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ADB:Tiling, Johann Nicolaus

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Artikel „Tiling, Johann Nicolaus“ von Heinrich Diederichs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 299–301, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tiling,_Johann_Nicolaus&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:38 Uhr UTC)
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Tiling: Johann Nicolaus T., Theologe und politischer Schriftsteller, war zu Bremen, wo sein Vater reformirter Prediger war, am 6. December 1739 geboren. Er studirte in Göttingen Theologie und wurde 1762 Adjunct an der [300] deutschen reformirten Gemeinde zu Hamburg. 1764 wurde er als Prediger an der reformirten Kirche nach Mitau berufen und zehn Jahre darauf, 1774, ernannte ihn der Herzog Peter von Kurland zum Professor der Beredsamkeit an der neugegründeten Academia Petrina; sein Predigeramt behielt T. bei. 1775 übernahm er die Redaction der Mitauischen Zeitung und führte sie mehrere Jahre fort; er lieferte für das Blatt namentlich eine Reihe von litterarischen Besprechungen und Kritiken. T. war zu seiner Zeit der beliebteste Prediger und angesehenste Kanzelredner Mitaus; seine lebendige, glänzende Beredsamkeit zog Zuhörer aus allen Ständen in seine Kirche, die fast immer dicht gefüllt war; Lutheraner ebenso wie Reformirte sammelten sich um seine Kanzel. Einzelne seiner Predigten sind auch im Druck erschienen, eine davon: „Was ist Religion?“ vom Jahre 1787, ist sogar ins Holländische übersetzt, in Leyden gedruckt worden. T. stand in seinen religiösen und theologischen Ansichten ganz auf dem Boden der Aufklärung, er war sogar ein eifriger Verehrer des berüchtigten C. Fr. Bahrdt, bei dem er selbst zwei seiner Söhne in Pension gab, doch zerfiel er zuletzt gänzlich mit ihm. Auch sonst trat T. häufig als Redner auf, so in der Freimaurerloge und in der Akademie bei allen festlichen Gelegenheiten. Unter seinen akademischen Reden verdient die Gedächtnißrede auf J. G. Sulzer, welche er 1779 auf Befehl des Herzogs hielt, Hervorhebung. Während T. sich früher allgemeiner Beliebtheit erfreute, gerieth er im letzten Jahrzehnt seines Lebens in heftigen Zwiespalt mit seinen Collegen und dem größten Theile seiner ehemaligen Freunde. Nicht ohne Einwirkung der Ideen, welche in der französischen Revolution zur Herrschaft und Geltung kamen, bildete sich in Mitau 1790 die sogenannte bürgerliche Union, die sich bald über ganz Kurland verbreitete und vom Herzoge begünstigt wurde. Es war eine Vereinigung des größten Theiles der Kaufleute und namentlich der Litteraten des Landes; unter Litteraten versteht man in Kurland alle Personen mit Universitätsbildung. Die eigentlichen Führer dieser Bewegung waren die Advocaten. Die Anhänger der Bürgerunion verlangten Erweiterung der bisherigen Rechte des Bürgerstandes und Theilnahme an den politischen Rechten, welche bisher ausschließlich der Adel besessen und ausgeübt hatte. Daß der Adel die Bewegung mit Unmuth und Unwillen betrachtete, ist natürlich, ebenso daß er nach Mitteln suchte, sie zu schwächen und zurückzudrängen. T. nun wurde nicht nur der Wortführer des Adels und trat als erbitterter Gegner der Bürgerunion auf, sondern es war auch vorzugsweise sein Werk, daß die Handwerker sich in Gegensatz zur Union stellten und eigene Forderungen erhoben; ihnen schlossen sich dann die meisten der sogenannten Künstler an, von denen manche vorher der Union beigetreten waren. Bei dieser Spaltung des Bürgerstandes und da sie vom Herzoge bei seiner Aussöhnung mit dem Adel preisgegeben wurde, mußte die Union nothwendig zerfallen. Gegen T. aber wandte sich die heftige Erbitterung sowol der meisten Professoren der Akademie, da sich diese an die Spitze der Union gestellt hatten, als auch der Pastoren des Landes. Zu seiner Vertheidigung schrieb nun T. sein damals großes Aufsehen machendes Buch: „Ueber die sogenannte bürgerliche Union in Kurland zur Rechtfertigung seines Betragens an eine Hochwohlgeborne Ritter- und Landschaft“, das in 3 Theilen 1792 und 1793 in Riga erschien. In dieser Schrift tritt er mit der größten Heftigkeit für die Rechte und den ausschließlichen Anspruch des Adels auf politische Stellung im Lande ein und bekämpft mit wahrem Fanatismus die Bestrebungen der bürgerlichen Union; nach seiner Ansicht verdanken Bürger und Litteraten alles, was sie sind und haben, eigentlich nur der Gnade des Adels. Die Rabulistik seiner Auseinandersetzungen, das Heftige und Declamatorische seiner Sprache, die Rücksichtslosigkeit seiner Angriffe und die oft wahrhaft grotesken Behauptungen, die er aufstellte, mußten die Gegner aufs [301] tiefste erbittern. Es erschienen ebenso rücksichtslose Erwiderungen, gegen die sich dann T. wieder vertheidigte. Bei dem Adel fand er natürlich Dank und Anerkennung, erhielt aber sonst keine Belohnung, auf die er gerechnet zu haben scheint. Der Haß, den er sich durch seine politische Haltung und Schriftstellerei zugezogen hatte, währte bis zu seinem Tode und beeinträchtigte seine früher so bedeutende Wirksamkeit als Prediger und Professor in hohem Grade. Ehrgeiz und Eitelkeit waren wol die Haupttriebfedern seines Auftretens gegen die Bürgerunion; in früherer Zeit hatte er ganz ähnliche Ansichten über die ausschließliche politische Stellung des Adels in Kurland wie später die Bürgerunion geäußert. T. starb auf dem Gute Anzen in Kurland während einer Amtsreise am 6. September 1798.

Gadebusch, Livländische Bibliothek III, 246 u. 247. – Schwartz, Bibliothek kurländischer Staatsschriften Nr. 251, 261–263, 274. – Recke u. Napiersky, Schriftstellerlexikon IV, 374–378. – (H. Diederichs,) C. F. Bahrdt’s Beziehungen zu Kurland in der Baltischen Monatsschrift von 1872. – Kallmeyer-Otto, Die evangelischen Kirchen u. Prediger Kurlands, 1890, S. 505 u. 506.