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ADB:Vautier, Benjamin

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Artikel „Vautier, Benjamin“ von Eduard Daelen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 738–741, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vautier,_Benjamin&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 09:44 Uhr UTC)
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Vautier: Benjamin V., Maler, wurde am 27. April 1829 in Morges am Genfer See geboren und kam schon in früher Jugend nach Genf, wo er sich, anfangs unter schwierigen Verhältnissen, eifrig dem Kunststudium zu widmen begann. Zunächst war er einige Jahre als Emailmaler für Schmucksachen thätig, besuchte dann 1849 das Atelier des Genfer Historienmalers Lugardon und ging zu seiner weiteren Ausbildung 1856 nach Düsseldorf, wo er ein Jahr lang Schüler von Rud. Jordan wurde. Nach den stillbeschaulichen [739] Tagen der dreißiger Jahre, nach den mondbeglänzten Zaubernächten der Romantik wehte in der aufblühenden Rheinstadt jetzt ein anderer Wind. Mit dem Frühlingssturm des Jahres 1848 war eine neue Zeit angebrochen. Sie brachte die Gleichstellung der Bauern mit allen anderen Staatsbürgern durch ihre Befreiung von Hörigkeit und Frohnden. Mit dieser politischen Rangerhöhung gewann der Bauer auch ein erhöhtes Interesse als Object für die künstlerische Darstellung. Die Bauernmalerei nahm einen Aufschwung, wie er in der Kunstgeschichte noch nicht dagewesen war. Schnell hintereinander erstanden in dem Schwaben Knaus, dem Schweizer Pfarrersohn V. und dem Tiroler Alpensohn Defregger ihre glänzendsten Vertreter. Wohl hatten sich auch früher schon hin und wieder die Künstler mit Bauern, Arbeitern usw. beschäftigt, aber doch nur oberflächlich und nebensächlich. Die wenigsten gingen selbst wirklich ins Volk; sie konnten es also auch nicht kennen. Eine gründliche Kenntniß des darzustellenden Gegenstandes ist aber die erste Bedingung allen künstlerischen Schaffens. Darum sind in der Darstellung des Volkes diejenigen Künstler am bedeutendsten, die selbst aus ihm hervorgegangen, mit ihm gelitten und gestritten haben.

So kam es auch V. sehr zu statten, daß er auf dem Lande geboren, mitten unter dem freiheit-stolzen schweizerischen Landvolk aufwachsend, mit ihm erzogen täglich in innigem Verkehre stand. Auch später kehrte er zur Sommerzeit häufig nach seiner Heimath zurück, um seine Studien andauernd aufs neue zu bereichern und zu vervollkommnen. Den Werth dieses Bildungsganges zeigten gleich seine ersten Arbeiten. Er schilderte zunächst seine eigenen Landsleute im Berner Oberland mit ihrer herrlichen Natur, mit ihrer gemüthvollen Sinnigkeit, mit ihrem starken Selbständigkeitsgefühl. Um seine technische Ausbildung zu vollenden, ging er 1856 noch einige Zeit nach Paris, doch fand er hier nicht den rechten Boden und kehrte bald nach Düsseldorf zurück, wo er nunmehr, mit allen Mitteln des künstlerischen Könnens ausgerüstet, sein erstes Bild aus dem Volksleben malte: das Innere einer schweizerischen, von Andächtigen besuchten Dorfkirche. Hiermit errang der junge Künstler auf der historischen Ausstellung von 1858 in München einen großen durchschlagenden Erfolg und damit sofort seinen Platz neben seinem längst berühmten Meister Ludwig Knaus. In späteren Werken zeigte er dann, daß er mit diesem auch die glückliche Begabung eines frischsprudelnden Humors gemein hatte. Nachdem er noch mehrere Bilder, zu denen er seine Motive aus der Schweiz entnommen, verfertigt hatte, versenkte er sich mit Vorliebe in das Studium des Lebens der schwäbischen Bauern, besonders der Schwarzwälder, mit ihrer behäbigen und heiteren Gemüthlichkeit, die seinem eigenen Wesen so recht zusagte. Er fand hier ein so unerschöpflich reiches Studienmaterial, daß er nur noch selten auf seine schweizerische Heimath zurückkam. Den Hauptwerth legte er in seinen Bildern auf die Tiefe, Feinheit und Mannichfaltigkeit der Charakteristik; er wollte in erster Linie Seelenmaler sein. Darum gab er auch ganz sich selbst. Seine Werke blenden nicht durch die coloristischen Vorzüge seiner Palette, aber sie fesseln durch den geistigen Inhalt einer vornehmen Anschauungsweise, in der sich die Feinheit und Tiefe der Empfindung spiegeln. Deshalb werden seine Bilder bei längerer Betrachtung, bei näherer Bekanntschaft immer mehr gewinnen; es spricht aus ihnen die liebenswürdige Persönlichkeit, die in seltener Harmonie den vortrefflichen edlen Charakter des Menschen mit den hervorragenden Eigenschaften des großen Künstlers zu unzertrennlicher Einheit verband.

In dem Bilde „Auction in einem alten Schlosse“ verwendete er noch schweizerische Typen, während das dramatisch bewegte Motiv des nächsten [740] Bildes „Kartenspielende Bauern“, die von ihren aus der Kirche heimkehrenden Frauen im Wirthshause überrascht werden (1862, im städtischen Museum zu Leipzig), als das erste dem Schwarzwald entnommen ist. Ebenso wie das folgende „Sonntag Nachmittags in einem schwäbischen Dorfe“ (1864, Museum zu Troppau), eine drollige Scene, in der Bauernburschen sich mit täppischer Schüchternheit an eine ihnen gegenüber am Waldesrand gelagerte Mädchengruppe heranzumachen suchen, ist es direct dem Volksleben abgelauscht. In mehreren seiner nächsten Bilder zeigte dann der Künstler, daß er auch den Ernst des Lebens in seiner ganzen Tiefe zu schildern verstand. Dem Bilde „Der Bauer und der Makler“, der jenen zum Verkauf seines Besitzes zu verleiten sucht (1865, Museum zu Basel), folgten der „Leichenschmauß“ nach der Beerdigung im Hause des Verstorbenen (1865, im städtischen Museum zu Köln), „Der Abschied eines jungen Bauern von seiner sterbenden Frau“ und die „Fahrt über den Brienzersee zum Begräbniß“; ferner „Begräbniß auf dem Lande“ (1872), „Am Krankenbett“ (1873, Berliner Nationalgalerie), „Die Verhaftung“ (1879), „Der verlorene Sohn“ (1885, Kunsthalle in Hamburg), „Die bange Stunde“ (1887). Doch seine heitere Gemüthsart führte ihn immer wieder zu den Motiven zurück, in denen ein liebenswürdiger, schalkhafter Humor den Grundton angibt. So schmeichelte er sich namentlich mit der „Ersten Tanzstunde“ (1868, in der Berliner Nationalgalerie), worin mit feinster Charakteristik die Schalkhaftigkeit und Anmuth der Schwarzwälder Schönen in ihrer ganzen Jugendfrische geschildert werden, in das Herz aller Menschenfreunde ein. Ebenso bekannt geworden ist der „Toast auf die Braut“, eines der wenigen Bilder des Künstlers mit Figuren in Rokokokostümen; dann aber auch vor allem das „Zweckessen“, das in vollem Glanze die erprobte Kraft einer vielseitigen Charakteristik an einer großen Zahl von Figuren und die vollkommene Beherrschung des Ausdrucks aller menschlichen Empfindungen und seelischen Stimmungen bekundet.

Noch eine lange Reihe ausgezeichneter Werke legt Zeugniß ab für die Schaffensfreudigkeit des Künstlers, so unter anderem: „Abschied der Braut vom Elternhause“ (1875), „Tanzpause in einem schwäbischen Wirthshause“ (1878, in der Dresdener Galerie), „Gemeinderathssitzung“ (1876), „Gang zur Civiltrauung“ (1877), „Schwarzer Peter“ (1883), „Das entflohene Modell“ (1886), „Ein neuer Weltbürger“ (1888), „Poststube“, „Processirende Bauern“, „Auf dem Standesamt“ (1889), „Ein Gast im Herrenstübl“ (1890), „Verlassen“ (1892, Museum in Breslau), „Ein williges Modell“ (1895), „Auf dem Jahrmarkt“ (1896).

Außerdem hat V. auch als Illustrator eine reiche Thätigkeit entfaltet und darin nicht weniger seine eminente Begabung für das Erfassen des echten Volkscharakters ausgeprägt. In den Zeichnungen zu Immermann’s „Oberhof“, zu Auerbach’s „Barfüßele“, zu Goethe’s „Hermann und Dorothea“ u. a. m. hat er eine erstaunliche Fülle lebenswahrer Gestalten geschaffen. Dem glücklich-harmonischen Erdenwallen des ausgezeichneten Künstlers war dann auch ein beneidenswerther Abschluß beschieden; ohne die naturgemäße Erlahmung des Alters betrauern zu müssen, durfte sich der von allen hochverehrte Mann nach vollauf verbrachtem Tagewerk zur Ruhe legen. Er starb zwei Tage vor seinem 69. Geburtstage, am 25. April 1898. In seinem Lebenswerk hat er sich ein unvergängliches Ruhmesdenkmal gesetzt. Außer vielen ehrenvollen Auszeichnungen, die ihm zu Theil geworden, wurde ihm auch der Titel „Königlicher Professor“ verliehen, obwohl er nie die Ausübung eines akademischen Lehramts übernahm. Als er 1850 auf den Rath eines Freundes von Genf nach Düsseldorf übersiedelte, fand er auf Grund der vorgewiesenen Studien [741] vor Schadow’s Augen keine Gnade und damit auch keine Aufnahme in die Akademie. Erst nach einigen Monaten gelang es ihm, dieses Ziel zu erreichen. Die Akademie befand sich damals stark im Niedergang, und der junge strebsame Künstler verließ sie sehr bald wieder; aber diese frühe Erfahrung mag für seine Entwicklung ebenso wie für seinen Lebensgang bestimmend gewesen sein. V. war einer der Ersten unter den freien Meistern in Düsseldorf, die nicht in Beziehungen zur Akademie traten, und ebensowenig hat er eine umfangreiche private Lehrthätigkeit ausgeübt. Aber um so größer war und bleibt der Einfluß seiner Werke, die ganz den freien Meister geben und die darum eine so eindringliche Sprache des Herzens reden.