ADB:Schultz, Woldemar (estnischer Generalsuperintendent)
[727] verstanden, wie es in den besonders gearteten studentischen Verbindungen Dorpats üblich ist. Nach Beendigung seines Universitätsstudiums traten für ihn, wie auch bei vielen anderen, Lehr- und Wanderjahre ein, bis 1842. Er bereiste und durchwanderte Deutschland, studirte noch in Berlin und Halle. Nach seiner Heimkehr war er in Livland auf dem Lande Hauslehrer. Auch das war damals eine fast allgemeine Sitte bei den Candidaten. Und das war meistens eine treffliche Vorbereitung für das zukünftige Amt, nicht nur das Unterrichten, sondern auch der Aufenthalt auf den Edelhöfen des Landadels, wo meistens die Hauslehrerzeit verbracht wurde, und die zukünftigen Pastoren den Kreisen näher traten, in denen sie später arbeiten sollten. Im J. 1842 wurde S. zum Pastor von Saara in Livland berufen. Auf dieser seiner ersten Pfarre blieb er aber nur vier Jahre. Als im J. 1846 in der benachbarten Stadt Pernau die St. Elisabethpfarre vacant wurde, berief die Gemeinde S., auf den man bereits aufmerksam geworden war, zu ihrem Seelsorger, und er folgte dem Ruf in den größeren Wirkungskreis. Immer mehr zeigte sich dort seine Arbeitskraft in hellem Licht, und er entwickelte eine rastlose heilsame Thätigkeit, sowohl als Pastor der großen Pernauschen Stadt- und Landgemeinde, als auch, seit 1856, als Propst des Pernauschen Sprengels. Auf beiden Gebieten zeigte sich sein Eifer für die Sache des Herrn und die Energie seines festen Charakters. Im J. 1863 aber war es, da er in das Arbeitsfeld gestellt ward, wo er alle seine Kräfte in vollem Maaße im Dienste des Herrn und seines Reiches verwerthen konnte; 1863 wurde er Generalsuperintendent von Esthland. Seine Wahl kam unerwartet, man möchte sagen auch für die Wähler. Es war Gottes Wahl. Für den erledigten Generalsuperintendentenstuhl wurden anfangs andere Namen genannt, ja es war schon ein anderer gewählt und bestätigt; aber er lehnte die Wahl ab. Aus einer neuen Wahl ging S. hervor. Ihn kannten selbst von den Wählern wenige; aber diese waren auf den kräftigen Pernauschen Propst aufmerksam geworden; so erfolgte die Wahl, und er erhielt den ihn selbst völlig überraschenden Ruf an die Spitze der evangelisch-lutherischen Kirche Esthlands. Er folgte dem Rufe in Gottes Namen und begann gleich seine unermüdliche Thätigkeit. Wie er selbst nie rastete, war es seine Art, überall zur Bewegung anzuspornen. In seiner neuen Stellung fand er ein weites Feld für seine Thätigkeit vor: als Generalsuperintendent, als Vicepräses des esthländischen evangelisch-lutherischen Consistoriums und als Oberpastor an der Domgemeinde zu Reval. Und auf allen diesen Gebieten hat er eine Thätigkeit entwickelt, daß man glauben sollte, er hätte da seine ganze Person eingesetzt. Bald nach seiner Einführung als Generalsuperintendent versammelte er die Pastoren Esthlands zu der ersten Synode unter seiner Leitung. Und damit setzte seine Wirksamkeit als Generalsuperintendent gleich in dem Punkt ein, von welchem aus er einen weitgehenden Einfluß in Esthland geübt hat. Es trat von anfang an sein Bestreben hervor, sich mit den Pastoren in nahe persönliche Beziehung zu setzen. Gleich zur Zeit der ersten Synode und ferner waren täglich in kleinerer oder größerer Anzahl die Pastoren seine Gäste. Auch sonst wünschte er es und sah es als etwas selbstverständliches an, daß die Pastoren ihn besuchten, wenn ihr Weg sie nach Reval führte. Bei seinem Zusammensein mit den Pastoren wurden Gemeindeverhältnisse und kirchliche Fragen besprochen, Rath und wenn nöthig Mahnung ertheilt. Sehr bald gewann die große Mehrzahl der Pastoren den Weg zu ihrem Generalsuperintendenten lieb. In allen schwierigen Gemeindeangelegenheiten wandten sie sich gern mündlich oder schriftlich an ihn und fanden bei ihm immer ein offenes Ohr und offenes Herz für ihre Sorgen. Immer war er bereit, mit Rath und That einzugreifen; aus dem Schatz seiner Erfahrungen darzureichen oder geeignete Schritte zu thun und anzugeben. In besonderer [728] Weise hat er es verstanden, die Predigersynoden für das innere Leben der Kirche fruchtbar zu machen. Die esthländische Synode, die schon seit 1627 besteht, unterscheidet sich wesentlich von dem, was die Synode in Kirchen mit Synodalverfassung ist. Die esthländische Synode ist von vornherein reine Predigersynode gewesen und ist es bis jetzt, und am Kirchenregiment nimmt sie nicht theil. Ihrer ursprünglichen Bestimmung nach war sie mehr ein wissenschaftliches Repetitorium und Disputatorium für die Pastoren, als praktisch-kirchlichen Zwecken gewidmet. Und diesen Charakter hatte sie bis zu Schultz’s Amtsantritt mehr oder weniger beibehalten. Es wurden auf ihr fast nur wissenschaftliche Arbeiten vorgetragen, obgleich namentlich in den letzten Jahren vor S. die praktischen Fragen auf dem kirchlichen Gebiet sich auch auf den Synoden zur Geltung zu bringen bemüht waren. Sobald S. die Leitung der Synode übernahm, traten auf derselben die praktischen Fragen der Kirche und der Gemeinde in den Vordergrund. Doch nicht wurde das Wissenschaftliche ganz bei Seite geschoben. S. selbst vernachlässigte die Wissenschaft nicht. Trotz seiner hohen praktisch-kirchlichen Begabung und seiner umfassenden Arbeit auf dem Gebiet hat S. immer eifrig wissenschaftlich weitergearbeitet, wie unter anderen auch aus den vielen von seiner Hand stammenden Bemerkungen in den Werken seiner reichhaltigen, auserlesenen theologischen Bibliothek zu ersehen ist. Die Synode hat unter Schultz’s Leitung eine Fülle von Anregung für das kirchliche Leben Esthlands gebracht und ist eine Brunnenstube des Segens für die christliche Gemeinde geworden. Die von S. eingeschlagenen Wege fanden freudige Aufnahme bei den meisten esthländischen Pastoren; ihm standen tüchtige, eifrige, Gott begnadete Pastoren zur Seite und es begann ein frisches, kräftiges Leben weit in das Land hinein sich wirksam zu zeigen. Eines von Schultz’s Lieblingskindern war die Volksschule, und dabei wirkten in gleicher Weise mit seine Liebe zum Landvolk und seine Erkenntniß von der Bedeutung einer christlichen Volksschule für die Kirche. Für die Volksschule hat er viel gearbeitet und hat auch viel Freude an ihr erlebt. Die Schulangelegenheit war in Esthland im Jahr 1863 wohl über ihre Anfänge hinaus, aber doch fehlte ihr noch viel, um zu sein, was sie sein sollte. S. machte gleich die Volksschule zu einem regelmäßigen Berathungsgegenstande auf den Synoden. Und von da ist viel Förderung für dieselbe ausgegangen. Die jährlich von den Pastoren eingesandten, eingehenden Berichte über die Schulen ihres Kirchspiels bearbeitete S. mit viel Mühe und Fleiß zu genau den Stand der Schule wiedergebenden Gesammtberichten, welche er auf der Synode vortrug. Daraus ergaben sich Fortschritte und Mängel, daran knüpften sich Verhandlungen über Abhülfe des Unvollkommenen. S. war dabei unausgesetzt thätig und anregend. Der Schulmeisterstand wurde gehoben, indem auf Ersetzung unbrauchbarer Lehrer durch tüchtige in Seminarien gebildete gedrungen wurde, Erhöhung des Schulmeistergehalts wurde mit Erfolg befürwortet und vielfach erreicht. Dabei wurde die äußere und innere Organisation gehoben. Eine Menge neuer Schulen wurden gegründet. Und das alles geschah ohne jegliche Staatshülfe, eine Frucht eifriger Pastorenarbeit und opferwilliger Darbringung aus den Gemeinden, namentlich von Seiten der Großgrundbesitzer. S. hatte die Freude, daß sein Lieblingskind gedieh. Er erlebte es, daß das Volksschulwesen in Esthland sich ohne Scheu anderen Gebieten mit blühenden Schulen an die Seite stellen konnte. Kein Kind brauchte aus Mangel an einer Schule ohne Schulunterricht zu bleiben. Und die Erfolge des Schulunterrichts und des längst von den Pastoren mit Sorgfalt überwachten häuslichen Unterrichts zeigten sich bei Gelegenheit einer Rekrutenaushebung, welche 95 oder 96 Procent der Ausgehobenen als des Lesens und Schreibens kundig ergab. Gleichfalls mit viel Eifer förderte S. alles, was die eigentliche [729] pastorale Arbeit betrifft, und wiederum wurden die Synoden dazu fruchtbar gemacht. Zuerst wurde auf Schultz’s Anregung unter bedeutender Beihülfe der esthländischen Ritterschaft aus Gaben, die von den Pastoren und Gemeinden kamen, eine Casse zur Theilung großer, die Seelsorge erschwerender Pfarren gegründet, welche höchst segensreich wirkt. Ferner trat mit Hülfe der Ritterschaft das Institut der esthländischen Pfarrvicare ins Leben, die in der pastoralen Arbeit helfen, wo Hülfe noth thut. Hier sei erwähnt, was von S. stets freudig ausgesprochen ist, wie viel Förderung er in seinen mannigfachen Unternehmungen zum besten der Kirche und des Volkes immer von der esthländischen Ritterschaft erfahren hat: immer bereitwilliges Entgegenkommen, oft geradezu großartige Freigebigkeit. Auf den Synoden wurde die eigentliche Aufgabe der pastoralen Thätigkeit eingehend und in gründlicher Weise behandelt. Berathungen über die Seelsorge und Kirchenzucht, über Verwendung von Laienhelfern in der Gemeindepflege, über Catechese, Hausbesuche der Pastoren, Kindererziehung und Confirmandenunterricht, über Beschaffung einer guten Volkslitteratur und dem Verwandtes kehren auf jeder Synode wieder. S. war dabei theils den Anstoß gebend, theils immer wieder anregend. Es umgab ihn ein frisches kirchliches Leben. Die Arbeit, die S. auf diese Weise in den Gemeinden förderte, übte er selbst eifrig und treu in der ihm anvertrauten Domgemeinde zu Reval. Unermüdlich thätig in der Seelsorge, trat er den einzelnen Gemeindegliedern durch Hausbesuche nahe, namentlich wo irgend eine Noth, Krankheit oder Bedrängniß geistlichem Zuspruch den Weg bahnte. Und viel Liebe und Dankbarkeit wurde ihm von der Gemeinde entgegengetragen. Als Frucht seiner seelsorgerischen Arbeit an den Kranken hat er seinen „Evangelischen Trost für Kranke“ herausgegeben, zugleich ein Hülfsmittel der Krankenseelsorge. In ähnlicher Weise aus seiner Arbeit hervorgegangen und zugleich Zeichen seiner Liebe zu seiner Gemeinde sind sein „Kurzer Unterricht in der christlichen Lehre“, eine Catechismuserklärung, und sein Buch zu täglichen Andachten „Zur häuslichen Erbauung“, welches die bezeichnende Widmung trägt: „Meiner lieben Domgemeinde.“
Schultz: Ernst Wilhelm Woldemar S., Generalsuperintendent von Esthland und evangelisch-lutherischer Oberpastor am Dom zu Reval. Er ist in der Universitätsstadt Dorpat am 5./17. December 1813 geboren. Schulunterricht und Universitätsstudien genoß er in seiner Vaterstadt. Er studirte daselbst von 1832–36 Theologie. Als Student hat er frische, fröhliche Jugendlust im Kreise seiner Landsleute, der Livonen, mit wissenschaftlichem Arbeiten zu verbindenIn engem Zusammenhang mit seiner pastoralen Arbeit stand auch sein Wirken in der inneren Mission. Auch da war seine Thätigkeit eine vielseitige. In der eigenen Gemeinde hat er die kirchliche Armenpflege organisirt, geleitet und thatkräftig gefördert. Mit großer Liebe nahm er sich des von einem seiner kräftigen Vorgänger, dem Oberpastor am Dom Mickwitz 1725 gegründeten Domwaisenhauses an. Durch seine unermüdliche Fürsorge brachte S. die Mittel auf zu einem stattlichen Neubau für das Waisenhaus und dasselbe blühte unter seiner fördernden Leitung. Andere Unternehmungen, zu denen er den ersten Anlaß gegeben oder an denen er sich doch thatkräftig betheiligte, reichen über den Rahmen der Einzelgemeinde, deren Pastor er war, hinaus. Als seine Schöpfung ist vor allem der evangelische Verein in Reval zu nennen, der eine Herberge zur Heimath, ein Nachtasyl für Obdachlose, eine Arbeitswerkstatt für Arbeitslose, einen Jünglingsverein, ein sogenanntes Magdalenenasyl ins Leben gerufen hat. Ebenso ist die Errichtung einer Blindenerziehungsanstalt in Reval im vollen Sinn Schultz’ Werk zu nennen. In manchen anderen Vereinen und Einrichtungen war er mehr oder weniger thätiges Vorstandsmitglied: bei der Diakonissenanstalt, der Bibelgesellschaft, der evangelischen Unterstützungscasse, einer Casse gleich dem Gustav-Adolf-Verein, und anderen. Viel Arbeit hat er gethan, und die Arbeit war ihm lieb und leicht. Doch in den letzten Jahren seiner Arbeit und seines Lebens nagte manche Sorge an seiner Kraft, und da fing die Arbeit an, ihm schwer zu werden. 24 Jahre war S. Generalsuperintendent; der erste Theil seiner Wirksamkeit fiel in verhältnißmäßig ruhige Zeiten. Ohne Opposition ging freilich sein Werk nicht fort. Das liegt in der Natur der Sache; alles Neue, [730] namentlich wenn es schnell seinen Weg machen will, stößt auf Widerspruch. Doch konnte S. an seinem Werk bauen und hat nicht nur gesäet, sondern auch Frucht gesehen. Im letzten Jahrzehnt seines Lebens war es anders. Da erhoben sich Sturm und Wogen. Manches Werk wurde aufgehalten, bei manchem begannen die Wogen die Mauern zu unterspülen. Da hatte S. nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu kämpfen. Eine widerstrebende Bewegung der Geister stammte freilich schon aus der Zeit vor dem letzten Jahrzehnt, das war die nationalesthnische. Dieses Streben eines aus seinen Kinderträumen erwachenden Volkes hatte viel Berechtigtes in sich. Das hat auch S. immer anerkannt, und war eifrig bemüht, dieses Streben in die rechte Bahn zu bringen. Doch nahm dasselbe vielfach antikirchlichen Charakter an und hat viel Pastorenarbeit geschädigt. Das gab Kampf. Noch mehr in das Leben der Kirche und ihre ruhige Entwicklung griff aber die methodistisch-subjectivistische geistliche Bewegung ein, welche am Ende der siebziger Jahre vom Südwesten Esthlands ausging. Diese nahm allmählich immer mehr einen unkirchlichen Charakter an und hat viel Unfrieden angestiftet. S. war unausgesetzt bemüht, durch persönliches Eingreifen, durch Einwirkung auf die Pastoren und die Führer der Bewegung, dieselbe in kirchliche Bahnen einzulenken. Der Kampf war um so schwerer, je weniger er Erfolg erzielte. Die schwersten Schläge für Esthland begannen aber mit dem Jahr 1883. Die Schmerzen des Landes waren eben Schultz’ Schmerzen. Damals begann der Uebertritt von Esthen zur griechischen Kirche. Denselben Schmerz hatte S. am Anfang seiner pastoralen Wirksamkeit in Livland erlebt, jetzt erlebte er ihn von neuem in Esthland. Diese Uebertritte haben ihr besonders Schmerzliches darin, daß da nichts Geistliches, keine Frage nach der Seelen Seligkeit mitwirkt. Er erfolgte beide Male auf Verlockungen und Versprechungen von Agitatoren hin, welche irdische Vortheile in Aussicht stellten. Tausende folgten dem Ruf; es waren ungefähr 6000. Und aus der griechischen Kirche Rußlands gibt es keinen gesetzmäßigen Austritt. Sehen die Verblendeten, oft Ueberrumpelten, wie sie getäuscht sind, ist die Thüre hinter ihnen geschlossen. Das Herz nicht nur aller Christen, sondern aller wahrhaftigen Männer schmerzte. S. eilte nach St. Petersburg, trug hochgestellten Personen vor, was im Lande geschah, bat um Verhinderung der Agitation; dann erließ er einen Hirtenbrief und mahnte zur Treue des Glaubens. Wesentliche Hülfe brachte das nicht. Und bald wurde es offenbar, daß die Lockung zum Abfall von der evangelisch-lutherischen Kirche nur der Anfang eines vorbedachten und vorbereiteten Angriffs war. Es trat das Bestreben einer mächtigen Partei immer deutlicher hervor, alles Bestehende in den Ostseeprovinzen, also auch in Esthland, umzustoßen und eine ganz neue Ordnung der Dinge auf allen Gebieten des Lebens einzuführen. Unter denen, die das Althergebrachte und feierlich gewährleistete Recht vertheidigten, stand S. in erster Reihe. Und gerade in der Vertheidigung des Rechts bewährte sich seine Treue und Kraft in erhöhtem Maß. Ueberall, wo er Recht und Gesetz auf seiner Seite hatte, stand er fest und unbeweglich und vertheidigte rastlos die angegriffene Kirche und Schule. Er stand da, ein Fels im Meer, und alle Herzen, die Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Treue lieb hatten, fielen ihm zu, er war hochgeehrt in weiten Kreisen. Dieser Verehrung verlieh auch die theologische Facultät Dorpats Ausdruck, indem sie ihn 1883 wegen seiner hohen Verdienste in der Kirchenleitung zum doctor theologiae honoris causa ernannte. Aber Schultz’ Herz war voller Weh. Er sah das Verderben über die Arbeit seines Lebens, über das, was er heiß liebte, kommen. Er hat den Fall nicht erlebt, an dem jetzt das Land darniederliegt. Er sah noch nicht den jetzt eingetretenen schnellen Niedergang seiner geliebten, nun der Russificirung verfallenen Volksschule. Aber die Wetterwolken hingen am Himmel und der Horizont war [731] dunkel. S. hatte wol eine feste Hoffnung auf bessere Zeiten und den Sieg der guten Sache, aber er sagte trauernd: ich werde es nicht erleben. Und sein Lebensabend kam. Die zwei letzten Jahre waren ihm auch körperlich Leidensjahre, obgleich Wenige das dem immer noch kräftigen, arbeitsreichen Mann ansahen. Der Sommer 1887 war sein letzter irdischer. Er verbrachte ihn meistens krank. Am 21. September / 30. October schied er im Vertrauen auf seinen Heiland aus dem Kreise der tieftrauernden Seinen und aus dem Leben. An seinem Sarge trauerten Stadt und Land. Eine Beerdigung mit so zahlreichem Gefolge wie die Schultz’ hat die Stadt Reval selten gesehen. Und es war eine aufrichtig trauernde Versammlung. Auf seinem Grabe steht ein hohes Kreuz „von der dankbaren Geistlichkeit Esthlands“.
Den Eindruck, den Schultz’ Persönlichkeit wol auf Jeden machte, war der der Kraft. Eine feste, starke Gestalt über mittlerer Größe, bis ins Alter hinein hoch aufgerichtet; sein Auftreten wie sein Schritt fest und bestimmt. Ebenso war sein Inneres durch und durch männlich, voll Wahrhaftigkeit und persönlichen Muthes. Menschenfurcht und Menschengefälligkeit waren seinem starken Wesen fremd. Und dennoch hatte sein Charakter nichts Herbes; er war auch nichts weniger als ein kalter Verstandesmensch. Nur in sein Rechts- und Pflichtgefühl durfte das Herz nicht dreinreden. Aber im Kreise der zahlreichen Seinen stand er als das hochverehrte Familienhaupt; im wohlwollenden Verkehr mit den ihm unterstellten Pastoren, in der herzlichen Theilnahme, welche er allen Gliedern seiner Gemeinde, namentlich allen Nothleidenden entgegentrug, erkannte man den Mann des tiefen Gemüths. So war er „wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt in seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht und was er macht, das geräth wohl“ (Ps. 1).