Zum Inhalt springen

ADB:Ulrich I. (Graf von Ostfriesland)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Ulrich I. (Graf von Ostfriesland)“ von Paul Wagner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 226–229, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ulrich_I._(Graf_von_Ostfriesland)&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 07:06 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 39 (1895), S. 226–229 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Ulrich I. (Ostfriesland) in der Wikipedia
Ulrich I. in Wikidata
GND-Nummer 130679356
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|39|226|229|Ulrich I. (Graf von Ostfriesland)|Paul Wagner|ADB:Ulrich I. (Graf von Ostfriesland)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=130679356}}    

Ulrich I., erster Graf von Ostfriesland, entstammte der Häuptlingsfamilie der Cirksena von Greetsiel. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, mag aber in das erste, oder in den Anfang des zweiten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts fallen. Er war ein Sohn des Häuptlings Enno und der Gela von Pilsum und Manschlacht, die vor U. ihrem Gemahl schon einen Sohn Edzard geboren hatte. Die Cirksena waren zu Anfang des 15. Jahrhunderts noch ein wenig bedeutendes Geschlecht, dessen Besitzungen außer in Greetsiel hauptsächlich im Norderlande lagen. Bei den ungeordneten, zügellosen Zuständen des damaligen Ostfrieslands suchte er, wie andere auch, seinen Vortheil, wo er konnte, und begünstigte dabei auch gelegentlich den Seeraub, zog sich aber hierdurch die Feindschaft der Hansestädte in solchem Maaße zu, daß sie ihm die Burgen zu Greetsiel und Norden entrissen. Enno erlangte indessen Greetsiel zurück und man findet ihn dann seit dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts häufiger in der Geschichte seines Landes erwähnt. Als um jene Zeit die Macht des Häuptlings Keno tom Brocke, und nach dessen Tode die seines Sohnes Occo bedrohlich anwuchs und den Widerstand der übrigen ostfriesischen Geschlechter hervorrief, ließen sich Enno und sein Sohn Edzard von dem Gegner Occo’s, dem Häuptling von Leer, Focko Ukena, gewinnen, erreichten aber damit zunächst nur, daß sie dem letzteren zu überlegener Macht verhalfen, die Focko in äußerst [227] gewaltthätiger Weise ausnutzte. Da verstanden es nun Enno und Edzard, denen sich bald auch U. zugesellte, in geschickter Weise die gegen Focko Ukena bald erwachende Mißstimmung zu benutzen und sich an die Spitze der in dem sogenannten Bunde der Freiheit vereinigten Unzufriedenen zu stellen (1430), indem sie dabei weislich den Anschein vermieden, als ob sie selbst nach der Gründung einer Oberherrschaft in Ostfriesland strebten. Focko Ukena erlag endlich dieser gegen ihn gerichteten Bewegung, und nunmehr rückten in der That die beiden Brüder Edzard und Ulrich, zwar langsam und vorsichtig, aber sicher in seine Stellung ein. Sie gewannen das Vertrauen ihrer Landsleute, und indem sie zugleich mit der Stadt Hamburg, die sich seit 1433 in Emden festgesetzt hatte, in nahe Verbindung traten, erlangten sie bald eine an Ansehen und Macht immer zunehmende Stellung. Eine Reihe von Landschaften erkannte freiwillig ihre Schutzherrschaft an, so das Brockmerland (1431), das Norder alte Land (1436), das Auricherland (1438); endlich übertrug ihnen Hamburg, allerdings nur auf Widerruf, im J. 1439 Stadt und Burg Emden nebst Rechten in einer Anzahl anderer ostfriesischen Ortschaften. Die beiden Brüder hatten ihre Herrschaft in der Weise getheilt, daß U. das Auricherland erhielt, Edzard dagegen Emden, das Brockmer- und Norderland. U. erwarb 1439 durch seine Heirath mit Foelke, der Tochter des Häuptlings Wibet von Esens, noch die Herrschaften Esens und Stedesdorf, und als dann 1441 sein Bruder kinderlos starb, fiel ihm der gesammte Besitz des Hauses Cirksena, d. h. der größte Theil des heutigen Ostfrieslands, zu. Eine Macht, wie sie nie zuvor ein ostfriesischer Häuptling besessen, war fortan in seiner Hand vereinigt. Es kam nur darauf an, ob er im Stande sein würde, sie gegen die noch unabhängigen Häuptlinge und gegen die benachbarten Gewalten, die mit Unruhe und Eifersucht das Emporkommen des Hauses Cirksena verfolgten, zu behaupten und die Verhältnisse im Innern der ihm untergebenen Landschaften insoweit zu befestigen, daß sich die freiheitsstolzen Friesen an die dauernde Herrschaft eines Einzelnen gewöhnten. Daß ihm dies in der That gelang, ist ein Beweis, wie seiner kriegerischen Tüchtigkeit, so seiner Klugheit und seines staatsmännischen Blickes; denn nicht mit dem Schwerte allein trat er seinen Widersachern entgegen, auch dadurch wußte er sie zu entwaffnen, daß er sich auf friedlichem Wege mit ihnen auseinandersetzte, und daß er rechtliche Grundlagen für den erlangten Besitz zu schaffen bemüht war. Indem er aber so die Herrschaft seines Geschlechtes dauernd in Ostfriesland befestigte, und indem er Stifter einer Dynastie wurde, die hier bis zum Jahre 1744 ununterbrochen herrschte, erwarb er sich ein Verdienst nicht allein um seine Familie, sondern zugleich auch um sein Land. Denn mit der Gründung einer einheitlichen Gewalt ließen auch die innern Fehden nach, die so lange das kleine Land zerrüttet und jeden Aufschwung in Wohlstand und Gesittung gehindert hatten. So gehört Ulrich I. ohne Zweifel zu den bedeutenderen Vertretern seines an großen Männern nicht eben sehr reichen Geschlechtes.

Begreiflich erlangte er sein Ziel nicht leicht und rasch; es bedurfte längerer Zeit und vielfacher Anstrengungen, ehe ihm der Besitz Ostfrieslands gesichert war. Noch zu Lebzeiten seines Bruders hatte sich eine Reihe von Häuptlingen des Emslandes zu einem Schutz- und Trutzbündnisse vereinigt, dessen Spitze sich gegen die Cirksena richtete. Wichtiger aber waren die Feindschaften der Häuptlinge im Osten des Landes, in Ostringen, Rüstringen und Wangerland, wie auch des Geschlechts der Kankena im Harlingerlande, in Wittmund und in Dornum. Die letzteren unterwarfen die Brüder, und mit den ersteren söhnte sich U. unter der Vermittelung Hamburgs 1442 aus. Hierauf folgte zunächst eine Zeit ungewohnter Ruhe, die U. zur Befestigung seiner Macht wohl gelegen kommen [228] mußte. Wohin er steuerte, das enthüllte er gelegentlich einmal in einer Urkunde von 1444, in der er sich „Häuptling in Ostfriesland“ nannte, während er sich sonst stets als Häuptling der einzelnen von ihm besessenen Landschaften bezeichnete. Zu dem Emporkommen seines Hauses hatte bisher sehr wesentlich ein gutes Verhältniß mit Hamburg beigetragen, das sich sowol sein Bruder Edzard, wie auch er stets bemüht hatten, aufrecht zu erhalten. Mag nun Hamburg in Ulrich’s wachsender Herrschaft eine Gefahr erblickt, oder mögen andere Gründe vorgelegen haben, genug, Hamburg fand es 1447 für gut, Ulrich’s Macht zu beschränken, indem es Emden zurückforderte. Die Feindseligkeit, die in diesem Schritte lag, führte in den folgenden Jahren zu offenen Kämpfen, in denen sich die Hansestadt mit dem den Cirksena stets feindlich gesinnten Grafen Gerhard von Oldenburg verbündete (1451). Indessen U. muß siegreich gewesen sein, denn der Graf sah sich 1452 zu einem Sonderfrieden genöthigt, worauf dann am 10. April 1453 auch Hamburg seinen Frieden mit U. schloß und darin alle seine ostfriesischen Besitzungen, namentlich Emden und die Feste Leerort, auf 16 Jahre um die Pfandsumme von 10 000 Mark Lübisch abtrat. Hamburgs Herrschaft in Ostfriesland hat hiermit für immer aufgehört. Man findet dann U. mehrfach bemüht, den thatsächlichen Besitz seines Landes noch durch Erwerbung von Rechtstiteln zu sichern. Rücksichten dieser Art mögen für ihn mitbestimmend gewesen sein, als er nach dem Tode seiner ersten Frau mit päpstlichem Dispens die ihm entfernt verwandte Enkelin und einzig überlebende Erbin Focko Ukena’s, Theda, ehelichte, durch die er einen rechtlichen Anspruch an das Ukena’sche Hausgut, insbesondere Leerort, gewann. Dieses Bemühen wurde dann von neuem angeregt, als der Besitz Emdens von einer Seite bedroht wurde, von der er das kaum erwartet haben mochte, nämlich vom Bischof Johann von Münster, der alte Grafschaftsrechte seines Bisthums auf den Emsgau im J. 1459 geltend zu machen versuchte. U. war nicht gewillt, diese anzuerkennen. Seine Lage aber wurde bedenklich, als sich Johann 1461 mit dem Grafen Gerhard von Oldenburg verband, der ebenfalls auf ostfriesisches Gebiet hoffte. Man kann sich unter diesen Umständen in der That des Gedankens nicht entschlagen, daß U. unter dem Druck dieser Verhältnisse handelte, als er mit dem damaligen Kaiser Friedrich III. in Verbindung trat und von ihm die Erhebung Oftfrieslands zu einer Reichsgrafschaft erbat. Ließ sich der Kaiser darauf ein, so hatte U. eine staatsrechtliche Grundlage für seine Herrschaft erworben und deren Territorialbestand gesichert; von einem Auseinanderfallen der einzelnen Landschaften, die U. vereinigt hatte, konnte dann nicht mehr die Rede sein. Ulrich’s Plan war ohne Zweifel klug ersonnen und machte seinem staatsmännischen Scharfblicke alle Ehre, indessen ging der Kaiser nicht sogleich darauf ein, sondern verstand sich 1463 nur dazu, das Cirksena’sche Erbgut in Norden zu einer Grafschaft zu erheben. Damit aber konnte U. nicht gedient sein. Wie er es fertig brachte, den Kaiser umzustimmen, entzieht sich unserer Kenntniß. Thatsache ist, daß Friedrich III. seinen Wunsch ein Jahr später in vollem Umfange erfüllte, ihm am 1. October 1464 sein ganzes Gebiet zu Lehen gab, es zu einer Grafschaft des Reiches erhob und U. zum Grafen in Ostfriesland machte. Am 23. December 1464 leistete dieser zu Emden in die Hände des kaiserlichen Abgesandten, Ritters Johann von Schaumburg, den vorgeschriebenen Lehenseid und wurde dann mit einer Anzahl anderer Ostfriesen zum Ritter geschlagen. In der nächsten Zeit empfing er die Huldigung der ostfriesischen Häuptlinge. Damit war das Ziel Ulrich’s erreicht, und zugleich sein Lebenswerk vollbracht. Aus einer kleinen Häuptlingsfamilie hatte er sein Geschlecht zum Gebieter über einen großen Theil des ostemsischen Frieslands gemacht und ihm damit eine Stellung verschafft, wie andere Familien sie wol [229] erstrebt, aber nicht erreicht hatten. Für Ostfriesland brach eine neue Periode seiner Entwicklung an, den verderblichen Parteiungen und Fehden war ein Ziel gesetzt, zugleich war das Land, das sich dem Reiche so lange entzogen hatte, mit diesem wieder in nähere Beziehung gebracht. Hierin liegt ein Verdienst von allgemeiner Bedeutung, daß sich U. erworben hat, und das ihm nicht vergessen werden sollte. – Es liegt in der Natur mittelalterlicher Geschichtschreibung, daß wir über seine Thätigkeit im Innern weniger unterrichtet sind, gleichwol ergeben die Urkunden, daß er sich angelegen sein ließ, Recht und Gerechtigkeit zu schützen und Uebelstände, wo er sie antraf, zu beseitigen. Ein besonderes Verdienst erwarb er sich durch seine Bauthätigkeit. Das Schloß in Aurich, die Neubaue der Burgen zu Berum und Greetsiel sind sein Werk. In Norden baute er die Kirche, in ihrer Anlage und theilweisen Ausführung die stilvollste und schönste Ostfrieslands, in Weener ließ er den Chor der dortigen Kirche neu herstellen. Auch wirthschaftlich nützliche Bauten rühren von ihm her. So ist es kein Wunder, daß sein Land ihm ein dankbares Andenken bewahrte, als er am 27. September 1466 in Emden starb. Da bei seinem Tode noch keins seiner sechs Kinder, die sämmtlich aus zweiter Ehe stammten, mündig war, mußte seine Gemahlin Theda die vormundschaftliche Regierung antreten.

Ostfriesisches Urkundenbuch I. – Beninga, Chronik. – Ubbo Emmius, Rerum Frisicarum historia.Wiarda, Ostfriesische Geschichte I, II. – v. Bippen, Hansische Geschichtsblätter, Jahrgang 1884.