ADB:Weiße, Johann Friedrich

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Artikel „Weiße, Johann Friedrich“ von Ludwig Stieda in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 594–596, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wei%C3%9Fe,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 10:45 Uhr UTC)
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Weiße: Johann Friedrich W., Arzt und Naturforscher, wurde am 22. Februar 1792 in Reval (Esthland) als Sohn eines Weißgerbers geboren. Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt mit dem Zeugnisse der Reife verlassen, begab er sich im Januar 1811 nach Dorpat, um daselbst Medicin zu studiren. Mit großem Eifer warf er sich in Gemeinschaft gleichgesinnter Genossen, unter denen Karl Ernst v. Baer zu nennen ist, auf das Studium. Im [595] October 1812 reiste W. mit 28 Medicinern (Baer war auch dabei) nach Riga, um in den Kriegslazarethen Hülfe zu leisten. Im Frühjahr 1813 kehrte W. nach Dorpat zurück, um seine Studien fortzusetzen. 1814 wurde ihm für eine gelöste Preisaufgabe die silberne Medaille zuerkannt. – Nach glücklich beendigtem Examen und nach Vertheidigung einer Dissertation („De pathologia consensus“, Dorpat 1815, 44 S.) wurde W. 1815 zum Dr. med. promovirt, und verließ bald darauf im August die Heimath, um – einem allgemein üblichen Gebrauch folgend – seine Kenntnisse und Erfahrungen durch Besuch ausländischer Universitäten zu erweitern. Vier Jahre verweilte W. außerhalb der Grenzen seiner Heimath abwechselnd in Holland, England, Schottland, Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Er studirte, besuchte die großen Hospitäler in Wien, Berlin, Göttingen, Heidelberg, und begann bereits hier sich mit litterarischen Arbeiten zu beschäftigen. In Wien wurde er vor allem durch den Professor L. A. Goelis, dirigirenden Arzt am Hospital für kranke Kinder, der damals im Ruf eines bedeutenden Kinderarztes stand, angezogen. In Berlin trat er in nahe Beziehungen zu Prof. Hufeland, dann zu Prof. Ernst Horn u. A. Ein besonderes Interesse bekundete W. für thierischen Magnetismus; es scheint, als ob der Aufenthalt in Paris die erste Veranlassung dazu gewesen ist. – Er war in Berlin ein eifriger Zuhörer des Prof. Wolfart, des Vertreters des Magnetismus, verhielt sich jedoch sehr skeptisch gegenüber den übertriebenen Anpreisungen des Magnetismus als Heilmethode und gegenüber den Ausschreitungen der sogenannten Somnambulen. Er veröffentlichte mit Rücksicht darauf: „Erfahrungen über arzneiverständige Somnambule nebst einigen Versuchen mit einer Wasserfühlerin“ (Berlin 1819), und verfaßte Kritiken über französische und russische den Magnetismus betreffende Schriften für deutsche Zeitschriften. Später hat W. sich, wie es scheint, nicht weiter mit magnetischen Beobachtungen abgegeben. – Zu Beginn des Jahres 1819 kehrte er über Königsberg, woselbst er seinen alten Freund Baer besuchte, in die Heimath zurück, ließ sich in St. Petersburg als praktischer Arzt nieder und gewann hier sehr bald eine ansehnliche Praxis und gleichzeitig eine sehr angesehene Stellung unter seinen Collegen, wie in der wissenschaftlichen Welt Petersburgs. W. begann seine ärztliche Thätigkeit als Arzt in Gefängnissen, erhielt später die Stellung eines Schularztes an einigen Unterrichtsanstalten, dann aber 1835 die Stellung eines dirigirenden Arztes am Nikolas-Kinderhospital. Diese Anstalt wurde durch die Bemühungen Weiße’s zu einem damals nach allen Richtungen mustergültigen Krankenhause umgeschaffen. Mit Rücksicht auf diese seine Beschäftigung am Kinderhospital gelangte W. sehr bald in den Ruf eines ausgezeichneten Kinderarztes. Neben seiner ausgedehnten Praxis verstand W. es, Zeit zu wissenschaftlichen Arbeiten zu gewinnen. Im J. 1865 feierte er unter allseitiger Theilnahme seiner Collegen sein 50jähriges Doctorjubiläum und gab seine dienstlichen Aemter und seine ärztliche Praxis auf. Den Winter 1865/66 verlebte er in Italien, besuchte Florenz und Rom, und erfreute sich an der herrlichen Natur und den Kunstschätzen Italiens. Dann zog er in seine Vaterstadt Reval, wo er still und zurückgezogen von der Welt nur seinen wissenschaftlichen Studien lebte, bis er am 5. August 1869 sein irdisches Leben beschloß.

W. war eine hochbegabte, lebhafte Natur mit einem glühenden Interesse für die Wissenschaft: sein Jugendwunsch, dereinst als akademischer Lehrer, dem Beispiel seines Freundes Baer folgend, ganz sich der Wissenschaft widmen zu können, ging nicht in Erfüllung. In Dorpat fand sich nichts für ihn, und eine Stellung in Kasan, die ihm der Curator Magnitzky anbot, wollte ihm nicht zusagen. Neben seiner ärztlichen Praxis hat W. als Schriftsteller viel geleistet; seiner magnetischen Studien wurde bereits gedacht. Er hat noch während seines [596] Aufenthaltes in Berlin ein interessantes Büchlein verfaßt: „Paris und London für den Arzt, besonders in Rücksicht der öffentlichen Kranken- und Verpflegungsanstalten“ (1. Bändchen: Paris, mit Tab. u. 1 Kpf. St. Petersburg und Halle 1821, 238 S. Warum der 2. Theil: London, der handschriftlich fertig gestellt war, nicht zum Druck gelangt ist, weiß ich nicht). Während der Petersburger Zeit (1819–1865) hat W. eine Reihe von Abhandlungen über Kinderheilkunde in verschiedenen Journalen veröffentlicht. Außerdem aber entwickelte W. eine außerordentliche Thätigkeit in der Untersuchung der kleinsten Lebewesen, der Infusorien und verwandter Thierformen; er verbrachte nicht allein alle seine freie Zeit am Mikroskop, sondern benutzte diese Beschäftigung als eine Erholung von der angestrengten ärztlichen Thätigkeit. Doch betrieb er die Untersuchungen nicht zum bloßen Vergnügen, sondern zum Nutzen der Wissenschaft. Er ließ gegen 30 umfangreiche Abhandlungen über Infusorien u. s. w. in den Memoiren und dem Bulletin der St. Petersburger Akademie drucken; er beschrieb über 156 in St. Petersburg von ihm beobachtete Infusorien-Arten; er untersuchte den Badeschlamm von Staroja Rusa, Hapsal, Arenburg[1]. Noch im Jahr vor seinem Tode (1868) erschien seine letzte Arbeit: „Ob Thier ob Pflanze“, im Bulletin der Naturforscher-Gesellschaft zu Moskau, Bd. XLI. – Als Anerkennung für diese seine rein wissenschaftliche Thätigkeit war W. bereits 1855 von der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften zum correspondirenden Mitglied in der biologischen Section ernannt worden. Er war daneben vieler anderer gelehrten Gesellschaften Mitglied. Orden und Titel hatte er mehrere.

Recke-Napiersky, Schriftsteller-Lexikon IV. Mitau 1832. – Revaler Zeitung 1869. – Ein genaues Verzeichniß aller der naturwissenschaftlichen Abhandlungen Weiße’s findet sich im Tableau général des matières contenu dans les publications de l’académie impériale des Sciences à St. Petersbourg, 1er part. St. Petersburg 1872, Nr. 4128–4145, auf S. 25 718; seine medicinischen Schriften sind ziemlich vollständig angeführt in der St. Petersburger med. Zeitschrift XVI. 1869.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 596. Z. 16 v. o. l.: Staraja Russ–Arensburg. [Bd. 45, S. 676]