Zum Inhalt springen

ADB:Thürriegel, Josef Kaspar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Thürriegl, Josef Kaspar“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 230–233, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Th%C3%BCrriegel,_Josef_Kaspar&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:18 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Thus, Konrad
Band 38 (1894), S. 230–233 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Kaspar Thürriegel in der Wikipedia
Johann Kaspar Thürriegel in Wikidata
GND-Nummer 100993648
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|38|230|233|Thürriegl, Josef Kaspar|Karl Theodor von Heigel|ADB:Thürriegel, Josef Kaspar}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100993648}}    

Thürriegl: Josef Kaspar Th., geboren am 31. Juli 1722, entstammt einer Bauernfamilie aus Gossersdorf im Pfleggericht Mitterfels im Bairischen Wald. Nachdem er in der Dorfschule zu Konzell und in der Schreibstube des Bräuverwalters zu Gossersdorf nothdürftigen Unterricht erhalten hatte, wurde er als Schreiber am Pfleggericht Mitterfels verwendet. Als aber Baiern der Schauplatz des österreichischen Erbfolgekrieges wurde, trat der Neunzehnjährige in die vom Mitterfelser Eisenamtmann Johann Michael Gschray gebildete Freicompagnie als Freischütze ein und soll sich durch Klugheit und Muth so ausgezeichnet haben, daß ihm Beförderung zum Officier in der bairischen Armee angeboten wurde. Th. zog aber vor, in französische Dienste überzutreten; 1742 wurde er als Cadett in das aus Deutschen gebildete Regiment von der Marck aufgenommen, bald darauf zum Lieutenant befördert. Auf Empfehlung seines Oberstlieutenants v. Barreau wurde er von Marschall Moriz von Sachsen eine Zeit lang als Adjutant verwendet, 1743 aber in das Bureau des Generalstabs versetzt, wo ihm im Departement der Kundschafter die deutsche Correspondenz übertragen wurde. Er hatte für die Emissäre, die in Feindesland oder ins feindliche Lager gesendet wurden, die Instructionen auszuarbeiten; auch leistete er selbst während des Erbfolgekriegs und der darauffolgenden Friedensjahre der französischen Heeresleitung als „Agent“ gute Dienste. In den ersten Jahren des siebenjährigen Krieges folgte er in gleicher Eigenschaft den Armeen Richelieu’s und Soubise’s; 1760 wurde er zum Obristlieutenant befördert. Der Ruf, den sich seine Landsleute und ehemaligen Kampfgenossen, Gschray und Luckner, als Führer von Freischaren erworben hatten, machte in ihm den Wunsch rege, ebenfalls ein Freicorps zu werben und zu befehligen. Als seine Vorgesetzten, wie er selbst versichert, sich weigerten, „ihn von der Correspondenz wegzuthun, weil er darinnen so sehr excellirte“, wandte er sich an Oberst Gschray, von dem er wußte, daß er damit umgehe, den französischen Kriegsdienst mit preußischem zu vertauschen. Dem 68jährigen Gschray kam die Verbindung mit dem unternehmungslustigen und kriegstüchtigen Genossen sehr gelegen; er überredete Th., den französischen Dienst aufzugeben und gemeinsam mit ihm für König Friedrich ein Freicorps zu werben. Im März 1761 wurde durch königliches Patent Gschray zum Obersten, Th. zum Oberstlieutenant ernannt; beide sollten sechs Compagnieen Fußvolk und ebensoviel Compagnieen Reiterei anwerben und zur Disposition des Königs stellen, der für jeden Reiter 110 Thaler, für jeden Infanteristen 60 Thaler zu bezahlen hatte; als Werbe- und Sammelplatz war Minden in Westfalen, später Nordhausen bestimmt. Das gute Einvernehmen zwischen Gschray und Th. dauerte nicht lange. Da Gschray besorgte, daß sein Untergebener selbst nach dem Commando strebe, suchte er ihn bei Hofe anzuschwärzen. Th. zahlte mit gleicher Münze; er veröffentlichte, um „das [231] selbstsüchtige, verleumderische Gebahren seines Obersten zu entlarven, eine stark tendenziös gefärbte Schrift „Der glückliche bayerische Eisenamtmann oder merkwürdige Lebensgeschichte des Herrn von Gschray“. Die Klagen des Obersten, der dem Kameraden „unsäglichen Hochmuth und die Ambition, allein und als Chef zu commandiren“, vorwarf und ihn unerlaubter Verbindung mit den Franzosen bezichtigte, fanden um so leichter Gehör, als auch die militärischen Leistungen Thürriegl’s nicht den gehegten Erwartungen entsprachen. Am 20. August 1761 wurde Th. verhaftet und angeblich ohne verhört zu werden, als Gefangener auf die Festung Magdeburg gebracht. Erst im Januar 1763 wurde er, nach seiner Angabe, weil sich der König von der Ungerechtigkeit der Klagen Gschray’s überzeugt habe, aus der Haft entlassen, und die in Aussicht gestellte Beförderung soll nur wegen des bald darauf erfolgten Friedensschlusses unterblieben sein. Th. wandte sich nun nach Spanien; er wurde von König Karl III. zum Obersten ernannt, und bald darauf eröffnete sich für ihn ein neues Feld wichtiger Thätigkeit mit der Colonisirung der Sierra Morena. „Konnte Thürriegl nicht auf dem Schlachtfelde Lorbeer pflücken, öffnete ihm die Muße des Friedens Aussichten zu unsterblicherem Ruhme in der Urbarmachung der andalusischen Wüste“. Ob diese apologetischen Worte Schuegraf’s am Platze muß billig gezweifelt werden; Ettmüller glaubt sogar den schweren Vorwurf aussprechen zu dürfen, daß Th. seine deutschen Landsleute in leichtfertiger Weise durch übertriebene oder falsche Versprechungen zur Auswanderung verlockt und dadurch ins Verderben geführt habe. Ein endgültiges Urtheil über Thürriegl’s Handlungsweise wird erst dann zu fällen sein, wenn einmal das umfangreiche archivalische Material über die Colonisirung der Sierra Moreno, das nach Herrn Dr. Karl Mayr-Deisinger’s Mittheilung im Staatsarchiv zu Simancas verwahrt ist, durchforscht sein wird. Nach der in der Heimath Thürriegl’s fortlebenden Tradition, die in der Schrift Schuegraf’s gläubig zu Grunde gelegt wird, wäre der ganze Colonisationsplan von Th. ausgegangen; zum Lohn für das glückliche Gelingen hätte ihn Karl III. zum „Vicekönig von Sierra Morena“ erhoben. Ob die erste Behauptung auf Wahrheit beruht, ist nicht festzustellen; die zweite ist jedenfalls unrichtig. Wahrscheinlich ging der Gedanke, den brachliegenden östlichen Theil der Provinz Andalusien im Flußgebiete des Guadalquivir mit deutschen Ansiedlern zu bevölkern, von dem Gouverneur Don Pablo Olivades aus, und nur zur Werbung bediente sich die spanische Regierung des gewandten Parteigängers Th. Schon unter Philipp III. war ein ähnliches Unternehmen geplant worden. Um den durch die Vertreibung der Moriskos herbeigeführten Ausfall zu decken, war die spanische Regierung 1610 mit der bairischen in Verbindung getreten, und in Baiern war man auch geneigt gewesen, diejenigen Personen, „so etwa geringer, aber nit malefizischer Verbrechen halber des Landes Baiern verwiesen“ werden sollten, als Colonisten nach Spanien abzuführen; der Plan scheint jedoch nicht zur Ausführung gelangt zu sein. Nach dem siebenjährigen Kriege aber gab es in Oberdeutschland viele Auswanderungslustige; es fiel also Th., der mit einem königlichen Patent ausgerüstet war und über reichliche Mittel verfügte, nicht schwer, die nöthige Zahl Ansiedler zu gewinnen. Er vertheilte einen Aufruf, betitelt „Glückshafen oder reiches Schatzkästlein, welches der spanische Monarch zum Trost und Nutzen aller Bauern, Taglöhner und Handwerksleute aufgeschlossen hat“, und fand namentlich in der Pfalz und im Elsaß starken Zulauf; auf einem in Mitterfels aufbewahrten Porträt Thürriegl’s findet sich von seiner eigenen Hand die – jedenfalls übertriebene – Angabe, er habe 7321 deutschen Familien in Spanien eine neue Heimath gegeben. Der Geworbenen, die ein „Neudeutschland“ unter ewig blauem Himmel gründen wollten, harrten aber in Spanien schwere Prüfungen. Im „Schatzkästlein“ waren [232] aus dem königlichen Patent nur die vortheilhafteren Bedingungen, unter denen den Ansiedlern spanischer Boden überlassen werden sollte, aufgenommen, dagegen war verschwiegen worden, daß die kleinen Gütchen nicht als Eigenthum, sondern nur zur Nutznießung überlassen sein sollten; außer den allgemeinen Steuern und Abgaben sollte nach Ablauf einiger Jahre auch ein Zehent erhoben werden; erst nach 10 Jahren durfte ein Colonist seinen Posten verlassen u. s. w. Welche Achtung die spanische Regierung den neuen Unterthanen zollte, bewies die Verfügung, daß zur Beförderung von Ehen in der neuen Colonie dem Gouverneur freistehe, Personen beiderlei Geschlechts aus den Zuchthäusern des Königreichs heranzuziehen. Die nach Spanien übergesiedelten Pfälzer und Schwaben konnten also nur als Hörige betrachtet werden und mochten wol nur mit Unmuth des Mannes gedenken, der sie in eine bisher nur von Banditen und Sumpffieber heimgesuchte Wüstenei gezogen hatte. Trotzdem nahm die Colonie, die im Umfang von etwa 25 Meilen eine Reihe von größeren und kleineren Flecken faßte, erfreulichen Aufschwung. Als die Deutschen sahen, daß sie auf ihrer Hände Arbeit angewiesen seien, ließen sie sich mit rastlosem Eifer die Urbarmachung angelegen sein, und das Aufblühen der verwilderten, aber fruchtbaren Ländereien lohnte ihren Fleiß. Ein Brief des Don Vicenzo Imperiali an den Herzog von Belfort vom 20. März 1776 schildert die glückliche Wandlung mit so glänzenden Farben, daß man nothwendig an Uebertreibung denken muß. Wo sich noch vor zehn Jahren wüstes Land weithin gedehnt habe, zeige sich jetzt das anmuthigste Landschaftsbild; wohlgebaute Flecken in großer Zahl seien von blühenden Aeckern und Fluren umgeben; die Hauptstadt la Carolina zähle zu den hübschesten Städten Europas; in chinesischer Art bemalte Häuser seien von einer Mauer mit acht Thoren umgeben; die nach deutscher Sitte gekleideten Bewohner trügen behaglichen Wohlstand zur Schau. „Ich glaubte, in den schöneren Zeiten des Saturn zu seyn … Kann man es leugnen, daß Don Olivades ein großer Mann sey, der zum Wohle Spaniens vieles unternommen und ausgeführt hat“? Nach Mittheilung eines deutschen Pastors, J. H. Pratje zu Beverstädt, dessen Aufsatz im Hannöverschen Magazin (Jahrg. 1779, Sp. 161, Don Paul Olivades’ Verdienste um Spanien und die Sierra Morena nebst dem traurigen Schicksal desselben) auch diesen Brief enthält, brach 1778 eine schwere Verfolgung über die aufblühenden Colonieen herein; da die Bevölkerung großentheils dem evangelischen Bekenntniß angehörte, wollte der katholische Clerus den fremden Tropfen im spanischen Blute nicht länger dulden, die Ansiedler wurden auf jede Weise beunruhigt und gequält, Don Olivades selbst wurde (24. Novbr. 1778) vom Generaltribunal der Inquisition wegen Ketzerei zu lebenslänglicher Klosterhaft verurtheilt. Th. scheint in den Sturz des Gouverneurs verwickelt worden zu sein, wenigstens erhielt sich in seiner Heimath die Tradition, das dem um Spanien so hochverdienten Manne durch Neid und Mißgunst die Frucht seines Unternehmungsgeistes entrissen worden sei. Ueber Thürriegl’s Ableben haben wir keine Nachricht. Die Colonien der Sierra Morena bewahrten noch längere Zeit ihren deutschen Charakter. Allmählich verlor sich zwar der Gebrauch der deutschen Sprache, aber noch 1843 schreibt Theophile Gautier „die Bevölkerung der Carolina könne ihren germanischen Ursprung nicht verleugnen“. Heute zählt Carolina nur noch ungefähr 3900 Einwohner, und nach Vivien de St. Martin (Nouveau dictionnaire de géographie universelle I, 623) hätte sich auch „der germanische Typus nunmehr vollständig verloren“.

(Thürriegl,) Der glückliche bayerische Eisenamtmann oder merkwürdige Lebensgeschichte des Herrn v. Gschray nebst geheimen Nachrichten sowohl von dessen Anverwandten als auch dem Obristlieutenant Herrn v. Thürrigel, her. [233] von einem preuß. Stabsoffizier (1765). – Schuegraf, Biographien von berühmten Männern aus Baiern (1821), 61. – Augsburger Postzeitung, Jahrg. 1893, Nr. 182 und 211. – Ettmüller, Eine deutsche Kolonie in Spanien, Gartenlaube Jahrg. 1893, 692.