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ADB:Sigismund, Berthold

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Artikel „Sigismund, Berthold“ von Bernhard Anemüller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 265–267, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sigismund,_Berthold&oldid=- (Version vom 19. November 2024, 17:55 Uhr UTC)
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Sigismund: Berthold S., Dr. med., geboren am 19. März 1819 in Stadtilm, † am 13. August 1864 in Rudolstadt. Sein Vater war in Stadtilm Amtsactuar und wurde später als Justizamtmann nach Blankenburg (Schwarzathal) versetzt. Was den äußeren Lebensgang Sigismund’s betrifft, so besuchte er nach Vorbereitung im väterlichen Hause das Gymnasium in Rudolstadt von 1832–1837, wo er alle Classen mit Auszeichnung durchschritt. Seine Neigung zu den Naturwissenschaften bestimmte ihn, Arzt zu werden. Nachdem er von 1837–1842 in Jena, Leipzig und Würzburg Medicin studirt hatte, lebte er zwei Jahre lang als Arzt in Blankenburg. Infolge einer schweren Krankheit wurde er veranlaßt, die ärztliche Wirksamkeit auf einige Zeit aufzugeben und folgte deshalb der Einladung einer Familie in Lenzburg in der Schweiz, dort Privatunterricht zu ertheilen. Hier blieb er ein Jahr lang. Im Sommer 1845 nahm er den Antrag an, an einer Erziehungsanstalt in England Unterricht in den Naturwissenschaften und im Deutschen zu ertheilen und verlebte ein Jahr zum Theil in Derbyshire, zum Theil in London. 1846 begab er sich nach Paris, um die Heilanstalten und Sammlungen zu benutzen und kehrte von dort wieder nach Blankenburg zurück, wo ihn bis zum Schlusse des Jahres 1849 der ärztliche Beruf beschäftigte und er von seinen Mitbürgern zum Bürgermeister der Stadt erwählt wurde. 1850 wurde er zum Lehrer der Naturwissenschaften für die Realschule und das Gymnasium in Rudolstadt berufen. Hier entwickelte er bis zu seinem Tode eine in allen Zweigen der Wissenschaft bewunderungswerthe Schaffungskraft, ebensowohl für die Schule, als für Stadt und Land und dabei privatim eine schriftstellerische Thätigkeit in Beziehung auf Litteratur und Kunst, nicht gehindert durch oft sehr starke körperliche Leiden, die er durch staunenerregende Kraft seines Willens zu überwinden wußte. Seinem Talente diente bei außerordentlichem Fleiße ein bis ins einzelne gehendes, geradezu riesiges Gedächtniß; „in ihm wohnte ein starker Geist von seltener Begabung, von vielseitiger Bildung“. Zunächst waren es die gewöhnlichen Vorstudien der Medicin, welche seine Kraft und Zeit in Anspruch nahmen: Botanik und Chemie, Mineralogie und Zoologie, vergleichende Anatomie, daneben gründliches Sprachstudium anderer lebender Sprachen; in der englischen hatte er sich eine solche Fertigkeit und Geläufigkeit angeeignet, daß es dem Engländer schwer wurde, in ihm den Ausländer zu entdecken. Sein Streben, die äußersten und letzten Quellen menschlicher Erkenntniß und jeglicher Wissenschaft zu erforschen, trieb ihn zu dem gründlichen Studium der Philosophie; durch sein tiefes Gemüth, seine Begeisterung für alles Gute, Schöne und Wahre, durch seine Bekanntschaft mit der Weltlitteratur und sein umfassendes Studium auf dem Gebiete der Aesthetik ist er zum Dichter geworden. Seine herrlichen Poesien aber barg er lange aus Bescheidenheit und sie wären kaum zur Kenntniß des staunenden Publicums gekommen, [266] wenn sie nicht zuerst durch Adolf Stahr seinen Händen entrissen und bekannt gemacht worden wären (wie zuerst die „Lieder eines fahrenden Schülers“). Durch sein ernstes Studium der größten und berühmtesten Werke der Malerei und Baukunst hatte er eine hohe Stufe erstiegen und wußte den Werth derselben seinen Schülern mit der größten Klarheit auseinanderzusetzen, wie er sich auch nie mit dem bloßen Anhören der Musik begnügte, sondern die Kunstwerke eines Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert u. a. nach ihrem Grundriß bis zum vollständigen Verständniß studirte und erklären konnte. Einen gediegenen Aufsatz über den musikalischen Begriff der sogenannten Klangfarbe schrieb er noch in seinem Todesjahre in die Wissenschaftliche Beilage zur Leipziger Zeitung. Bedenkt man nun noch, daß er neben wöchentlich 26 Lehrstunden mit den damit verbundenen unvermeidlichen Correcturen der Schüler Arbeiten im chemischen Laboratorium beaufsichtigte, daß er wöchentlich botanische Excursionen unternahm, daß er ferner noch von vielen anderen Seiten her in Anspruch genommen wurde, z. B. von der Behörde als Preisrichter bei der weimarischen Kunstausstellung 1862, als Mitglied der Examencommissionen, als Director des Rudolstädter Gewerbevereins, so müssen wir seine schaffende Riesenkraft auch heute noch als unerreichbar bewundern. Dazu kam noch, daß die königlich sächsische Regierung ihm die statistische Beschreibung des Erzgebirges und der Lausitz übertragen hatte, welche zuerst in der Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung und später in besonderem Druck erschienen unter dem einstimmigen Beifall aller Zeitgenossen. Für solche und ähnliche Arbeiten hatte er ausschließlich die Ferien bestimmt, trotzdem er als Arzt selbst am besten wissen mußte, wie nothwendig ihm vollständige Ruhe war; gestand er doch selbst, daß nach menschlicher und ärztlicher Rechnung sein Lebensziel ihm nicht weit hinaus gesteckt wäre. So erstarb mit ihm auch seine Idee, ein größeres Werk über die Industrie des Thüringer Waldes zu schreiben; auf einer deshalb in den Sommerferien 1864 in Begleitung eines Freundes unternommenen Reise im Thüringer Lande überfiel ihn bei Schmalkalden auf offener Waldstraße sein altes Magenleiden und zwang ihn zur Umkehr. Mit Mühe erreichte er sein Rudolstadt, aber infolge wiederholten Blutbrechens endete sein reiches, edles Leben inmitten seiner Familie am 13. Aug. 1864. Die Trauer um seinen Verlust war eine allgemeine. Zum Andenken an ihn wurde später westlich von Rudolstadt ein Denkmal gesetzt, ein roher gebrochener Grünstein aus dem Schwarzathal, auf welchem sein Brustbild in Basrelief angebracht ist. – Von ihm besitzen wir „Lieder eines fahrenden Schülers, herausgegeben von Adolf Stahr“, Hamburg 1853; „Asclepias, Bilder aus dem Leben eines Landarztes“, Gotha 1857; „Kind und Welt, Vätern, Müttern und Kinderfreunden gewidmet. I. Die erste Periode des Kindesalters“, Braunschweig 1856. Dies ist eine genetische Anthropologie, allgemein faßlich, mit tiefem naturgetreuen Verständniß und mit der Liebe eines Kinderfreundes geschrieben; als Fortsetzung dieses Werkchens ist anzusehen: „Die Familie als Schule der Natur“ Leipzig 1857, 2. Band der Bücher der Natur von Roßmäßler, o. J., enthaltend allgemeine Regeln über den naturkundigen Unterricht und die von ihm erprobte Methode; „Physische Geographie des Schwarzagebietes“, Schulprogramm vom Jahre 1858; dieses hatte zunächst den Zweck, seine Schüler von den hauptsächlichsten Thatsachen der physischen Geographie ihrer Heimath in Kenntniß zu setzen und sie zu eigener Beobachtung anzuregen und bringt eine erstaunliche Fülle von gründlichen Beobachtungen aller dahin einschlagenden Gegenstände; „Lebensbilder vom sächsischen Erzgebirge“, Leipzig 1859 in Lorck’s Eisenbahnbüchern Nr. 31; „Land und Leute der sächsischen Lausitz“, Leipzig, in Bergson’s Eisenbahnbüchern Nr. 51. Da er die ethnographischen Verhältnisse seiner Heimath zu seinem besonderen Studium gemacht hatte, schrieb er im Auftrage der fürstlichen [267] Regierung die „Landeskunde des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt mit Benutzung amtlicher Hülfsmittel“, 1. Theil, Allgemeine Landeskunde der Oberherrschaft 1862; 2. Theil, Ortskunde der Oberherrschaft 1863. Mitten in der Bearbeitung der „Unterherrschaft“ überraschte ihn der Tod. – Eine große Menge populärwissenschaftlicher Abhandlungen, auch Gedichte, reizende Naturbilder von Leben und Wahrheit mit meisterhafter Frische gemalt erschienen von ihm in den besten Zeitschriften seiner Zeit. – Ueber sein Leben vergleiche noch:

A. Regensburger, Rede zur Gedächtnißfeier des verstorbenen Professors Dr. B. Sigismund, Rudolstadt 1864; (Röse) Lebensabriß Sigismund’s, Gartenlaube Jahrgang 1865, S. 539 ff.; (Bartholomäi) Sigismund. Ein Aufsatz über ihn in den Erinnerungsblättern der mathematischen Gesellschaft in Jena, herausgegeben von Schäffer 1865.