ADB:Ilgen, Heinrich Rüdiger von

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Artikel „Ilgen, Heinrich Rüdiger von“ von Siegfried Isaacsohn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 16–19, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ilgen,_Heinrich_R%C3%BCdiger_von&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 00:11 Uhr UTC)
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Ilgen: Heinrich Rüdiger v. I., geboren zu Minden um die Mitte des 17. Jahrhunderts, als der Sohn eines Minden’schen Regierungsraths, machte nach der Beendigung seiner hauptsächlich juristischen und staatswissenschaftlichen Studien als Begleiter eines jungen Edelmanns längere Reisen durch den Westen Europa’s, die ihm genaue Kunde von den vorzüglichsten Höfen des Continents verschafften. Nach seiner Rückkehr wurde er seinem Vater in der Regierung zu Minden beigegeben mit der Anwartschaft auf eine vakante Stelle daselbst. Aus dieser Thätigkeit soll der zurückhaltende junge Beamte durch Leibnitz gezogen worden sein, der auf der Durchreise durch Minden zufällig seine Bekanntschaft machte und von seinem natürlichen Scharfsinn wie seinen Kenntnissen angezogen ihn darauf hinwies, sich am Hofe zu Berlin ein weiteres Feld für seine Talente zu eröffnen. Ohne seine Stellung zu Minden aufzugeben, gelang es I. bei seinem Landsmanne, Franz v. Meinders, der eben damals, Ende 1678, mit einer Sendung nach Paris behufs des Friedensschlusses mit Frankreich betraut worden war, die Stelle eines Secretärs zu erhalten. In dieser Eigenschaft blieb er bis zum Abschluß des Friedens von St. Germain en Laye, 1679, thätig. Nach Berlin zurückgekehrt, zog ihn Kurfürst Friedrich Wilhelm in seine geheime Kanzlei als Geheimsecretär und beförderte ihn einige Jahre später, 1683, zum geheimen Kammersecretär unter gleichzeitiger Uebertragung einer der vier großen Kanzleiexpeditionen, der preußischen und polnischen. In dieser anscheinend untergeordneten, in Wirklichkeit sehr einflußreichen Stellung verblieb I. bis gegen das Ende des Jahrhunderts, indem er einige äußere Zeichen der Anerkennung, so die Verleihung des Charakters eines Hof-, 1699 eines geheimen Raths mehr sich aufnöthigen ließ, als daß er danach trachtete. Seine vorsichtige, allem Schein abholde Natur wies ihn stets nur auf das Reale, Wesentliche hin. Macht, Einfluß, auch hohe Einkünfte strömten dem klugen, bescheiden zurückhaltenden Manne von allen Seiten zu. Er gehörte zu jenen Naturen, die, wenn auch langsam vor-, doch nie zurückschreiten. Der Fall Eberhards [17] v. Danckelmann, das Aufkommen des neuen Günstlings, des eben so geschmeidigen, wie leeren Kolbe von Wartenberg, erwiesen sich für I. als überaus förderlich. Mit dem Abgange Danckelmann’s wich der letzte vom Platz, der von den Zeiten des Großen Kurfürsten her eine umfassende und gründliche Kenntniß der auswärtigen Politik mit klarer Einsicht in die politische Stellung Brandenburg-Preußens und dessen, was ihm Noth that, verband. Der neue Günstling, aus dem Ausland herangezogen, in materiellen Genüssen und kleinlichen eigensüchtigen Bestrebungen aufgehend, bedurfte eines beständigen, klugen Berathers für die Lenkung der äußeren Politik, die ihm nach Danckelmann’s Sturz zufiel, zugleich eines Mannes, der sich damit begnügte, die Fäden wirklich in der Hand zu halten, den Schein der Leitung aber einem Anderen gern gönnte. Ein solcher Mann war I., und wie es für den Günstling ein Glück war, gerade einen solchen Mann am Hofe zu finden und für sein Interesse zu gewinnen, so war es ein nicht geringeres für I., unter der von stürmischen Umwälzungen heimgesuchten Regierung Friedrichs I., gedeckt durch den Rückhalt seines mächtigen Gönners, aus geschützter und minder in die Augen fallender Stellung heraus die Politik doch recht eigentlich nach seinen politischen Grundsätzen leiten zu dürfen. Es wird glaubhaft versichert, daß Kolbe von Wartenberg, bemüht, den durch den Ausgang des deutsch-französischen Krieges erbitterten Kurfürsten auf andere, erfreulichere Gedanken zu bringen, von I. darauf hingewiesen worden sei, mit dem Kronproject, das dem Kurfürsten seit seinem Regierungsantritt nie ganz aus dem Sinn gekommen war, von neuem hervorzutreten. Dieser Plan und die Mittel, ihn zu verwirklichen, beschäftigten den Hof des Kurfürsten bekanntlich fast drei Jahre lang. I. befand sich unter den vertrauten Räthen, deren Gutachten darüber eingefordert wurde. Dasselbe fiel ganz so aus, wie es von ihm zu erwarten war. Unter Hervorhebung aller seiner Schwierigkeiten doch der Schluß, daß das Project gut und ausführbar sei. Dies zu erhärten, wurden ihm neben Kolbe die intimeren Verhandlungen mit Wien durch die Vermittlung des Gesandten Bartholdy aufgetragen, die Ende 1700 zu dem bekannten Krontractat führten. Schon das Nahen der Vollendung seines großen Planes belohnte Friedrich im reichsten Masse. Neben sonstigen Gunstbeweisen trug er I. 1699 die Berufung in den geheimen Staatsrath an, was dieser indeß zur Meidung des sich schon regenden Neids mit Entschiedenheit ablehnte. Eine noch werthvollere Gabe war jedoch das unbeschränkte Vertrauen, das sein Gebieter seiner Gewandtheit, seiner Ergebenheit und seinem Eifer entgegenbrachte. Friedrichs dankbares Gemüth ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich der Krönung zu Königsberg am 18. Januar 1701 das auszuführen, was zwei Jahre zuvor durch I. selbst vereitelt worden war. I. befand sich unter den Ersten, denen der neue König den preußischen Adel verlieh. Gleichzeitig empfing derselbe das Patent eines wirklichen geheimen Raths und Mitglieds des Staatsraths, d. h. wurde er zum Minister ernannt. Auch jetzt noch wußte der consequente Mann jedes Hervortreten in die Oeffentlichkeit zu meiden. Getheilt zwischen den Arbeiten im Cabinet, den Verhandlungen mit auswärtigen Gesandten, den Sitzungen des geheimen Staatsraths und häuslicher Thätigkeit flossen seine Tage dahin. Bei den zahlreichen Hoffestlichkeiten erschien er nur auf dringende Veranlassung hin. So, ganz in der Arbeit für den Staat aufgehend, leistete der gewandte und unermüdliche Minister unendlich vieles nebeneinander. Nicht nur, daß er die Conferenzen mit den Vertretern fremder Mächte und die politische Correspondenz während der schwierigen Zeiten des nordischen Kriegs fast allein leitete, übte er auch auf die meisten Gebiete der inneren Politik einen bedeutenden, oft einen entscheidenden Einfluß. So war seine Theilnahme an den Arbeiten zur Reform der Justiz während der J. 1698–1713 eine äußerst lebhafte. Seiner Begutachtung [18] verdankt die berühmte Allgemeine Ordnung die Verbesserung des Justizwesens betreffend vom 21. Juni 1713 ihre endgültige Form. Nicht minder regen Antheil nahm er an der Reform der Domänenverwaltung, der Hauptgrundlage der Staatsfinanzen, mit der man unvorsichtigerweise experimentirt hatte. Schon früh erklärte er sich als einen Gegner des kühnen Besserers Luben v. Wulffen und bemühte sich später im Verein mit Ernst Boguslav v. Kameke, dem Hauptgegner Lubens, der auch seinen Fall herbeiführte, die Verwaltung unter Aufnahme von Lubens wirklichen Verbesserungen nach dem alten Princip der Zeitpacht wieder einzurichten. Sogar zur Reorganisation der obersten Heeresverwaltung wurde er im J. 1712 mit herangezogen. Das von Friedrich Wilhelm v. Grumbkow ausgearbeitete Reformproject wurde, nachdem er es ergänzt und begutachtet, vom Könige angenommen und auf Grund desselben Grumbkow, sein späterer entschiedener Gegner, an die Spitze dieses einflußreichen Verwaltungszweiges gestellt. In der auswärtigen Politik nahm I. während der ersten Hälfte des nordischen Krieges eine im ganzen schwedenfreundliche Haltung ein. Er erstrebte eine Vereinigung mit Karl XII. und den mächtigsten norddeutschen Fürsten, um, gegen etwaige Angriffe im Rücken geschützt, aus dem von ihm erwarteten Zerfall der Republik Polen ein Stück der Beute zu erringen. Auf die Erwerbung Westpreußens, mindestens eines Landstrichs zur Verbindung Pomerellens mit dem Königreich Preußen, blieb der Blick des klarschauenden Politikers unablässig gerichtet. Friedrichs verkehrte Politik nöthigte hier wie auf dem westlichen Kriegsschauplatz zu halben Maßregeln und machte so jeden materiellen Erfolg unmöglich. Inzwischen stieg I. mit dem Sturz Kolbe’s v. Wartenberg, Sommer 1711, zur ersten Stelle im Cabinet empor. Im Einverständniß mit Kameke und Marquardt Ludwig v. Printzen, den beiden anderen zur Zeit leitenden Ministern, vom Kronprinzen Friedrich Wilhelm geschützt und gefördert, ließ er es sich angelegen sein, neue Ordnung in die durch die Günstlingswirthschaft zerrüttete Verwaltung zu bringen. Dies gelang wenigstens insoweit, als es bei dem großen Bedarf des Königs und seines Hofs durchzuführen war. In seinem speciellen Ressort, dem der auswärtigen Angelegenheiten, in dem er durch ununterbrochene 33jährige Thätigkeit eine vollendete Meisterschaft und den unbestritten ersten Platz am Hof erlangt hatte, übte er seitdem bis zu seinem Lebensende einen meist maßgebenden Einfluß. Schon seit den Tagen des Großen Kurfürsten war die Leitung der auswärtigen Affären in das fürstliche Cabinet verlegt. Wie Jener von hier aus mit seinen vertrautesten Räthen, den Schwerin und Waldeck, Jena und Somnitz, die äußere Politik in einer selbst den übrigen Ministern öfters verhüllten Art geleitet, so hatte auch Friedrich I. erst mit Eberhard v. Danckelmann, später mit Kolbe und I. vom Cabinet aus die Politik des Staats geleitet. Jetzt wurde I. die Leitung der auswärtigen und Hoheitssachen ganz speciell übergeben und dieser behauptete die erste Stelle, obgleich von Friedrich Wilhelm I. der Generallieutenant v. Bork erst von Zeit zu Zeit, später ganz ins Cabinet gezogen wurde. Die autokratische Regierungsweise des ebengenannten Königs äußerte sich auf dem Gebiet des Auswärtigen nicht in so entschiedener Weise, wie in den inneren Angelegenheiten. Der König hatte das instinktiv richtige Gefühl, daß er den Finessen der Diplomatie nicht gewachsen sei und daher hier eines Beirathes bedürfe, der jene durchschaue und ihre für seinen Staat nachtheiligen Bemühungen zu durchkreuzen verstehe. Als einen solchen kannte er I. und schätzte ihn um so höher, als er von der Lauterkeit seines Charakters und von seinem Aufgehen im Staatsinteresse mehr als einen Beweis empfangen hatte. Die friedliebende und neutrale Natur seines Cabinetsministers paßte vortrefflich zu der des Monarchen selbst und kam dem von früher her entkräfteten Lande so zu Gute, daß nur so [19] die für die Folge nothwendige Sammlung der Kräfte ermöglicht ward. I. erhielt den König in einer dem Hause Habsburg günstigen Richtung. Das Uebergewicht, das sich der verschlagene Graf Seckendorff in seinen letzten Lebensjahren bei Friedrich Wilhelm I. zu verschaffen wußte, betrachtete er freilich mit berechtigtem Mißtrauen. Dennoch ließ er es sich angelegen sein, den König überall da wo er aus dem habsburgischen englisch-hannöverschen Interesse hinüberzuneigen schien, in jenes wieder zurückzulenken. Den vielberufenen Herrenhausener Vertrag vom 3. September 1725 schloß Friedrich Wilhelm zwar im Beisein, aber gegen die Intentionen Ilgen’s ab. Doch ebensowenig entsprach der Vertrag von Wusterhausen (12. Octbr. 1726), der den König verpflichtete ohne bestimmte Gegenleistungen Seitens Oesterreichs, Ilgen’s Ansichten, der sich ohne Scheu dem König gegenüber darüber ausließ. Die während der ersten Hälfte von Friedrich Wilhelms Regierung bescheidene, doch klare und vortheilhafte Politik Preußens begann mit dem Augenblick unklarer, schwankender und unfruchtbarer zu werden, wo der Sendling Seckendorff das Ohr des Königs mehr gewann, als der im Dienste seines Staats ergraute Minister. Mit Unmuth sah I. den Lauf der neuesten Politik, als ein sanfter Tod den fast Achtzigjährigen (6. December 1728) mitten aus der Arbeit dahinraffte. Ilgen’s Persönlichkeit war nicht eben stattlich noch ehrfurchtgebietend. Seine scharfen Züge waren meist ohne jeden äußeren Ausdruck, so daß er alle die, die mit ihm geschäftlich zu verkehren hatten, besonders die fremden Gesandten, oft in die äußerste Verlegenheit brachte. In den Berichten an ihre Höfe beklagen sie sich des öfteren über die Unergründlichkeit, ja wol gar die Zweideutigkeit dieses Ministers, der immer gleichmüthig, immer ohne Affekt, sich nie fassen lasse und aus jedem Winkel noch einen Ausweg fände, der morgen verwerfe, was er heute angenommen, um übermorgen mit einer neuen Klausel, einer anderen Bedingung darauf zurückzukommen. I. stellt das Muster eines Diplomaten um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts dar, mehr sein als großartig, mehr auf die Erreichung kleiner Vortheile, als auf die offene Erstrebung eines großen Ziels gerichtet. Er hinterließ drei Kinder, einen Sohn und zwei Töchter, von denen die eine mit dem Minister Knyphausen[WS 1], Ilgen’s Freund und Gefährten, vermählt bereits 1731, die ältere, erst Gattin eines Grafen Pückler, dann eines Herrn v. Bronikowski, 1747 starb. Sein einziger Sohn trat frühzeitig in den Staatsdienst in ähnlicher Stellung, wie einst der Vater, als geheimer Secretär. Beim Eintritt Thulemeiers in das Cabinetsministerium, 1740, erhielt er die preußisch-polnische Expedition, die sein Vater bis zu seinem Tod und Thulemeier seit jener Zeit inne gehabt hatte. Von Friedrich Wilhelm I. war ihm die Leitung des geheimen Hof- und Staatsarchivs übertragen worden, die er bis zu seinem 1750 erfolgenden Tode zur höchsten Zufriedenheit seiner Herren versah. Mit ihm scheint das Geschlecht im Mannesstamme erloschen zu sein.

Droysen, Geschichte d. preuß. Politik, IV. 1, 319 u. IV. 2. Isaacsohn, Geschichte des preuß. Beamtenthums, II. 295 ff. Cosmar und Klaproth, Geschichte des preuß. geh. Staatsraths, 393/394. v. Noorden, Europ. Geschichte im 18. Jahrhundert, I. 46, 47. Daneben Acten des geh. Staatsarchivs zu Berlin.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Ernst Freiherr von Knyphausen (1678–1731), preußischer Staatsminister. Sohn von Dodo Freiherr von Knyphausen, Vater von Dodo Heinrich Freiherr von Knyphausen.