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ADB:Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, August Graf zu

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Artikel „Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, August Graf zu“ von Victor Loewe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 616–619, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sayn-Wittgenstein-Hohenstein,_August_Graf_zu&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 20:17 Uhr UTC)
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Wittgenstein: Augustus Reichsgraf zu Sayn-W. und Hohenstein, Herr zu Homburg, Valendar, Neumagen, Lohr und Clettenberg, geboren am 14. April 1663, † im J. 1735, als der dritte von acht, meist in früher Kindheit gestorbenen Söhnen des Grafen Gustav und als ein Enkel des Grafen Johann von Sayn-W., der als brandenburgischer Gesandter am westfälischen Friedenscongreß sich einen Namen gemacht hatte. W. begann seine Laufbahn am kurpfälzischen Hofe, wo er vollauf Gelegenheit hatte, jene Verwaltungspraxis kennen zu lernen, durch die er später seinen eigenen Namen beflecken sollte. Als kurpfälzischer Geheimer Rath und envoyé extraordinaire wohnte er der preußischen Königskrönung bei und schon im folgenden Jahre trat er als Obermarschall in den Dienst des preußischen Hofes, an dem er als eine Creatur des allmächtigen Wartenberg schnell zu einflußreichen und gewinnbringenden Stellungen gelangte. In dem seit wenigen Jahren bestehenden Oberdomänendirectorium, das in seinen Functionen theils über theils neben die Hofkammer gestellt und vor allem dazu berufen war, das weittragende Erbpachtsprogramm Lubens durchzuführen, erhielt W. durch königliches Patent vom 20. März 1704 die Stelle, die der frühere Obermarschall Graf Lottum innegehabt hatte. Zur Erhöhung seiner Einnahmen ließ er sich im folgenden Jahre auch die Direction des Salzwesens übertragen; diese hatte bisher Paul v. Fuchs geführt, dem für jede im Lande verkaufte Last Salz ein Accidens von 6 Groschen bewilligt worden war. Die gleiche Gebühr, die im Jahre etwa 500 Thaler betrug, wurde auch [617] W. zugestanden, der aber, damit nicht zufrieden, ein in allgemeinen, verschiedener Deutung fähigen Ausdrücken gehaltenes Patent zu erschleichen wußte, auf Grund dessen er seine Einnahmen aus dem Salzhandel verzehnfachte: von jeder inner- oder außerhalb des Landes verkauften Last Salz bezog er jetzt 30 Groschen. Eben dieses Vorgehen aber schien schon zwei Jahre später Wittgenstein’s Sturz herbeiführen zu sollen. Wartenberg war der Meinung, W. sei daran schuld, daß der König ihn, den leitenden Minister, im J. 1706 nicht hatte mit dem Hofe nach Cleve reisen lassen. Die Folge war die Einsetzung einer aus Printzen, Hamraht und Krautt gebildeten Commission, die jenes Verfahren bei der Erhebung der Salzgefälle ans Tageslicht zog und ferner ermittelte, daß W. ohne königliche Verordnung jährlich 2000 Thaler aus den clevischen Kammergefällen bezog. Trotz dieser offenkundigen Vergehen lief aber die Untersuchung für W. sehr glimpflich ab: er verstand es wol, die Gattin des Oberkämmerers für seine Sache zu gewinnen und dadurch auch diesen wieder für sich günstig zu stimmen. Durch ein absonderliches Verfahren wurde schließlich die Untersuchung beendigt: W. leistete einen Eid, daß Alles, was er zu seiner Entschuldigung vorgebracht habe, die reine Wahrheit sei und darauf wurde er aller Ansprüche entlassen. Er fand auch sofort wieder die Gnade des Königs, denn bald darauf wohnte er in seinem Auftrage der durch Procuration zu Schwerin vollzogenen Vermählung des Königs mit der Herzogin Sophie Luise bei.

Der steigende Einfluß des Kronprinzen und seiner Vertrauten auf den Gang der Staatsgeschäfte und der so herbeigeführte Sturz des Wartenberg’schen Systems machte endlich auch der unheilvollen Thätigkeit Wittgenstein’s ein Ende. Den entscheidenden Anstoß hierzu gab die Aufdeckung der Unterschleife, die bei der von ihm geleiteten Feuercasse begangen worden waren. Diese war im J. 1706 als eine für die ganze Monarchie bestimmte Versicherungsanstalt gegen Feuerschäden gegründet worden; als nun im J. 1710 die Mittel der Casse der abgebrannten Stadt Crossen zu Gute kommen sollten und bei dieser Gelegenheit ein großer Fehlbetrag sich ergab, mußte diese Entdeckung um so stärker wirken, als die Verwaltung der Casse von Anfang an durch unbillige Härte bei Eintreibung der Gelder und der überaus hohen Strafgebühren die Bevölkerung bedrückt und beständige Beschwerden veranlaßt hatte. Auf Veranlassung des Kronprinzen erging nunmehr an die Behörden die Aufforderung sich über den herrschenden Nothstand und die Mittel zu seiner Abhülfe zu äußern. Im September 1710 gingen hierauf die Antworten ein – freilich nicht von allen Behörden, denn gar manche fürchteten die Rache der noch am Ruder befindlichen Machthaber. W. aber fühlte sich doch nicht mehr sicher und reichte daher am 24. September dem Könige eine Denkschrift zu seiner Vertheidigung ein, in der er in absichtlich unklar gehaltenen Ausdrücken vorstellte, daß die königlichen Revenuen in der Zeit seiner Amtsführung um 500 000 Thaler jährlich gewachsen seien, während die großen Ausfälle, die doch nicht ganz wegzuleugnen waren, nur durch die Pest verursacht seien. Diese Rechtfertigungsschrift verfehlte aber doch schon ihre Wirkung, es wurde vielmehr die Untersuchung wider ihn durch eine aus den Geheimen Räthen Blaspil, Platen, Alvensleben und Creutz gebildete Commission befohlen, die die Angaben in seiner Denkschrift und weiterhin auch seine gesammte Thätigkeit im Domänen- und Kammerwesen auf Grund der von den Behörden einzufordernden Berichte prüfen sollte. Am 18. November trat die Commission zusammen und erstattete wenige Wochen später ihren Bericht, der die Angaben Wittgenstein’s mit den aus den Acten gezogenen Resultaten verglich und in schlichten Worten aber desto sicherer und nachdrücklicher das ganze Trugsystem seiner Verwaltung enthüllte. Der Bericht stellte einen überaus großen Ausfall der königlichen Revenuen und eine heillose Verwirrung im Domänen- und Kammerwesen fest: von einer [618] Vermehrung der Einnahmen durch die Erbpacht könne auch nicht gesprochen werden und es seien bei ihrer Einrichtung die größten Fehler begangen worden, vor allem durch die unverantwortliche Verschleuderung der auf den Aemtern und Vormerken befindlichen Inventarien. Auch die Vermehrung der Einnahmen aus dem Salzwesen erklärte die Commission für eine Täuschung. Dabei wies sie noch auf das allem Rechte Hohn sprechende Verfahren hin, das W. gegen die Inhaber der hallischen sogen. Domänenkothen geübt hatte; da jene mit dem Kammerconsulenten in einem Processe wegen der Kothen begriffen waren, der sich für sie sehr günstig anließ, hatte W. den Proceß suspendiren lassen und sich auf diese Weise der Kothen bemächtigt.

Der Inhalt des Berichtes verfehlte seine Wirkung nicht: W. wurde jetzt verhaftet und nach Spandau gebracht, und durch den Hoffiscal Voswinkel wurde der Proceß gegen ihn eingeleitet. Dem Gefangenen wurden nicht weniger als 220 auf seine Thätigkeit bezügliche Fragen vorgelegt, auf die er aber meist so nichtssagende Antworten gab, daß diese ohne weiteres als ein Eingeständniß seiner Schuld gelten konnten. Glaubte also W. selbst nicht mehr, der Strafe entgehen zu können, so versuchte er doch alle Mittel um wenigstens ihre Milderung zu erreichen. Zuerst appellirte er an das Mitleid der Richter und des Königs für seine Person, den „armen Tropf“ und seine Familie, dann begann er ein abstoßendes Feilschen um die Höhe der ihm drohenden Geldstrafe. Er erbot sich 20–30 000 Thaler dem Könige zu zahlen aber in der Form, daß er dafür gleichsam als Zinsen ein freigewordenes Lehen erhalte. Dann, als man ihm bedeutete, daß er doch nur eine Anleihe vorgeschlagen habe, und das er eine höhere Summe bieten oder den Ausgang des Processes abwarten müsse, erhöhte er sein Angebot auf 50 000 Thaler, ließ aber von der Forderung einer Entschädigung erst ab, als sie ihm bestimmt abgeschlagen wurde. Im März verfaßte der Hoffiscal die Anklageschrift gegen W., die mit der Forderung einer „proportionirten“ Strafe schloß. Diese wurde nun zwar auf 100 000 Thaler festgesetzt, W. verstand es aber ihre Ermäßigung auf 70 000 Thaler durchzusetzen und dem ganzen Verfahren überhaupt eine günstigere Wendung zu geben. Am 4. Mai 1711 stellte er zu Spandau einen Revers aus, worin er erklärte: er fühle sich schuldig, dem Kammerwesen großen Schaden zugefügt und in einigen Proceduren „große Injustiz“ verübt zu haben. Da er nun einsehe, daß bei Fortführung des Processes die Sache einen für ihn „höchst gefährlichen“ Ausgang nehmen würde, bitte er um Pardon, erkläre sich bereit 70 000 Thaler Schadenersatz zu zahlen und verpflichte sich, nie mehr nach den Landen des Königs, außer mit dessen Erlaubniß, zu kommen, auch sich nicht bei den Reichsgerichten oder sonst irgendwo zu beschweren. Mit dem Inhalte des Reverses erklärte sich der milde König einverstanden und so konnte W. mit den von ihm zusammengescharrten Reichthümern unbehelligt das Land verlassen und sich auf seine Güter zurückziehen. Am 19. Mai wurde die Beendigung des Verfahrens dem Kronprinzen mitgetheilt, von dem, wie oben erwähnt wurde, die Anregung zur Einleitung desselben ausgegangen war – die Einzelheiten dieser Anregung und der Theilnahme des Kronprinzen an dem Fortgang der Untersuchung lassen sich leider aus den vorhandenen Acten nicht mehr ersehen. W. lebte auf seinen Gütern in Dunkel und Vergessenheit noch bis zum Jahre 1735. Welcher Art aber das Andenken war, das Friedrich Wilhelm I. dem Minister seines Vaters bewahrte, offenbarte sich deutlich, als nach Jahren einmal ein Mitglied der Familie Wittgenstein mit einer Bitte vor den König trat. Als im J. 1723 der Graf Karl Ludwig von W., ein Schwager des Grafen August, um Aufnahme zweier seiner Söhne in den preußischen Kriegsdienst bat, lehnte der König das Gesuch mit den Worten ab: die familie ist bei mir nit an voge (en vogue).

[619] Acten der Untersuchung gegen Wittgenstein im Geheimen Staatsarchiv zu Berlin. – Droysen, Geschichte der preuß. Politik IV, 12. S. 164 u. 226. – Isaacsohn, Geschichte des preuß. Beamtenthums Bd. 2. Berlin 1878. S. 289 f. – C. L. v. Pöllnitz, Mémoires pour servir à l’histoire des 4 derniers souverains de la maison de Brandebourg. 1791. I, 354 f.