieht ohne anzuhalten. Der Uebergang von der gewöhnlichen Bahn in die Zahnstangenbahn ist kaum bemerkbar.

Durch die vielen Aufträge im Anfange der siebziger Jahre schien es, als ob der Stadt Aarau dadurch eine dauernde Quelle des Verdienstes eröffnet worden sei, weshalb sie im December 1874 R. und seiner Familie das Ehrenbürgerrecht schenkte, aber auf die Zeit des Aufschwunges im Anfange der siebziger Jahre folgte die Zeit des Kraches und der völligen Geschäftsstockung. Es fehlte daher nach der Mitte der siebziger Jahre auch der Bergbahn-Gesellschaft an genügenden Aufträgen, und zu diesem geschäftlichen Mißgeschicke kam am 19. November 1876 noch ein persönlicher Unfall infolge eines Zusammenstoßes zweier Züge unmittelbar vor der Einfahrt in den Bahnhof Bern, wobei R. neben vielen kleineren Verletzungen eine Quetschung des Unterschenkels erlitt, welche sich noch viele Jahre fühlbar machte. Dadurch kam er zum ersten Mal in seinem Leben mit Aerzten in nähere Berührung.

Als Beispiel, wie sehr sich R. um diese Zeit um Bestellungen bemühte, sei erwähnt, daß er die Bahn für Rüti zunächst auf eigenes Risiko baute.

[393] Um diese Zeit kam der Kaiser von Brasilien, Dom Pedro III., in die Schweiz. Er war am 25. und 26. Juli 1877 in Basel und äußerte den Wunsch, daß R. ihn nach dem Rigi begleiten und ihm die nöthigen Erklärungen seines Bahnsystemes geben möchte. Die gemeinsame Besichtigung fand am 29. und 30. Juli statt. Der Kaiser machte die Fahrt auf der Lokomotive mit. R. brachte mehrmals die Rede auf das Project einer Zahnradbahn von Rio Janeiro nach Petropolis, erhielt aber jedesmal ausweichende Antwort.

Wenn es auch gelang, in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einige kleinere Geschäfte abzuschließen, wie aus der vorstehenden Zusammenstellung zu ersehen ist, so genügte dies doch lange nicht, alle die Arbeiter des Etablissements zu beschäftigen. Da kam die Kunde, man beabsichtige eine Eisenbahn auf die Nil Geries oder „Blauen Berge“ im Südwesten von Englisch Indien zu bauen. Es wurden sofort Unterhandlungen angeknüpft und beschlossen, daß R. sich zur Aufnahme der Pläne nach Ostindien begeben solle.

Diese Reise fand im J. 1880 statt. Sie ging über Brindisi, Alexandrien, Suez, Aden, Insel Ceylon nach Madras. Zeitungsnachrichten hatten schon Riggenbach’s Ankunft gemeldet und die Bemerkung beigefügt, er werde ohne Zweifel die „Vereinigung der Pflanzer“ in ihren Zwistigkeiten gegen die Verwaltungsbehörden der Präsidentschaft unterstützen. R. ließ sich deshalb beim Gouverneur, dem Herzoge von Buckingham, melden und sagte ihm, daß es ihm nicht einfalle, sich in jene Angelegenheiten zu mischen. Er sei ein einfacher Mechaniker und würde, falls der Herzog seinen Beistand nicht gewähren wolle, sofort wieder abreisen. Der Herzog ermunterte ihn, die Sache einstweilen an Ort und Stelle zu untersuchen, wozu er ihm Major Morant als Begleiter mitgab, und versprach, sich später persönlich nach dem Stande der Arbeiten erkundigen zu wollen. Major Morant und R. reisten mit der Eisenbahn nach Mutapalam am Fuße des Gebirges, wo die Bergbahn beginnen und vorläufig bis Coonoor gehen sollte.

Am 16. März 1880 wurde zu Ootacamand, der Hauptstadt der Blauen Berge, eine Versammlung der Planters und Settlers abgehalten, welche an dem Bau der Bahn interessirt waren. Nachdem ihnen R. sein Bergbahnsystem erklärt und mitgetheilt hatte, daß der Herzog dem Unternehmen seinen Beistand leihen würde, legten sie ohne weiteres 300 £ für die Ausarbeitung der Pläne zusammen, womit Riggenbach’s Auslagen gedeckt waren.

Dieser begann nun seine Arbeiten, die ihn mehrere Monate in Indien festhielten. Nach Beendigung derselben begab er sich wieder nach Ootacamand, wo inzwischen der Herzog zum Sommeraufenthalte angekommen war. Dieser empfing R. auf das freundlichste, prüfte seine Pläne, gab seine Zustimmung und versprach seine Beihülfe. R. reiste nach Madras zurück. Dort wurde ihm auf Befehl des Herzogs der herzogliche Salonwagen für seine Weiterreise nach Bombay zur Verfügung gestellt. Am 13. Mai traf er dort ein. Auch in der Nähe dieser Stadt wurde eine Bergbahn gewünscht. Auf der Heimreise ging R. noch nach London, um wegen der Finanzirung der Bahn in die Blauen Berge mit den betreffenden Bankiers zu sprechen.

Während seiner Arbeiten in Indien hatte er an die Internationale Bergbahn-Gesellschaft geschrieben, die Errichtung der Bahn in die Blauen Berge sei zwar principiell gesichert, doch stehe die Frage der factischen Ausführung noch offen. Infolge dieses Briefes fand er bei seiner Rückkehr in die Schweiz, daß sich die Gesellschaft aufgelöst hatte. Die Werkstätte in Aarau war verkauft, die Arbeiter waren entlassen worden. So blieb ihm nun nichts anderes übrig, als in Olten als Civilingenieur ein Bureau zu eröffnen. Seinen [394] früheren Pferdestall ließ er dazu umwandeln, und kaum war es nothdürftig ausgestattet, so kamen Bestellungen in Menge.

Zuerst war eine Zahnradbahn für Personen- und Güterverkehr mit 15% Steigung nach Rio Janeiro auszuführen. Da R. nicht dorthin reisen konnte, ließ er sich die Pläne des fraglichen Gebietes kommen und zeichnete die Trace der Bahn hinein, wie er es in der Folge meistens zu thun pflegte. Dann sandte er das Rollmaterial, sowie die ganze mechanische Einrichtung an den Ort ihrer Bestimmung. Diese Arbeiten ließ er meist in der Oltener Hauptwerkstätte oder bei seinen alten Freunden in Eßlingen ausführen. Später aber mußte er, der hohen Zölle wegen, jeweilen in dem betreffenden Lande selbst arbeiten lassen.

Im J. 1882 wurde diese Bahn in Rio Janeiro und die Zahnradbahn auf den Drachenfels am Rhein (22% Steigung), sowie eine Drahtseilbahn von Braga in Portugal nach dem Wallfahrtsorte Bom Jesus in Betrieb gesetzt, und eine Bahn für das Bergwerk Teschen in den Karpathen im Auftrage des Erzherzoges Albrecht von Oesterreich projectirt.

Nach Vollendung der Bahn Braga-Bom Jesus faßte man in Portugal so rasch Zutrauen zu dem System Riggenbach’s, daß ihm sofort mehrere neue Anfragen von dort zugingen, bei deren Prüfung er jedoch Schwierigkeiten voraussah, die es ihm gerathen erscheinen ließen, sich ohne eigenen Augenschein nicht darauf einzulassen. Er folgte daher der dringenden Einladung einer Gesellschaft in Lissabon, welche eine zweckmäßige Verbindung zwischen dem Hafen und dem höher gelegenen Stadttheile herstellen wollte, und begab sich im Herbste 1882 dorthin.

Lissabon ist ganz auf Hügeln erbaut. Die betreffende Gesellschaft hätte ihm am liebsten gleich ein halbes Dutzend Drahtseilbahnen bestellt; nach genauer Prüfung des Terrains konnte sich R. jedoch vorerst nur zur Ausführung einer solchen entschließen. Unterdessen hatte man in Braga nicht geruht, bis er versprochen hatte, die dortige Bahn nach Bom Jesus persönlich in Augenschein nehmen zu wollen. Als er in Braga ankam, fand er den Bahnhof zu seinem Empfange reich bekränzt. Mit Glockengeläute, Militärmusik und Kanonendonner wurde er begrüßt. Eine Procession der Behörden und der Geistlichkeit holte ihn am Bahnhof ab. Wie einem Fürsten warf man dem bescheidenen Manne in den festlich geschmückten Straßen der Stadt Blumensträuße zu und veranstaltete Abends ihm zu Ehren ein großartiges Bankett.

Die Drahtseilbahn nach Bom Jesus machte selbst auf ihren Erbauer einen großartigen Eindruck. Er hatte vorher noch keine Bahn mit einer so großen Steigung von 52% projectirt. Am 26. September 1882 reiste er nach Madrid, wo er sich nur kurze Zeit aufhielt, und von da über Bayonne, Toulouse und Lyon in die Heimath zurück.

Die für Lissabon projectirte erste Drahtseilbahn (25% Stg.) wurde im J. 1883 erbaut, ebenso eine solche von 57% Steigung von Montreux-Glion im Kanton Waadt und die Zahnradbahn von Rüdesheim a. Rhein auf den Niederwald (25% Stg.). Im J. 1884 erbaute R. eine Drahtseilbahn für Piovene in Italien und eine für Gütsch bei Luzern (erstere 25%, letztere 52% Stg.), sowie eine Zahnradbahn für Stuttgart (18% Stg.) und eine von Rio Janeiro auf den Coreovado (30% Stg.), bei deren Eröffnung der Kaiser von Brasilien während des Festbanketts sagte, er kenne den Erfinder des Bergbahnsystems persönlich und freue sich herzlich, daß der herrliche brasilianische Rigi nun auch seine Rigibahn bekommen habe.

Bei Gelegenheit einer Reise nach Wien und Pest, wohin ihn im J. 1884 Geschäfte führten, nahm R. die in demselben Jahre fertiggestellte Bahn für [395] das Bergwerk Teschen in den Karpathen in Augenschein. Auf der Rückreise berührte er Salzburg, um wegen einer dort herzustellenden Bergbahn zu unterhandeln.

Als er sich nach seiner Heimkehr am 19. October 1884 zur Cur nach Baden im Aargau begab, erhielt er alsbald ein Telegramm, welches ihn zur Besprechung über den Bau einer Bergbahn in Algier nach Olten zurückrief. Er reiste sofort dahin, allein der Aufgeber des Telegrammes, Herr Sartor, war nicht zu treffen. Sofort kehrte er nach Baden zurück und erhielt die Nachricht, Herr Sartor sei hierüber „rasend“, doch antwortete ihm R., er möge nun nach Baden kommen, wenn er ihn sprechen wolle. Sartor reiste in seinem Zorne ohne weitere Verhandlungen nach Lyon, während R. sich in Baden über seine sich wieder kräftigende Gesundheit freute und den geschilderten Vorfall fast vergessen hatte, als er einen Brief aus Algier erhielt, worin Herr Sartor das Tracé der Bahn, das er von einer Lyoner Firma hatte anfertigen lassen, beschrieb und anfragte, ob er wohl Seil- oder Lokomotivbahn anwenden müsse, und schließlich dringend bat, R. möge nach persönlich genommenem Augenscheine sein entscheidendes Urtheil abgeben. Um sich zu vergewissern, ob es mit der Sache Ernst sei, antwortete dieser, er werde abreisen, wenn zu den Reisekosten ein Vorschuß von 1000 Franken geleistet worden sei, und erhielt nach wenigen Tagen von Paris eine Anweisung dieser Summe.

Am 9. Januar 1885 reiste er ab, um sich über Lyon und Marseille nach Algier zu begeben. Am südlichen Ende dieser Stadt führt die Rue Rovigo in starken Windungen einen steilen Hügel hinan. Zur Ueberwindung der starken Steigung hatte Herr Sartor eine Seilbahn projectirt, die nicht nur Personen und Passagiergut, sondern auch beladene Wagen sammt den Pferden befördern sollte. Nach genauer Prüfung der Verhältnisse schlug jedoch R. vor, die Bahn etwa einen halben Kilometer länger zu machen, um unmittelbar nach dem Dorfe El Biar zu gelangen und sie als Zahnradbahn mit Lokomotiven zu betreiben. Dieser Plan fand allgemeinen Beifall, und auch der Festungscommandant hatte nichts dagegen einzuwenden.

Auf seiner Rückreise kam R. am 14. April 1885 in Marseille an und widmete sich der ihm kurz vorher gestellten Aufgabe, das Tracé zu einer Bahn von der Stadt auf die Höhe Notre Dame de la Garde zu entwerfen. Nach zehn Tagen angestrengter Arbeit entschied er als Experte über die eingelaufenen Pläne. Die Bahn ist 700 m lang und hat 15% Steigung.

In Lyon bestimmte er das Tracé für eine Bahn nach Croix-Rousse, welche 650 m Länge und 14% Steigung hat. Auch besuchte er bei dieser Gelegenheit seinen ehemaligen Meister Gasquel, den er noch an demselben Schraubstock fand, an welchem er ihn vor 50 Jahren verlassen hatte. Die Freude des alten Mannes darüber, daß sein berühmt gewordener Geselle ihn nicht vergessen hatte, war groß.

In demselben Jahre, 1885, erbaute R. die Zahnradbahn von Aßmannshausen auf den Niederwald (25% Stg.) und eine zweite Drahtseilbahn für Lissabon (18% Stg.).

Auch in dem folgenden Jahre ging eine Anzahl Bergbahnen, die R. im Auftrage hatte, ihrer Vollendung entgegen und stand er wegen zwölf neuen Projecten in Unterhandlung. Auch erschien im Sommer 1886 zu Basel die erste Auflage seiner Selbstbiographie unter dem Titel: „Erinnerungen eines alten Mechanikers“, woraus obige Mittheilungen entnommen sind. Darin sagt er: „Ich arbeite getrost darauf los, bis der liebe Gott den Perpendikel abstellt“. Damals war er 69 Jahre alt. Er starb am 25. Juli 1899 nach zurückgelegtem 82. Lebensjahre.