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ADB:Steinweg, Heinrich

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Artikel „Steinweg, Heinrich (Engelhard)“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 22–25, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steinweg,_Heinrich&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:08 Uhr UTC)
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Steinweg: Heinrich (Engelhard) St., der Begründer der berühmten Pianofortefabrik, wurde am 22. (nicht 15.) Febr. 1797 zu Wolfshagen, einem kleinen, unweit Seesen gelegenen Harzdorfe im Herzogthume Braunschweig, geboren. Sein Vater, Heinrich Zacharias St., war dort Brinksitzer und Köhlermeister; seine Mutter, Rosine Elisabeth geb. Bauerochse, starb am 18. Novbr. 1810 an einer Brustkrankheit. Bald nach ihrem Tode muß der Vater gänzlich verarmt sein, denn als er selbst etwa ein Jahr darauf, am 13. Novbr. 1811, [23] verstarb, wird er im Kirchenbuche als „Häusling und Verarmter, sonstiger Köhler“ bezeichnet. Als Todesursache wird hier ausdrücklich Auszehrung angegeben; von einem Blitzschlage ist keine Rede; es verdient hiernach die Erzählung von seinem Tode in der Contemporary Biography, Vol. II, p. 362, wol schwerlich Glauben. Heinrich Engelhard soll das jüngste von 12 Kindern gewesen und als Armenkind auf Kosten der Gemeinde erzogen worden sein, im Alter von 15 Jahren aber alle seine Geschwister schon überlebt haben. Jedenfalls sah er sich früh ganz auf eigene Füße gestellt und gezwungen, den Kampf des Lebens unter den ungünstigsten Verhältnissen zu beginnen. Als nach dem Sturze des westfälischen Königthums Herzog Friedrich Wilhelm nach Braunschweig zurückkehrte und nun sogleich an die Errichtung eines Truppencorps ging, wurde auch St. sogleich um den Anfang des Jahres 1814 in dieses eingestellt, doch ist er, als es 1815 nach der Rückkehr Napoleon’s von Elba ausrückte, in der Heimath zurückgeblieben. Da er eine große natürliche Beanlagung für die Musik besaß, so suchte er sich, ohne daß er je musikalischen Unterricht gehabt hätte, die Langeweile des Garnisonlebens mit Zither- und Guitarrespiel zu vertreiben, und er verfertigte sich selbst aus getrocknetem Fichtenholz ein Instrument, dessen Ton allgemeine Bewunderung erregte. Im Dienste zeigte er eine so vorzügliche Haltung, daß man ihn gern ganz beim Militär behalten hätte, wozu er jedoch keine Neigung hatte. Uebrigens erweist sich die Angabe in der Contemporary Biography l. c. p. 363, er sei zum Sergeanten befördert, nach den betreffenden Listen als unrichtig. Er wurde am 23. Juni 1822 als Soldat verabschiedet und wandte sich nun nach Goslar, um die Kunsttischlerei zu erlernen. Da er sich jedoch unter der Herrschaft der Zunftgesetze erst nach langen Jahren in diesem Fache selbständig hätte machen können, so faßte er den Plan sich auf die Verfertigung von Saiteninstrumenten zu verlegen. Nur ein Jahr blieb er bei einem Kunsttischler, dann trat er bei einem Orgelbauer in Arbeit. Er begab sich nach Seesen und machte hier mit Leichtigkeit in der Tischlerei sein Meisterstück, einen kunstvoll gearbeiteten Schreibtisch. Ein furchtbarer Brand, der am 16. Juli 1825 die Stadt Seesen heimsuchte und später umfangreiche Bau- und Tischlerarbeiten erforderlich machte, sowie die Fürsprache des Justizamtmanns ermöglichten ihm eine selbständige Besetzung. Schon etwas früher, in demselben Jahre 1825, hatte er sich mit (Joh.) Juliane (Henr.) Thiemer verheirathet und am 6. Novbr. d. J. wurde ihm sein erster Sohn (Christian Friedr.) Theodor geboren. Nun warf er sich mit dem größten Eifer hauptsächlich auf den Bau von Pianos; er studirte gründlich die alten englischen und modernen deutschen Instrumente, und nach Jahresfrist hatte er eines vollendet, das beider Vorzüge in sich vereinigte. Das Geschäft hatte immer besseren Fortgang, nahm aber einen ganz besonderen Aufschwung, als St. im August 1839 auf der Gewerbeausstellung in Braunschweig die erste Medaille und in dem Componisten Albert Methfessel, der dem Preisgerichte angehörte, einen einflußreichen Förderer gewann. Schwere Schädigung erlitt er jedoch 1844 durch den Eintritt Braunschweigs in den deutschen Zollverein, da Hannover, das den Braunschweigischen Landestheil, in dem Seesen liegt, umschloß, ihm nicht beitrat. Diese und ähnliche Schwierigkeiten, die Störung, die die Unruhen von 1848 brachten, die Aussicht, daß sein zweiter Sohn Karl (Christian K. Gottlieb, geb. am 4. Jan. 1829) bald in das Militär eintreten mußte – der älteste, Theodor, war frei gekommen – erweckten in ihm den Gedanken an Auswanderung. Im April 1849 schickte er zunächst seinen Sohn Karl nach Amerika hinüber, um das Feld dort zu erforschen, und da seine Berichte günstig lauteten, so siedelte er im Mai des folgenden Jahres mit der Frau, den drei jüngsten Söhnen Heinrich (Joh. H. Engelh., geb. am 29. Oct. 1830), Wilhelm (Joh. [24] Heinr. Hermann, geb. am 13. Dec. 1836) und Albert (Georg Aug. Albert, geb. am 10. Juni 1840), sowie mit drei Töchtern ganz nach New-York über, während der älteste Sohn Theodor das väterliche Geschäft in der Heimath fortführte.

Um zunächst die amerikanischen Verhältnisse und den dortigen Pianofortebau gründlich kennen zu lernen, arbeiteten Vater und Söhne in verschiedenen Fabriken, bis sie im März 1853 zusammen in bescheidenster Weise in einem ermietheten Hinterhause ein eigenes Geschäft gründeten. In einem Jahre wurden die Räume bereits zu eng und schnell errang die Firma „Steinway and Sons“ Erfolg auf Erfolg. Schon 1854 auf der Gewerbeausstellung zu Washington erhielten ihre Erzeugnisse den ersten Preis, desgleichen im Krystallpalaste zu New-York und an zahlreichen anderen Orten. Ebenso in Europa, wo die Firma insbesondere auf den Weltausstellungen in London (1862) und Paris (1867) große Triumphe feierte. Der Absatz der Instrumente war ein ungeheuerer; schon 1882 erwartete man die Zahl 50,000 zu erreichen. Immer größeren Umfang nahm die Fabrik an, für die in und bei New-York (in Astoria) gewaltige Bauten aufgeführt und in London und Hamburg besondere Vertretungen eingerichtet wurden. Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen auf die großen Verdienste der Familie Steinweg um die Technik des Instrumentenbaues einzugehen, die ebensowohl in zahlreichen ihr verliehenen Patenten ihren Ausdruck fanden wie in den Preisen, die ihr überall, wo sie auf Ausstellungen in Wettbewerb trat, zu Theil wurden. Schon in den Jahren 1855–62 konnte man 35 erste Preismedaillen zählen. Die Verbesserungen, die die Steinwegs einführten, bezogen sich in gleicher Weise auf tafelförmige Pianos, auf Flügel (Patent vom 20. Dec. 1859) und auf Pianinos (upright pianos, Patent v. 5. Juni 1866). Das Verdienst der Herstellung letzterer, die anfangs mit einem starken Vorurtheil der Amerikaner zu kämpfen hatten, gebührt hauptsächlich dem schon genannten Theodor St. Dieser war, wie gesagt, 1850 bei der Uebersiedelung der Familie nach Amerika in Seesen zurückgeblieben, wo er sich am 10. Octbr. 1852 mit Johanne (Fried. Kar. Magd.) Lüdemann, aus Herzberg a. H. gebürtig, verheirathete. Um für sein Geschäft besseren Absatz zu haben, verlegte er es um die Mitte der fünfziger Jahre nach Wolfenbüttel und um das Jahr 1860 nach Braunschweig. Als aber im J. 1865 am 11. März sein Bruder Heinrich und am 31. März auf einem Besuche in Braunschweig sein Bruder Karl gestorben waren, trat auch er, um diese Lücken auszufüllen, im Oct. 1865 in das New-Yorker Geschäft ein und gab das zu Braunschweig auf, das an die Firma „Grotrian, Helfferich, Schulz, Steinweg’s Nachf.“ überging. Theodor übernahm nun vornehmlich die technische Leitung der Fabrik, während der Bruder Wilhelm mehr den kaufmännischen Theil des Geschäfts besorgte. Der Vater, Heinrich St., zog sich in seinen letzten Jahren mehr und mehr von den Arbeiten zurück und hat, ein selfmade man im besten Sinne des Worts, am 7. Febr. 1871 sein thatenreiches Leben beschlossen; seine Wittwe starb am 9. Aug. 1877.

Die Förderung, die die Kunst von der Familie St. erfuhr, beschränkte sich aber nicht auf die Herstellung ihrer vorzüglichen Instrumente, sondern sie offenbarte sich auch sonst durch Unterstützung von Künstlern und Kunstaufführungen in der mannichfachsten Weise. In New-York errichtete sie 1866 ein großartiges Concerthaus Steinway hall, wo in einem Saale von prachtvoller Akustik 2400 Menschen Platz finden können. Ihre Verdienste wurden auch im deutschen Vaterlande mit Stolz anerkannt, wo z. B. die königliche Akademie der Künste zu Berlin Theodor und Wilhelm St. zu Mitgliedern ernannte. An die braunschweigische Heimath hat die Familie stets die größte Anhänglichkeit bewahrt und bei vielen Gelegenheiten bethätigt. Insbesondere fühlte sich Theodor zu [25] ihr hingezogen, der in Braunschweig ein eigenes Haus besaß und in den letzten Jahren diesen Ort als seinen Wohnsitz betrachtete, während er in Amerika nur zu vorübergehendem Aufenthalte weilte. Seine gemüthvolle Natur fand hier im Kreise alter Jugendfreunde und neuer Bekannter, die zumeist in dem Club der „Kleiderseller“ zusammen trafen, volle Befriedigung, sein offener, biederer Charakter allgemeine Achtung; groß war die Zahl derer, denen seine stille aber ausgedehnte Wohlthätigkeit zu Gute kam. Am 14. Jan. 1883 starb zu Braunschweig seine Frau und am 26. März 1889 ist er selbst hier einer Nieren- und Herzerkrankung erlegen. Eine reiche und werthvolle Sammlung von Musikinstrumenten, die er auf seinen ausgedehnten Reisen gesammelt und dem städtischen Museum zu Braunschweig testamentarisch vermacht hat, wird sein Andenken hier dauernd erhalten. Da sein Bruder Albert schon am 14. Mai 1877 gestorben war, so überlebte ihn von den Brüdern nur Wilhelm und, da er selbst kinderlos starb, von der folgenden Generation die Kinder Karl’s und Wilhelm’s, die jetzt in Verbindung mit einem Schwestersohne, Heinrich Ziegler, das Geschäft fortsetzen.

Vgl. Encyclopedia of Contemporary Biography of New-York, Vol. II u. III (New-York 1882/83). Die Daten sind zum Theil nach den Kirchenbüchern von Wolfshagen und Seesen berichtigt.