Zum Inhalt springen

ADB:Stein, Johann Andreas

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stein, Johann Andreas“ von Hans Michael Schletterer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 599–601, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stein,_Johann_Andreas&oldid=- (Version vom 6. Dezember 2024, 20:25 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Stein, Albrecht vom
Band 35 (1893), S. 599–601 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Andreas Stein in der Wikipedia
Johann Andreas Stein in Wikidata
GND-Nummer 119488051
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|599|601|Stein, Johann Andreas|Hans Michael Schletterer|ADB:Stein, Johann Andreas}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119488051}}    

Stein: Joh. Andreas St., geboren in Heidelsheim in der Rheinpfalz, Schüler des berühmten Orgelbauers Silbermann, Organist an der Barfüßerkirche in Augsburg, erfinderischer und sehr geschickter Orgelbauer und Clavierinstrumentenmacher; † nach langwieriger Wassersucht an einem Schlaganfalle am 29. Februar 1792, morgens 8 Uhr. – Unter den mancherlei ingeniösen und ausgezeichneten Männern, die von je in Augsburg Talente und Künste verwertheten, nimmt St. eine erste Stelle ein. Er hat nicht nur die große vortreffliche Orgel mit 43 klingenden Stimmen in der Barfüßerkirche (1755–57) um sehr billiges Geld gebaut, er hat sich auch durch seine Claviere, die er unablässig bemüht war, mit Vollkommenheiten und neuen Erfindungen auszustatten, s. Z. einen europäischen Ruf erworben. 1758 reiste er erstmalig nach Paris, allda die Bekanntschaft der hervorragendsten Künstler machend. Diese Reise gab ihm Gelegenheit zur Vervollkommnung eines Instrumentes, das er Poly-Toni-Clavicord nannte; alle Kenner gaben demselben ihren Beifall. 1766 baute er die neue große Orgel für die katholische Kirche zum h. Kreuz. Gleichzeitig aber beschäftigte ihn die Erfindung eines Orgelwerkes, welches zwar einen Flötenton, [600] doch aber wieder etwas ganz Eigenes besaß, wodurch es sich von allen anderen Instrumenten unterschied. Es war sein Liebling unter seinen Erfindungen; er nannte es Melodica. Erstmalig spielte er es 1771 in einem Concerte auf der Herren Geschlechterstube; 1773 aber reiste er, durch seinen Freund, den Hauptmann v. Beecké[WS 1], fürstl. Oettingisch-Wallersteinschen Kammer- und Jagdjunker und Musikdirector, hochangesehen als Componist und Clavierspieler, dazu aufgefordert, zum zweiten Male nach Paris, sich jetzt mit seiner Melodica vor dem Könige und dem ganzen Hofe im Zimmer der Mad. la Dauphine mit großem Beifall hören lassend. 1777 ging er dann mit einem abermals neu erfundenen großen Flügel, der 2 gegenüberstehende Claviaturen hatte und von 2 Personen zu spielen war, nach Wien und gewann auch hier die Bewunderung des Hofes wie die der Kenner. Seinen Clavieren, von denen über 700 in Deutschland und darüber hinaus verbreitet waren, rühmte man größte Güte und Schönheit nach. Ein Clavecin organisé wurde nach Schweden, ein sogenanntes Vis à vis in Paris verkauft, ebenso eine Melodica. Er wußte seinen Concertinstrumenten höchste Vollendung dadurch zu geben, daß er das Fortepiano mit dem Flügel verband, doch so, daß jedes Instrument Saiten und Resonanzboden für sich hatte. In der Melodica vereinigte sich ein Flötenregister mit dem Claviere, mit einer Vorrichtung, welche Schwebungen und Bebungen ermöglichte, kurz ein Schwellen des Tones und ein regulirbares Piano und Forte gestattete. Um 1789 erfand er die Saitenharmonica, aus einem zweifach bezogenen Fortepiano bestehend. Um das Pianissimo „zum völligen Nichts absterbend hervorbringen zu können“, war dem Instrumente noch eine Saite beigefügt, die durch eine elastische Vorrichtung zum Klange gebracht wurde. Er nannte dies Spinett. Beim Erlöschen des Tones entstand, indem das Clavier beim leisesten Druck den Ton nach dem Spinett übertrug, ein ganz besonders wunderbarer Effect. Das Instrument kam nach Mainz; es wurde mit 100 Louisdor bezahlt und der Künstler erhielt vom Käufer außerdem noch ein Faß Rheinwein zum Geschenk. Diese verschiedenen Kunstwerke sind im Laufe der Zeit leider verschollen; dauerndes Verdienst erwarb sich St. um die Vervollkommnung des Claviers dadurch, daß er Begründer des sogenannten Wiener Mechanismus wurde. Er erfand nämlich ein neues Hammerwerk, wobei die Hämmerchen in Messingkapseln gingen, sowie die Auslösung und den Fänger für diese Mechanik; erstere war um so wichtiger, als durch sie Anschlag und Tonbildung des Claviers das Rohe und Unvollkommene verloren, was dem Tangenten- und Stoßzungen-Mechanismus eigen war. Ihm wird auch das Verdienst zugeschrieben, die Belederung der Hämmer zuerst angewandt zu haben. Er war ein echter Künstler, der nicht seinen Vortheil, sondern nur die Vervollkommnung der Kunstmittel im Auge hatte. Wenn er ein Instrument fertig hatte, dann corrigirte und tüftelte er an jedem Ton, bis es ganz nach seinem Sinne war. Er arbeitete nur im Interesse der Kunst und nicht seines Nutzens wegen, sonst hätte er sich seine Mühen leicht machen können. Ganz vorzüglich war auch die Mechanik und die mit den Knieen zu regierenden Forte- und Pianozüge bei seinen Instrumenten. Er sagte oft: „Wenn ich nicht selbst so passionirter Musikliebhaber wäre, und nicht selbst etwas Weniges auf dem Clavier könnte, hätte ich gewiß längst schon die Geduld bei meiner Arbeit verloren: allein ich bin halt ein Liebhaber von Instrumenten, die dauerhaft sind.“ Mit großer Begeisterung und Hochachtung spricht der würdige P. v. Stetten in seiner Kunst- und Gewerbegeschichte Augsburgs von dem geschickten und braven Manne und ebenso D. Schubart, der während seines Augsburger Aufenthaltes seine Freundschaft gewonnen hatte, in seinen Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst. Er schwärmte vom Melodicon, „es werde, wenn dessen Geheimniß allgemein geworden, der Pianist dicht an den Sänger grenzen und [601] wie Orpheus, die Bäume tanzen machen. St., der als Mechaniker seines Gleichen in Europa suchte, wisse in allen seinen Instrumenten Stärke mit Zartheit, Tiefsinn mit Hoheit, Dauer mit Schönheit zu vereinen“. Das Beste übrigens, was über St. und überhaupt über die musikalischen und geselligen Verhältnisse Augsburgs geschrieben wurde, entstammt der Feder des jungen Mozart, der im October 1777 die Reichsstadt besuchte und da den Meister und seine Instrumente intim kennen lernte. (Mozart’s Briefe von L. Nohl 65–69.) Die wichtigen, großes Aufsehen machenden Erfindungen und Verbesserungen Stein’s werden in allen gleichzeitigen Journalen eingehend besprochen.

Andreas St., Sohn des vorigen, ebenfalls ein tüchtiger Claviermacher und seines Vaters würdiger Schüler, siedelte nach dessen Tode um 1794 mit Bruder und Schwester Nanette und deren Gatten nach Wien über, dort das Geschäft fortsetzend und Instrumente in der Manier seines Vaters bauend. Eine Niederlage Stein’scher Claviere befand sich stets im Bureau de Musique (Peters) in Leipzig. Sein jüngster Bruder, Friedrich St., geboren in Augsburg 1784, kam, 20 Jahre alt, nach Wien, studirte bei Albrechtsberger Composition, galt für einen der vorzüglichsten Pianisten und berechtigte auch zu den schönsten Hoffnungen als Tonsetzer. Leider entriß ihn ein früher Tod schon am 5. Mai 1809 den Seinen und einer ehrenvollen Laufbahn. Außer einigen im Drucke erschienenen Clavierwerken schrieb er das Zauberspiel „Der Kampf um Mitternacht“ und das pantomimische Ballet: „Fee Radiante“.

Der alte St. hinterließ 6 vortrefflich erzogene Kinder; unter ihnen war die einzige Tochter Nanette (geboren am 2. Januar 1769, † am 16. Jan. 1833) ein höchst talentvolles Mädchen, sein Liebling, oder wie Mozart sagt, „er war ganz vernarrt in sie“. Der Vater, selbst ein guter Clavierspieler (er spielte z. B. in einem von Mozart in Augsburg gegebenen Concerte die dritte Clavierpartie in dessen Concert für drei Claviere), scheute keine Mühe, das schöne Talent seines geliebten Kindes, das kaum 5jährig, schon ein Concert öffentlich vortrug und begünstigt vom feinsten Gehör, auch im Gesange erstaunliche Fortschritte machte, zu entwickeln. Zugleich bethätigte das Mädchen ein seltenes Geschick für den Mechanismus des Instrumentes, so daß sie durch 14 Jahre die treuverlässigste Gehülfin ihres Papas war, der sie in alle Geheimnisse seiner Kunst und seines ausgebreiteten Geschäftes einweihte. Nachdem derselbe, von der liebenden Tochter bis zuletzt mit einer ihre eigene Gesundheit bedrohenden treuen Hingabe gepflegt, und in ihren Armen in ein besseres Jenseits hinübergeschlummert war, sorgte sie gewissenhaft und energisch für Mutter und Geschwister und trug allein die Last des Handelsgeschäftes. Um 1794 verheirathete sie sich mit dem in München lebenden J. A. Streicher[WS 2] aus Stuttgart, dem Jugendfreunde Schiller’s, und verlegte das Geschäft nach Wien, wo es bis 1802 unter der Firma „Geschwister Stein“ fortbestand (s. Streicher). Diese vortreffliche hochgebildete Frau, bis an ihr Ende den Ruf einer ausgezeichneten Pianistin bewahrend, ohne den Pflichten der Hausfrau und Mutter das Geringste zu vergeben, war bekanntlich die mütterliche Freundin Beethoven’s, für dessen Hauswesen sie unermüdlich sorgte und der sich auch, von ihrer treuen Gesinnung überzeugt, willig ihren Anordnungen fügte.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Siehe Wikipedia: Ignaz von Beecke
  2. Siehe Wikipedia: Johann Andreas Streicher (1761–1833)