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ADB:Stauffer, Karl

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Artikel „Stauffer, Karl“ von Paul Schlenther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 527–529, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stauffer,_Karl&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 03:16 Uhr UTC)
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Stauffer: Karl St., Maler, Radirer und Bildhauer, wurde am 2. Sept. 1857 in Trubschachen im schweizerischen Emmenthal geboren und verschied bereits am 24. Januar 1891 in Florenz. Sein Vater, der im Tiefsinn starb, war Geistlicher und zuletzt Pfarrer in Bern. Die Mutter, eine weitgereiste Erzieherin von Beruf, erzog den ungefügen Knaben und blieb die treuste Stütze in allen Fährnissen seines stürmischen Lebens. Sie, deren Porträt sein Meisterwerk geworden ist, sah ihn steigen, glänzen und elend enden. Schon früh regte sich in ihm der Trieb zur Selbständigkeit. Auf dem Berner Gymnasium hielt er es nur bis Tertia aus. Er, der Aelteste, war das Schmerzenskind im Hause. Wohl um den jüngeren Geschwistern das böse Beispiel zu entziehen, gab der Vater den flinken Zeichner auf drei Jahre weg in die Lehre des Stubenmalers Wenzel nach München. Aus der Werkstatt kam er dann auf die Akademie, wo er bei Dietz und besonders bei Löfftz malen, bei Raab Act zeichnen lernte. Aufs gerathewohl, wie ein armer Handwerksbursch, wanderte er 1880 nach Berlin, malte hier den Bildhauer Max Klein und erregte mit diesem Porträt auf der akademischen Ausstellung im Herbst 1881 so großes Aufsehen, daß ihm die goldene Medaille verliehen wurde und nun die Aufträge geflogen kamen. Der junge, hungrige „Schweizer-Karl“ (wie Hans Hopfen ihn in einer Novelle nennt) war plötzlich ein in Kunst und Gesellschaft vielbegehrter Mann geworden. Wohl oder übel malte er, wen und was sich bot. Aber die Porträts fielen sehr ungleich aus, denn nur wo St. ein menschliches Interesse für einen Kopf gefaßt hatte, ging ihm mit dem Geist auch die Kunst auf. Je näher er sich dem Gegenstand fühlte, desto besser gelang das Bild. Fast kann man aus der Güte der Arbeit auf die persönliche Sympathie für den Gemalten einen Schluß ziehn. Während ihm so bekannte Persönlichkeiten Berlins saßen, wie Bardeleben, L’Arronge, der Jurist Goldschmidt, Lauer, Ludwig Löwe, sah man den jungen Künstler bei Reichstagsverhandlungen, in denen Bismarck sprach, ausdauernd auf der Botschaftertribüne sitzen, das Räthsel dieses Haupts zu lösen. Allmählich stieg der Gedanke in ihm auf, eine Ehrengalerie berühmter Zeitgenossen dem [528] Volke zu schenken, und vor allem lockten ihn die beiden großen Dichter seines Schweizerlands, Keller und C. F. Meyer. Ein Bild des siebzigjährigen Gustav Freytag bestellte bei ihm die königl. Nationalgalerie in Berlin und er hat es, bei den Sitzungen das innige Wohlwollen des alten Poeten gewinnend, geliefert. Aber der Broterwerb des „Muß-Porträtisten“ widerte ihn um so mehr an, je weniger Reiz die Besteller für ihn hatten. „Viel lieber Kupferstecher“, schrieb er eines Tages, und angeregt durch seinen Freund Peter Halm, ging er nun mit dem für ihn bezeichnenden seßhaften Eifer ans Radiren. Dabei wurden ihm die Vorzüge der Arbeit mit dem Stichel vor der reinen Radirung immer klarer, und nach dem Beispiel des Franzosen Gaillard führte er in Deutschland den Sieg des frei gehandhabten Stichels über die Radirnadel herbei. Sein von ihm aufs höchste bewunderter Freund Max Klinger ist hierin sein Schüler. Diese stecherischen Arbeiten, deren Neuerung er auch schriftstellerisch zu propagiren gedachte, sind von höchster Bedeutung, und so entstandene Porträts seiner Mutter, seiner Schwestern, Adolf Menzel’s, Keller’s, Meyer’s und Freytag’s, Peter Halm’s, Eva Dohm’s, die entzückende Actstudie eines liegenden Mädchens, nicht zum wenigsten des Künstlers Selbstbildnisse gehören zu den glänzendsten Erscheinungen der modernen Kunstgeschichte; ein Mann wie Bode steht nicht an, in dieser Hinsicht St. mit Holbein, Rembrandt und Antonelli zu vergleichen. Wie in der Malerei, so kam es ihm auch beim Stechen hauptsächlich darauf an, die Einzelfigur in ihrer plastischen Erscheinung und in ihrer Individualität auf das getreuste nach der Natur durchzuführen. Und sein vielumfehdeter Crucifixus, ein 1886 entstandenes lebensgroßes Bild, ergibt sich nur als ein großartiger Versuch, hinter die Geheimnisse des menschlichen Körpers zu kommen. Diese aus der Ferne schlechthin plastisch wirkende Leinwand konnte bereits als verstohlene Aeußerung eines Wandels gelten, der sich in dem Künstler 1888 vollzog. Damals ließ er sein eben erst wohleingerichtetes Atelier am Nordrand des Berliner Thiergartens im Stich und ging mit Max Klinger nach Rom, ein Bildhauer zu werden. Er schwor der Farbe, der er nie recht froh werden konnte und die seiner nie recht froh geworden ist, nun vollends ab und wandte sich der reinen körperlichen Form zu. Dabei ging dem modernen Realisten, auf den vorübergehend auch der Pariser Impressionismus stark gewirkt hatte, in Italien immer mehr das antike Schönheitsideal auf. Wahrhaft im Schweiße seines Angesichts begann er nun, über dreißig Jahre alt, seinen Lebensweg von neuem. Er arbeitete auch die heißen Sommer über in Rom, und möglich daß in diesem leidenschaftlichen Ringen schon die Gesundheit und Klarheit seines (vom Vater her belasteten) Hirns zu leiden begann. Von diesen bildhauerischen Studien ist nur wenig vorhanden: ein in den Extremitäten unvollendeter Adorant, den Adolf Hildebrandt hat gießen lassen, die ersten Entwürfe zu einem Speerwerfer und das Modell zur Preisbewerbung ums Berner Bubenberg-Denkmal. Was damals in ihm vorging und wonach er so feurig strebte, ergibt sich vielmehr als aus diesen ersten Versuchen aus seinen Briefen, die er von Italien her an Nahestehende schrieb.

Zu diesen Nahestehenden gehörte auch Frau Lydia Welti-Escher in Belvoir bei Zürich, die Gattin eines Schulgenossen, die er mehrfach gemalt hat, auf deren herrlichem Landsitz am Zürchersee er Jahre lang eine Sommerfreistatt hatte, mit der er in den Monaten des Getrenntseins über sich und seine Kunst lebhaft correspondirte, die seine Muse ward und später, ihm und ihr zum tödlichen Verhängniß, auch seine Geliebte werden sollte. In Florenz, wo die verwirrten Liebenden im Spätherbst 1889 mit abenteuerlichen Ansiedlungsplänen beschäftigt waren, kam es bei einer zufälligen Abwesenheit des Gatten und Freundes zum Verlöbniß und zur Flucht nach Rom; zu einer Zeit, wo schriftliche Documente [529] den Geisteszustand des Entführers schon als schwerkrank nachweisen. Auf Veranlassung des Gatten wurde St. nicht, wie die Frau, in eine Heilanstalt, sondern in ein Gefängniß geschafft, wo er zusammen mit gemeinen Verbrechern schmachtete. Da „die Vergewaltigung einer Geisteskranken“, wegen der St. unter Anklage stand, in Florenz begangen war, so führte man ihn auf dem Verbrecherkarren, gefesselt in einer Kette mit acht Banditen nach Florenz, wo er nach 14stündiger Fahrt anlangte und etwas mildere Untersuchungshaft fand. Am 5. Januar 1890 kam er endlich gegen eine Caution von nur 300 Lire frei. Verfolgungswahnsinn war das Erbtheil dieser fürchterlichen Freiheitsberaubung; und aus dem Kerker mußte der Schnellergraute ins Irrenhaus wandern, wo er blieb, bis ihn zu Frühlings Anfang ein Berner Arzt in die Heimath holte. Hier bei der Mutter wäre sein krankes Gemüth vielleicht noch einmal gesundet, wenn ihn nicht eine bittere Enttäuschung, die schroffe Absage der reuigen Geliebten, betroffen hätte. Nun verlor er den Lebensmuth. Am 3. Juni 1890 that er in Bern einen Fehlschuß auf sein Herz; aber er genas von dieser schweren Verwundung, trug sich noch eine Zeit lang mit Plänen, die an seiner Arbeitsunfähigkeit scheiterten, und folgte einer zusprechenden Einladung Hildebrandt’s nach Florenz. Aber Alles schlug fehl. Mit der Lebensfreude war auch das Talent hin. Noch erlebte er das neue Jahr 1891; aber in der Nacht zum 21. Januar fand ihn seine Florentiner Wirthin sterbend im Bette vor. Man vermuthet, sein geschwächter, früh gealterter, wunder Körper, der von der strotzenden Kraft und gesunden Schönheit des einstigen Stauffer, wie ihn noch Freytag sah und schildert, nichts mehr übrig gelassen hat, sei der zu starken Dosis eines Schlafmittels nicht mehr gewachsen gewesen. Der ersehnte Schlaf rief den vielleicht noch ersehnteren Tod herbei, und ein glänzendes Künstlerleben schloß so jammervoll.

Wie stark seine Kunst war, beweisen die Porträts, die von ihm übrig sind; denn an größere Compositionen hat er sich nie gewagt. Oft schrieb man das einem Mangel an Phantasie zu. Dem aber widersprechen die von Brahm abgedruckten Briefe, in denen ein ganzer, vielseitiger Künstler sich über die Weiten und Tiefen seiner Kunst mit einer schriftstellerischen Begabung ausspricht, wie sie unter den heutigen sog. „Berufsschriftstellern“ sehr selten anzutreffen ist. Und St. war nicht bloß ein Maler, ein Radirer, ein Bildhauer, ein Schriftsteller, sondern er, der nach Freytag’s tiefer Beobachtung „von einer geheimen Einheit der Künste“ träumte, war auch ein Dichter; und in unserer unlyrischen Zeit sind seine Gedichte eine Seltenheit. In den herbsten Nöthen des Lebens gab ihm ein Gott zu sagen, wie er leide. Das war sein Trost in Kerker und Narrenhaus. Auf seinem Grabstein aber sollte stehen, was Gustav Freytag von ihm gesagt hat: „Sich selbst zu genügen, war ihm viel wichtiger, als Anderen zu gefallen“. Eine Künstlerdevise, so selten wie ehrfurchtfordernd.

Ueber die Radirungen Wilhelm Bode in den Graphischen Künsten, XIII. Jahrg., S. 53 ff. Wien 1890. – Katalog zur Ausstellung der Werke von Karl Stauffer-Bern in der kgl. Nationalgalerie vom 4. Dec. 1891 bis 14. Januar 1892. Mit einer biographischen Einleitung v. Donop’s. Berlin 1891. – Otto Brahm, Karl Stauffer-Bern. Sein Leben, seine Briefe, seine Gedichte. Nebst einem Briefe von Gustav Freytag über den Künstler. Stuttgart 1892. 340 S. Hierzu polemische Feuilletons von J. V. Widmann im Berner „Bund“, October 1892. – Heinrich Weizsäcker, Karl Stauffer, in der Zeitschrift „Die Kunst unserer Zeit“ 1892, S. 53–60.