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ADB:Ruusbroec, Jan van

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Artikel „Ruisbroek, Johannes“ von Otto Schmid in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 626–630, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ruusbroec,_Jan_van&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 07:00 Uhr UTC)
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Ruisbroek: Johannes R. (Ruysbroek, flämisch: Ruusbroec), Mystiker des 14. Jahrhunderts, Doctor ecstaticus auch Doctor divinus oder illuminatus zugenannt. Ueber seine Lebensverhältnisse wissen wir wenig sicheres; die älteste und einzige Quelle hiefür ist die von Henricus Pomerius, einem Canonicus von Grönendal, auf Grund einer älteren Lebensbeschreibung verfaßte Vita Fr. Joannis Ruusbroec, welche von den Bollandisten in neuester Zeit zum ersten Male in der Schrift: De origine monasterii Viridis vallis, Bruxelles 1885 (als Separatabdruck aus den Analecta Bollandiana, tom IV, 1885) herausgegeben wurde. Diesem Werkchen, welches allerdings nicht eine Geschichte im strengen Sinne des Wortes ist, sondern mehr einzelne Züge in hagiographischer Weise [627] darstellt, zufolge ist R. 1283 geboren zu Ruusbroek, einem Dorfe zwischen Brüssel und Halle, woher er auch seinen Beinamen hat, denn den eigentlichen Geschlechtsnamen kennen wir nicht. Seine Eltern scheinen in dürftigen Verhältnissen gelebt zu haben. Schon im 11. Jahre verließ er seine Heimath zum großen Schmerze seiner Mutter, die ihn besonders liebte, und ging nach Brüssel zu einem Oheim, Johann Hinckaert, welcher Kanonikus zu St. Gudula war. Dieser nahm sich Ruisbroek’s in jeder Hinsicht an; R. besuchte durch vier Jahre eine höhere Schule, dann wurde er von Hinckaert zum Priesterstande vorbereitet und erhielt 1318 die Priesterweihe; bald darauf wurde er durch Hinckaert’s Vermittelung Vicar zu St. Gudula. Schon damals führte er ein sehr frommes, den Werken der Nächstenliebe, besonders aber der Contemplation gewidmetes Leben. Sehr häufig las er die Schriften des im ganzen Mittelalter so beliebten Dionysius Areopagita. Aus seinem Leben als Weltpriester wissen wir fast nur, daß er in Wort und Schrift gegen die Brüder und Schwestern des freien Geistes, namentlich gegen eine gewisse Bloemmardine mit Erfolg kämpfte und schon in dieser Lebensperiode einige seiner Schriften verfaßte. Es scharten sich auch um ihn bereits damals mehrere Gleichgesinnte, welche in gemeinsamer Lebensweise große Vollkommenheit anstrebten. Mehr Licht tritt in die Geschichte Ruisbroek’s, als er mit mehreren seiner Genossen in das nicht so lange vorher aus einer Eremitage entstandene Kloster regulirter Augustiner zu Groendal (Groenenthal, Vallis viridis, Vauvert) sich begab, wo er am 10. März 1349 das Ordenskleid aus den Händen des Bischofs Petrus von Cambray empfing. Er wurde dann unter dem Propste Franco der erste Prior und behielt diese Würde bis zu seinem Tode. In Groendal entwickelte sich nun vielfach unter seiner Leitung eine förmliche Schule der Ascese und Contemplation; unter seinen Schülern werden besonders Johann Leewis, genannt der „gute Koch von Groendal“, Heinrich Merkaerts, Johannes von Schönhofen hervorgehoben. R. begab sich häufig in die naheliegeuden Wälder, wo er entfernt von der Welt, ganz in das innere des Geistes zurückgezogen, der Contemplation oblag und das, was in diesem Zustande in seiner Seele vorging, auf einer Wachstafel aufschrieb. Neben diesem tiefinnerlichen Leben verrichtete R. oft auch die niedersten Arbeiten und zeigte sich mitleidsvoll gegen Menschen und Thiere. Der Ruf seiner Frömmigkeit verbreitete sich weit über Belgien; Vornehme und Niedere, Gelehrte und Ungelehrte, Reiche und Arme aus den benachbarten Ländern kamen zu R. und holten sich Erbauung und Belehrung; so besuchte ihn der größte der deutschen Mystiker, Johannes Tauler, Gerhard Groote, der Gründer des Institutes der Brüder des gemeinsamen Lebens u. A. Nach einem Leben voll Gebetes und Entsagung, ausgezeichnet durch häufige Ekstasen, starb R. an Dysenterie am 2. December 1381 und wurde bald nach seinem Tode in der Umgegend von Groendal als Diener Gottes verehrt. Im 17. Jahrhundert wurden besonders Versuche gemacht, die Beatification Ruisbroek’s in Rom zu bewirken; es erschien 1622 zu Antwerpen in dieser Absicht die Schrift: Beatissimo D. N. Gregorio XV. pro obtinenda servi Dei Joan. Rusbrochii beatificatione relatio fide digna de scanctitate vitae et miraculis Joan. Rusbr.; allein der päpstliche Stuhl ging auf die Bitte nicht ein. In neuester Zeit baten der Erzbischof von Mecheln und besonders der ganze Clerus von Brüssel, daß die kirchliche Verehrung, welche R. in Hoolaert (wozu Groendal gehört) gezollt wird, vom päpstlichen Stuhle bestätigt und erweitert werde, ohne daß bis jetzt eine Entscheidung erfolgt wäre.

Ruisbroek’s Schriften fallen der Zeit der Abfassung nach theils in seine Lebensepoche als Weltpriester, theils in jene als Kanonikus zu Groendal. Es sind folgende: 1) „Die Zierde der geistlichen Hochzeit“; das Hauptwerk Ruisbroek’s, [628] in welchem sein mystisches System so ziemlich vollständig vorgetragen ist. Diese Schrift, namentlich das 3. Buch, wurde von dem berühmten Kanzler der Pariser Universität, Gerson, stark beanstandet. Das Werk sandte R. 1350 den Gottesfreunden im Oberlande (d. i. in Elsaß, in der Schweiz); 2) „Der Spiegel der Seligkeit“, verfaßt 1359 für eine Novizin des Clarissenordens; 3) „Das Buch von dem blinkenden Steine“ (de calculo mit Hinblick auf Apokal. 2, 17). Auch hier finden sich mehrere Stellen, welche wenigstens einen nicht ganz orthodoxen Sinn haben können; 4) „Das Büchlein von den vier Bekorungen (Versuchungen)“; hierin tadelt R. die irdisch gesinnten und begreift unter diesen sogar die Scholastiker in gewissem Sinne; 5) Die Abhandlung de fide et judicio, eine Erläuterung des apostolischen Symbolums; spricht dann im 2. Theile von der Auferstehung und dem Gerichte; 6) „De 12 virtutibus“. Hierin sind viele Stellen, die sich wörtlich bei Heinrich Seuse, bei Tauler und Eckart d. Ae. finden; 7) „Das Büchlein von den 7 Stufen der Liebe“; 8) „Das Buch von den 7 Bewahrungen“, für eine Clarissin geschrieben, gibt eine Anweisung zu einem echt klösterlichen und mystischen Leben; 9) „Regnum amantium Deum“; 10) „Samuel sive de alta contemplatione“. Auch diese Schrift prägt das mystische System Ruisbroek’s deutlich aus; 11) „Liber de vera contemplatione“ eine sehr reichhaltige Schrift, welche dogmatische, exegetische, moralische und kosmologische Excurse enthält; 12) das umfangreichste Werk Ruisbroek’s ist: „De spirituali tabernaculo“; hier wendet R. das in der h. Schrift von der Erbauung und Ausschmückung der Stiftshütte gesagte auf das geistliche Leben des Christen im einzelnen oft sehr sinnreich, oft aber auch willkürlich an; das Heilige in der Stiftshütte bedeutet das thätige, das Allerheiligste das beschauliche Leben; ebenso werden die einzelnen Farben, Stoffe, Maße alle allegorisch ausgelegt; 13) von R. sind 13 Briefe vorhanden, der 1. an die Clarissin zu Brüssel, Margarethe v. Meerbecke, der 2. an Mathilde, Wittwe des Ritters v. Kulenborg, der 3. an die drei adeligen Herren Daniel de Peß, de Bongarden und Gobelinus de Mede, der 4. an die Nonne Katharina zu Mecheln; die übrigen 3 an eine fromme ungenannte Matrone. Diese 7 Briefe tragen den Charakter von kurzen ascetischen Abhandlungen; 14) Zwei geistliche Gesänge über das mystische Leben und 15) ein Gebet.

R. schrieb, da er des Lateinischen nicht genug mächtig war, seine Werke in niederländischer Sprache; ein Schüler von ihm, Wilh. Jordaens übersetzte unter der Leitung Ruisbroek’s ins Lateinische nachstehende Schriften: „Von der Zierde der geistlichen Hochzeit“, „Vom geistlichen Tabernakel“ und „Von den 7 Stufen der Liebe“. Ruisbroek’s Mysticismus wurde besonders von Gerson, auch von Bossuet (in: Instruction sur les états d’oraison) beanstandet. Gerson rügte besonders den Satz Ruisbroek’s, daß die menschliche Seele im Jenseits nicht bloß durch die göttliche Klarheit erhoben Gott sehe, sondern daß die Seele selbst diese Klarheit werde. Gerson hatte seinerseits Recht, indem der getadelte Ausdruck wie auch andere ähnliche gewiß mißdeutbar sind. Doch hatte R. unter jener Redeweise nicht ein völliges Aufgehen der menschlichen Seele in die Substanz Gottes lehren wollen, da er an anderen Stellen die beständige, wesentliche Verschiedenheit der Seele von Gottes Wesen festhält; allein er dachte sich die Einigung der Seele mit Gott in innigerem Grade als in bloß moralischer Weise vollzogen. Der Vorwurf des Pantheismus, den man von diesem Standpunkte aus gegen R. erhob, war deshalb nicht gerechtfertigt. Ebenso wenig kann man ihn als Vorläufer der späteren Quietisten betrachten; abgesehen davon, daß R. die kirchliche Gnadenvermittelung nie in Abrede stellte, kann man auch in seinen Aeußerungen, daß er bereit sei, aus Liebe zu Gott die Höllenqualen zu erleiden, nur ein Uebermaß seiner Liebe zu Gott oder eine bloß hypothetische Redeweise [629] erblicken, ähnlich wie der hl. Paulus im Römerbriefe (9, 1 ff.) sagt, er wünschte für seine Stammesgenossen ein Verfluchter zu sein. Das Ruhen in Gott, wie R. es sich dachte, ist wesentlich verschieden von der Passivität der Seele, wie sie die späteren Quietisten annahmen. Gerson hatte nur die lateinische Uebersetzung des betreffenden Werkes Ruisbroek’s vor sich oder etwa gar einen gefälschten Text. Der schon oben erwähnte Johannes v. Schönhofen ergriff gegen Gerson’s Anschuldigungen für seinen Meister die Feder, worauf Gerson erwiederte, indem er im wesentlichen an seinen früheren Behauptungen festhielt, jedoch die subjective Orthodoxie und Frömmigkeit Ruisbroek’s entschieden hervorhob. Die erste kurze Schrift Gerson’s gegen R. wurde 1406 verfaßt (in den Opera Gersonii I, 460–64), seine Antwort erfolgte 1408 (daselbst c. 482–85 und die Vertheidigung Johannes v. Schönhofen’s c. 464–482). Für R. traten noch ein Sixtus von Siena, Lessius, besonders Dionys der Karthäuser, welchen R. einen zweiten Dionysius Areopagita nennt (de donis spiritus s. tract. II. artic. 13), der Karmelit Thomas a Jesu, auch Thomas a Kempis urtheilt in seiner Lebensbeschreibung Gerhard Groote’s C. 10 ehrenvoll über R. Man spricht oft von einem „planetarischen“ Mysticismus Ruisbroek’s und nicht mit Unrecht, denn seine Schriften enthalten viele physikalische und astronomische Beweismomente, auch verrathen dieselben eine große Kenntniß der Dichter. R. wird außerdem vielfach der Vater der niederländischen Prosa genannt, seine Sprache ist mustergültig. Ueber sein System ist besonders zu vergleichen: J. G. Acquoy: Het Klooster de Windesheim, Utrecht 1880, 3 Bde.

Die erste Schrift Ruisbroek’s, welche im Drucke erschien, ist sein Hauptwerk „De nuptiis spiritualibus“ zu Paris 1512 in französischer Sprache, später zu Brüssel 1614 in flämischer Sprache, 1619 zu Toulouse. Zu Bologna wurden mehrere Werke 1538 in italienischer Sprache herausgegeben. Eine Gesammtausgabe von Ruisbroek’s Werken in lateinischer Sprache veranlaßte der Karthäuser Laur. Surius, 1549, 1552 in Fol.; davon Abdrücke in den Jahren 1609, 1692. Hierauf folgte eine deutsche Ausgabe von Gottfried Arnold zu Offenbach 1701. Die 2 Gesänge Ruisbroek’s gab Casseder in: Selbstgespräche des Gerlach Petri, Frankfurt 1824 heraus. Ullmann veröffentlichte 1848 zu Hannover in deutscher Uebersetzung: 1) „Die Zierde[WS 1] der geistlichen Hochzeit“, 2) „Der Spiegel der Seligkeit“, 3) „Der blinkende Stein“ und 4) „Die 4 Versuchungen“.

Eine sehr schöne Ausgabe in jeder Hinsicht ist die von der sog. Maatschappij der vleem’sche Bibliophilen veranlaßte Veröffentlichung folgender Werke Ruisbroek’s: 1) „Dat Boec van den gheestleken Tabernacule“, 2 Theile mit Glossarium und Bild Ruisbroek’s, 1858, 2) „Dat Boec van den twaelf Dogheden. Die Spiegel der ewigher Salicheit. Van den kerstenen Ghelove.“, 1860, 3) „Dat Boec van VII Trappen in den graet der gheesteliker Minnen“. „Dat Boec van seven Sloten. Dat Boec van den Riken der Ghelieven. Dat Boec van den vier Becoringen“, 1861, 4) „Dat Boec van den twaelf Beghinen“, 1863. Diese Bände wurden von J. B. David, Professor an der katholischen Universität zu Löwen herausgegeben, 5) „Die Chierheit der gheestleker Brulocht. Dat Hartringherlijn oft van den blickenden Steene. Dat Boec der hoechster Waerheit“, von F. A. Snellaert 1868 herausgegeben. – Eine neuere französische Ausgabe erschien zu Paris 1869: „Rusbrock l’admirable, Oeuvres choisies, traduit par Ernest Hello“. Vieles ist auch nach der neuesten flämischen Ausgabe in H. Denifle: Das geistliche Leben, eine Blumenlese aus den deutschen Mystikern des 14. Jahrhunderts, 2. Aufl., Graz 1879, aufgenommen.

Trithemius, De Script. eccl. p. 271. – Henriquez, Vita J. Rusbrochii, Bruxellis 1621. – Foppens, Bibliotheca Belgica I, 720–722. – Paquot, Histoire littéraire des Pays-Bas, 2. édition, I, 51–54. – Engelhard, Richard [630] von St. Victor und Joh. Ruysbrock, Erlangen 1838. – Vie du beau Jean de Ruysbroek, Bruxell. 1839. – Boehringer, Die Kirche Christi und ihre Zeugen, 2. Band, 3. Abtheilung: Die deutschen Mystiker des 14. und 15. Jahrh., Zürich 1855. – G. Ch. Schmidt, Etude sur Jean Ruesbroek le docteur extatique et divin. theologien mystique du XIV. s., sa vie, ses écrits et sa doctrine, Strasbourg 1859. – K. Werner, Geschichte der apolog. und polem. Literatur der christl. Theologie III, 500–503. – A. Stöckl, Gesch. der Philosophie des Mittelalters II, 1137–1149.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ziede