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ADB:Kolbe von Wartenberg, Johann Casimir Graf

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Artikel „Kolbe, Johann Kasimir“ von Siegfried Isaacsohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 16 (1882), S. 463–466, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kolbe_von_Wartenberg,_Johann_Casimir_Graf&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 01:35 Uhr UTC)
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Kolbe: Johann Kasimir K., Graf von Wartenberg, geb. am 6. Febr. 1643 in der Wetterau, † am 4. Juli 1712 zu Frankfurt a. M., verdient nicht sowohl seiner Leistungen wegen, wie als ein Beispiel dafür, daß selbst indolente und wenig hervorragende Naturen unter günstigen Umständen die Höhe der Macht erklimmen und dauernd behaupten können, einen Platz in den Annalen der geschichtlich denkwürdigen Männer Deutschlands. Durch Beziehungen seiner Heimath frühzeitig an den Hof des Pfalzgrafen von Simmern versetzt, wußte er sich durch sein gefälliges Aeußere und sein geschmeidiges Wesen hier derart zu insinuiren, daß er über seine Kammerherrnstellung hinaus unter Erhebung zum Geheimen Rath und Oberstallmeister mit politischen Geschäften, besonders Sendungen diplomatischer Natur betraut wurde. Das Talent, die Langeweile des Hoflebens durch Festlichkeiten, [464] Aufzüge, Darstellungen, Spiele, Lustbarkeiten jeder Art zu zerstreuen, zog auf den geborenen Höfling gelegentlich einer Reise nach Berlin im Jahre 1682 die Aufmerksamkeit des brandenburgischen Hofes. Schon damals machte ihn Kurfürst Friedrich Wilhelm zum Rath und Kämmerer. Indeß trat er erst 6 Jahre später, 1688, nach dem Tode seiner bisherigen Herrin[WS 1] und des großen Kurfürsten als Wirklicher Kämmerer in die Dienste Friedrichs III. Von Frauen emporgebracht, durch die Empfehlung einer Dame zuletzt in den Dienst Friedrichs berufen, verdankte er auch ferner einer Frau neben den ihm angeborenen Höflingstalenten seine Stellung am Hofe des Kurfürsten-Königs. Es war seine Gattin, die Tochter eines Weinschenken von Emmerich und früher Frau eines kurfürstlichen Kammerdieners, die jetzt, durch des Oberpräsidenten Dankelmann Intervention rechtmäßig mit ihm verheirathet, unbekümmert um ihr eheliches Gelübde durch die Gunst des Kurfürsten sich und ihrem Manne die hervorragendste Stellung zu geben wußte. Schon vorher war K. wegen seiner Verdienste um die Belebung des Hofes nach einander mit einer Reihe reich dotirter Aemter betraut worden, 1690 der Hauptmannschaft von Oranienburg, 1691 der Schloßhauptmannschaft zu Berlin, 1694 der Dompropstei Havelberg, 1696 dem Amt des Oberstallmeisters, bald auch dem des Oberkammerherrn, der ersten Charge des Hof-, Civil- und Militärstaats. So hatte er noch vor Dankelmann’s Fall die höchste Staffel erklommen, ohne mehr gethan zu haben, als für die Unterhaltung seines Herrn und Gebieters zu sorgen. Der Fall des Premierministers, der von Andern, der Faction Dohna-Barfuß-Fuchs, bewirkt war, brachte ihm größeren Vortheil, als denen die die Intrigue gegen den Oberpräsidenten mit Geschick und Erfolg durchgeführt hatten. Sein Ehrgeiz strebte neben der Hof-, auch nach einer politischen Stellung, und ohne je Mitglied des Staatsraths, des Ministercollegiums geworden zu sein, hat er doch aus seiner Stellung als Oberkammerherr und Ober-Domänendirector heraus die Politik des Hauses Brandenburg dreizehn Jahre hindurch (1698–1710) vornehmlich geleitet. Seinen Mangel an den nöthigen Vorkenntnissen, an Verständniß für die große Politik, wie an Fleiß und Eifer wußte er geschickt durch die Heranziehung des begabtesten brandenburgischen Diplomaten der Zeit, Heinrich Rüdiger v. Ilgen, zu verdecken. Ilgen nahm als Staatssecretär in bescheidener Zurückhaltung die Geschäfte wahr, und Wartenberg fungirte officiell als Premierminister ohne den eigentlichen Namen und die Thätigkeit eines solchen. Der brandenburgischen Politik dieser Jahre ist der Stempel seines Geistes mit aufgedrückt. Sein Hauptbestreben war auf Mehrung des Glanzes, des Ruhmes und der Einkünfte seines Fürsten gerichtet, Bestrebungen, in denen er sich ganz mit diesem letzteren begegnete. Den Wunsch desselben, die Königskrone zu erlangen, hegte und pflegte der Günstling, der Meinung der erfahrensten Räthe entgegen, unausgesetzt. Mehr noch durch die Laune des Glücks, als durch eigene feine Berechnung gelang es ihm nach fast dreijähriger Bemühung und gegen den Preis, die gesammte brandenburgische Heeresmacht, sowie die Stimme Kurbrandenburgs auf dem Reichstage zur Verfügung des Hauses Habsburg zu stellen, das ersehnte Ziel zu erreichen. Der Lohn seines Herrn entsprach der hohen Befriedigung desselben über den größten Erfolg seiner Regierung. K., der fortan unter dem Namen eines Reichssgrafen von Wartenberg erscheint, – eine Würde, zu der ihn der Kaiser in Anerkennung seiner Dienste erhob – war der erste, dem der neue König in Preußen den gelegentlich der Königskrönung zu Königsberg (18. Januar 1701) gestifteten Schwarzen Adlerorden, unmittelbar nach den königlichen Prinzen, persönlich anhing. Das einträgliche Amt eines General-Erbpostmeisters, andere Chargen und Revenuen waren der greifbare Ausdruck des königlichen Dankes. Der höchste Lohn aber war das grenzenlose Vertrauen [465] und das Gefühl der Dankbarkeit, das Friedrich I. seinem Oberkammerherrn seitdem bis zum Ende seiner Carriere schenkte. Dies Vertrauen allein erklärt es, daß er dem allmächtigen Günstling in der auswärtigen Politik auf Bahnen folgte, die der Tradition seines Hauses, dem Interesse seines Staates schnurstracks entgegenliefen. Noch weit über die Verpflichtungen des Krontractates vom J. 1700 hinaus engagirte Friedrich auf Wartenberg’s Rath fast seine ganze Heeresmacht während des spanischen Erbfolgekrieges in österreichisch-seemächtlichem Interesse. Im Osten dagegen, wo der gleichzeitige nordische Krieg die Grenzen seines Landes umfluthete und mehr als einmal überfluthete, sah er sich zu der verderblichsten unbewaffneten und von keinem der Kriegführenden respektirten Neutralität verurtheilt, die einzelnen seiner Landschaften, so Preußen und Pommern, tiefe Wunden auf ein halbes Jahrhundert hin schlug. Als Grund dieser falschen Richtung läßt sich neben anderm der Gewinn immer steigender Subsidien seitens der Seemächte bezeichnen, die freilich großentheils nicht für den dazu bestimmten Zweck, sondern zur Füllung der trotz aller neuen Zuwendungen stets erschöpften Hofkassen verwandt wurden. Neben dem Verbrauch der Einkünfte der Civilverwaltung die Verfolgung einer Politik vornehmlich aus finanziellen Rücksichten, die Söldnerschaft der brandenburgischen Truppen im Dienst und Interesse Dritter und die Entblößung der eigenen Lande den Horden des Ostens gegenüber, das ist in kurzen Zügen die Politik Brandenburg-Preußens unter dem Regime des Günstling-Ministers. Dieser äußeren entsprach die innere Politik Kolbe’s. Steigende Einnahmen für die ins unermeßliche wachsenden Bedürfnisse des Hofes ließen sich im Maße wie sie beansprucht wurden nur auf einem Wege erreichen, dem einer radicalen Umwälzung der bisherigen erprobten Domänen-Politik, ihrer Ersetzung durch das sog. Erbpachtsystem, das dem Pächter und seinen Descendenten den Nießbrauch der Domänen, Aemter und Vorwerke nebst allen ihren Pertinenzen gegen einen festen Kaufschilling und die baare Einzahlung der Summen für Getreide und Inventar überließ. Es hieß dieß, nach dem Ausdruck eines der Sachkundigsten, „die Henne schlachten, die die Eier gelegt“. Nichtsdestoweniger aber ging Friedrich auf das ihm von K. plausibel gemachte System ein und es gelang K., durch die von seinem Erfinder, Luben v. Wulffen, damit verknüpften Reformen, die die Herstellung eines kleinen, freien Bauernstandes bezweckten, dem System einen solchen Credit zu verschaffen und durch den glatten Verkauf ganzer Domänenkomplexe derartige Summen zur Verfügung zu stellen, daß dasselbe sich fast ein Jahrzehnt lang, 1701 bis 1710, behauptete. Erst als das Domanialvermögen der Krone erheblich angegriffen war, ohne daß dadurch das Gleichgewicht in der Hofstaatskasse hergestellt worden war, als die Veruntreuungen und Leichtfertigkeiten der Kreaturen Kolbe’s, vor Allem des Obermarschalls Grafen Wittgenstein, zu mehrfachen Katastrophen geführt hatten, die den Abgrund, vor dem man sich befand, Aller Augen offen zeigten, erst da gelang es der Opposition, die sich inzwischen unter der Aegide des Kronprinzen gegen K. und seine Genossen aus allen Theilen des Beamtenthums gebildet, das Günstlings-Regiment zu stürzen. Wie K. einst auf Dankelmann’s Sturz sein Emporkommen begründet hatte, so warteten jetzt Andere, sich an seine Stelle zu setzen. Dennoch widerstand der in kleinen Künsten erprobte geschmeidige Höfling dem Sturz länger als alle seine Gefährten. Erst als diese längst gefallen, seine Gegner, Kameke, Printzen, Ilgen, das Heft in Händen hatten, die von ihm verfolgte Politik aufgegeben, die frühere reactivirt worden war, erst da sah er sich genöthigt, seine Demission aus dem Dienst seines Fürsten zu erbitten. Die Vorliebe Friedrichs für ihn kämpfte einen harten Kampf mit den Forderungen der Staatspolitik und Moral. Endlich sah er sich schweren Herzens genöthigt, den ihm fast unentbehrlichen Liebling fallen zu lassen. Er [466] entließ ihn seiner Dienste in Gnaden, doch setzte er ihm ein so bedeutendes Jahrgeld aus, daß K. zu Frankfurt a. M., wohin er sich von Berlin aus begab, davon auf das Bequemste subsistiren konnte. Von Frankfurt aus machte er noch einen Versuch, sich dem Könige wieder zu nähern, die Erlaubniß zur Rückkehr nach Berlin zu erwirken. Als dieser gescheitert war, brach er auch äußerlich zusammen und verschied schon im Sommer des darauf folgenden Jahres im Alter von 69 Jahren. K. steht in der neueren Geschichte Brandenburg-Preußens fast als einziges Beispiel eines Günstlings da, der nichts als Hofmann und zu ernsten Geschäften wenig brauchbar nur mit einer Hofcharge bekleidet, die gesammte Politik seines Staates in persönlich unverantwortlicher Weise lange Jahre hindurch leitete. Alle Versuche der wirklichen Departementschefs den Einfluß des Eindringlings zu beseitigen scheiterten an der Zuneigung seines Herrn für ihn, bis ernste Gefahren diese Empfindung in den Hintergrund zu treten nöthigten. Als das einzige, wenngleich negative Verdienst Kolbe’s dürfte der Anstoß bezeichnet werden, den er durch seine unverantwortliche Lässigkeit und Frivolität dem nachfolgenden Regenten, Friedrich Wilhelm I. gab, mit dem Wust von Corruption und Unordnung, den er vorfand, sofort gründlichst und für immer aufzuräumen.

Fall und Ungnade zweier Staatsminister in Teutschland. Aus dem Französ. übersetzt. Cölln 1712. Droysen, Geschichte der Preuß. Politik 4, 1, 251, 355 ff. Cosmar und Klaproth, Der preuß. Geh. Staatsrath 388 bis 391. Isaacsohn, Gesch. des preuß. Beamtenthums III, 288, 305, 350

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Marie von Oranien-Nassau, Witwe von Pfalzgraf Ludwig Heinrich