ADB:Wieland, Johann Sebastian

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Artikel „Wieland, Johann Sebastian“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 395–398, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wieland,_Johann_Sebastian&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 14:15 Uhr UTC)
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Wieland: Johann Sebastian W., Dichter, wurde am 9. Mai 1590 zu Klein-Gartach bei Heilbronn geboren, als Enkel und Sohn von Wirthschaftsführern der evangelischen Geistlichen eines engeren Bezirks. Seine Kindheit verbrachte er kurze Zeit am Kocher (wo?), dann in Brackenheim im Zabergau, wo er, nach dem frühen Tode der Eltern, durch einen Oheim behütet, bis zum 10. Jahre die Schule besuchte. Dann besuchte er etwa fünf Jahre die Lateinschulen zu Stuttgart und Adelberg, bezog 1604 das niedere Predigerseminar zu Maulbronn, [396] nach drei Jahren die Universität Tübingen, wo er vier Jahre Theologie studirte. 1611–13 amtirte er als Diakonus in Gruibingen, darauf bis 1627 als Pfarrer in Colstetten (jetzt Kohlstetten) auf der Alp, wo er, spätestens 1614, Margarete Ruof heirathete und Vater von sieben Kindern wurde. Hier entfaltete seine poetische Thätigkeit sich am fruchtbarsten; aber infolge der ärmlichen Verhältnisse, Abgelegenheit, mancherlei örtlichen Mängel und Conflicte mit seinen Gemeindekindern und nächsten Amtsbrüdern, eigner und der Familie Krankheit sehnte er sich fort und begrüßte daher freudig Frühling 1627 die Versetzung nach Ilsfeld, einem Dorfe an der Schotzach im württembergischen Neckarkreis, für die sein „Apobaterion“ den betreffenden Gönnern überschwänglich dankt. Der Eintrag im Ilsfelder Taufbuch vom 9. October 1635 ist das letzte Zeugniß von ihm. Ganz kurz danach ist er gestorben[1], wie aus Joh. Valentin Andreä’s „Vita“ (ed. Rheinwald, S. 160) hervorgeht, vielleicht wie viele Amtsbrüder von roher Soldateska ermordet oder von einer der damals wüthenden Seuchen weggerafft.

Mit einer religiösen Ueberzeugung, die ganz in der damals in Württemberg herrschenden Orthodoxie fußte, hatte W. Predigerseminar und Universität verlassen, und diese Richtung hat er in Wort, Schrift und That beibehalten, indem er namentlich dem damals arg wuchernden Sectenwesen entgegentrat. Allerdings hat er soweit als möglich sich eine selbständige Erkenntniß der Dogmenfragen und der die Zeit aufwühlenden confessionellen Streitprobleme zu erwerben gesucht, so daß er sogar auf den viel verketzerten Johannes Arnd (s. d.), der bekanntlich freieren Ansichten huldigte, 1619 bez. 1627 rühmende Anagramme verfertigt hat. Auch beweisen manche Stellen seiner Prosaschriften, daß das Erbauliche bei ihm voranstand und Buchstabenklauberei im Sinne der üblichen theologischen Polemik nicht seine Neigung war. Uebrigens berühren seine Dichtungen derartige Dinge recht wenig.

Die 17 nachweisbaren Werke Wieland’s dürften in dieser Reihenfolge zu ordnen sein: „Horologium oder Geistlichs Schlag Vhrlein“ (1618), „TIBICINES IRRIDENTES; Sub quibus Satyrico stilo dammnat Principium: nihil credendum, quod repugnat rationi“ (Januar 1619), „MELISSA Satyricâ virtute lethargum expellens, et ad vigilantiam laboris provocans“ (1619?), „Amor Mundi QUI EST OLLARIS SATYRI cé repraesentatus“ (1619), „AMETHYSTUS; Contines Satyram sobriam adversus cohortem ebriam“ (1619/20), „Apes“ (c. 1619/20), „Elegiarum Liber“ (1624), Cultus amarus ABRAHAMI SCVLTETI; Cujus subdolum principium sub duplici Anagrammate Satyrâ reprehendit; et Epigrammatum coronidem apposuit, AD Lucam Osiandrum, D.“ (1625), „Vrach: Das ist, Warhafftige, Nutzliche, Lustige Beschreibung, der Weitberüembten Statt Vrach an der Alp, im hochlöblichen Herzogthumb Würtemberg gelegen, darinnen neben allerhand Poetischen Erfindungen vermeldet, wie sie mehisten theils heutigs Tages Beschaffen seye. Auß Liebe gegen dem Vatterland, Danckbarkeit gegen der Statt, vnnd fortpflantzung der Löblicher Teutscher Sprache durch die Poeterey, mit newen, doch nicht fast jedermeniglichen Bekandten Teutschen Versen“ (1626), „Ein Teutsch Poetisch Newes Kunst Stückle, Vber dem Namen: Johannes Friderich, Hertzog zu Wirtemberg vnd Teckh: Graafe zu Mümpelgartt, vndt Herr zu Heydenheim. … Erklärung. Mit Newen vnd auff die Art der Frantzösischen Versen …“ (1626), „De PATIENTIA Liber Singularis, QUI FUNDAMENTATAM IN PRIVATIS, quam publicis calamitatibus continet“ (1626), „Euphemia“ (vielleicht 1619?), zuerst erwähnt in „Apobaterion“ (1627). „SORTILEGIA LYCOPHRONTICA, QUAE PER SABINORUM SOMNIA, varia Anagrammata ex nominibus virorum clariorum exhibent. His accesserunt eodem colligente, MARCI DOLMETSCHI [397] SECRETARI WIR tomb. V.C. Anagrammata. Epigrammata. Chronosticha“ (1627), „Sterbstündlein; Das ist Christliche Trostbüchlin den Stunden nach. Bey denen zu gebrauchen, so avß diser welt abscheiden wollen, das sie seliglich der Welt abgnaden vnd zu Gott kommen mögen. Zusammengetragen durch …“ (1628), „Geistliches Wolleben, In Andächtigen Gebeten, Allein auß den Worten deß Lebens vnnd Heylbrunnen Israels, für verfolgte Christen, auch die, so vmb der allein seligmachenden Religion, in höchsten Sorgen stehen“ (1630), „Der Held Von Mitternacht: Das ist, der Aller durchleuchtigste, Großmächtigste, Fürst vnd Herr, Herr GUSTAV ADOLPHUS, Von Gottes Gnaden, der Schweden, Gothen vnd Wenden König, Groß-Fürst in Finnland; Hertzog zu Ehesten vnd Carelen. Herr zu Ingermanland etc. Ein Glorwürdigster Erhalter der Evangelischen Religion, vnd ein Heldenmüthiger Widerbringer der Teutschen Freyheit, Welcher In der Blutigen Schlacht bey Lützen, zwo Meyl Wegs von Leipzig, den 6. Novembris An. 1632. Sein Königliches Blut vergossen, Leib vnd Leben zugesetzt, vnd seine H. Seel vnserm Herren JEsu Christo auffgeopfert hat, aller-Christlichst-hochseeligster Gedächtniß. Mit newen Teutschen Versen, nach Art der Frantzösischen, zur vnderthänigster Ehrentbietung, schuldigster Danckbarkeit, vnd Ewigem Angedencken, Beschrieben“ (1633).

Andere Erzeugnisse erwähnt W. nicht, hat also, da er auf bereits erschienene rückzuverweisen liebt, auch kaum mehrere weitere herausgegeben. Er muß den Titel eines kaiserlichen Poeta Laureatus vor 1619 empfangen, somit sich vorher schon durch entsprechende Leistungen hervorgethan haben, da er den Zusatz Matthia–Caesareus führt und Kaiser Matthias Anfang 1619 starb; dies ward bisher ebensowenig beachtet wie seine verkürzte Bezeichnung „M. et P. Coronatum“ auf dem letzten, scharf protestantischen Werke. Der Inhalt der einzelnen geht aus den Aufschriften meistens zur Genüge hervor, braucht uns übrigens für die lateinischen hier wenig zu kümmern; er ist ziemlich sorgfältig analysirt in der erst grundlegenden Leipziger Dissertation K. M. Schiefer’s, „Johann Sebastian Wieland’s Leben und Werke mit besonderer Berücksichtigung seiner deutschen Verskunst“ (1892), die überhaupt Biographie, bibliographische und litterar-historische Würdigung zuerst auf festen Boden stellt, so daß für alle Einzelheiten auf sie verwiesen sei.

Schon als lateinischer Dichter steht W. tief genug, noch tiefer aber mit seinen Versuchen in der Muttersprache, und es entschuldigt ihn nur schwach, daß er beiderseits ohne unmittelbar vorschwebende Muster gearbeitet zu haben scheint. In Gedanken und Ausdruck schwunglos, oft geradezu armselig, in der Form ungelenk, in ästhetischer Hinsicht bisweilen derb bis zur Rohheit, darf sich W. nicht über die heutige Censur „ein recht unbedeutender Dichter“ (Reifferscheid: Jhsber. f. neuere d. Littgesch. 3. Bd., III 1, 79) beschweren. Allerdings mangelt ihm Gefühl, lebensvolle Erfassung und Schilderung, auch eine leise launige Anwandlung nicht, weshalb er zur Satire, der zunächst fast allein gepflegten Gattung, Anlage besitzt; aber jeder einigermaßen erhabenere Ton, jede Spur wirklicher Gestaltungskraft, Composition und Harmonie fehlen ihm gänzlich. Interesse verdient dagegen die unabhängige, freilich in der Hauptsache geringes Verständniß bezeugende Art, wie sein deutschsprachliches Dichten seit dem Erscheinen von Martin Opitz’ „Poeterey“ mit den Erfordernissen einer modernen Metrik ins Reine zu kommen unternahm. Schiefer’s genannte Monographie S. 41–64 hat diese Sache genau betrachtet und stellt fest, daß W. zwar schon bei Abfassung des „Urach“-Gedichts Opitz’ Regelnfixirung gekannt, aber seine Alexandriner keinem bestimmten ältern Poem nachgebildet, vielleicht überhaupt solche gar nicht einmal gekannt habe, sondern von seinem Freunde Besold mit [398] der Aufforderung, dieses neue Maß zu üben, über dessen wesentliche Structur unterrichtet, sein Wissen vom Bau des Acht- bez. Neunsilblers auf den des Zwölf- bez. Dreizehnsilblers übertragen hat. Außerdem wandte W. das Princip der Silbenzählung mit weitester Licenz für Cäsur und Reim an, ungebundener als irgend ein Vorläufer, insbesondere den im Volks- und volksthümlichen Kirchenliede durch die Melodie ausgeglichenen Gebrauch von Assonanzen und Senkungsreimen für den echten weiblichen Reim. Natürlich ist es kein Wunder, wenn bei solcher Willkür scheinbar regellose, mißklingende metrische Gebilde entstanden. Als Figur eines Uebergangsabschnitts, die eben Träger solch unausgegohrener Exercitien war, ist Wieland’s Erscheinung, litterarisch ohne jeden Anreiz, immerhin nicht uninteressant. Was W. Menzel (Gesch. d. d. Dchtg. II, 143), Lemcke (Gesch. d. d. Dchtg. von Opitz bis Klopstock, S. 320) u. a. selbst Goedeke (Grundriß z. G. d. d. Dchtg.2 III, 242) notizenartig über W. sagten, darf jetzt neben Schiefer’s Gesammtbehandlung, in der übrigens noch etliche Exemplare (Berlin u. a.) zu verzeichnen waren, nicht einmal mehr den Werth des Registrirens beanspruchen.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 396. Z. 12 v. o.: J. S. Wieland † 25. Juli 1635 in Ilsfeld. [Bd. 55, S. 894]