Zum Inhalt springen

ADB:Streubel, Woldemar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Streubel, Woldemar“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 576–578, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Streubel,_Woldemar&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 16:36 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 36 (1893), S. 576–578 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Woldemar Streubel in der Wikipedia
Johann Woldemar Streubel in Wikidata
GND-Nummer 117318094
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|36|576|578|Streubel, Woldemar|Bernhard von Poten|ADB:Streubel, Woldemar}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117318094}}    

Streubel: Johann Woldemar St., als Militärschriftsteller auch unter dem Namen „Arkolay“ bekannt, welchen er sich, denselben von der mittelalterlichen, richtiger Arkeley geschriebenen Bezeichnung für das Geschützwesen herleitend, beigelegt hatte, wurde am 18. November 1827 im Dorfe Börnichen bei Augustusburg im Königreiche Sachsen geboren. Sein Vater, welcher Revierjäger war, starb früh. Nach dem Tode desselben siedelte die Mutter nach Wegefahrt bei Freiberg über; ihr Sohn, welcher bis dahin die Volksschule besucht hatte, wurde Ostern 1842 in die Gewerbeschule zu Chemnitz aufgenommen und besuchte diese drei Jahre lang. Die Zeugnisse, welche ihm dort ertheilt wurden, lauten mittelmäßig, am wenigsten gut waren seine Leistungen in der Mathematik und namentlich im Französischen, in letzterer Sprache blieben sie bis zuletzt „mittelmäßig“. Bei seiner Entlassung von der Schule sprach er die Absicht aus auf die Militär-Bildungsanstalt in Dresden überzugehen. Diese Bezeichnung führte zu jener Zeit das frühere und gegenwärtige Cadettencorps, bei welchem damals eine Einrichtung bestand, vermöge deren neben den die Mehrzahl der Zöglinge bildenden Cadetten einige aus dem Mannschaftsstande hervorgehende Anwärter die erforderliche Ausbildung für die Officierslaufbahn erhielten. St. trat zunächst zu Dresden als Kanonier in den Militärdienst, wurde 1847 Unterofficier, 1849 zur Militärbildungsanstalt commandirt und am 28. Juli 1850 zum Officier befördert. Mit großem Eifer widmete er sich nun seinem Berufe, entzog sich aber dem Verkehr mit seinen Kameraden und stieß sie durch Ueberhebung und Starrsinn von sich ab. Dieses Verhältniß und der Wunsch durch ein um sechs Thaler höheres Monatsgehalt seine schmalen Einkünfte zu verbessern, damit er mehr Bücher kaufen könne, bewogen ihn, die Versetzung zu den mit der Artillerie vereinigten Pionieren zu erbitten; sie wurde ihm 1851 zu theil. Drei Jahre später trat er ohne Nennung seines Namens mit seinem Erstlingswerke „Rußland historisch und strategisch beleuchtet von einem deutschen Officier“ (Kaiserslautem 1854) an die Oeffentlichkeit. Die Veranlassung gab ihm der eben begonnene Orientkrieg. Er hatte die kommenden Ereignisse im allgemeinen richtig vorausgesehen. Dieser Erfolg, in Verbindung mit dem Umstande, daß der als Militärschriftsteller hochangesehene Pönitz die Schrift ungünstig beurtheilt hatte und daß die von diesem vertretenen Ansichten sich vielfach als irrig erwiesen, trug dazu bei, die hohe Meinung, [577] welche St. von sich hatte, zu steigern. Beim Erscheinen seiner nächsten Arbeit trat er mit seinem vollen Namen hervor. Der Titel derselben lautete „Die zwölfpfündige Granatkanone und ihr Verhältniß zur Taktik der Neuzeit“ (Kaiserslautern und Leipzig 1857); ihr Verfasser bezeichnet sie als eine „artilleristisch-taktische Untersuchung“. Sie zog ihm, wegen einiger tadelnder Bemerkungen über das österreichische Artilleriematerial, die der dortigen Regierung Veranlassung zur Beschwerde bei der sächsischen gegeben hatten, einen Verweis vor versammeltem Officiercorps zu, eine Strafe, welche den aufgeregten und empfindlichen Verfasser bewog, im Herbst 1858 den Abschied aus dem Militärdienste zu nehmen. Er blieb in Dresden wohnen und gedachte von seiner Feder zu leben, träumte auch, daß dereinst irgend welche Macht gern seine Dienste in Anspruch nehmen würde. Den Stoff zur Arbeit bot ihm zunächst der im folgenden Jahre ausbrechende Krieg in Italien. Vor Beginn desselben erschien „Die militärische Schwäche Frankreichs Deutschland gegenüber“ (Stuttgart 1859, zuerst in der Deutschen Vierteljahrsschrift abgedruckt), ihr folgte nach Beendigung des Krieges eine andere Flugschrift „Ueber den Mangel an genialen Feldherren in der Gegenwart“ (Dresden 1859). Seine Absicht über den Krieg jenes Jahres ein größeres Werk zu schreiben, für welches er den Stoff sammelte, ist nicht zur Ausführung gekommen. Dagegen übernahm er die Leitung eines von der Bundes-Militär-Commission begründeten, von allen Staaten außer Preußen und Kurhessen begünstigten „Militär-Wochenblattes für das deutsche Bundesheer“, welches seit dem 1. Juli 1860 in Frankfurt a. M., wohin St. übersiedelte, herausgegeben wurde. Das Blatt hatte anfangs Erfolg, ging aber, als dieser sich sehr gemindert hatte, mit dem 31. December 1863 ein. St. führte darauf einige Jahre die Redaction eines politischen Wochenblattes, welches der „deutsche Reformverein“ erscheinen ließ. Er schrieb damals außerdem „Die gezogenen Geschütze“ (Darmstadt 1861) und die „Panzerschiffe“ (Darmstadt 1862), Schöpfungen der Neuzeit, deren erbitterter Gegner er war, er bezeichnete das Auftreten der letzteren als einen nautischen und artilleristischen Rückschritt. Jetzt legte er sich den Schriftstellernamen „Arkolay“ bei. Als Frankfurt preußisch geworden war, zog St., um nicht unter der verhaßten Regierung zu stehen, nach Heidelberg, wo er trotz seiner Bedürfnißlosigkeit in ärmlichen Verhältnissen lebte. Er veröffentlichte dort eine „Taktik der Neuzeit vom Standpunkte des Jahrhunderts und der Wissenschaft“ (Darmstadt 1868), in welcher er „allen Denkern in den Heeren“ vortrug, daß die Artillerie im J. 1866 eine bedeutende Verschlechterung in ihren Leistungen aufgewiesen habe. Seine Stellung in der Wissenschaft der Waffe wurde eine immer mehr vereinzelte. Das nächste, was er schrieb, war seinem Preußenhasse entsprungen, der Titel des Buches hieß „Der Anschluß Süddeutschlands an die Staaten der preußischen Hegemonie, sein sicherer Untergang bei einem französisch-preußischen Kriege“ (Zürich 1869); das Buch machte Aufsehen und erlebte fünf Auflagen; die Ereignisse zeigten aber bald, daß der Verfasser sich hier auf einer ebenso falschen Fährte befand, wie bei seinen militärischen Untersuchungen. Letztere brachte er nochmals in einem größeren Werke „Die Mysterien der Artillerie, kritisch-didaktisch-historische Analyse des Kartätschschusses glatter Rohre als Grundlage der Dreiwaffen-Taktik“ (Darmstadt 1870). Seine vorletzte Arbeit „Das Germanenthum und Oesterreich, resp. Oesterreich und Ungarn als Fackel für den Völkerstreit“ (Darmstadt 1872) zeigt bei aller Einseitigkeit und Leidenschaftlichkeit noch klare Gedanken und lichtvolle Gliederung, die nächste und letzte aber „Lüge und Wissenschaft, Neues zu Altem, für Officiere aller Waffen“ (Frankfurt 1872) ist bei bereits umnachtetem Geiste geschrieben, ein Zustand, welcher im Sommer des [578] letztgenannten Jahres seine Ueberführung in die Irrenanstalt zu Illenau veranlaßte, in welcher er am 25. Decbr. 1873, ganz stumpf geworden, gestorben ist. Streubel’s Fehler und Irrthümer wurzelten in seinem Charakter, nicht in einem Mangel an Verstand; seine Selbstüberschätzung und sein Eigensinn hinderten ihn an voller Würdigung der Ansichten und Meinungen seiner Gegner. Der Vortheil, welchen die Wissenschaft von seinen Schriften gehabt hat, bestand darin, daß er anregend wirkte und zur Widerlegung herausforderte.

Eine Schilderung von Streubel’s Lebensgange und eine Würdigung seiner Schriften hat G. Zernin im „Organ der militär-wissenschaftlichen Vereine“, 26. Band, Wien 1883, gegeben.