ADB:Sophie (Großherzogin von Sachsen-Weimar)
Sophie Wilhelmine Marie Louise, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, geboren am 8. April 1824, † am 23. März 1897, war die einzige Tochter des Prinzen Wilhelm von Oranien, späteren König Wilhelm II. der Niederlande, und seiner Gemahlin Anna Pawlowna, einer Tochter Kaiser Paul’s I. von Rußland. Am 24. Mai fand ihre Taufe durch den Hofprediger Dermont in der St. Jakobskirche im Haag statt. Die Eltern ließen sich die Erziehung der Tochter sehr angelegen sein; der Vater ertheilte ihr sogar selbst eine Zeitlang Religionsunterricht. Später leitete ihre religiöse Bildung der schon genannte Hofprediger Dermont, der sie auch am 27. April 1840 confirmirte. Ihre übrigen Lehrer waren Frl. Chapuis, Madame Rigot, Johannes Marschall, Mynheer von der Spui und der Franzose Cavin, der ihre wissenschaftliche Bildung besonders förderte. Mit Vorliebe las die junge Prinzessin Pascal und Bacon. Den Winter verbrachte sie mit ihren Eltern im Haag, den Sommer im Soestdyck, wo sie eine eigene kleine Meierei hatte und bei der Bäuerin Frau Koele das Melken, Käsemachen, Spinnen und sonstige ländliche Beschäftigungen erlernte. Die dort gesammelten Kenntnisse sind ihr später bei der Verwaltung ihrer großen Güter in Schlesien zu gute gekommen; vor allem stammt aus jener Zeit ihre Vorliebe für Blumen und Hausthiere.
Die Tante der Prinzessin, Maria Pawlowna, war an den Großherzog Karl Friedrich von Weimar verheirathet und infolge dessen bestanden zwischen den Höfen im Haag und Weimar die freundschaftlichsten Beziehungen. Häufige gegenseitige Besuche fanden statt; so kam im Juli 1834 Sophie zum ersten Male nach Weimar. Erbgroßherzog Karl Alexander weilte in späteren Jahren öfter im Haag, lernte seine Cousine immer mehr schätzen, bewarb sich um ihre Hand und verlobte sich am 20. Januar 1842 mit ihr. Am 8. October desselben Jahres fand die Vermählung statt und am 19. October trat das junge Paar die Reise in die neue Heimath an. Die Fahrt ging rheinaufwärts bis Mainz und wurde dann zu Lande fortgesetzt. In Buttlar betrat man zuerst weimarisches Gebiet, und[WS 1] deshalb fand hier ein feierlicher Empfang durch die Hofchargen statt. Dann führte der Erbgroßherzog seine junge Gemahlin nach Eisenach und der Wartburg, wo sie beim Eintritt in die Burgcapelle mit ihrem Lieblingsliede „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ begrüßt wurde. Hierauf wurde die Reise nach Weimar fortgesetzt. Die ersten Jahre nach der Vermählung waren ein durch die Pflege künstlerischer und litterarischer Interessen belebtes Stillleben; im Winter im Schloß zu Weimar, im Sommer im Schloß Ettersburg waren hervorragende Vertreter der Kunst, Litteratur und Wissenschaft ständige Gäste. Auch wurden größere Reisen unternommen: nach England und Rußland. Ein italienischer Aufenthalt dauerte fast ein halbes Jahr und bot reiche Gelegenheit zu genußreichen Studien und zur Läuterung des künstlerischen Verständnisses. Am 31. Juli 1844 beschenkte Sophie ihren Gemahl mit einem Sohne, der den Namen Karl August empfing; am 20. Januar 1849 wurde Prinzessin Marie, am 29. März 1851 Prinzessin Anna und am 28. Februar 1854 Prinzessin Elisabeth geboren. Nach dem Tode des Großherzogs Karl Friedrich am 8. Juli 1853 gelangte Karl Alexander zur Regierung und nun traten an Sophie die Pflichten der Landesmutter heran. Sie theilte diese zunächst noch mit ihrer Schwiegermutter[WS 2] Maria Pawlowna, doch entstanden auch jetzt schon auf Sophiens Anregung mehrere gemeinnützige [397] Anstalten, so das Blinden- und Taubstummeninstitut in Weimar. Ferner förderte sie die Gründung von Industrieschulen durch die Frauenvereine und veranlaßte die Einrichtung von Kleinkinderbewahranstalten in zahlreichen Gemeinden des Landes.
Nach dem Ableben der Großherzogin Maria Pawlowna übernahm sie das Protectorat über die Sparcassen des Großherzogthums und stellte sich an die Spitze der Frauenvereine. Besonders dem Eisenacher Oberlande, den armen Bewohnern der Rhön that sie unendlich viel Gutes; sie ließ Gemeinden, Kirchen und Schulen reichliche Unterstützungen zu Theil werden. Dabei ging sie in ihren Wohlfahrtsunternehmungen niemals sprunghaft und willkürlich vor, sondern hielt streng darauf, daß alles nach festen Grundsätzen der Erziehung zur Selbsthülfe betrieben werden müsse; Methode, System lag ihrem Handeln zu Grund. Der Reichthum der Oranier, von dem sie einen großen Theil geerbt hatte, befähigte sie, Großes zu wirken; bedürftige Schüler, arme Studenten, nothleidende junge Künstler empfingen reiche Gaben von ihr, oft ohne zu wissen, wer die Spenderin war. 1854 gründete sie in Weimar eine höhere Töchterschule, die sie reich ausstattete, das „Sophienstift“, dem sie 1878 ein prächtiges Heim errichten ließ. Ferner schenkte sie den Hauswirthschafts- und Kochschulen, den Knabenarbeits- und Gewerbeschulen ihre Aufmerksamkeit. Als Kunstkennerin liebte sie besonders Malerei und Musik und förderte eifrig die Unternehmungen ihres Gatten: die Kunstakademie und die Orchesterschule, sowie der weimarischen Tradition gemäß das Theater. Zur Hebung der Armen- und Krankenpflege rief sie in Weimar ein Diakonissenmutterhaus und ein Diakonissenheim ins Leben, dem sie in der Luisenstraße ein stattliches Gebäude, das 1886 eingeweihte „Sophienhaus“, errichten ließ. Ihre Fürsorge für kranke Kinder bewies sie durch die Gründung des Kinderheilbades zu Stadtsulza (1890).
Als bei Gelegenheit des dreihundertjährigen Shakespeare-Jubiläums am 23. April 1864 Wilhelm Oechelhäuser mit seiner Denkschrift zur Gründung einer deutschen Shakespeare-Gesellschaft hervortrat, übernahm die Großherzogin das Protectorat der Gesellschaft. 1885 starb der letzte Nachkomme Goethe’s, Walther v. Goethe, einsam in Leipzig; in seinem Testamente fand sich die Bestimmung: „Ich ernenne zur Erbin des von Goetheschen Familien-Archivs, wie solches bei meinem Tode sich vorfindet, Ihre Hoheit die Frau Großherzogin von Sachsen … Möge Ihre Königliche Hoheit die Frau Großherzogin dieses mein Vermächtniß, ich sage besser dieses Goethe’sche Vermächtniß in dem Sinne empfangen, in dem es Höchstderselben durch mich entgegengebracht wird: als einen Beweis tiefempfundenen und tiefbegründeten Vertrauens.“ Das Vertrauen von Goethes Enkel auf die Gattin des Enkels Karl August’s war wohlberechtigt. Bereits im Sommer 1885 trug sie Sorge dafür, daß das Goethehaus mit seinen Kunstsammlungen, seinen Denkwürdigkeiten und Heiligthümern für jedermann geöffnet wurde. Das Goethe-Archiv fand vorläufig im Schlosse selbst Aufnahme, und Erich Schmidt wurde von seiner Wiener Professur zur Leitung desselben abberufen; die Großherzogin nahm regen, thätigen Antheil an den Arbeiten in demselben. Zwei große Pläne faßte sie sofort ins Auge: 1. eine neue vollständige, auf die genaue Durchsicht und Erforschung der Texte gegründete Ausgabe der Werke Goethe’s, und 2. eine neue, vollständige auf die Erforschung und Benutzung des gesammten handschriftlichen Nachlasses gegründete Lebensgeschichte Goethe’s. Die Ausführung des ersten Planes wurde alsbald in Angriff genommen: es entstand die Goethe-Ausgabe, die mit dem Namen „Sophienausgabe“ bezeichnet wird. Die Goethebiographie harrt jedoch noch immer ihrer Ausführung. Dem [398] Beispiele von Goethe’s Enkel folgten der Enkel und Urenkel Schiller’s, die Freiherrn v. Gleichen-Rußwurm, Vater und Sohn in Weimar und Darmstadt, indem sie den handschriftlichen Nachlaß und die Bibliothek Schiller’s durch urkundliche Schenkung vom 5. Mai 1889 „zu Besitz und Eigenthum“ übergaben „der Fürsorge und dem hohen Sinn ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Sophie, ihr Schutz und Obhut dieses bisher von ihnen gehüteten Erbschatzes des deutschen Volkes anvertrauend.“ Nunmehr zögerte die Großherzogin nicht länger, diesen außerordentlichen Schätzen ein entsprechendes sicheres Heim zu schaffen. Am Tiefurter Waldweg in Weimar entstand jenes stattliche „Schatzhaus deutscher Culturarbeit“, das wir das „Goethe-Schiller-Archiv“ nennen, das aber auch bestimmt ist, die handschriftlichen Werke und Aufzeichnungen anderer großer Schriftsteller und Dichter der Weltlitteratur aufzunehmen. Am 28. Juni 1896 ward dasselbe eingeweiht; diese Feier wurde eines der erhebendsten Erlebnisse der Fürstin. Eine Schar auserlesener Männer aus allen deutschen Gauen umgaben sie. Wenn auch in incorrectem Deutsch und fremdländischem Accent, aber fest durchdrungen und ergriffen von der Bedeutung der Stunde, gab sie auf jede Huldigung klar und sicher die passende Antwort, unvorbereitet und aus der Stimmung des Moments heraus. Sie war sich bewußt, daß sie zum neuen Ruhm ihres geliebten Weimar ein stolzes Werk im Reiche des deutschen Geistes vollbracht hatte.
Ihrem Heimathlande Holland bewahrte sie bis in ihre letzten Lebenstage treue Anhänglichkeit, und gern wies sie auf Züge ihres Wesens als auf niederländische Eigenheiten hin, das hat sie aber nicht gehindert, sich mit der deutschen Heimath aufs innigste zu verbinden und eine echte deutsche Frau zu werden, die mit dem deutschen Volke Leid und Freud theilte. An den Weltbegebenheiten nahm sie stets den regsten Antheil, ja selbst in die Regierungsgeschäfte wußte sie sich mit großem Geschick zu finden, als sie 1870/71 während der Abwesenheit des Gatten und Sohnes in Frankreich die Regentschaft führte.
Trotz der nahen Verwandtschaft mit dem preußischen Königshause soll sie sich in die Neuordnung der Dinge im J. 1866 nur schwer haben schicken können; gewiß ist, daß sie 1870 von tiefem patriotischem Empfinden erfüllt war und hochherzig große Opfer brachte. Geradezu begeistert war sie, als Deutschland sich anschickte, überseeische Arbeitsfelder zu erwerben. Sie als Niederländerin wußte den Besitz von Colonien, den Besitz einer großen Streitmacht zur See zu würdigen.
Das Familienleben des großherzoglichen Paares war das denkbar glücklichste. Das Paar hing mit größter Innigkeit an seinen Kindern, war aber weit davon entfernt, sie allzu sehr zu verzärteln. Ein harter Schicksalsschlag war es, als ihnen am 26. Mai 1859 ein jäher Tod die achtjährige Prinzessin Anna entriß. Erbgroßherzog Karl August vermählte sich am 26. August 1873 mit einer nahen Verwandten, der Prinzessin Pauline von Sachsen-Weimar, und aus dieser Ehe gingen zur Freude der Großeltern zwei muntere Enkel hervor. Prinzessin Marie verheirathete sich am 6. Februar mit dem langjährigen deutschen Gesandten in Wien, dem Prinzen Heinrich VII. von Reuß, und Prinzessin Elisabeth am 6. November 1886 mit dem Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg. Unter großer Theilnahme der Bevölkerung des weimarischen Landes feierte das großherzogliche Paar am 8. October 1867 die silberne und 1892 die goldene Hochzeit. Leider wurde dieses letztere Fest getrübt durch die Sorge um das Leben eines der zur Feier eingetroffenen, an Diphtheritis schwer erkrankten Enkelkinder. Noch größer war der Schmerz, [399] als am 20. November 1894 fern von der Heimath, in Mentone, wo er Heilung von einer chronischen Krankheit gesucht hatte, der Erbgroßherzog Karl August verschied. Seit diesem traurigen Ereigniß besuchte die Großherzogin Sophie kein Theater und keine Concerte mehr, man sah sie nur noch selten in der Oeffentlichkeit. Während ihr Gemahl am 22. März 1897 zur Feier des hundertsten Geburtstages Kaiser Wilhelm’s in Berlin weilte, erkrankte sie infolge einer Erkältung und verschied unerwartet am nächsten Abend 8 Uhr an Herzschwäche. Für ihre Beisetzung, die am 29. März Mittag 1 Uhr stattfand, hatte sie selbst die eingehendsten Anordnungen getroffen. Während die erlauchte Trauerversammlung noch im stillen Gebete verweilte und ihr Sarg unweit dem Goethe’s aufgestellt wurde, ertönte vom Chore her, wie es ihr Wunsch gewesen war, „recht hell und triumphirend“ das Lutherlied: „Ein’ feste Burg ist unser Gott!“
- Vgl. P. v. Bojanowski, Sophie, Großherzogin von Sachsen. Braunschweig 1898. – Kuno Fischer, Großherzogin Sophie von Sachsen, Königl. Prinzessin der Niederlande. Gedächtnißrede im Sophienstift zu Weimar. Heidelberg 1898 – und zahlreiche zeitgenössische Berichte in der Tagespresse.