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ADB:Taaffe, Eduard Graf

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Artikel „Taaffe, Eduard Graf“ von Alfred Fischel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 234–255, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Taaffe,_Eduard_Graf&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 09:53 Uhr UTC)
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Taaffe *): Eduard Graf T., österreichischer Staatsmann, geboren in Wien am 24. Februar 1833, entstammte einem ursprünglich irischen Adelsgeschlechte, das sich im 17. Jahrhundert nach Oesterreich gewendet hatte. Es hatte dem Staate mehr als einen hervorragenden Beamten und Officier geliefert und verfügte über einen ansehnlichen Besitz an Herrschaften und Leuten in Böhmen. Nach diesen Vorfahren führte er den Titel „Viscount Taaffe zu Corren und Baron von Ballymote“. Er war der jüngere Sohn des Grafen Ludwig T., der im Vormärz Präsident der obersten Justizstelle, im J. 1848 kurze Zeit Justizminister und sodann bis zu seinem Ableben (1858) Präsident des obersten Gerichts- und Cassationshofes war. Als Kind war er der Spielgefährte des Erzherzogs und späteren Kaisers Franz Josef. Er studirte an der Wiener Universität die Rechte und trat nach Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen am 18. December 1852 in den Staatsdienst. Er erklomm mit ungewohnter Raschheit die unteren Sprossen der administrativen Stufenleiter, war in Niederösterreich, darauf in Ungarn, wo er seine nachmalige Gattin Irma, eine Gräfin Csáky, kennen lernte, dann in Böhmen thätig und sah sich schon mit 28 Jahren (1861) als Statthaltereirath und Leiter der Kreisbehörde [235] in Prag. Mit 30 Jahren (1863) war er als Landespräsident Haupt der landesfürstlichen Verwaltung im Herzogthum Salzburg. Ein von seinem Vater ererbtes landtäfliches Gut eröffnete ihm auch den Weg zu parlamentarischem Wirken. Nach der damaligen sog. Februarverfassung, die den Staatsminister Schmerling zum Urheber hatte, war ein paar hundert Besitzern solcher adeligen Herrschaften nahezu ein Drittel der Mandate in dem Provinziallandtag von Böhmen eingeräumt. Er schloß sich der die centralistischen Bestrebungen Schmerling’s unterstützenden Partei des liberalen verfassungstreuen Großgrundbesitzes an und wurde mit deren Hülfe im J. 1864 in den böhmischen Landtag entsendet, während sein älterer Bruder Karl, welcher nach dem Ableben des Vaters das Familiengut Ellischau angetreten hatte, der bei den Wahlen unterlegenen conservativ-föderalistischen Partei des böhmischen Feudaladels angehörte. Schon das erste Auftreten des künftigen Staatsmanns im Landtage zeugte von keiner besonderen rednerischen Begabung, und auch sein Liberalismus erschien stark conservativ angehaucht. Anfang 1867 wurde er vom Staatsminister Grafen Belcredi zum Statthalter in Linz befördert.

Die innere Entwicklung stand unter dem Zeichen des Ausgleichs mit Ungarn, der nach den folgenschweren Niederlagen auf den böhmischen Schlachtfeldern unausweichlich geworden war. Freiherr v. Beust, dem Kaiser Franz Josef am 30. October 1866 das Ministerium des Aeußeren übertragen hatte, betrieb eifrig die Verhandlungen mit den Ungarn, die er im Interesse der Consolidirung der österreichischen Monarchie rasch zum Abschlusse zu bringen trachtete. Er vereitelte zu diesem Ende die den Slaven entgegenkommenden föderalistischen Pläne Belcredi’s und wurde nach dessen Sturze am 7. Februar 1867 zum österreichischen Ministerpräsidenten ernannt. Schon am 17. desselben Monats wurde ein besonderes verantwortliches Ministerium für die ungarischen Länder mit dem Grafen Julius Andrassy an der Spitze eingesetzt und die ungarische Verfassung von 1848 vorbehaltlich der die gemeinsamen Angelegenheiten betreffenden Modificationen anerkannt. Damit war grundsätzlich der Dualismus mit der Vorherrschaft der Deutschen und Magyaren dies- und jenseits der Leitha entschieden. T., welcher mit den höfischen Kreisen in steter Verbindung stand und schon damals als besonderer Vertrauensmann des Kaisers galt, war der erste, welcher sich Beust zur Durchführung dieses Programms, das für Oesterreich wie für Ungarn eine einheitliche Staatsverfassung vorsah, zur Verfügung stellte. Er wurde schon am 22. Februar zum Leiter des Verwaltungsministeriums und am 7. März zum Minister des Innern ernannt. Die ihm zwischenweilig übertragenen Geschäfte des Cultus und Unterrichts gab er bald an Hye ab. Der später oft als der „providentielle Staatsmann Oesterreichs“ Gepriesene wurde damals als „Verlegenheitsminister“ verspottet. Er war dem landfremden Ministerpräsidenten von großem Nutzen, da er mit der Verwaltung gründlich vertraut war und ihm vermöge seiner Personalkenntnisse bei der Vervollständigung des Cabinets an die Hand gehen konnte. Die Landtage von Böhmen, Mähren und Krain, welche eine föderalistische Mehrheit besaßen, wurden nun aufgelöst (26. Februar und 1. März 1867). Die Neuwahlen ergaben in Böhmen und Mähren unter dem Drucke der Regierung eine große verfassungstreue Mehrheit, welche die nach der Februarverfassung den Landesvertretungen vorbehaltene Wahl der Abgeordneten des Reichsraths anstandslos vornahm. T. selbst wurde von der Partei des verfassungstreuen Großgrundbesitzes in den böhmischen Landtag gewählt und von diesem in den Reichsrath entsendet. Der ungarische Reichstag hatte bereits die vom Ministerium Andrassy mit Beust getroffenen Vereinbarungen [236] über die in den Delegationen zu behandelnden gemeinsamen Angelegenheiten genehmigt. Es galt also noch die Zustimmung des österreichischen Parlaments zu erlangen. In der Thronrede, mit der am 22. Mai 1867 die Session eröffnet wurde, gab der Kaiser der Hoffnung Ausdruck, daß der Reichsrath dem mit Ungarn getroffenen Abkommen und den aus diesem Anlasse nothwendig werdenden Abänderungen der Februarverfassung seine Zustimmung ertheilen werde. Zugleich wurde als Abschlagszahlung auf die Forderungen des Liberalismus ein Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit und die Abänderung der Bestimmung des § 13 der Verfassung über das so verhaßte Nothverordnungsrecht der Krone angekündigt.

Inzwischen hatte die am 8. Juni 1867 erfolgte feierliche Krönung des Kaisers zum König von Ungarn dem mit der östlichen Reichshälfte abgeschlossenen Ausgleiche das Siegel aufgedrückt. Beust wurde nun (23. Juni) zum Reichskanzler, T. zu seinem Stellvertreter im Ministerpräsidium ernannt. Die sofortige Bildung eines parlamentarischen Ministeriums wie in Ungarn stieß jedoch im Schoße der verfassungstreuen Mehrheit des Abgeordnetenhauses selbst auf Hindernisse. Die Verhandlungen wegen Genehmigung des ungarischen Ausgleichs und Herbeiführung endgültiger Verfassungsverhältnisse in Oesterreich nahmen dagegen einen günstigen Verlauf. T. unterstützte Beust bei dessen Bemühungen, die Polen und Slovenen von den Tschechen, welche sich dem Reichsrathe fernhielten, abzuziehen und im Parlamente festzuhalten. Er nahm insbesondere an den erfolgreichen Verhandlungen theil, in deren Verfolg die polnischen Abgeordneten zur Annahme der den ungarischen Ausgleich billigenden Adresse bestimmt wurden, und kam den Slovenen durch eine Verordnung entgegen, welche das Beamtenthum in den von diesen bewohnten Landestheilen anwies, slovenische Eingaben anzunehmen und in dieser Sprache zu erledigen. Die Verfassungspartei war durch das Versprechen weiterer liberaler Reformen und die Aussicht auf eine der der Magyaren ähnliche Stellung der Deutschen innerhalb Oesterreichs gewonnen. T. legte dem Abgeordnetenhause selbst den Entwurf eines Vereins- und Versammlungsgesetzes vor, welcher den Reigen der freiheitlichen Errungenschaften eröffnete. Ende December 1867 war endlich Ausgleicheswerk und Verfassungsrevision, letztere im Sinne der Wünsche der Verfassungspartei, zu Stande gebracht. Die Teilung der Monarchie in zwei von einander unabhängige Staaten wurde gesetzlich festgelegt, und Oesterreich erhielt wie Ungarn seine auf der Grundlage der Staatseinheit aufgebaute besondere Verfassung. Bei der Schaffung des neuen Rechtszustandes hatte T. nicht unwesentlich mitgewirkt. Denn es war des öfteren seine Rolle, vermittelnd einzugreifen, wenn der allzu stürmische Reformeifer der liberalen Volksvertreter und namentlich deren Sturmlauf gegen das in der Blüthezeit der Reaction mit Rom geschlossene Concordat einen dem jungen Constitutionalismus gefährlichen Widerstand der mächtigen clerical-reactionären Gewalten zu entfesseln drohte. Es darf wohl angenommen werden, daß er die Bemühungen Beust’s, den widerstrebenden Kaiser zur Genehmigung der Staatgrundgesetze zu bestimmen, mit seinem persönlichen Einflusse unterstützte. Die Verfassung vom 21. December 1867 mit den Grundrechten sowie die Gesetze, betreffend den Ausgleich mit Ungarn tragen seine Unterschrift. Sie ins Leben zu führen, war die Aufgabe einer parlamentarischen der deutsch-liberalen Mehrheit entnommenen Regierung, des sog. Bürgerministeriums, mit dem Fürsten Carlos Auersperg an der Spitze, dem die Führer der Linken, Herbst, Giskra, Plener, Hasner, Brestel und Berger, aber auch der Pole Graf Alfred Potocki, vor allem T. selbst in der Eigenschaft eines Stellvertreters des Ministerpräsidenten angehörten. Um die Bildung des Cabinets [237] zu erleichtern, überließ er Giskra das Portefeuille des Innern und übernahm, gleichwie in Ungarn Andrassy, das neugeschaffene Ministerium für Landesvertheidigung und öffentliche Sicherheit, das infolge der nothwendig gewordenen Einrichtung der beiderseitigen Landwehren keineswegs der Wichtigkeit ermangelte. Es war nicht so leicht gewesen, das Widerstreben des Kaisers gegen die bürgerlichen Minister zu besiegen. T. und Potocki bildeten den höfischen Einschlag der Regierung, und es war nach dem Zeugnisse Beust’s in dessen Denkwürdigkeiten namentlich das Verdienst der ausgleichenden Vermittlerthätigkeit des Ersteren, wenn ein leidliches Einvernehmen zwischen Krone und Ministerium bestand. Er war nicht bloß der „Kitt“ zwischen beiden, wie sich ein damaliges Blatt vernehmen ließ, sondern nach einem überlieferten Ausspruche Giskra’s „der Wegweiser“ der Regierung, der sie vermöge seiner Geschäftskenntniß und reichen Erfahrung auf das zur Zeit Erreichbare hinlenkte und mehrere seiner Collegen mit klugem Takte und wohlmeinendem Rathe von manchen Schritten abhielt, die für sie Schwierigkeiten im Gefolge haben konnten.

Das Cabinet entfaltete zunächst eine glänzende Reformthätigkeit auf allen Gebieten des Staatslebens. Namentlich beseitigte es den vom Concordate herrührenden übermäßigen Einfluß der Kirche auf die Ehegesetzgebung und die Schule und regelte die interconfessionellen Verhältnisse im Geiste der persönlichen Freiheit und Toleranz. Der Zerrüttung der Staatsfinanzen wurde wirksam Halt geboten und die innere Verwaltung unter durchgängiger Trennung von der Rechtspflege neu geordnet. Es fehlten nicht die Freigebung der Advocatur, ein freisinniges Volksschulgesetz, Schwurgerichte in Preßsachen u. a. m. Die Haltung der nichtdeutschen Nationalitäten, namentlich der Tschechen und Polen, sowie der deutsch-clericalen Föderalisten Tirols warf aber auf dieses helle Bild alsbald düstere Schatten. Die neue Verfassung vom 21. December 1867 hatte die Autonomie der Provinzen (Kronländer) in wesentlichen Stücken unangetastet gelassen. Die Abhängigkeit des Abgeordnetenthauses von den parlamentarischen Vertretungen der Kronländer, den siebzehn Landtagen, und der von Schmerling zum Schutze der Deutschen ersonnene künstliche Aufbau des Wahlrechts nach den vier Interessengruppen des Großgrundbesitzes, der Großindustrie und des Großhandels und der wohlhabenden Mittelclasse sowohl in den Städten als in den Landgemeinden waren aus der Februarverfassung herübergenommen worden. Die Entscheidung, welcher Partei die Mehrheit zufallen solle, lag daher beim Grundadel, wie bisher, oder vielmehr bei der Krone, welche stets über diese Wählerclasse gebot, wenn sie ernstlich ihren Einfluß gebrauchen wollte. Es mußte aber alsbald zu Tage treten, daß sich die breiten Massen durch diese künstlichen Schranken auf die Länge der Zeit nicht vom Eintritt in das politische Leben zurückhalten lassen. Ueber dem Streben, der Krone freiheitliche Zugeständnisse abzuringen und die nichtdeutschen Nationalitäten mit dem ihnen verhaßten Centralismus zu versöhnen, hatte es überdies die Verfassungspartei versäumt, die bestehende deutsches Staatssprache und die Vorherrschaft des deutschen Volksstammes, letztere durch eine entsprechende Auseinandersetzung mit den Polen, auf welche das Beispiel Ungarns und Kroatiens hinwies, gesetzlich zu sichern. Durch diese Lücke mußte der Strom der von der freiheitlichen Gesetzgebung entfesselten Nationalitätenbewegung eindringen und die deutsche Grundlage des neuen Verfassungsbaues untergraben. Die Aufnahme des doctrinären Artikels 19 über die Gleichberechtigung aller Volksstämme unter die Staatsgrundgesetze verlieh überdies dem Wlderstand gegen die geschichtlich gewordene und in den Verhältnissen [238] gegründete Vorherrschaft der Deutschen den Schein der Berechtigung. Kaum geboren, war diese Verfassung schon in Frage gestellt.

Die Tschechen waren im Schlepptau der Feudalen dem Reichsrathe ferngeblieben und sagten in tobenden Volksversammlungen und aufrührerischen Auslassungen ihrer volksverhetzenden Presse der Verfassung den Krieg bis zum Aeußersten an. Der Kaiser, dem damals wie nachher daran lag, alle Kräfte des Staates zu sammeln, um sie für die Zwecke seiner internationalen Politik nach außen zu wenden, sehnte eine Verständigung mit den trotzig abseits stehenden Elementen und vor allem ein Vollparlament herbei. Beust entsprach dieser Stimmung und verhandelte hinter dem Rücken Auersperg’s mit den Tschechen, um sie zum Eintritt in den Reichsrath zu bestimmen. Dieser Versuch blieb fruchtlos, und die „Abstinenz“ wurde nun auch auf die böhmische Provinzialvertretung ausgedehnt. Die in den Landtag gewählten tschechischen Abgeordneten begründeten diesen Schritt in einer am 22. August 1868 überreichten umfassenden Denkschrift (Declaration), welche den Dualismus und die Zusammenfassung der Gebiete diesseits der Leitha in ein einheitlich verwaltetes Staatswesen verwarf, dagegen die Verwirklichung des sog. böhmischen Staatsrechts, d. i. die Herstellung eines engeren Verbands der Länder der böhmischen Krone (Böhmen, Mähren und Schlesien) forderte. Durch diese Einmischung des Reichskanzlers in die inneren Verhältnisse Oesterreichs gereizt, trat Auersperg zurück. Nachdem dieser endlich am 24. September die erbetene Entlassung erhalten hatte, wurde T. zwischenweilig mit der Leitung des Gesammtministeriums betraut, das in seiner sonstigen Zusammensetzung keine Veränderung erlitt. Auch das Verhältniß der Regierung zu den Polen war und blieb ein unbefriedigendes. Obgleich Herbst die deutsche Amtssprache im inneren Dienstverkehr der Gerichte Galiziens mit einfacher Verordnung theilweise preisgab und auch das Schulwesen allgemach polonisirt wurde, um nur der herrschsüchtigen Schlachta entgegenzukommen, gelang es nicht, den Landtag von einer entschiedenen Stellungnahme gegen die Verfassung abzuhalten. Smolka beantragte, daß das Landesparlament seine Vertreter im Abgeordnetenhause zur Niederlegung ihrer Mandate veranlasse, und ein Theil folgte dieser Aufforderung. Am 24. September wurde endlich eine Resolution beschlossen, die für diese Provinz eine dem Verhältnisse Kroatiens zu Ungarn ähnliche und mit dem geltenden Staatsrecht unvereinbarliche Rechtsstellung anstrebte. Um die Kroaten Dalmatiens von der staatsrechtlichen Opposition abzuziehen, gewährten Herbst und Giskra in ähnlicher Weise der südslavischen Sprache im äußeren Amtsverkehre der Gerichte und politischen Behörden ein gleiches Maß von Berechtigung mit der italienischen. Die Tschechen hinwieder suchten ihrer von den verfassungstreuen Mehrheiten der Landtage Böhmens, Mährens und Schlesiens zurückgewiesenen staatsrechtlichen Declaration durch eine lärmende Volksbewegung, gegen welche Militärgewalt aufgeboten werden mußte, Nachdruck zu geben. T. entschloß sich daher, den energischen General Koller als Statthalter nach Böhmen zu entsenden und verhängte am 10. October über Prag und dessen Vororte den Ausnahmezustand. Die Polen äußerten sich immer unzufriedener, und auch die anderen nichtdeutschen Nationalitäten erhoben nun immer kühner ihr Haupt.

T., der am 17. April 1869 unter Belassung seines bisherigen Ressorts endgültig zum Ministerpräsidenten erhoben wurde, suchte den Tschechoböhmen gegenüber den Weg der Repression zu verlassen und vertrat dem Wunsche des Kaisers entsprechend den Standpunkt, daß der Versuch gemacht werden müßte, jene im Wege neuerlicher Verhandlungen für die Beschickung des Reichsraths und die Anerkennung der Verfassung zu gewinnen. Zunächst wurde auf sein [239] Betreiben am 28. April 1869 der Ausnahmezustand in Prag aufgehoben. Die staatsrechtliche Opposition in Böhmen blieb jedoch ungerührt und nutzte ihre verstärkte Bewegungsfreiheit zu noch heftigeren Angriffen auf den geltenden Rechtszustand. Alle „Declaranten“, welche von der verfassungstreuen Landtagsmehrheit ihrer Mandate für verlustig erklärt worden waren, wurden im Sommer einmüthig wieder gewählt und beharrten auch fernerhin bei ihrem passiven Widerstand. Die Polen betrieben eifrigst die Durchführung der Resolution des galizischen Landtags, obgleich ihnen die Minister durch die am 5. Juni 1869 verfügte Einführung der politischen inneren Amtssprache bei allen Behörden Galiziens sehr weit entgegengekommen waren. Denn damit war die Bahn für die Verdrängung aller deutschen Beamten aus dem Lande und die vollständige Polonisirung der Verwaltung unter Preisgabe der Ruthenen freigegeben. Auch das Proletariat regte sich. Seine Führer brachten an 20 000 Arbeiter auf die Beine, welche am 13. December 1869 in imponirenden, geordneten Scharen zum Palais des Ministerpräsidenten zogen, Coalitionsfreiheit und allgemeines Stimmrecht fordernd. T. hatte sich seitens des Herrenhauses gegen den Vorwurf zu rechtfertigen, daß er die Massen nicht gewaltsam auseinandergetrieben hatte. Er glaubte, besser zu thun, indem er gleich am nächsten Tage dem Abgeordnetenhause einen Gesetzentwurf vorlegte, welcher den Arbeitern völlige Coalitionsfreiheit sicherte, während jenseits der Leitha zu gleicher Zeit Verabredungen zu Arbeitseinstellungen mit Gefängnißstrafen geahndet wurden. Zum Ueberflusse brach in Süddalmatien aus Anlaß der Einführung des Wehrgesetzes in den Bocche di Cattaro ein Aufstand aus, der in wenig rühmlicher Weise beendet wurde. Es thürmten sich also allenthalben Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten, deren man auf dem bisherigen Wege kaum Herr zu werden hoffen durfte. In den Reihen der Verfassungspartei überwog angesichts der dem Einheitsstaate drohenden Gefahren die Ansicht, daß nur eine Wahlreform, durch die das Abgeordnetenhaus von den Landtagen unabhängig gemacht werden würde, den staatsrechtlichen und nationalen Wirren ein Ziel setzen könne. Die Minister Herbst, Giskra, Plener, Hasner und Brestel nahmen die „directen Wahlen“ in ihr Programm auf und waren darin einig, allen Plänen, welche auf eine veränderte staatsrechtliche Stellung der Kronländer zum Reiche abzielten, den entschiedensten Widerstand entgegenzusetzen. Nur das Beharren auf den bisherigen Wegen werde allmählich zur allseitigen Anerkennung der Verfassung führen. Die aus T., Potocki und Berger bestehende Minderheit war hiegegen der Anschauung, daß die Herbeiführung einer Verständigung mit der gesammten nationalen Opposition und deren Heranziehung zur gemeinsamen verfassungsmäßigen Thätigkeit die dringendste Aufgabe der Regierung sei. Das Abgeordnetenhaus wäre daher durch Wahlen zu erneuern und hätte mit den bis nun widerstrebenden Elementen zugleich eine Reform seiner Wahlordnung und die für nothwendig befundenen Aenderungen der Verfassung zu vereinbaren. Der klaffende Zwiespalt im Cabinett drängte nach einer Lösung, da der Kaiser es bei einer am 20. December unter seinem Vorsitze abgehaltenen Berathung entschieden beauftragt hatte, ihm die Mittel und Wege anzugeben, welche eine Verständigung in Beziehung auf die Verfassung und in der Folge eine Vervollständigung der Reichsvertretung herbeizuführen geeignet wären. Sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit des Ministeriums erläuterten ihre Anschauungen in eigenen Memoranden, welche nun auf Befehl des Kaisers am 12. Januar 1870 in der amtlichen „Wiener Zeitung“ veröffentlicht wurden. Das Herrenhaus stellte sich in der Adreßdebatte auf die Seite Herbst’s und Giskra’s und der Kaiser entschloß sich am 15. Januar 1870, T., Potocki und Berger ihres Amtes zu [240] entheben. Die Mehrheit des Ministerraths hatte einen Pyrrhussieg erfochten. Sie gab sich keiner Täuschung darüber hin, daß ihre Tage gezählt seien. Hasner wurde mit dem Vorsitz im reconstruirten Ministerium betraut. Herbst, Giskra, Plener und Brestel verblieben darin, Bahnhans, Stremayr und Wagner wurden neu berufen. Es war ein böses Angebinde für die nun völlig gleichartige Regierung, daß die Deutsch-Clericalen grollend dem Abgeordnetenhause den Rücken gekehrt hatten. Giskra versuchte nun selbst, sich den Tschechen zu nähern. Deren Führer Rieger und Sladkovsky lehnten es jedoch ab, sich mit ihm in Ausgleichsverhandlungen einzulassen. Jetzt trat auch ein, was die Minderheit des Bürgerministeriums in ihrem Memorandum vorausgesagt hatte. Die polnischen Abgeordneten legten Ende März ihre Mandate nieder und zugleich verließen auch die Rumänen, Slovenen und Italiener das Parlament. Im Abgeordnetenhause, das nach der Verfassung aus 203 Mitgliedern bestand, verblieben nurmehr 129 Deputirte. Die Lage war unhaltbar geworden. Die Auflösung des galizischen Landtages sollte sie retten. Der Kaiser verweigerte jedoch die Zustimmung und das Ministerium Hasner reichte am 4. April seine Entlassung ein.

Der Kaiser übertrug dem Grafen Alfred Potocki die Aufgabe, ein neues Cabinet zu bilden. Dieser behielt sich den Vorsitz vor und bot T. das Ministerium des Innern und zwischenweilig auch das Portefeuille der Landesvertheidigung an. Wenn man Beust’s Denkwürdigkeiten Glauben schenken darf, nahm T. nur mit Widerstreben und mehr aus Hingebung für den kaiserlichen Willen an. Der deutsch-liberale Tschubuschnigg wurde Justizminister und übernahm auch provisorisch den Unterricht. Zwei andere Ressorts wurden zwischenweilig mit deutschen Beamten besetzt. Nachdem die angestrebte Vervollständigung aus den Reihen der Verfassungspartei mißlungen war, vollzog die Regierung im Mai durch die Uebertragung zweier Portefeuilles an die Föderalisten Petrino und Widmann eine Schwenkung nach rechts. Das Ministerium war „von dem Wunsche und der Hoffnung getragen, die Schwierigkeiten in der inneren Frage zu beseitigen und die Widersprüche zu versöhnen, welche der allseitigen und lebendigen Ausübung des verfassungsmäßigen Rechts bisher entgegentraten“. Auch Graf Beust betonte in einer Circulardepesche an die Gesandtschaften im Auslande, daß das neue Ministerium „eine Politik der Versöhnung zur Festigung der Reichsverfassung und zur Ausgleichung der Interessen“ beabsichtige. T. und Potocki hatten in ihrem Memorandum die absolute Herrschaft der Verfassungspartei über die gesammte nationale Opposition für undurchführbar erklärt, weil sie nothwendig zur Einziehung der verfassungsmäßigen Freiheiten führen müsse. Sie waren aber weit davon entfernt, geradezu gegen die Deutschen und gegen die Verfassung zu regieren, welche sie als die unwandelbare Grundlage für jeden Ausgleich mit den beiseite stehenden anderen Nationalitäten angesehen wissen wollten. Im Juni gelang es ihnen endlich, Stremayr, der der Verfassungspartei nahestand, zur Uebernahme des Unterrichtsportefeuilles zu bestimmen. Seine Ernennung durfte darüber beruhigen, daß der Clericalismus nicht allzu üppig in die Halme schießen werde. Unter seiner Gegenzeichnung erschien das kaiserliche Handschreiben vom 30. Juli 1870, welches ihm in Verfolg der von Beust vollzogenen Kündigung des Concordats den Auftrag ertheilte, die daraufhin erforderlichen Gesetzvorlagen auszuarbeiten.

Die Verständigung, für welche Potocki namentlich die Tschechen unter Hinweis auf die drohende auswärtige Lage unmittelbar vor dem Ausbruche des deutsch-französischen Krieges zu gewinnen suchte, mißlang. Von den Feudalen gedrängt, die nun ihren Beitritt zur „Declaration“ vollzogen, beharrten [241] die Tschechen hartnäckig auf ihren staatsrechtlichen Forderungen, von denen sie auch kein Partikelchen opfern wollten. Aber auch die Polen mochten von der galizischen Resolution nicht ablassen. Die Deutschen hinwieder bestritten der Regierung den von dieser in Anspruch genommenen Charakter eines Coalitionsministeriums und standen ihr in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber. Die verfassungstreue Mehrheit des böhmischen Landtages war zunächst von der über das Abgeordnetenhaus und die übrigen Landesvertretungen verhängten Auflösung verschont geblieben. Da wurde am 30. Juli der Reichsrath für Anfang September einberufen und zugleich der böhmische Landtag aufgelöst. Nun war klar, daß die Regierung um jeden Preis die Tschechoböhmen und den mit ihnen verbündeten Feudaladel für ihre Politik zu gewinnen suche. Eine besondere Rücksicht auf diese Elemente schien einflußreichen höfischen Kreisen, die mit Beust im Bunde auf eine Betheiligung an dem deutsch-französischen Kriege hinarbeiteten, geboten zu sein. Während sich das Ministerium bei den früheren Wahlen passiv verhalten hatte und T. in Mähren sogar die Wahl einer verfassungstreuen Mehrheit im Großgrundbesitze gern sah, um die Tschechen nicht allzustark werden zu lassen, wirkte es nun bei den Wahlen des Großgrundbesitzes in das böhmische Landesparlament für die conservative Liste, so daß die Mehrheit an die vereinigten Tschechen und Feudalen überging. Diese betraten zwar unter Abgabe einer Rechtsverwahrung den Boden des Landtages, sprachen diesem aber jede Rechtsbeständigkeit ab und beschlossen eine Adresse an den Kaiser, welche für die Länder der böhmischen Krone eine gleiche Unabhängigkeit und ein gleiches Maß von Rechten forderte, wie sie Ungarn zugestanden worden waren. Die Beschickung des Reichsraths lehnten sie jedoch halsstarrig ab, worauf die deutsche Minderheit unter Protest die Landtagsstube verließ. Aber auch die anderen Landesvertretungen boten kein erfreulicheres Bild. In Linz trieben die Clericalen, in Czernowitz die Verfassungstreuen, in Brünn die Tschechen, in Innsbruck die Italiener „Abstinenzpolitik“. Die Ruthenen protestirten im galizischen Landtag nachdrücklich gegen die sogenannte galizische Resolution und sprachen sich für directe Reichsrathswahlen aus. Der Krainer Landtag versagte dem Reichsrathe die Anerkennung und begehrte die Vereinigung aller von Slowenen bewohnten Landestheile zu einem gemeinsamen administrativen Körper und damit die Zerstücklung Steiermarks und Kärntens. Als Antwort auf seine Adresse ging dem böhmischen Landtag das kaiserliche Rescript vom 29. September 1870 zu, worin sich der Kaiser bereit erklärte, dem Lande Böhmen die Untheilbarkeit und Unveräußerlichkeit neuerdings zu verbriefen und sich gleich seinen Vorfahren zum Könige krönen zu lassen. Auch sei er geneigt, die Beziehungen Böhmens zur Gesammtmonarchie einer Revision unterziehen zu lassen. Die von allen gewünschte Verständigung könne sich jedoch auf keiner anderen Grundlage als auf der der geltenden Verfassung vollziehen. Der Landtag möge daher unter dem Gewichte seiner Verantwortung die Wahl in den Reichsrath ungesäumt vornehmen. Die Mehrheit des Landtags entschied sich aber trotz dieses beweglichen Appells neuerlich für die Ablehnung der Wahl in den Reichsrath. Damit dem Cabinet der parlamentarische Charakter gewahrt werde, war T. inzwischen vom Kaiser ins Herrenhaus berufen worden. Bei der Eröffnung der Reichsrathstagung fehlten nun in der That sowohl die böhmischen als auch die mährischen Tschechen im Abgeordnetenhause. Die verfassungstreue Partei, der die Föderalisten im Unterhause in gleicher Stärke gegenüberstanden, setzte es mit einer Stimme Mehrheit (67 gegen 66 Stimmen) durch, daß auf Grund des Nothwahlgesetzes mit Umgehung des Landtages in Böhmen directe [242] Reichsrathswahlen ausgeschrieben wurden. T. trat für ein Compromiß im Großgrundbesitze ein. Die von ihm propagirte Liste wies von den durch den Großgrundbesitz zu wählenden 15 Abgeordnetenmandaten acht der Verfassungsspartei zu. Die Nothwahlen verstärkten die Reihen der letzteren um 24 Stimmen, so daß sie nun wieder die Mehrheit im Abgeordnetenhause besaß. In der am 19. November 1870 angenommenen Adresse an den Kaiser sprach das Abgeordnetenhaus das Verdammungsurtheil über die Minister aus. Es sagte unumwunden, es vermöge in dem bisherigen staatsrechtlichen Vorgehen der gegenwärtigen Regierung zu seinem tiefsten Bedauern eine Gewähr für die endliche Herstellung geordneter und gesicherter verfassungsmäßiger Zustände nicht zu erblicken. Potocki gab seiner tiefen Enttäuschung darüber, daß die Verhandlungen mit den Tschechen und Feudalen an deren Starrsinn scheiterten und jede Hoffnung auf eine Verständigung mit ihnen geschwunden sei, unzweideutig Ausdruck und nahm am 21. November 1870 mit dem Gesammtministerium seine Entlassung. Es dauerte aber bis zum 7. Februar 1871, bevor das Cabinet vom Ministerium Hohenwart-Schäffle abgelöst wurde.

In der Zwischenzeit waren mächtige pfäffisch-rückschrittliche Einflüsse thätig, um die Siege Deutschlands gegen die Franzosen an den Deutschen Oesterreichs zu rächen. T. hatte von diesen Plänen, welche in weiterer Folge zur Errichtung eines die östliche Flanke Deutschlands bedrohenden slawischen Staates führen mußten, keine Kenntniß. Er wurde nach seinem Rücktritt zum Statthalter in Tirol ernannt und verbrachte die nächsten Jahre in der verhältnißmäßigen Ruhe und Abgeschiedenheit dieses Amtes. Immerhin wußte er unter dem Ministerium Auersperg-Lasser die Staatsautorität und die Gewissensfreiheit gegen die unduldsame clericale Mehrheit des Innsbrucker Landtages mit Kraft und Entschiedenheit zu vertheidigen und befürwortete einen nationalen Ausgleich zwischen den Deutschen und Italienern Tirols. Als die deutschliberale oder Verfassungspartei die Wurzeln dieser aus ihren Reihen hervorgegangenen Regierung, welche mittels der Lasser’schen Wahlreform das schwierige Problem der directen Reichsrathswahlen gelöst und damit den Einheitsstaat rechtsförmlich vollendet hatte, durch nörgelnde Opposition untergrub, bezeichnete die öffentliche Meinung T. als den kommenden Mann. Am 25. Januar 1878 gab das Cabinet seine Entlassung, wurde aber, da die deutsch-liberale Mehrheit infolge ihrer Zerklüftung außer Stande war, die Geschäfte zu übernehmen, vom Kaiser am 4. Februar 1878 im Amte bestätigt. Das Verhältniß zwischen der Partei und ihren vormaligen Vertrauensmännern wurde immer gespannter. Durch das Lasser’sche Wahlgesetz, welches zwar das im Kern deutsche städtische Bürgerthum ansehnlich begünstigte, aber sonst, abgesehen von der Erhöhung der Mandatziffer (auf 353), die bisherigen Grundlagen des Wahlrechts und damit den entscheidenden Einfluß der Wählerclasse des Großgrundbesitzes im wesentlichen unverändert gelassen hatte, schien der deutsch-liberalen Partei eine dauernde Mehrheit gesichert. 170 Mann stark, des verfassungstreuen Großgrundbesitzes in Böhmen, Mähren und anderwärts mit zusammen 57 Stimmen sicher und einer staatsrechtlichen Minderheit von nur 126 Mandaten gegenübergestellt, überschätzte sie, obgleich in sich selbst gespalten, ihre Kraft und glaubte in Verkennung der realen Machtfactoren, der Krone in der Frage der bosnischen Occupation und des Heeresaufwands ihren Willen aufzwingen zu können. Nachdem das Cabinet am 13. Juli 1878 abermals seine Entlassung gegeben hatte, betraute der Kaiser den Finanzminister Freiherrn v. Pretis mit der Aufgabe, ein neues Cabinet aus der Verfassungspartei zu bilden. Der Versuch der Krone, mit den Liberalen zu regieren, schlug jedoch fehl. Unter Führung Herbst’s versagten [243] sie ihr in den Lebensfragen der Monarchie jegliches Entgegenkommen, beharrten bei ihrem kleinlichen Widerstande gegen die kaiserliche Orientpolitik und bestanden in gefahrdrohender Zeit eigensinnig auf einer Herabminderung der Heeresauslagen. Die Mehrheit für die parlamentarische Genehmigung des mit den europäischen Mächten geschlossenen Berliner Vertrags brachte das Ministerium, das einstweilen die Geschäfte fortführte, denn doch mit Hülfe der Rechten und einiger besonneneren Mitglieder der Linken gegen das Gros dieser Partei zu Stande. Damit war der Krone der von ihr zu betretende Weg gewiesen, zumal Herbst’s damaliges Vorgehen ihr Vertrauen zur persönlichen Verläßlichkeit der verfassungstreuen Führer völlig untergraben hatte. Sie war schon in der Zwischenzeit mit T. in Verbindung getreten und betraute ihn am 2. Februar 1879 mit der Bildung eines neuen Ministeriums. Schon am 10. legte er seine Mission in die Hände des Kaisers zurück, da es, wie er sich selbst äußerte, unmöglich war, vor den Wahlen in das Abgeordnetenhaus (dessen sechsjährige Wahlperiode in diesem Jahre zu Ende ging) eine Regierung für die Wahlen und nach den Wahlen zu bilden. Die Krone entschloß sich daher zu einem Uebergangsministerium, das die Aufgabe erhielt, eine feste Majorität zu bilden. Am 16. Februar erfolgte die Enthebung des Fürsten Auersperg und Unger’s vom Amte, Stremayr wurde zum Ministerpräsidenten, T. zum Minister des Innern ernannt. Die anderen Minister blieben.

T. verhandelte mit den Tschechen aus Böhmen, um sie zur Beschickung des Reichsraths zu bestimmen. Die damals maßgebende Partei der Alttschechen beschloß zwar, das Abgeordnetenhaus nicht ohne vorherige Gewährung von „Garantien für die nationale Existenz ihres Volkes“ zu betreten. T. vermochte jedoch die Tschechen, ihre Abstinenzpolitik aufzugeben, ohne daß er es nöthig fand, sich durch bestimmte Zusagen die Hände zu binden. Denn die Kraft der staatsrechtlichen Opposition in Böhmen war längst gebrochen und die fernere Aufrechterhaltung des passiven Widerstandes gegen die Verfassung wurde nach dem schon unter dem Ministerium Auersperg-Lasser vollzogenen Eintritt der mährischen Tschechen in den Reichsrath auch in Böhmen als unmöglich empfunden. Von entscheidender Bedeutung für das Gelingen seiner Mission war es aber, daß es T. gelang, den Fürsten Carlos Auersperg, den Führer der verfassungstreuen Großgrundbesitzer in Böhmen, der in der Wählerclasse des Großgrundbesitzes über die Mehrheit verfügte, zu einem Wahlcompromiß mit den Feudalen zu bestimmen, wonach diesen von den 23 Mandaten dieser Wählergruppe zehn zufielen. Fürst Auersperg will hierzu nach seiner Angabe durch die Zusicherung Taaffe’s, daß der Eintritt der Feudalen in den Reichsrath die Anerkennung der Verfassung in sich schließe und ihnen keinerlei Vor- oder Nachconcession zu Theil werden solle, bestimmt worden sein und machte ihm später öffentlich im Herrenhause Wortbruch zum Vorwurf. In der That hatte T. mit den Vertretern des Feudaladels seine liebe Noth, da diese nur unter Wahrung ihres entgegengesetzten Rechtsstandpunktes den Boden des Reichsrathes betreten und von der Forderung nicht ablassen wollten, daß ihrer Rechtsüberzeugung in der Thronrede eine Reverenz erwiesen werde. Als nüchterner Realpolitiker, der einer solchen Rechtsverwahxung jeden praktischen Werth absprach, war er wohl in dieser Beziehung willfähriger, als sich möglicher Weise mit dem genauen Wortlaute einer Auersperg gegebenen Zusage hat vereinigen lassen. Es bleibt doch unbestritten, daß der „erste Cavalier des Reiches“ in dieser Frage mehr seinem von einem radicalen Flügel der Linken bedrohten Standesinteresse als seiner Parteitreue gehorchte. Deshalb klingt es schon unwahrscheinlicher, daß T. sich [244] ohne Noth für die Zukunft die Hände gebunden haben werde, da ja die Krone seine Pläne rückhaltlos unterstützte und es ihrem Einflusse im Falle der Nothwendigkeit und des Wahlkampfes gewiß auch damals wie später gelungen wäre, die Majorität Auersperg’s in eine Minderheit zu verwandeln. Das Compromiß aber entsprach in jedem Falle seiner Taktik, da er anfangs an keine entschiedene Kampfesstellung gegen die Verfassungspartei dachte. Die Wahlen in das Abgeordnetenhaus, die im Juni und Juli stattfanden, brachten der letzteren eine erhebliche Minderung ihres Mandatsbesitzes. Es wurde alsbald klar, daß die Autonomisten, wie sich die Gegner der Liberalen nunmehr nannten, im künftigen Abgeordnetenhause eine wenn auch geringe Mehrheit besäßen. Am 11. Juli trat Stremayr zurück und an seiner Stelle wurde T. am 12. August zum Präsidenten des von ihm neugebildeten Cabinets ernannt. Diesem gehörten Dr. Stremayr als Justizminister, Baron Chertek als Leiter des Finanzministeriums, Horst als Landesvertheidigungsminister, Baron Korb-Weidenheim als Handelsminister, Graf Falkenhain als Ackerbauminister und der Pole Ziemialkowski und der Tscheche Dr. Prazak als Minister ohne Portefeuille an. Der Erstgenannte übernahm auch zwischenweilig das Unterrichtsressort. Es stand bei den Liberalen, ob sie die ihren Parteiangehörigen zugestandenen drei Portefeuilles noch vermehren wollten.

Die feierliche Eröffnung des neugewählten Reichsraths fand am 8. October statt. Die Thronrede betonte gleich eingangs gemäß der mit den Feudalen vereinbarten Formel, daß durch das vollzählige „unbeschadet ihrer Rechtsüberzeugung und ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Anschauung“ erfolgte Erscheinen der Abgeordneten Böhmens im Reichsrathe „ein wichtiger Schritt geschehen sei, um zu jener allgemeinen Versöhnung und Verständigung zu gelangen, die stets das Ziel der kaiserlichen Wünsche waren“, und gab der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, „daß es bei allseitiger Mäßigung und gegenseitiger Rechtsachtung gelingen werde, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen und so der Verfassung die gleich freudige Anerkennung aller Völker zu sichern.“ In einem ferneren Absatz wurde das Versprechen geleistet, „die geistigen und materiellen Interessen aller Völker des Reiches mit gleicher Fürsorge zu pflegen“. Die Abgeordneten der Tschechen und Feudalen leisteten das nach der Geschäftsordnung vorgeschriebene Gelöbniß auf die Verfassung vorbehaltlos. In ihrer am 9. October zur Verlesung gelangten Rechtsverwahrung erklärten sie nichts destoweniger, daß sie durch das Betreten des Reichsraths ihren Rechtsstandpunkt in keiner Weise aufgeben und insbesondere der staatsrechtlichen Stellung des Königreichs und der Krone Böhmens nicht präjudiciren wollen. „Die Versöhnung und Verständigung“ bezeichnete auch T. in seiner am 30. October im Abgeordnetenhause gehaltenen Rede als die Aufgabe des Ministeriums, das keine Parteiregierung sei, sondern über den Parteien stehe, um zwischen ihnen vermittelnd eintreten zu können. In der Täuschung befangen, daß seinem „neuen föderalistischen Experiment“ nur eine ephemere Dauer beschieden sei, sagte ihm die aus dem Club der Liberalen und der vereinigten Fortschrittspartei bestehende Linke ungesäumt den Krieg bis aufs Messer an. Die gesammte Rechte stellte sich ihm dagegen gelehrig zur Verfügung. Sie bestand aus der von dem Grafen Hohenwart geführten Rechtspartei, welche die Deutsch-Clericalen, die Slowenen, die Kroaten und Ruthenen umfaßte, ferner aus dem Club der Tschechen und dem der Polen. Diese drei Parteien mit dem sogenannten „autonomistischen“ Programm, das ihre inneren Gegensätze nur schwach verhüllte, wurden von einem gemeinsamen Executivcomité geleitet. Graf Coronini, ein gemäßigter Anhänger der Linken, wurde zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt. Bei der Wahl des Vorsitzenden-Stellvertreters [245] wurde der Candidat der Rechten, der Pole Dr. Smolka, mit 180 Stimmen gegen 156 der Linken gewählt. Hier, sowie bei der Adreßdebatte zeigte es sich nun, daß die Autonomisten eine allerdings nur geringe Mehrheit besaßen, welche, immer schwankend, zuweilen auf wenige Stimmen herabsank. Diese reichte für die Durchbringung der Wehrgesetzvorlage, welche den bisherigen Kriegsstand von 800 000 Mann auf weitere zehn Jahre verlängerte, nicht aus, da hierzu nach den Verfassungsgesetzen eine Zweidrittelmehrheit nöthig war. Die Abstimmung über diese Vorlage mußte für das Schicksal der Regierung entscheidend werden. Die Linke rüstete sich, T. in dieser Frage eine Niederlage zu bereiten. Der Kaiser berief daher den Obmann des Clubs der Liberalen, Dr. Weeber, zu sich und legte ihm nahe, seine Parteigenossen zur Genehmigung des Wehrgesetzes zu bestimmen. Das Dazwischentreten der Krone war von Erfolg begleitet. Ein Theil des Clubs der Liberalen, mit Dr. Weeber und Ernst v. Plener an der Spitze, schwenkte in dieser Frage zur Regierung hinüber. Die gesetzlich nothwendige Mehrheit wurde erzielt und das Ministerium war gerettet. Dagegen erhielt die Einigkeit im liberalen Lager einen harten Stoß, indem der vereinigte Fortschrittsclub seine Delegirten aus dem Vollzugsausschuß der Verfassungspartei abberief.

Dieser größten Sorge überhoben, konnte T. nun daran gehen, sein Programm durchzuführen. Es beruhte ostensibel darin, die nationalen Wünsche der Slaven, namentlich aber der Tschechen, Slovenen und Kroaten soweit zu befriedigen, als dies mit dem Staatsinteresse, wie er es auffaßte, noch im Einklang stand, damit die staatsrechtlichen Bestrebungen in den Hintergrund träten und die Verfassung sich vollständig einlebe. In Wahrheit wurde er, da die Rechte ihm alsbald als unabhängige Macht entgegentrat und die Gründung einer Mittelpartei, welche zwischen dieser und der Linken das Zünglein an der Wage zu bilden gehabt hätte, fehlschlug, genöthigt, die Hülfe der Autonomisten bei der parlamentarischen Behandlung des Budgets und anderer dringender Regierungsvorlagen durch ein, wenn auch sparsames Eingehen auf die Parteiwünsche zu erkaufen. Der polnische Adel, welcher in Galizien unumschränkt herrschte und die Ruthenen wie Heloten behandelte, war mit wirthschaftlichen Begünstigungen aus dem Säckel der aktiven Provinzen zu befriedigen. Die Tschechen gelüstete es nach Ausrichtung einer schrankenlosen Herrschaft über die Deutschen in Böhmen und Mähren und völliger cultureller Gleichstellung mit den Deutschen. Die deutsch-clericalen Vertreter der Alpenländer betrieben unter schnöder Verleugnung des nationalen Interesses die Wiederherstellung der Herrschaft der Kirche über die Schule und begehrten als Abschlagszahlung die Herabsetzung der Schulpflicht von 8 auf 6 Jahre. Alle wollten aber ihre Herrschaft dauernd befestigen. Die Liberalen nannten dies höhnisch „Trinkgelderwirthschaft“, „System des do ut des“, das damalige Parlament „un luogo di traffico“. T. hielt die Autonomisten anfänglich durch die Furcht vor einer Wiederkehr der verfassungstreuen Herrschaft in Schranken und folgte ihnen daher nur zögernd, dann aber, von dem Bedürfnisse geleitet, sich gegen die stets heftigeren Sturmangriffe der Linken auf die Rechte zu stützen, willfähriger auf dieser Bahn. Die Tschechen begannen den Reigen, indem sie anläßlich der Eröffnung des Reichsraths dem Kaiser und T. in einem Memorandum ihre nationalen Forderungen darlegten. Sie betrieben darin die Durchführung der im Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. December 1867 gewährleisteten Gleichberechtigung der tschechischen Sprache bei den Behörden unter Voranstellung des Grundsatzes, daß jeder Beamte in Böhmen und Mähren auch die Kenntniß dieser Sprache unbedingt nachzuweisen habe, eine stärkere Berücksichtigung des tschechischen Elements an der Prager deutschen [246] Universität und die ausgiebige Vermehrung der tschechischen Mittel- und Gewerbeschulen. Die Veröffentlichung dieser Denkschrift erfolgte unmittelbar nach der entscheidenden Abstimmung über das Wehrgesetz und erregte bei den Deutschen Böhmens die höchste Erbitterung. Deren Vertreter im Reichsrathe und Landtage fanden sich daraufhin bestimmt, dem Kaiser und dem Ministerpräsidenten am 9. Februar 1880 gleichfalls eine Denkschrift zu überreichen, in der gegen die tschechischen Forderungen entschieden Stellung genommen wurde. Auch die verfassungstreuen Mitglieder der Regierung widersetzten sich nachdrücklich der Verwirklichung dieser und der anderen Postulate der Autonomisten. Die Rechte verlangte daher namentlich Stremayr’s Entfernung aus dem Cabinet. Um das Budget durchzusetzen, vollzog T. eine theilweise Annäherung an die Wünsche der Rechten. Stremayr blieb, mußte aber Cultus und Unterricht an den farblosen Conrad von Eibesfeld abgeben und der unfähige Conservative von Kriegs-Au trat als Finanzminister an die Stelle Cherteks. In der Budgetdebatte erlitt sogar T. eine Niederlage, da ein Theil der Deutsch-Clericalen ihn bei der Abstimmung über den Dispositionsfond im Stiche ließ und daher der betreffende Posten des Voranschlages mit 154 gegen 152 Stimmen abgelehnt wurde. Da er des Vertrauens der Krone sicher war, blieb er dessen ungeachtet im Amte und suchte vielmehr die Rechte stärker an sich zu fesseln.

Am 19. April gaben T. und Stremayr jene Verordnung über den Gebrauch der Landessprachen bei den politischen (inneren Verwaltungs-) und Gerichtsbehörden Böhmens und Mährens heraus, welche den Ausgangspunkt für die heftigsten nationalen Kämpfe der nächsten Jahrzehnte bildete und sich für die Deutschen Böhmens und Mährens und für ganz Oesterreich als eine der unseligsten Regierungshandlungen der Regierung erwies. Die weitgehenden Forderungen des tschechischen Memorandums waren zwar darin zurückgewiesen und die anderen Verwaltungszweige von dieser Verfügung ausgenommen. Auch blieb die ausschließliche Geltung der deutschen Sprache im inneren Dienste aller Behörden Böhmens und Mährens gewahrt. Aber die Bestimmung, daß die Beamten auch im geschlossenen deutschen Sprachgebiet auf jedes in tschechischer Sprache vorgebrachte Gesuch in dieser Sprache zu antworten hätten und der Verkehr mit tschechischen Parteien mündlich und schriftlich in derselben Sprache zu pflegen sei, setzte ganz Deutschböhmen in Flammen. Denn sie mußte, wie thatsächlich der Verlauf der nächsten Jahre lehrte, nothwendig die Verdrängung der deutschen durch tschechische Staatsdiener und eine Art Fremdherrschaft zur Folge haben. Nach den bisherigen Gesetzen müssen einmal die Tschechen Deutsch lernen und sie thun es bereitwillig, weil die Kenntniß dieser Weltsprache ihr Eintrittsbillet in die europäische Culturwelt ist. Die Deutschen waren und sind dagegen der auf ein verhältnißmäßig kleines Gebiet beschränkten tschechischen Sprache unkundig und haben bei deren Erlernung mit von ihrem Willen unabhängigen beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nicht genug daran, brachte die Regierung im böhmischen Landtage eine Reform der Landtagswahlordnung in Vorschlag, welche den Deutschen ihre bisherige Mehrheit entwinden sollte, aber abgelehnt wurde. Schon vorher wurde ein neues Statut des Landesculturraths für Böhmen erlassen, welches die materiellen Interessen der deutschen Landwirthe dieses Kronlands arg verletzte. Schon trat auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses des Abgeordnetenhauses eine tschechische Hochschule in Sicht. Das Schiff der Regierung trieb immer mehr der Rechten zu. Stremayr, Horst und Korb-Weidenheim erhielten dem immer stärkeren Drängen der Rechten entsprechend ihren Abschied und wurden durch farblose, wenn auch der Linken zugeneigte Männer (v. Kremer, Baron Streit, Graf Welsersheimb) ersetzt. [247] An Stelle Kriegs-Au’s trat aber der Pole Dunajewski, welcher der Regierung deutlich den Stempel des Hasses aufprägte, der ihn gegen die Deutschliberalen erfüllte. (Juni 1880.) Die Deutschen der Sudetenländer und Innerösterreichs, soweit sie nicht im clericalen Lager standen, proklamirten jetzt auf ihren Parteitagen den Grundsatz der Solidarität aller Deutschen Oesterreichs, beschlossen, in der entschiedensten Opposition gegen T. auszuharren, und gründeten als Damm gegen die slavische Fluth die mächtige nationale Schutzorganisation des deutschen Schulvereins. Bei der Zusammenstellung der Wählerlisten für die Ersatzwahlen in der Wählerclasse des Großgrundbesitzes in Oberösterreich wurde, wie dies später eine Entscheidung des Reichsgerichts untrüglich feststellte, seitens der Regierungsorgane parteiisch und gesetzwidrig vorgegangen und auf diese Weise die Wahl von clericalen an Stelle der bisherigen liberalen Abgeordneten durchgesetzt. Die Minister Streit und Kremer wurden nun entlassen (14. Jänner 1881) und der bisherige tschechische Landsmannminister Prazak zum Leiter des Justizministeriums, der wegen seiner Machenschaften bei den oberösterreichischen Wahlen übel berüchtigte Statthalter von Oberösterreich, Baron Pino, zum Handelsminister ernannt. T. verwandelte durch fortgesetzte ausgiebige Pairsschübe die ihm gegnerisch gesinnte verfassungstreue Mehrheit des Herrenhauses, welche die von der Rechten des Abgeordnetenhauses zweimal angenommenen clericalen Schulanträge Lienbacher’s abgelehnt hatte, in eine Minderheit, merzte ausgezeichnete Beamte von deutschfreiheitlicher Gesinnung aus den oberen Stellen der Verwaltung aus und ersetzte sie durch Anhänger der vereinigten Slawen und Reactionäre. Nach dem Rücktritt des Grafen Coronini wurde der Pole Smolka zum Vorsitzenden, der feudale Tscheche Fürst Lobkowitz zum ersten und der Slowene Baron Gödel-Lannoy zum zweiten Vorsitzenden-Stellvertreter des Abgeordnetenhauses gewählt. Nun gab auch T. seinen anfänglichen Widerstand gegen die Errichtung einer tschechischen Universität auf, welche alsbald ins Leben trat. Doch wurde auch von den tschechischen Studirenden die Ablegung der Staatsprüfungen zum Theil in deutscher Sprache gefordert. Der Fortbestand der altberühmten deutschen Universität reizte den berüchtigten Prager Mob, der sich in fortgesetzten Ueberfällen und Mißhandlungen deutscher Studenten nicht genug thun konnte. Der Kampf gegen die deutschen Schulen nahm immer gewaltthätigere Formen an. Der Expansionsdrang der Tschechen griff schon nach Niederösterreich über und erzwang gegen den Protest des Wiener Gemeinde- und Bezirksschulraths die Bewilligung zur Errichtung einer Privatvolksschule ihrer Zunge in der Residenzhauptstadt. Der Justizminister aus ihrem Blute durchbrach mit seinen Verordnungen die ausschließliche Herrschaft der deutschen Sprache bei den Behörden Schlesiens, erweiterte den Geltungsbereich der slovenischen auf Kosten der deutschen und italienischen Geschäftssprache und drängte die letztere in Dalmatien zurück. Durch die Schulgesetznovelle vom 2. Mai 1883 wurde den drohend erhobenen Forderungen der Deutsch-Clericalen, die sich inzwischen als besonderer Club constituirt hatten, entgegengekommen, ohne daß jedoch der Grundsatz der staatlichen Aufsicht und der Simultanschule preisgegeben worden wäre. Die Polen erhielten die galizische Transversalbahn, eine ansehnliche Begünstigung bei der Vertheilung der Grundsteuerlast auf Kosten der rein deutschen Kronländer und dergleichen. Die Abgeordneten der Verfassungspartei erkannten, daß zum Schutze des Deutschthums und des österreichischen Staatsgedankens eine Einigung nöthig sei, und verbanden sich zu einem gemeinsamen „Club der Linken“ (19 September 1881).

Die rücksichtslose Bekämpfung des Ministeriums, die mit der nachdrücklichen Betonung des nationalen Gedankens Hand in Hand ging, kam den [248] regierenden Kreisen ersichtlich ungelegen. Der Träger der Krone äußerte seinen Unwillen über die Haltung der Liberalen, indem er ihnen beim Empfange einer Deputation „factiöse Opposition“ zum Vorwurfe machte. Die Regierung ließ nun auch die Tschechen und Ultramontanen gewähren, als beide im schönen Verein in ihren Wahlreformanträgen zu einem wuchtigen Schlage gegen das deutsche Bürgerthum in den Sudeten- und Alpenländern ausholten. Nach diesem von der Krone genehmigten Wahlgesetze vom 4. October 1882 wurde der böhmische Großgrundbesitz in sechs Wahlkörper eingetheilt, von denen nur zwei den Verfassungstreuen gesichert waren, und das Wahlrecht in der Wählerclasse der Städte und Landgemeinden auf das antisemitisch gesinnte und der bisherigen wirthschaftlichen Entwicklung feindlich gegenüberstehende Kleinbürgerthum (Fünfguldenmänner) ausgedehnt. Der ersteren Reform hatte T. ohne besondere Schwierigkeiten, der Herabsetzung des Census für die Wahlen in den Städten und Landgemeinden nur widerwillig zugestimmt. Die Clericalen und Feudalen setzten die Gewerbegesetznovelle vom Jahre 1883 durch, welche die Gewerbefreiheit durch Einführung von Befähigungsnachweis und Zwangsinnungen zum Theil beseitigte. Der Handelsminister Pino änderte nunmehr auch die Wahlordnungen der Handels- und Gewerbekammern, die in ihrer Eigenschaft als Wahlkörper für eine Anzahl von Abgeordnetenmandaten zum politischen Besitzstande der Deutschen gehörten, derart ab, daß sich die Tschechen der in Böhmen gelegenen großentheils bemächtigen konnten. Das Deutschthum verliert die Mehrheit im Krainer Landtag und Laibach, seine letzte größere Position im Süden des Reichs. Die um diese Zeit durch den Kaiser eingeführte Heeresreform, welche nach dem Beispiele Deutschlands die feste territoriale Gliederung einführt, bahnt nun auch den nationalen Bestrebungen den Weg in die bisher davon völlig unberührt gebliebene Armee. Die Neuwahl des am 17. Mai 1883 aufgelösten Landtags hatte für die Deutschen Böhmens den verhängnißvollsten Umschwung zur Folge. Der Großgrundbesitz wählte nach dem Stichwort der Regierung conservativ und die Herrschaft fiel nun einer rücksichtslosen tschechisch-feudalen Mehrheit zu. Um ein gewisses Gleichgewicht herzustellen, begünstigte T. dagegen in Mähren die Bildung einer Mittelpartei im Großgrundbesitz und beließ den Landtag in den Händen der verbündeten Deutschliberalen und verfassungstreuen Großgrundbesitzer. Ja, er wirkte schließlich auf den ungestümen Slavisirungseifer des feudalen Statthalters Schönborn mäßigend ein, wenn es auch schon zu spät war, den Verlust zahlreicher Städte mit einer allerdings nur künstlich erhaltenen dünnen deutschen Oberschicht wettzumachen. Ebenso blieb die deutsche Herrschaft in Schlesien ungeachtet aller Mahnungen der Tschechen und Polen im Ganzen und Großen unangefochten. Bei der Verhandlung des vom liberalen Grafen Wurmbrand eingebrachten Antrags auf Regelung des Gebrauches der landesüblichen Sprachen unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache im Abgeordnetenhause (24.–29. Januar 1884) hüllte sich die Regierung in Schweigen.

Die Neuwahlen, die im J. 1885 stattfanden, hatten für die Deutschliberalen eine ansehnliche Verschlechterung ihrer Stellung im Parlament zur Folge. Diese zählten nunmehr 132 Stimmen, hatten noch deutsche Demokraten und Antisemiten zu Gegnern und spalteten sich zum Ueberfluß in zwei Clubs, während die slavisch-clericale Rechte in der Stärke von 192 Mann auftrat. Höhnisch rief ihnen Dunajewski zu, man sehe, daß Oesterreich auch ohne sie regiert werden könne. Immerhin verfügten die Deutschen selbst nach der Wahlreform noch über die Mehrheit des Abgeordnetenhauses, wenn sich alle, auch die Ultramontanen, zur nationalen Abwehr zusammenschließen mochten (181 von 353 Stimmen). T. stützte sich auch fernerhin auf die Autonomisten, weil [249] er zur Annahme des unter großen Schwierigkeiten zu Stande gebrachten neuerlichen wirthschaftlichen Ausgleichs mit Ungarn einer festen Mehrheit bedurfte und die Lage im Orient eine vorsichtige Haltung gegenüber den Slaven empfahl. Er kam den Tschechen durch die Verordnung vom 23. September 1886 entgegen, wonach die Oberlandesgerichte Prag und Brünn angewiesen wurden, die Entwürfe der Erledigungen in tschechischen Rechtssachen gleich in tschechischer Sprache zu verfassen. Diese Verfügung wurde zwar damit begründet, daß sie zum Zwecke habe, die zahlreichen Uebersetzungen obergerichtlicher Erledigungen einzuschränken, bedeutete aber denn doch eine Durchbrechung der inneren deutschen Amtssprache, welche die Erbitterung der Deutschen steigerte, ohne die Tschechen zu befriedigen. Die Deutschen antworteten, indem sie auf der Verhandlung des von Scharschmid und Chlumetzky bis ins Einzelne ausgearbeiteten neuerlichen Antrags auf Regelung der Sprachenfrage unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache bestanden. T. erklärte, daß er sich den Vorzug der deutschen Sprache nicht durch gesetzlichen Schutz, sondern durch die ihr innewohnende eigene Kraft und Culturfähigkeit gewährleistet denke. Die deutsche Sprache nehme dank dem Umstande, daß sie eine Weltsprache sei, ohne jede gesetzliche Sicherung eine besondere Stellung ein und müsse eine solche einnehmen. Auch halte er den gegenwärtigen Zeitpunkt zur Lösung der Sprachenfrage nicht für geeignet. Er duldete sogar die Einschüchterung des Obersten Gerichtshofs und jener Gerichte Böhmens, welche dem Sprachenerlasse vom 19. April 1880 die Gesetzlichkeit absprachen, seitens des Justizministers, hatte aber doch zur äußersten Unzufriedenheit der Slaven bei der Einrichtung der neugeschaffenen Staatsbahnverwaltung die nahezu ausschließlich deutsche Dienstsprache eingeführt. Die deutsch-böhmische Frage trat aber nun immer mehr in den Vordergrund. Einer rücksichtslosen Mehrheit auf Gnade und Ungnade ausgesetzt, erblickten die Deutschen dieses Kronlands in der reinlichen Scheidung von den verhaßten Tschechen und in der Theilung der Verwaltung nach der Sprachgrenze den einzigen Ausweg aus ihrer bedrängten Lage. Als ihre Interessen immer schonungsloser mißachtet wurden und ihre Klagen bei dem tschechisch gesinnten Statthalter Kraus und der Regierung nur taube Ohren fanden, blieb ihnen kein anderer Ausweg, als den Landtag zu verlassen (22. December 1886). Auch in den anderen Provinzen griff angesichts der Fruchtlosigkeit aller Versuche, das Taaffe’sche System zu Falle zu bringen und der Verdrängung des deutschen Volkes aus seiner vormals führenden Stellung erfolgreichen Widerstand zu leisten, eine immer verzweifeltere Stimmung um sich. Denn der Versuch des neuen Unterrichtsministers Gautsch, dem Anwachsen der slavischen Mittelschulen Halt zu gebieten, mißlang kläglich und auch die Ersetzung Zemialkowski’s durch Zaleski und Prazaks, der wieder auf das Landsmannministerium beschränkt wurde, durch Schönborn, deutete die öffentliche Meinung als einen Versuch, die Rechte wieder stärker in das Interesse der Regierung zu ziehen. Von den Liberalen, welche sich zur vereinigten deutschen Linken zusammengeschlossen hatten, und, den Club der deutsch-nationalen Vereinigung im Rücken, den völkischen Standpunkt nun immer radikaler betonten, wurde jetzt auch schon ernsthaft der Austritt aus dem Reichsrathe erwogen.

Diese Gefahr für die verfassungsmäßige Entwicklung rückte in greifbare Nähe, als der deutschclericale Heißsporn Fürst Alois Liechtenstein im Januar 1888 einen Antrag auf Wiederherstellung der confessionellen Schule einbrachte. Die gesammte Linke faßte damals den Entschluß, für den Fall der Annahme dieses Antrags dem Abgeordnetenhause den Rücken zu kehren. Der Kaiser wurde stutztg. Seine militärische Umgebung zeigte sich schon längere Zeit wegen [250] der Rückwirkung des slavenfreundlichen Systems auf die Einheit der Armee besorgt. Auch mahnte der Regierungswechsel im deutschen Reiche zur Vorsicht. Der Abschluß des deutsch-österreichischen Bündnisses (7. October 1879) war nicht ohne Einfluß auf die innere Entwicklung geblieben. Man konnte sich auf die Slaven stützen, ohne selbst leise Vorstellungen wegen der Behandlung der Deutschen, wie einst zur Zeit Hohenwart’s, fürchten zu müssen. Ja, Bismarck schien Taaffe’s Politik zu billigen, als er zur Kennzeichnung der Liberalen die verletzenden Worte von den „Herbstzeitlosen“ sprach, welche die Möglichkeit der Regierung, mit den Deutschen zu gehen, ruinirt hätten (14. Juni 1882). Kaiser Wilhelm II. dagegen hatte bei seinem Antrittsbesuch in Wien (October 1888) T. gegenüber in seiner gewohnt impulsiven Weise bekundet, daß er dessen Regierungsmaximen nicht billige. Vieles vereinigte sich also, um eine Annäherung an den Standpunkt der Deutschen namentlich in Böhmen räthlich erscheinen zu lassen. Anläßlich der in diesem Kronland ausgeschriebenen Landtagswahlen erschien T. selbst in Prag, um die Feudalen zu einem Wahlcompromiß mit dem verfassungstreuen Großgrundbesitz zu bewegen, und jenen und den Alttschechen eine Verständigung mit den Deutschböhmen nahezulegen, welche auf diese Weise bestimmt werden könnten, ihre Abstinenz aufzugeben. Aber schon war ein neuer politischer Machtfactor auf den Plan getreten. Der entschieden liberale Flügel der tschechischen Partei, die Jungtschechen, und die seit je in den phantastischen Anschauungen des „historischen böhmischen Staatsrechts“ erzogenen Massen waren mit der bisherigen Entwicklung, die weder die Erfüllung dieser Träume, noch dem „glorreichen Königreich“ auch nur die geringfügigste Erweiterung seiner Autonomie gebracht, von Grund aus unzufrieden. Jene schürten diese Stimmung, entrollten wieder einmal das staatsrechtliche Banner und verlangten die Krönung des Kaisers zum König von Böhmen. Sie erklärten sich gegen den Liechtenstein’schen Antrag, sowie die bisherige „Brosamenpolitik“ und die clericale Liebedienerei der Alttschechen und brachten diesen bei den Wahlen in den böhmischen Landtag (Juli 1889) eine empfindliche Niederlage bei. T. hatte daher bei den nächsten Reichsrathswahlen eine ansehnliche Verstärkung der gegnerischen Jungtschechen zu fürchten, und auch um die Eintracht im Autonomistenlager selbst stand es nicht zum Besten. Denn die Deutschclericalen grollten dem Minister und den polnischen Bundesgenossen, weil die Galizien zur Durchführung der Grundentlastung vom Staate gegebenen Vorschüsse in der Höhe von beinahe hundert Millionen Gulden diesem Kronland erlassen worden waren.

T. vollzog also eine Schwenkung zu den inzwischen mürbe gewordenen Deutschliberalen, welche unter dem Einflusse Ernst v. Plener’s, der die alten Führer in das Hintertreffen gedrängt hatte, einige Tropfen Opportunismus in ihren Wein gethan hatten und sich ihm behufs Abwehr der allzu unbescheidenen Forderungen der Rechten genähert hatten. Er beruhigte die Linke und insbesondere die Deutschböhmen durch die im Abgeordnetenhause abgegebene Erklärung, daß die Regierung dem Kaiser keinerlei principielle Aenderung der Verfassung und ebensowenig die Krönung zum Könige von Böhmen vorzuschlagen beabsichtige, und vermochte die letzteren, eine zur Herbeiführung eines nationalen Ausgleiches nach Wien einberufene Conferenz (4.–19. Januar 1890) zu beschicken. Außer diesen nahmen noch die Alttschechen und Feudalen an den Besprechungen unter dem Vorsitz Taaffe’s theil. Die Verständigung zwischen den Vertretern beider Volksstämme Böhmens gelang. Die Conferenz sprach sich für eine nationale Abgrenzung der Verwaltungsbezirke und die Theilung des Landesschulraths und des Landesculturraths dieser Provinz, weiter für die Errichtung einer eigenen deutschen Abtheilung beim Oberlandesgericht [251] Prag, sowie für die Errichtung nationaler Curien im Landtage und eine Reform der Landtagswahlordnung aus. Es war ein Fehler, daß die Jungtschechen von diesen Verhandlungen ferngehalten worden waren, noch mehr, daß Plener sie durch die ruhmredige Anpreisung seines Erfolges reizte. Dazu trat ferner die schicksalsschwere Unterlassung Taaffe’s, daß er nicht sofort den böhmischen Landtag zur Genehmigung des Ausgleichs einberief, sondern noch vier weitere Monate ungenützt verstreichen ließ. Diese Zeit genügte den Radicalen zu einer erfolgreichen Agitation gegen die „Punktionen“. Im Landtag, in den nun die Deutschen wieder eintraten, konnte ein Theil der von der Regierung vorbereiteten Ausgleichsvorlagen zur Annahme gelangen. Die Berathung der übrigen mußte allerdings angesichts des Widerstandes der Jungtschechen, denen sich schon einige Alttschechen zugesellt hatten, für den Herbst verschoben werden. Die eingetretene Wendung zeigte sich aber deutlich darin, daß Dunajewski, der inzwischen durch drakonische Steuergesetze das Gleichgewicht im Staatshaushalte hergestellt hatte, ausgeschifft und an seiner Statt Steinbach das Finanzportefeuille übertragen wurde (4. Februar 1891).

Bei den von der Regierung ausgeschriebenen Neuwahlen für das Abgeordnetenhaus (1891) verschwanden die Alttschechen, und die an ihre Stelle getretenen Jungtschechen traten allsogleich gegen die Regierung in Opposition. „Der eiserne Ring“ der Rechten war gesprengt. Dennoch verstand es T., sich an der Macht zu erhalten, indem er sich nun der Unterstützung der Deutschliberalen vollends versicherte. Zunächst scheiterte der Versuch zur Schaffung einer neuen festen Mehrheit, weil die Polen ohne die Conservativen im neugebildeten Hohenwartclub (Deutschclericale, Feudale und Südslaven) in keine Coalition eintreten mochten, die Linke hinwieder eine Verbindung mit diesen grundsätzlichen Gegnern scheute. Es geschah dies nicht ohne Zuthun Taaffe’s, welcher die Abneigung gegen Plener, dessen rednerische Pose und lehrhaft selbstgefällige Schaustellung geistiger Ueberlegenheit sein schlichtes Wesen abstießen, nicht überwinden konnte. Er suchte sich sogar seiner zu entledigen, indem er ihm ein hohes Staatsamt mit Ministerrang, das mit einer parlamentarischen Thätigkeit unvereinbar war, anbot. Ihm mußte es überdies vortheilhafter erscheinen, die drei Parteien gegeneinander auszuspielen und durch Theilung zu herrschen. Nichtsdestoweniger stellten sie sich der Regierung zur Durchführung des in der Thronrede (11. April 1891) angekündigten wirthschaftlichen Programms zur Verfügung. T. gab nun der Linken einen Beweis seines guten Willens, indem er ihren Vertrauensmann, den Grafen Kuenburg, als Minister ohne Portefeuille in den Rath der Krone aufnahm (December 1891). Einige Monate später erhielten der tschechische Landsmannminister Prazak und der Würger des Deutschthums in Krain, Landespräsident Winkler, ihren Abschied. T. brachte mit Hülfe dieser aus Liberalen, Polen und Conservativen (des Hohenwartclubs) bestehenden sogenannten „dreibeinigen Majorität“ seine wichtigsten, namentlich auch die den Uebergang Oesterreichs zur Goldwährung regelnden Vorlagen durch. Es bedurfte jedoch aller Geschicklichkeit seines an Auskunftsmitteln reichen Geistes und seiner ganzen Kunst in Behandlung der Menschen, um bei dem Wettlauf der Verbündeten um die Macht nicht selbst aus dem Sattel gehoben zu werden. Seine Schaukelpolttik war aber endlich auf den todten Punkt gelangt. Er betrieb die Durchführung des deutschböhmischen Ausgleichs aus Rücksicht für die böhmischen Feudalen immer lauer und verdarb es vollends mit den Liberalen, als er ohne jegliches Einvernehmen mit deren Vertreter in der Regierung die Wiederbesetzung des Postens eines tschechischen Landsmannministers ankündigte. Auch [252] verstimmte es, daß er in einer bei diesem Anlasse gehaltenen Rede – er sprach in der Regel unvorbereitet und selten glücklich, wenn er nicht gerade eine Regierungserklärung vom Blatte las – die staatsrechtlichen Ausführungen des Wortführers des conservativen böhmischen Adels nicht mit der erwarteten Entschiedenheit abwehrte. Graf Kuenburg gab seine Demission, und die Linke stand T. im Abgeordnetenhause nun wieder mißtrauisch gegenüber. Sie stimmte daher auch gegen die Bewilligung des Dispositionsfonds, welcher auf diese Weise abgelehnt wurde.

Da die Arbeiten des Reichsraths nicht weiter kamen, entwarf T. am 30. Januar 1893 ein neues Regierungsprogramm, das die Billigung des Kaisers fand. Er versprach darin, die Wahrung des Besitzstands der einzelnen Volksstämme und die Verhinderung jedes Uebergreifems, die gesetzliche Regelung der Sprachenfrage unter voller Berücksichtigung der der deutschen Sprache als allgemeines Verständigungsmittel auch für die Zwecke der Verwaltung zukommenden Bedeutung, erklärte sich gegen grundsätzliche Aenderungen des Reichsvolksschulgesetzes unter Schonung der religiösen Gefühle der Bevölkerung bei dessen Anwendung und richtete an die staatserhaltenden gemäßigten Parteien die Aufforderung, zur Unterstützung der Regierung eine Coalition zu bilden. Die Linke lehnte eine nähere Verbindung mit dem Hohenwartclub ab und machte ihr ferneres Verhalten gegenüber der Regierung von der Art der Handhabung des Regierungsprogramms abhängig, die Polen und Conservativen nahmen dieses zur Kenntniß. Ein Mitglied der Linken, v. Chlumetzky, wurde nun Präsident des Abgeordnetenhauses, und den Wünschen der Deutschliberalen entsprechend wurde im böhmischen Landtag ein neuerlicher Versuch unternommen, die Vereinbarungen der Ausgleichsconferenz um einen weiteren Schritt vorwärts zu bringen. Die Jungtschechen vereitelten aber die Abgabe eines Gutachtens über die von den Deutschen angestrebte Errichtung eines national einheitlichen Kreisgerichts in Trautenau, welches nach dem Gesetze jeder Aenderung der Amtssprengel vorauszugehen hat, durch gewaltthätige Verhinderung der Debatten. T. weigerte sich daraufhin, mit der Errichtung dieses Gerichtshofs ohne weiteres vorzugehen und hatte nunmehr sowohl die Deutschen als auch die Tschechen gegen sich. Die Ruhestörungen des tschechischen Janhagels, der über die vorzeitige Schließung des Landtages infolge der geschilderten Vorgänge erbittert war, und die Gewaltthaten gegen die Deutschen mehrten sich. Der in den Massen großgezogene Haß gegen Oesterreich fand in der antidynastischen Geheimbewegung der sog. Omladina (Jungmannschaft) gefahrdrohenden Ausdruck. Die Verhängung des Ausnahmezustandes über Prag wurde unausweichlich (12. September 1893). Es trat zu Tage, daß den müden Händen Taaffe’s, dessen Gesundheit ein hartnäckiges Leiden völlig zerrüttet hatte, das Steuer entglitten war. Die Genehmigung der Ausnahmeverfügungen und wichtige finanzielle und militärische Fragen waren unaufschieblich. Er stand ihnen ohne Mehrheit gegenüber.

Das politische Leben hatte gerade durch eine von den Socialdemokraten ausgehende Bewegung für das allgemeine Stimmrecht einen neuen mächtigen Impuls empfangen. Die Parteien des Abgeordnetenhauses wetteiferten in Einbringung von Anträgen, welche vom Standpunkt des Fractionsinteresses zu der allseits als nothwendig erkannten Erweiterung des Wahlrechts in das Abgeordnetenhaus verschiedentlich Stellung nahmen. T. beschloß, sein Schiff von dieser Strömung tragen zu lassen, und brachte gleich am Tage der Eröffnung des Reichsraths (10. October 1893) einen Gesetzentwurf ein, welcher bei unveränderter Aufrechterhaltung der bisherigen Mandatsziffer das allgemeine Wahlrecht bloß innerhalb der Curien der Städte und Landgemeinden [253] zur Geltung brachte, das privilegirte Wahlrecht des Großgrundbesitzes und der Handelskammern aber unangetastet ließ. Die Folge dieser Neuerung wäre die Zermalmung der Mittelclassen gewesen, welche über dem Kampfe um ihr Dasein der nationalen Sorgen vergessen mußten. Es ist erstaunlich, wie sein seit jeher unvermittelten Entscheidungen abholder Geist auf diese radicale Lösung verfallen konnte. Der der christlich-socialen Partei mit ihrem Hasse gegen das Großbürgerthum zuneigende Finanzminister Steinbach hatte sich seines Willens bemächtigt. Nur einem professoralen Hirn wie dem dieses geistreichen Mannes konnte der Entschluß entspringen, mit dem Besitzstande der Parteien, den man vor kurzem mit aller Feierlichkeit als unverletzlich hingestellt hatte, auch deren Selbstgefühl, ja das parlamentarische Herkommen zu verletzen. Keinen der Führer, auf deren Unterstützung er angewiesen war, nicht einmal den Getreuesten seiner Treuen, Hohenwart, hatte T. vorher ins Vertrauen gezogen. Die plötzliche Ankündigung dieser Maßregel wirkte denn auch wie ein Donnerschlag. Ihre Wirkung war aber auch eine ungehoffte. Kaum waren die drei großen Parteien zur Besinnung gekommen, als sie auch schon die von T. für seine Zwecke gewünschte Coalition sofort gegen ihn schlossen. Sie sagten ihm sofort erbarmungslose Fehde an. Der Feuerbrand, den er in Nachbars Haus geschleudert hatte, verzehrte sein Dach. Es stand ihm zwar frei, das Abgeordnetenhaus aufzulösen und das alte Spiel von Neuem zu versuchen. Die Krone wäre ihm sicherlich auch auf diesem Wege gefolgt. Aber seine Kräfte waren von seinem unablässigen Arbeitsfieber verzehrt, die Gesundheit von seiner naturwidrigen Lebensweise völlig untergraben. Er konnte nicht mehr. Er reichte seine Entlassung ein und erhielt am 12. November 1893 vom Herrscher unter den schmeichelhaftesten Versicherungen des Dankes für die dem Kaiser und dem Staat geleisteten treuen und hervorragenden Dienste seinen Abschied. Wenige Monate darauf wurde ihm die seltene Auszeichnung des goldenen Vließes zu Theil. Seine erzwungene Rückkehr ins Privatleben trug er schwer. Er lebte nun zumeist auf seinem Lieblingssitz Ellischau, den er von seinem Bruder ererbt hatte, und verfolgte mit fieberhafter Aufmerksamkeit noch von seinem letzten Krankenlager aus die Entwicklung der öffentlichen Dinge und soll noch gehofft haben, wieder an die Macht zu gelangen. Hegte er solche Wünsche oder Pläne, so war ihnen bald durch die verheerende Krankheit, der er nach qualvollen Leiden am 29. November 1895 auf Schloß Ellischau erlag, ein Ziel gesetzt. Er hatte zuletzt nahezu durch fünfzehn Jahre das Staatsschiff gelenkt und hinterließ das Reich, geheilt vom Erbübel der Finanznoth, die österreichische Volkswirthschaft auf dem festen Unterbau der geregelten Währung, des ausreichenden Schutzes für die nationale Arbeit, des Staatsbahnsystems und der socialen Fürsorge in einem blühenderen Zustande als je und eine leistungsfähige, vom Nationalitätenstreit im Wesentlichen noch unversehrte Verwaltung. Der Förderalismus[1] war auf allen Linien geschlagen. Mißlungen war ihm dagegen die wechselseitige Verständigung der Nationalitäten, die sich weiterhin in arger Stammesfeindschaft unversöhnlich gegenüberstanden; keine war befriedigt, das deutsche Volk vor allem von gefährlicher Verbitterung erfüllt. Noch bei seinem Abgang feierte aber der von ihm stets festgehaltene Coalitionsgedanke einen kurzen Triumph.

Der Haß der Parteien, welche sich alle von ihm mißbraucht fühlten, erschwert ein gerechtes Urtheil über sein Lebenswerk. Selbst ein Hohenwart zog dessen Bilanz (in einem Brief an Schäffle vom 11. April 1893) dahin, „daß das Ministerium ohne irgend ein politisches Princip die lange, so überaus günstige Zeit unbenützt verstreichen ließ, und statt, wie dies vielleicht nicht so schwer gewesen wäre, eine definitive Ordnung im Innern herzustellen, bald [254] dieser, bald jener Partei kleine Concessionen machte und dadurch endlich das Gefühl nicht der Befriedigung, sondern der Dupirung hervorrief“. Aber gerade jener unglückselige Staatsmann mußte wissen, daß der Streit der österreichischen Volksstämme um die Macht schon seit Beginn der Verfassungsära die heftigsten Formen angenommen hatte. Dieser Kampf ruhte auch nicht während der sieben Jahre des Ministeriums Auersperg-Lasser. Denn eine gewaltsame Beiseiteschiebung der nationalen Gegensätze ist noch nicht deren Lösung. Die Scheidung in einander haßerfüllt befehdende nationale Parteien und das Bündniß der Slaven und Römlinge gegen die Deutschen waren eine unvermeidliche Evolution, als die Tschechen mit ihren maßlosen Ansprüchen das Abgeordnetenhaus betraten. Ebenso enthält der stete Vorwurf, daß sich Taaffe’s Staatskunst durch vollständige Grundsatzlosigkeit ausgezeichnet habe, eine starke Uebertreibung. Seine Politik hatte einen leitenden Grundgedanken. Der Beruf, den der Jüngling gewählt hatte, nahm so vollständig Besitz von ihm, daß er selbst jene Einflüsse überwand, die Bruder und eigenen Sohn in das Lager des tschechisch schillernden böhmischen Feudaladels führten. Er war und blieb von der Zeit, da er unter Bach in die Verwaltung eintrat, bis an sein Lebensende der österreichische Beamte, der mit seinem Vaterlande unlösbar die Vorstellung des Einheitsstaates verband. Er glaubte selbst nicht an den ewigen Frieden unter den verfeindeten Stämmen und die Versöhnung, für die er wirkte, bedeutete ihm nur die Versöhnung mit dem Staate. Er wollte zeigen, daß das Gebäude der Verfassung nicht bloß für die Deutschen, sondern für alle Volksstämme Oesterreichs wohnlich sei. Um der Staatseinheit willen, die sein Leitstern war, glaubte er der culturellen Entwicklung der einzelnen Nationalitäten selbst auf Kosten des Deutschthums, zu dessen Bekennern er auch sich zählte, entgegenkommen zu müssen. Seine für den Staat verhängnißvollste Schuld war, daß er die Tragweite der einzelnen nationalen Zugeständnisse unterschätzte und sich stark genug glaubte, die einmal geweckten Begierden eindämmen zu können. Wenn er den Volksstämmen je nach dem Grade der erreichten Entwicklung Brocken der deutschen Geschäftssprache hinwarf und ihr Schulwesen förderte, so waren ihm damit alle früheren Regierungen vorausgegangen. Daß er aber die Folgewirkung seines Sprachenerlasses vom 19. April 1880 nicht voraussah und im Jahre 1883, er, der Mann der Compromisse, sich selbst untreu, den Tschechen den böhmischen Landtag ohne jegliche Sicherung der deutschen Minderheit überantwortete, war der Grundfehler seiner Politik, der den Staat den schwersten Gefahren überlieferte, die noch immer nicht beschworen sind. Er hielt jedoch auch jenen gegenüber nicht nur an dem einheitlichen Gefüge der Staatsverwaltung fest, sondern gab dem böhmischen Staatsrecht den Todesstoß, indem er diese trotzigen Sonderbündler in langen Jahren der Dienstbarkeit bei schmaler Kost erzog, ihr Heil vom Reichsparlament zu erwarten, und auch die deutschen Ultramontanen, ja selbst den größten Theil des so einflußreichen Feudaladels lehrte, daß die staatsrechtliche Entwicklung in der Decemberverfassung beschlossen sei. Wenn die Krone sich beharrlich den Einflüsterungen feudaler Staatsretter versagte und in der späteren Folge entschlossen den großen Schritt des allgemeinen Stimmrechts wagte, so hat er den Weg gewiesen. Er hielt an der inneren deutschen Amtssprache, durch deren Preisgabe er sich aus seiner gefährlichen Lage retten konnte, unbedingt fest. Ja, er war endlich der einzige österreichische Staatsmann, der je bereit war, die Vorzugsstellung der deutschen Sprache durch ein Gesetz zu schützen. Es muß dies mehr als ein augenblicklicher Schachzug gewesen sein. Aber er hatte aus Kurzsichtigkeit den günstigen Zeitpunkt zur gesetzlichen Regelung dieser Frage [255] und der wechselseitigen Beziehungen der Volksstämme, der mit dem Scharschmid’schen Antrage gegeben war, versäumt. Er beschleunigte die nationale Entwicklung der katholischen Slaven Oesterreichs; der Fesseln des Absolutismus ledig, hatten sie jedoch schon früher die meisten der vorlängst gegen ihre besondere Cultur ausgerichteten schwachen Dämme niedergerissen. Er festigte die Macht der Krone auf Kosten des Parlaments, aber diese besitzt für Oesterreich eine ungleich wichtigere Aufgabe als anderwärts, und ihr oberstes Schiedsrichteramt hatte die Schmerling’sche „Wahlgeometrie“ in Paragraphen gebracht. Eine tief bedauerliche Kräfteverschiebung zu Ungunsten der Deutschen hat während der 15 Jahre seiner Verwaltung unleugbar stattgefunden. Doch wurden sie in seiner harten Schule für den nothwendigen Kampf gestählt und ihr völkisches Dasein ist im Parlament des allgemeinen Stimmrechts ungleich gesicherter als zur Zeit, da sie ihre Stellung mit einem Gitter von Paragraphen umgaben, voll kindlichen Glaubens, daß ihre Gegner nicht durch diese Stäbe brechen könnten. Ein mächtigerer Werkmeister als er, Rom, hatte den Keil in die Reihen der Deutschösterreicher getrieben, und sicherlich schlugen diesen die verblendete Politik der liberalen Partei, ebenso wie die Verrätherei der Liechtensteine und die Selbstsucht der alpenländischen Bauernschaft die schwerere Wunde. Ein guter Rechner zog er doch die Stärke der die Volksseele bewegenden Antriebe nicht in Rechnung, und so kam es, daß diese ihm und den Parteien das beste Spiel verdarben. An dem Maße selbst des tüchtigsten seiner Gegner und an seinen Nachfolgern gemessen, kann er nur gewinnen. Er war kein großer Staatsmann, denn er löste keines der großen österreichischen Probleme und sorgte, wie er selbst sagte, bloß für den kommenden Morgen. Aber er schaute von der Warte des erfahrenen Menschenkenners den Dingen auf den Grund und ließ sich durch den äußeren Schein nicht blenden. Er sah das Elend der Parteien und bediente sich ihrer als Werkzeuge seines Willens, ohne sich je in ihre Hände zu geben. Hoch über allem stand ihm die Treue, die ihn an seinen kaiserlichen Herrn band. Er erstrebte voll heißen Bemühens das Beste für sein Land und diente ihm voll Hingebung und Selbstlosigkeit. Keine blendende Natur, aber im Grunde voll Wohlwollens und im Besitze jenes Humors, welcher die traurigen Dinge der Erde heiter vergoldet. Ohne feinere geistige und gesellige Bedürfnisse, kannte er nur eine Leidenschaft, die Liebe zu den Geschäften des Amts, der er Muße und Gesundheit opferte. Alles in allem, einer der geschicktesten Regierungsmänner, die je gelebt, und einer der tüchtigsten, die den Habsburgern dienten.

Ueber Taaffe ist bisher nichts von Belang erschienen. Wichtiges Material an Correspondenzen und Acten aus seinem Nachlasse harrt späterer Veröffentlichung. Daten geben Rogge, Oestreich von Vilagos bis zur Gegenwart, 3. Band, 1873, Kolmer, Parlament und Verfassung in Oestreich, 5 Bände, 1902–1909; etwas Ausbeute 30 Jahre aus dem Leben eines Journalisten, Wien, 1895, und die Memoirenwerke von Beust, Hasner, Schäffle. Den besten Ueberblick bietet Denis, La Bohème dep. la mont. blanche, 2. Band, Paris 1903. Graf Taaffe, Leipzig, 1889, ist eine officiöse Vertheidigungsschrift.

[234] *) Zu Bd. LIV, S. 668.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 253, Z. 12 v. u. lies: Föderalismus. [Bd. 55, S. 904]