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ADB:Tidemand, Adolf

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Artikel „Tidemand, Adolf“ von Eduard Daelen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 243–246, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tidemand,_Adolf&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 07:07 Uhr UTC)
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Tidemand: Adolf T., einer der hervorragendsten Genremaler der Neuzeit, war, wenn auch Norweger durch Geburt und Erziehung, doch durch seine künstlerische Ausbildung und seinen langjährigen Aufenthalt am Rhein ein Deutscher geworden und unbeschadet seiner treuen Anhänglichkeit an seine nordische Heimath, würdigte er in vollem Maße die Vorzüge seines zweiten Vaterlandes, in welchem er so herzliche Freundschaft und reiche Anerkennung gefunden hatte.

Sein Vater war Kammerrath und Zolldirector in Mandal an der Westküste Norwegens, wo T. am 14. August 1814 geboren wurde. Seine ersten künstlerischen Studien machte er auf der Akademie zu Kopenhagen von 1832 bis 1837; dann siedelte er nach Düsseldorf über. Hier wurden unter Hildebrandt’s und Schadow’s Leitung seine außergewöhnlichen Anlagen in kurzer Zeit zur schönsten Entwicklung gebracht, so daß er schon nach vier Jahren als erste selbständige Arbeit ein bedeutendes Historienbild: „Gustav Wasa redet in der [244] Morakirche zu den Dalekarliern“ vollendete und damit allgemeinen Beifall fand. Auf einer Reise nach München und von da nach Italien reifte seine künstlerische Anschauungsweise, was ihm bei seinen nächsten Arbeiten, die er im Auftrage des Königs von Schweden ausführte, sehr zu statten kam.

Doch auch noch weitere Bestellungen von Bildnissen für die Universität zu Christiania hielten ihn nicht ab, 1846 nach Düsseldorf zurückzukehren. Selbst der bedeutende Auftrag seines Königs, das Lustschloß Oskars Hall mit künstlerischem Schmuck zu versehen, konnte ihn nur vorübergehend 1848 seinem Vaterland wieder zuführen. Im Herbste 1849 schlug er dauernd seinen Wohnsitz in Düsseldorf auf und wurde hier nun in kurzem das Haupt eines Kreises von skandinavischen Künstlern, der namentlich durch die Anziehungskraft seines klangvollen Namens, sowie desjenigen seines Landsmannes Hans Gude eine von Jahr zu Jahr wachsende Zahl und Bedeutung annahm.

Hatte T. in den ersten Jahren seines Schaffens sich ausschließlich der Historienmalerei gewidmet, so brachte ihn eine eigenthümliche Schicksalstücke zu seinem Heile bald auf den Weg, der seiner individuellen künstlerischen Anlage entsprechend der eigentlich richtige war. Er hatte sich nämlich um die Ausführung eines Altarbildes für die Erlöserkirche in Christiania, wofür eine beträchtliche Summe ausgesetzt war, beworben, erhielt aber einen abschlägigen Bescheid, da der ehrenvolle Auftrag an Steinle in Frankfurt übertragen wurde. Um sich von der tiefgehenden Verstimmung, mit der ihn die offenbare Ungerechtigkeit dieses Mißerfolgs erfüllte, zu erholen, machte er eine Studienreise in das norwegische Hochgebirge. Hier nun ging seinem Künstlerauge ein neues glanzvolles Licht auf: Die Schönheit eines noch ungehobenen, unerschöpflichen Schatzes für die Malerei, nämlich die natürliche Urwüchsigkeit eines Volkslebens, das in seinen eigenartigen Sitten und Gebräuchen weltfremd und von der verfeinerten Cultur noch unbeleckt sich einen ganz besonderen Reiz bewahrt hatte. Und mit dem Eifer heller Begeisterung ging jetzt der muthige Entdecker daran, diesen Schatz der Welt, der seine Bedeutung bisher ganz unbekannt war, in naturgetreuen Bildern vor Augen zu führen.

So wurde der Künstler ein Pfadfinder, ein anfeuernder Führer, dem bald eine ganze Schaar junger vielversprechender Talente zu folgen bestrebt war. Er brachte mit regstem Fleiß eine Menge interessanter Studien zusammen, die er zu lebenswahren Compositionen vorzüglich zu benutzen wußte. Und immer wieder in den Sommermonaten eines jeden Jahres kehrte er zu dem köstlich klaren Born zurück, um sich an ihm erlabend zu frischer Arbeit neue Kraft zu holen. Dies unermüdliche, liebevolle und eingehende Studium von Land und Leuten ist es denn auch vor allem, was fast allen seinen Schöpfungen den Charakter einer außerordentlichen Wahrheit, Frische und Naturtreue verleiht. Von den Verehrern eines classisch akademischen Stils wurde ihm zwar ein Mangel an Schönheitsgefühl zum Vorwurf gemacht, aber sehr mit Unrecht. Mit der conventionellen abgestandenen Schablone konnte er allerdings für seine grobkantigen norwegischen Bauern nichts anfangen, doch die echte Schönheit der Natur spiegelt sich auch ungeschminkt und klar in seinen meisterhaften Schöpfungen. Ueberall zeigt es sich in den entzückenden Darstellungen, daß er seine urbiederen Charaktere mit scharfer Beobachtung dem Leben abgelauscht hat. Ihm genügte nicht eine oberflächliche Realisirung, die eine Vertiefung in das Wesen des darzustellenden Objects dünkelhaft verschmäht. Er legte den Hauptwerth auf eine seelenvoll innige Auffassung, womit er eine meisterhaft kraftvolle Individualisirung verband.

Eine große Anzahl bedeutender Werke zeugt von der Fruchtbarkeit seines künstlerischen Schaffens. Eines der hervorragendsten, welches hauptsächlich seinen [245] Ruf begründete, ist „Die Haugianer“ betitelt (1848), und befindet sich in der städtischen Gemäldegalerie zu Düsseldorf; es stellt die Nachmittagsandacht einer religiösen Sekte in einem norwegischen Bauernhause dar und bringt durch die feierliche Schroffheit der begeisterten Schwärmer einen tiefernsten Eindruck hervor. In ähnlichem Geiste ist auch „Die Austheilung des Heiligen Abendmahls in einer Hütte“ ausgeführt. Von gewaltiger Kraft und Leidenschaftlichkeit ist ein großes historisches Bild aus der altnorwegischen Sage „Zweikampf beim Hochzeitsmahl“. In einem Gegenstück zu den „Haugianern“, „die Fanatiker“ wird der Glaubenseifer in seinen brutalen Verirrungen und Ausschreitungen geschildert, während in edler und würdevoller Auffassung die reine Gottesverehrung in dem großen Altarbilde „Die Taufe Christi durch Johannes“, für die Dreifaltigkeitskirche in Christiania gemalt, verherrlicht wird. Derartige Kirchenbilder brachte er im Laufe der Jahre eine ganze Reihe zur Vollendung.

Von seinen Historienbildern ist namentlich noch „Die Landung des Obersten Sinclair, der ein schottisches Hülfscorps den Schweden zuführt, in Romsdaelen, 1612“ zu erwähnen, das eine Episode der norwegischen Geschichte in recht lebhaften Zügen schildert. Aus der großen Anzahl seiner Sittenbilder, welche das norwegische Volksleben vor Augen führen, sind besonders hervorzuheben die bekannte „Brautschmückung“ (1860), das umfangreiche, vortreffliche „Leichenbegängniß am Sogne Fjord“ (1852), „Abend auf einem norwegischen Binnensee“ (1851, Eigenthum der Berliner Nationalgalerie), „Nächtlicher Fischfang“ (1851, Kunstverein in Wien), „Der verwundete Bärenjäger“ (1856, Galerie des Belvedere in Wien), „Der Wolfsjäger“ (Galerie Ravené in Berlin), ferner ein Cyklus von 10 Darstellungen für den Speisesaal des Schlosses Oskarhall bei Christiania, die in sinnigen und sehr poetisch gedachten Compositionen das ganze menschliche Leben schildern; nämlich: 1. Knabe und Mädchen auf der Senne, 2. Die Brautwerbung, 3. Der Brautzug in die Kirche, 4. Familienglück (Das erste Kind), 5. Familiensorge (Das kranke Kind), 6. Des Vaters Unterricht, 7. Nächtlicher Fischfang auf dem Fjord, 8. Der Mutter Unterricht, 9. Des jüngsten Sohnes Abschied, 10. Der einsamen Eltern Trost (Das Lesen der Bibel). Lithographisch gedruckte Nachbildungen dieses Cyklus mit erläuternden Gedichten von Wolfg. Müller sind zu einem interessanten Album vereinigt worden. Mit besonderer Vorliebe erzählte der Künstler von dem stillen Frieden eines ruhigen Lebens, wie solches in den meisten seiner kleineren Staffeleibilder in anmuthigster Weise zur Erscheinung kommt. In den letzten Jahren seines Lebens beschäftigte ihn wieder ein bedeutender Auftrag des Königs von Schweden und Norwegen; in einem Colossal-Gemälde sollte er „Die Gründung Christianias durch König Christian IV.“ darstellen. Schon waren die farbenfrischen Entwürfe und die gründlichen Vorstudien dazu, welche ihn seit Jahren beschäftigten, fertig gestellt, da ergriff ihn eine tückische Krankheit, gegen die er schon längere Zeit angekämpft hatte. Am 28. Mai 1876 entriß ihn ein schneller Tod zu früh dem fruchtbringendsten Schaffen.

Als Mensch war T. von einer Liebenswürdigkeit, die unter Künstlern in neuerer Zeit immer seltener zu werden scheint. Er urtheilte jederzeit durchaus neidlos und unparteiisch, hielt sich von allen Streitigkeiten fern, aber in edler Milde war er stets zu helfen gern bereit. So erfreute er sich denn auch allgemeiner Beliebtheit und Verehrung. Nicht geringere Anerkennung und sympathische Aufnahme fanden andererseits seine künstlerischen Erzeugnisse, wie sich solches in zahlreichen äußeren Ehrenbezeugungen bekundete; war er doch Ritter vieler hoher Orden, so des preußischen Rothen Adlerordens, des norwegischen St. Olaf-Ordens, des schwedischen Wasa–Ordens und der französischen Ehrenlegion, Mitglied der Akademien von Christiania, Stockholm, Kopenhagen, Berlin, [246] Wien, Dresden, Amsterdam und Rotterdam. Bei der fünfzigjährigen Jubelfeier der Düsseldorfer Akademie 1869 erhielt er durch die Verleihung des Professortitels eine officielle Anerkennung, wie wesentlich er durch seine vorzüglichen Leistungen zum Ruhm der Düsseldorfer Kunstschule beigetragen. Auf mehreren großen Ausstellungen wurden seine Werke mit der Medaille ausgezeichnet: in Paris (1855), in Besançon, in Berlin, ferner in Wien (1873) u. s. w. Auch die Nachwelt wird seine bedeutenden Verdienste zu würdigen wissen.