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ADB:Wirsing, Rudolf

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Artikel „Wirsing, Rudolf“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 520–521, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wirsing,_Rudolf&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 12:13 Uhr UTC)
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Wirsing: Rudolf W., Schauspieler, Sänger und Theaterdirector, geboren ca. 1824, stammte aus Dresden, wo sein Vater Hofarchivar und Geheimrath war. Er erhielt dem Stande seines Vaters entsprechend im Kloster Donndorf eine vornehme Erziehung und wandte sich nach Absolvirung seiner Gymnasialstudien nach Leipzig, wo er Jurisprudenz studiren sollte. Indessen sagte ihm die trockene Wissenschaft nicht zu, sondern er wünschte zum Militär überzugehen und Officier zu werden. Da jedoch sein Vater gegen diesen Plan Einspruch erhob, wurde er Schauspieler. Die näheren Umstände seines Berufswechsels sind aber nie bekannt geworden, da sich W. darüber ausschwieg. Er soll angeblich in Wien und Brünn als Baritonist aufgetreten sein. Später taucht er in Magdeburg auf, wo er als Concert- und Capellmeister am Stadttheater thätig war. Von dort aus wurde er vom 1. Januar 1849 an vom Stadtrath zu Leipzig zum Director des Leipziger Stadttheaters berufen, das unter seiner Leitung eine Glanzperiode erlebte, obwol es ihm namentlich im Anfang an den nöthigen Mitteln fehlte und er in die peinlichsten Vermögenscalamitäten gerieth, aus denen er sich nur mit den größten Anstrengungen herausarbeitete. Er hielt auf ein gutes und vollständiges Schauspiel- und Opernensemble und war einer der ersten Bühnenvorstände in Deutschland, welcher Wagner’s „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ aufführen ließ und sich der Stücke von Gutzkow und der Birch-Pfeiffer annahm. Eine besondere Vorliebe aber zeigte er für Gastspiele, die während seiner Leipziger Direction nicht abrissen. Unter anderen trat gleich im Anfang derselben, im September 1850, die berühmte Rachel mit einer französischen Gesellschaft in Leipzig auf. Nach sechzehnjähriger ersprießlicher Thätigkeit verließ W. im Jahre 1864 Leipzig, um die ihm angebotene Leitung des Deutschen Landestheaters in Prag zu übernehmen, dessen Reorganisation er mit großen Schwierigkeiten, aber auch mit entschiedenem Erfolg durchführte, wobei ihn Emil Claar als Oberregisseur wesentlich unterstützte. Er hob die Repertoireverhältnisse des Schauspiels, pflegte das classische deutsche Schauspiel und die Werke Shakespeare’s und förderte die Arbeiten der zeitgenössischen Dichter, ohne die ausländische dramatische Production, namentlich die der Franzosen, zu vernachlässigen. Die gleichen Verdienste erwarb er sich um die Oper, die ihm besonders am Herzen lag. Man erkannte dies auch in Prag an und übertrug ihm nach Ablauf seines sechsjährigen Vertrags die Direction ohne Ausschreibung eines Wettbewerbs auf weitere sechs Jahre. Trotzdem erfolgte kurz vor Ablauf seiner zweiten Directionsperiode im J. 1875 ein ordnungsmäßiger Concurs, an dem sich W., vielleicht in der Erwartung, daß man ihm das Directionsscepter lassen würde, nicht betheiligte. Als jedoch Eduard Kreibig, der bisherige Director des Grazer Landestheaters gewählt wurde, mußte W. zurücktreten und verabschiedete sich am 9. April 1876 vom Publicum, das ihm lebhafte Ovationen bereitete. Er übernahm hierauf die artistische Direction des tschechischen Landestheaters in Prag, das durch schlechte Leitung heruntergekommen war, und wußte auch hier bessere Zustände herbeizuführen, obwol ihm als Deutschen viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden. Als dann im J. 1877 eine Einigung [521] der einzelnen tschechischen Theaterconsortien zu Stande kam, ließ sich W. auf die ihm angebotene Erneuerung seines Vertrages nicht ein, da er sich als Leiter der ersten Bühne einer Nation, deren Sprache er nicht verstand, in einer schiefen Lage befand. Er beabsichtigte nunmehr sich zur Ruhe zu setzen, änderte aber seinen Entschluß und bewarb sich um die Direction des Breslauer Stadttheaters, die er auch erhielt. Doch konnte er die Saison selbst nicht eröffnen, da ihn eine lange, schmerzliche Krankheit in Prag zurückhielt, wo er am 9. October 1878 in seiner Villa am Paradiesgarten im 64. Lebensjahre starb. „Ein künstlerisch denkender, vielerfahrener Bühnenleiter, der auf glänzende, in wechselnder Stellung errungene Erfolge zurückblicken konnte, war in ihm aus dem Leben geschieden“. – W. hat sich auch als Schriftsteller versucht, indem er im J. 1862 ein dem König Johann von Sachsen gewidmetes Werk über das deutsche Theater herausgab, in dem er volles Verständniß für die Bedürfnisse der Bühne und geläuterte Kunstanschauungen an den Tag legte. (Vgl. Das deutsche Theater. Eine Darstellung der gegenwärtigen Theaterzustände nebst Andeutungen zu einer zweckmäßigen Reform und Bühnenleitung. Leipzig 1862.)

Vgl. E. Kneschke, Zur Geschichte des Theaters und der Musik in Leipzig. Leipzig 1864. S. 146–158. – Deutscher Bühnen-Almanach. Hrsg. von A. Entsch. Berlin 1879. XLIII, 166–169. – G. H. Müller, Das Stadttheater zu Leipzig. Leipzig 1887. S. 10–17. – O. Teuber, Geschichte des Prager Theaters. Prag 1888. III, 585–690.