ADB:Stefan, Josef

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Artikel „Stefan, Josef“ von G. Jäger. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 448–451, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stefan,_Josef&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 11:22 Uhr UTC)
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Stefan: Josef St., Physiker, wurde als Sohn sehr armer Eltern am 24. März 1835 zu St. Peter bei Klagenfurt in Kärnten geboren. Er besuchte in Klagenfurt sowohl die Volksschule als das Gymnasium und kam [449] 1853 an die Wiener Universität, wo er sich als Schüler Petzval’s und A. v. Ettingshausen’s dem Studium der Mathematik und Physik widmete. 1857 fand er seine erste Anstellung als Lehrer an einer Wiener Realschule. Bald lenkte er durch seine wissenschaftlichen Arbeiten die Aufmerksamkeit der Gelehrten- und Forscherwelt auf sich, so daß St. bereits 1860 im Alter von 25 Jahren correspondirendes Mitglied der kaiserlichen Akademie, 1863 ordentlicher Professor der höheren Mathematik und Physik an der Wiener Universität, nach A. v. Ettingshausen’s Abschied Director des physikalischen Instituts und 1865 wirkliches Mitglied der Akademie wurde. In diesen zwei zuletzt genannten Stellungen verblieb er bis zu seinem Tod, welcher als Folge eines Schlaganfalls am 7. Januar 1893 eintrat.

Stefan’s Forscherthätigkeit erstreckte sich über alle Theile der Physik. Alle seine Arbeiten tragen einen ganz specifischen Stempel. Sowohl in den experimentellen als auch theoretischen und mathematischen Untersuchungen ist Klarheit und Einfachheit das wesentliche Kennzeichen Stefan’scher Eigenart. Gerade in der Experimentalphysik ist wie vielleicht auf keinem anderen Forschungsgebiet Einfachheit das sichere Kennzeichen des Genies. Diesem Umstand ist es auch hauptsächlich zu verdanken, warum die Wiener Schule trotz der kärglichen Mittel so glänzende Namen wie Doppler, Loschmidt, Boltzmann und allen voran Stefan aufzuweisen hat.

St. hatte es nicht nöthig, im Troß führender Geister sich Anregung zu holen. Er schöpfte in erstaunlicher Fülle aus sich selbst. Wir müssen es uns leider versagen, aus der stattlichen Zahl seiner hervorragenden Arbeiten auf hydrodynamischem, akustischem und optischem Gebiet sowie der Elasticität auch nur eine zu erwähnen, da zu deren Verständniß die naturwissenschaftliche Durchschnittsbildung, wenn man überhaupt von einer solchen reden kann, noch viel zu geringfügig ist. Mit großer Liebe widmete er sich der „kinetischen Gastheorie“, deren Pflege ein Charakteristikum Wiener physikalischer Thätigkeit bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Von St. erschienen zahlreiche Arbeiten über die Diffusion, d. i. das gegenseitige Ein- und Durchdringen der Gase und Flüssigkeiten. Er zeigte, welche große Rolle die Diffusionsvorgänge auch bei anderen Erscheinungen spielen, wie z. B. bei der Verdampfung von Flüssigkeiten und bei der Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten. Es gelang ihm direct aus der Zähigkeit oder der sogenannten inneren Reibung der Gase den Diffusionscoefficienten, d. h. ein Maß dafür zu gewinnen, mit welcher Geschwindigkeit zwei sich berührende Gase in einander eindringen.

Ein Cabinetsstück experimenteller Arbeit sind Stefan’s Bestimmungen der Wärmeleitungsfähigkeit der Gase. Die Schwierigkeit, welche sich dabei bot, bestand in der Kleinheit des Wärmeleitungsvermögens. Vor St. konnten die Physiker überhaupt keine Wärmeleitungsfähigkeit der Gase nachweisen, geschweige deren Größe bestimmen. St. gelang dies mit einem sehr einfachen Apparat, dem „Diathermometer“, das im wesentlichen aus einem doppelwandigen cylindrischen Gefäß besteht. Zwischen den Gefäßwänden befindet sich das Gas; der innere Theil des Gefäßes dient gleichzeitig als Thermometer. Wird das Gefäß erwärmt und dann mit Eis umgeben, so strömt die Wärme durch das Gas nach außen. Die Geschwindigkeit, mit welcher dies geschieht, läßt sich am Sinken der Temperatur des inneren Theils des Gefäßes erkennen. Da diese Wärmeabgabe nach außen sowohl durch Strahlung als durch Leitung erfolgt, so ist noch der Antheil der Strahlung festzustellen, um zu erkennen, wie viel auf die bloße Leitung des Gases zu setzen ist. Dies wurde dadurch ermöglicht, daß man die Messungen bei verschiedenen Dicken [450] des Raumes zwischen den Gefäßwänden durchführte. Die abgeleitete Wärme ist nämlich von der Dicke der Gasschicht abhängig, die ausgestrahlte jedoch nicht. Durch eine einfache Rechnung läßt sich dann die geleitete und ausgestrahlte Wärme gesondert bestimmen. Stefan’s Versuche ergaben, wie zu erwarten stand, einen sehr kleinen aber sicher meßbaren Werth der Wärmeleitungsfähigkeit der Gase. Es zeigte sich, daß Kupfer die Wärme etwa 20000 Mal besser als die Luft leitet. Auch wurde das von J. Cl. Maxwell theoretisch ermittelte Resultat, daß die Wärmeleitungsfähigkeit eines Gases vom Druck, unter welchem es steht, unabhängig ist, von St. experimentell bestätigt.

Nicht selten entstanden Stefan’s Arbeiten im Anschluß an seine Vorlesungen. So unterzog er bei der Besprechung der Wärmestrahlung die Resultate der verschiedenen Experimentatoren einer eingehenden Kritik und entdeckte dabei das Gesetz der Wärmestrahlung, mit dem sein Name für ewige Zeiten verknüpft bleiben wird. Stefan’s Formulirung des Strahlungsgesetzes wurde nicht sofort allgemein angenommen, bis schließlich eingehende Messungen wie auch die theoretische Begründung seine ausnahmslose Richtigkeit bewiesen. Stefan’s Strahlungsgesetz gehört zu den Grundpfeilern der modernen Physik. Es mag daher am Platz sein, dessen Inhalt etwas näher zu erläutern.

Es ist bekannt, daß ein Körper alle Sorten von Strahlen, die er zu absorbiren vermag, auch ausstrahlt. Ein Körper, der alle Strahlen absorbirt, wie es z. B. beim Ruß nahezu der Fall ist, vermag auch alle diese Strahlen auszusenden. Wir nennen ihn einen „vollkommen schwarzen“ Körper. Die Wärmemenge, welche ein Körper ausstrahlt, ist abhängig von der Temperatur. Es ist eine altbekannte Erscheinung, daß die von einem Körper ausgestrahlte Wärmemenge um so größer ist, je höher seine Temperatur wird. Das Gesetz, welches zwischen der Temperatur und der von einem „vollkommen schwarzen“ Körper ausgestrahlten Wärmemenge besteht, wurde erst von St. gefunden. Bevor wir es jedoch aussprechen können, müssen wir uns mit dem Begriff der sogenannten „absoluten“ Temperatur bekannt machen.

Haben wir ein Gas in einem Gefäß, so übt es bei verschiedenen Temperaturen verschiedene Druckkräfte auf die Gefäßwände aus. Messen wir z. B. bei der Temperatur des schmelzenden Eises, das ist also bei 0° des hunderttheiligen Thermometers, den Druck und erhöhen sodann die Temperatur um einen Grad, so steigt der Druck um 1/273 seines früheren Werthes; bei der Abkühlung um einen Grad sinkt er um denselben Betrag. Diese Druckabnahme bleibt aber dieselbe bei jeder weiteren Abkühlung um einen Grad, so daß wir gar keinen Druck mehr hätten, wenn wir das Gas auf 273° Kälte bringen könnten. Man erklärt sich dies so, daß bei dieser Temperatur dem Gas alle Energie, also sein gesammter Wärmeinhalt entzogen ist. Eine weitere Abkühlung wäre physikalisch bedeutungslos. Man pflegt daher diese Temperatur den „absoluten Nullpunkt“ zu nennen. Fangen wir von diesem Punkt die Temperatur zu zählen an, setzen wir diesen Punkt also gleich 0°, so wird die Temperatur des schmelzenden Eises 273°. Wir nennen solche Temperaturangaben dann „absolute“ Temperaturen. Sie werden also erhalten, wenn man zur Temperatur in Celsiusgraden die Zahl 273 addirt. Das Stefan’sche Gesetz lautet nun: „Die von einem Körper in einer bestimmten Zeit ausgestrahlte Wärmemenge ist proportional der vierten Potenz seiner absoluten Temperatur“. Mit Hülfe dieses Gesetzes erschloß St. die Temperatur der Sonnenoberfläche, die zwischen 5000 und 6000°C anzunehmen ist.

Aeußerst erfolgreich war Stefan’s Thätigkeit auf den Gebieten des Magnetismus und der Elektricität. So gelang es ihm, für die Tragfähigkeit eines [451] Magnets den mathematischen Ausdruck zu finden. Es ergab sich, daß ein Magnetpol im Maximum per Quadratcentimeter 12.5 Kilogramm zu tragen im Stande ist. Er wußte ferner anzugeben, wie die Form der Magnete zu gestalten ist, um möglichst starke magnetische Felder zu erzielen. Nicht zu unterschätzen, da sie tief in die Praxis eingreifen, sind die von ihm gegebenen Formeln für die Inductionscoefficienten von Drahtrollen und seine Arbeit über die Fortpflanzung von Wechselströmen in Drähten. Die Resultate, welche St. hier erhielt, scheinen in den Kreisen der Elektrotechniker noch viel zu wenig bekannt zu sein. Sie dürften einmal noch von Bedeutung für die Ferntelephonie werden.

Was St. für die Wissenschaft bedeutet, wird nie vergessen werden, was er als Lehrer und Mensch war, konnte nur der verhältnißmäßig kleine Kreis seiner Schüler erfahren, die ausnahmslos seiner mit freudiger Verehrung gedenken. Stefan’s Vorlesungen waren vielleicht die besten, die je gehalten worden sind. Schlicht und klar, mit den einfachsten Mitteln des Experiments und der Analysis wurde an die schwierigsten Probleme herangetreten. Auch der Durchschnittshörer gelangte mit sicherer Führung auf Höhen der Wissenschaft, die er anderweitig nie erreicht hätte. Der Student bekam nicht veraltete Lehren zu kosten, er wurde mit den neuesten Erscheinungen der Physik gerade so vertraut wie mit den besten Errungenschaften vergangener Zeiten. Ueber allem lagerte ein Hauch tiefen, sittlichen Ernstes, der nicht zum geringsten Theil die große Verehrung zeitigte, welche die Jugend für Stefan empfand.

Dem leichteren gesellschaftlichen Verkehr war er allerdings gänzlich unzugänglich. Er lebte in völliger Zurückgezogenheit, und nur Wenige hatten das Glück, mit ihm in ein intimeres Verhältniß zu treten. Diese lernten in ihm einen Mann von selten edler Veranlagung kennen. Es offenbarte sich, daß er alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens verfolgte und mit wenig Worten treffliche Urtheile darüber abzugeben wußte, ob es sich nun um eine neue litterarische Erscheinung oder um die neue Form der Polizistenhelme handelte. Seinen äußeren Einfluß machte er nur im Interesse der guten Sache geltend. Die Kenntniß seiner eigenen Bedeutung, sowie seine Bedürfnißlosigkeit flößten auch den höchsten Personen Respect ein.

Stefan’s Tod bedeutete einen großen Verlust für die Wissenschaft, einen unersetzlichen für seine Freunde und Schüler.

G. Jäger.