Zum Inhalt springen

ADB:Gutzkow, Karl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gutzkow, Karl Ferdinand“ von Johannes Proelß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 227–236, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gutzkow,_Karl&oldid=- (Version vom 14. Dezember 2024, 19:55 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Guttenberger, Georg
Nächster>>>
Gützlaff, Karl
Band 10 (1879), S. 227–236 (Quelle).
Karl Gutzkow bei Wikisource
Karl Gutzkow in der Wikipedia
Karl Gutzkow in Wikidata
GND-Nummer 118543830
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|10|227|236|Gutzkow, Karl Ferdinand|Johannes Proelß|ADB:Gutzkow, Karl}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118543830}}    

Gutzkow: Karl Ferdinand G., der hervorragendste Vertreter der modernen Aera unserer Litteratur; in deren Sturm- und Drangperiode, dem vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, der talentvollste Verfechter der neuzeitlichen Ideen, darauf als Dramatiker der erfolgreiche Neuerer eines nationalen Bühnenlebens, in den fünfziger Jahren der Schöpfer des modernen Zeitromans, hat er im Laufe einer ein halbes Jahrhundert umspannenden, äußerst fruchtbaren litterarischen Thätigkeit den eigenthümlichen Geist seiner Zeit in seinen, allen Gattungen des litterarischen und dichterischen Schaffens angehörenden Werken zu geistvollem, umfassendem und dauerndem Ausdruck gebracht. Ein Sohn des Volks, wurde er in Berlin am 17. März 1811 als Kind eines prinzlichen Stallbeamten, der [228] später eine Subalternstelle im Kriegsministerium bekleidete, geboren, wuchs unter kümmerlichen, jedoch poetisch und geistig anregenden Verhältnissen auf, besuchte 1821–29 das Friedrich Werder’sche Gymnasium mit Auszeichnung und studirte dann auf der Universität seiner Vaterstadt, besonders von Schleiermacher und Hegel beeinflußt, Theologie und Philosophie. Ein heimathliches Pastorat war sein Ziel. Doch frühe schon folgte er, während er einerseits die Freiheit der akademischen Jugend mit vollen Zügen genoß (er war Mitglied einer heimlich bestehenden Burschenschaft – societas bibatoria –) und die ersten leidenschaftlichen Herzensconflicte durchkämpfte (die wie bei Goethe einen Theil seiner dichterischen Production bestimmend beeinflußten), anderntheils mit Eifer selbständigen Studien oblag und durch Stundengeben seinen Eltern die Last seines Unterhalts erleichterte, seinen schöngeistigen und publicistischen Neigungen. Bestimmend für seine Lebensrichtung wurde der mächtige Eindruck, den die Nachricht von dem Ausbruch der Juli-Revolution in Frankreich (1830) und die geistige Bewegung, welche diese in Deutschland hervorrief, auch auf ihn machte. Die Lehren eines Lamennais, St. Simon, welche eine Reform der ganzen Gesellschaft predigten, nahmen die aus dem Schlummer erweckten jungen Köpfe gefangen. G. erhielt die Kunde von der Pariser Bewegung, als er gerade mit einer Preisschrift „De diis fatalibus“ den Sieg davon getragen hatte. Die Werke der Alten vertauschte er mit der Zeitung, er ward Publicist. Schon als Primaner hatte er eine geschriebene Zeitschrift gegründet, die unter den Genossen circulirte, 1831 gründete er jetzt als Student das „Forum der Journallitteratur, eine antikritische Quartalschrift“, von welcher drei Hefte erschienen, deren erstes einen Aufsatz „Wolfgang Menzel und die über ihn ergangenen Urtheile“ enthielt. Hierdurch wurde der damals als kritischer Dictator gefürchtete Redacteur des Cotta’schen „Litteraturblatts“ auf ihn aufmerksam und da derselbe als Mitglied der würtembergischen Kammer in seiner Zeit bedrängt war und eine redactionelle Hülfe bedurfte, rief er als solche die junge Kraft zu sich nach Stuttgart. Die Conflicte nicht achtend, in die er durch die Aufgabe seiner theologischen Laufbahn zu seinen Eltern und der Familie einer Braut gerieth, folgte G. dem Rufe. Seine Stellung bannte ihn nicht dauernd in die Schwabenhauptstadt, zu deren lyrischen Größen er in kein rechtes Verhältniß zu treten vermochte, und so sehen wir den inzwischen in Jena zum Dr. phil. Creirten während der nächsten zwei Jahre in Heidelberg, dann in München philosophischen Studien obliegen, sehen ihn Leipzig, Berlin, Hamburg besuchen, wichtige Bekanntschaften machend oder befestigend, vor Allem mit H. Laube, Th. Mundt, Wienbarg, den Männern des „jungen Deutschland“, wie der Letztgenannte die von ihnen vertretene geistig-revolutionäre Richtung in der Widmung seiner „Aesthetischen Feldzüge“ getauft hat. Der Bund mit Menzel, wegen der Verschiedenheit der Naturen an sich nicht haltbar, wurde durch die neuen Beziehungen bald gelockert und G. durch den Einfluß Laube’s, mit dem er im Sommer 1833 eine Reise durch Italien und Oesterreich gemacht hatte, im Winter dieses Jahres dahin gebracht, dasselbe definitiv zu kündigen. So kam es, daß das Lob, welches die jeanpaulisirenden „Briefe eines Narren an eine Närrin“ (Hamb. 1832) und der tibetanische Zustände schildernde, dem Kern nach metaphysische, der Stimmung nach ironische Roman „Maha Guru, Geschichte eines Gottes“ (Stuttg. 1833) bei Menzel gefunden hatte, für die spätere Production des Dichters in die unversöhnlichste Ablehnung umschlug, was sich dem Dichter sehr bald empfindlich fühlbar machen sollte. Kaum hatte er nämlich seinen durch den Freitod der Charlotte Stieglitz und ein eigenes Erlebniß angeregten, in seinem revolutionären Ideengehalt gegen die herrschenden Institutionen der Ehe und des Glaubens gerichteten Roman „Wally oder die Zweiflerin“ (Mannheim 1835; Gesamm. Schriften Bd. IV u. d. T.: „Vergangene [229] Tage“) herausgegeben, als Menzel denselben nicht nur einer vernichtenden, feindseligen Kritik unterzog, sondern in dieser auch die Regierungen direkt aufforderte, ein solches abscheuliches Attentat gegen die christliche Religion mit strafender Strenge zu ahnden. Das Metternich’sche Regierungssystem war damals nur zu bereit, mit Einkerkerungen, Bücherverboten, Ausweisungen jede freiere Regung der Geister zu unterdrücken und so war der Fall nicht nur ein willkommener Anlaß, die Wally zu confisciren und deren Autor (trotz der Rechtfertigung durch den greisen Kirchenrath Paulus) wegen der durch die Presse begangenen verächtlichen Darstellung des Glaubens der christlichen Religionsgesellschaften drei Monate (in Mannheim) gefangen zu setzen, sondern auch durch Bundestagsbeschluß alle Schriften des sogenannten „jungen Deutschland“, unter welcher imaginären Bezeichnung man Laube, Mundt, Kühne, Wienbarg und G. verstand, zu unterdrücken, ja in Preußen sogar Diejenigen, welche G. in Zukunft noch schreiben würde. Ein harter Schlag für den auf seine Feder angewiesenen Berufsschriftsteller! Er hatte sich vor Kurzem in Frankfurt a. M. niedergelassen, wo er ein kritisches Beiblatt zu Duller’s Phönix redigirte, und hatte sich sogar mit einer jungen Frankfurterin, Amalie Klönne, verlobt, welche in dieser Zeit der Acht und Verketzerung, die ihn auch gesellschaftlich traf, treu zu ihm stand und die er nach seiner Entlassung aus dem Mannheimer Gefängniß auch heirathete. Hier hatte er sich in der Einsamkeit durch die Schrift „Zur Philosophie der Geschichte“ mit dem Hegel’schen System auseinander gesetzt. Er ließ dieselbe im Verlag von Hoffmann & Campe in Hamburg (1836) erscheinen, der an den Werken Boerne’s und Heine’s in der Umgehung der Bücherverbote schon einige Uebung erlangt hatte, ebendort gelangten auch Gutzkow’s nächste Schriften zur Ausgabe. Die Schrift „Ueber Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte“ konnte dagegen unbeanstandet noch im selben Jahre in Berlin erscheinen. Ein großes periodisches Unternehmen, das er mit Wienbarg und dem Verlagsbuchhändler Dr. Karl Loening geplant hatte, die „Deutsche Revue“, wurde durch den Wetterschlag des Bundestagsbeschlusses im Keime erstickt, ein ähnlicher Versuch in kleinerem Maßstab scheiterte, erst der „Telegraph für Deutschland“ (1837–42) faßte Wurzel, gedieh aber auch erst dann, als er in den genannten Hamburger Verlag überging und G. selbst ihm im Herbst 1837 in die alte Hansestadt folgte. Hier blieb er mit kurzen Unterbrechungen bis 1842, vielfach getrennt von seiner Frau, die dann im Hause der Mutter zu Frankfurt weilte. Neben der Redaction war er ununterbrochen productiv beschäftigt. Wie er schon 1835 den Band „Oeffentliche Charaktere“ hatte erscheinen lassen, so stellte er jetzt eine Sammlung verwandten Charakters, aber ungleich vertiefteren Gehalts unter dem Titel „Die Zeitgenossen“ zusammen und gab sie, um das Verbot zu umgehen, unter dem fingirten Namen Bulwer’s (Stuttg. 1837) heraus. 1838 folgten diesem Zeitgemälde in Charakterbildern, der aus dem eigenen Leben fast zu unmittelbar geschöpfte Roman „Seraphine“, dann eine Sammlung von Kritiken „Götter, Helden und Don Quixote“, der satyrische Roman „Blasedow und seine Söhne“, dessen Spitze besonders gegen die Theorie der Erziehung zu einem bestimmten Berufe gerichtet ist, und schließlich die politische Broschüre „Die rothe Mütze und die Kapuze“, welche in die Kölner Wirren eingriff und besonders gegen Görres gerichtet war. Eine Zeit des Kampfes mit geistigen Waffen ist überhaupt diese Sturm- und Drangperiode des Dichters; wie seine Schrift für Goethe gegen Menzel, so machte die Biographie „Boerne’s Leben“ (Hamb. 1840) Front gegen Heinrich Heine. Ziehen wir hierher gleich noch das Resultat eines längeren Aufenthalts in Paris, wo ihn die Empfehlungen der Familie Theresens von Bacheracht (an die ihn während der ersten Hälfte der vierziger Jahre ein Freundschaftsverhältniß intimster Art knüpfte) in die ersten Kreise der Politik und Litteratur einführten, die „Briefe aus Paris“ [230] (Leipzig 1842, Brockhaus) und seine dramatischen Anfänge, so haben wir den Theil seiner Werke aufgezählt, welcher die genannte Epoche seines Werdens repräsentirt (Gutzkow’s Gesamm. Werke, 12 Bde., Frankfurt a. M. 1845, 1846; 4. Ausg. 1878–79). Geistvolle Präludien zu der großen Symphonie des Jahrhunderts hat man sie passend genannt. Die Erörterung der Zeitideen ist in ihnen die Hauptsache, auch da, wo sie sich in dichterische Gewandung hüllte. Die poetische Intuition steht unter der Herrschaft einer grübelnden, sceptischen, nach Ausgleich ringenden Verstandesthätigkeit. Einflüsse der Schule Hegel’s, der französischen socialen Reformer, George Sand’s wie Jean Paul’s, ja hier und da der Romantiker, insbesondere auch der religiösen Stimmung seiner Jugend sind deutlich nachweisbar. Charakteristisch ist die Frühreife des urtheilenden Verstandes, welcher scheinbar mit allen Idealen zerfallen ist, der kecke Elan seiner Polemik, die treffende, in die Tiefe gehende Charakteristik von Menschen und Zuständen, der plastische, gedrungene und doch lebendige, in Bildern schwelgende Stil, sein wunderbarer Instinkt für alle Wandlungen der Zeitatmosphäre und ferner sein überraschendes positives Wissen auf beinahe allen Gebieten menschlichen Interesses. –

Diese auf geistvolle Bloßlegung und Darstellung des Waltens und Webens des Zeitgeistes gerichtete Absicht seines Schaffens ist zwar immer dieselbe geblieben, aber das dichterische Talent des Autors wußte sich später in immer kunstgemäßeren und unmittelbareren, aus der Welt der Anschauung geschöpften Gestaltungen zu bethätigen, mit dem geistigen Inhalt seiner Produkte einen gleich mächtigen poetischen zu verschmelzen. Gleichzeitig schärfte sich das in die Zukunft gerichtete und dort eine Versöhnung des Idealen mit dem Realen suchende Auge des Poeten. Daß das dichterische Talent in G. von Anfang an lebendig gewesen, das beweist allein schon der bereits 1832 veröffentlichte „Sadducäer von Amsterdam“, eine Erzählung von mächtigem Inhalt, feiner Charakterzeichnung, klassischer Composition und tiefer poetischer Wirkung. Die lyrische Anlage in G. finden wir in der humoristischen Stimmung, dem „latenten Humor“ seiner Prosa aufgelöst, doch auch in seinen wenigen lyrischen Gedichten charakteristisch ausgeprägt.

Der Fortschritt zeigt sich zunächst in seinen Arbeiten für die Bühne. Auf die genialischen Lesedramen „Nero“ (1834) und „König Saul“ (1838) folgte „Richard Savage“ (bürgerl. Trag.), mit dem es ihm gelang, der modernen Richtung die Bühne erfolgreich zu erobern (1. Auff. Frankfurt a. M., 18. Juli 1839). Ihr widmete er nun, zunächst mit Ausschließlichkeit, sein ganzes Talent. 1840 erschienen: „Werner oder Herz und Welt“ (Schausp.) und Patkul (Trag.), 1841: „Die Schule der Reichen“ (Lustsp.), 1842: „Ein weißes Blatt“ (Sch.), 1843: „Zopf und Schwert“ (Lustsp., entstand in Mailand), „Die beiden Auswanderer“ (Sch.), 1844: „Das Urbild des Tartüffe“ (Lustsp.), 1845: „Der 13. November“ (Sch.), und „Pugatschew“ (Tr.), 1846: „Uriel Akosta“ (Tr., entstand in Paris) und „Anonym“ (L.), 1848: „Ottfried“ (Sch.) und „Wullenweber“ (Tr.), 1849: „Liesli“ (Tr.) und „Der Königslieutenant“ (L.), 1853: „Fremdes Glück“ (L.) und „Philipp und Perez“ (Tr.), 1854: „Lenz und Söhne“ (L.), 1855: „Lorbeer und Myrthe“ (L.) und 1856: „Ella Rose“ (Sch.), (Gutzkow’s Dramat. Werke, 4 Bde. Leipz. 1845–47, 3. Aufl. Jena 1872). Rechnen wir hierzu noch die Gaben seines Alters: das Festspiel „Der Gefangene von Metz“ (1871) und das Lustspiel „Dschingischan“ (1875), sowie die Fragmente „Marino Falieri“ (Tr.) und „Gräfin Esther“ (Sch.), so ergeben sich als Summe seines dramatischen Schaffens 27 Stücke, die zwar nicht alle Treffer waren, aber von denen ein großer Theil zu einer höchst werthvollen Bereicherung des nationalen Theaters wurde. G. eroberte die Bühne einer unmittelbar aus [231] dem Leben quellenden Kunst zurück. Die in kraftlose Jambenrhetorik verfallenen Nachahmer Schiller’s, die der realen Welt abgewandte Ironie der Romantiker, die übertreibende Gewaltsamkeit eines Grabbe hatten das Bühnenleben nicht befruchten können. An die bürgerlichen Tragödien Schiller’s und Lessing’s anknüpfend, wußte G. die Welt der Bühne und des Lebens einander wieder zu nähern. Was Lefèvre im „Urbild des Tartüffe“ ausruft, bezeichnet seine eigenste Schaffensmaxime: „Die Bühne soll das Leben mit der Kunst, die Kunst mit dem Leben vermitteln. Stellt doch Menschen hin, die nicht vergangenen Jahrhunderten, sondern der Gegenwart; nicht den Assyriern und Babyloniern, nein, Euren Umgebungen entnommen sind!“ In der damaligen Zeit der Stagnation war dies eine erlösende That. Seine Begeisterung für die maßgebenden Ideen der Zeit, sein Spürsinn für den Zusammenhang und die Entwickelung der socialen und historischen Zustände kamen ihm nicht nur im bürgerlichen Schaupiel, sondern auch im historischen Trauerspiel und Lustspiel zu Statten. Nur wer ein warmes Verhältniß zu den Zuständen der eigenen Zeit unterhält, kann sich in die Zustände vergangener Zeiten so versetzen, daß er sie auch dramatisch oder überhaupt poetisch darzustellen vermag. So hat Gutzkow’s dramatische Produktion zunächst ihre Hauptbedeutung in der Wahl und der Aufgreifung des Stoffes sowie in der Charakteristik. Er brachte wirklich lebende, moderne Menschen auf die Bretter. Sein pointenreicher, farbensatter und geistvoller Dialog war eine weitere werthvolle Errungenschaft unserer Bühne. Seine wachsende Kenntniß der Technik ist der Wirkung seiner Stücke von wesentlichem Nutzen gewesen. Gutzkow’s Kunstverstand ist bewunderungswürdig, und da überhaupt die Phantasie und die Empfindung bei diesem kritischen, sceptischen Geiste, wie bei Voltaire, meist unter der Herrschaft des Verstandes standen, das Lustspiel aber diejenige Gattung ist, in der die menschlichen Handlungen vom Gesichtspunkt des Verstandes aus betrachtet und dargestellt werden, so hat gerade auf diesem Gebiet unseres Dichters Talent das ästhetisch Vollendetste geleistet. „Zopf und Schwert“ und „Das Urbild des Tartüffe“ sind classische Musterstücke. – Im Trauer- und Schauspiel verliert dagegen die Kunst des Dichters im Verlauf des Stückes öfter an Kraft. Die Exposition ist auch hier vortrefflich, die ersten Acte sind fast immer mustergültig; der weitere Ausbau hält dann aber nicht immer, was der Anfang versprach. Schuld daran trug neben dem Gesagten wol auch die Unruhe seines Geistes, der nie aufhörte, auf den verschiedensten Interessengebieten sich auf dem Laufenden zu halten. Oft mag ihn schon ein neuer Stoff zur dichterischen Gestaltung gelockt haben, da er noch mit dem Ausbau des alten nicht fertig war. Daher die vielen Ueberarbeitungen, die er später mit den Stücken vornahm, zu denen ihn oft freilich auch die Rücksicht auf die Bühne veranlaßte. Schuld daran war aber ferner der Trieb seiner Natur, die Kunst zu außer ihr liegenden, wenn auch edlen Zwecken zu benutzen. Der Ausruf Molière’s im „Urbild des Tartüffe“ ist hier bezeichnend: „In der Poesie suche ich eine Waffe zu finden für den Kampf der Aufklärung gegen die Lüge.“ Gegen die Mächte des Wahns, der Convenienz, der politischen und kirchlichen Unduldsamkeit sind alle seine Stücke gerichtet. Allerdings soll das Drama eine sittliche Wirkung ausüben, aber doch nur mittelbar durch die Wirkung der dargestellten Handlung, nicht unmittelbar durch in den Mund der Helden gelegte Reden, durch Episoden, welche an sich das Drama entbehren könnte. In G. schlummerte neben dem Poeten stets der Kämpfer für politischen, geistigen und religiösen Fortschritt. Der erwachte oft zur Unzeit und ergriff das Wort, wo es dem Dichter noch zukam. Seine Gestalten waren bewegt von den Problemen der Zeit – und das ist ihr großer unveräußerlicher Vorzug; sie debattirten aber auch über sie, und das ist ihr Fehler. Im Kampfe der Geister fochten sie mit: für die [232] Generation war dies heilsam und förderlich, mit Recht rühmt man, daß „damals höhere Wallungen, tiefere Gedanken, edlere Anregungen seit Jahren nicht von der Bühne herab vom Publikum empfangen worden“ sind (Karl Frenzel, s. u.), späteren gebildeten Generationen muß ein Theil dieser Gedanken und Mahnungen als Gemeinplatz und Allbekanntes erscheinen. Immerhin hatte der Dichter auch hier einen glücklichen Griff. Seine Probleme schöpfte er aus dem Leben, aus seinem eigenen unmittelbar, aber es waren fast durchgehends solche, welche noch sehr lange Zeit die Menschheit bewegen werden. Das Schwanken des Mannes zwischen einer alten und neuen Liebe, das er im „Werner“, in „Ein weißes Blatt“ und „Ottfried“ schildert, das Unterliegen eines Helden für Recht und Freiheit durch die Ränke der Diplomatie im „Patkul“, die tragische Ernte, welche im Undank der Kinder aus der Saat einer verkehrten Erziehung aufgeht: der Gegenstand der „Schule der Reichen“, der Kampf zwischen Rücksichten des Herzens und der Ueberzeugungstreue („Uriel Akosta“), zwischen der Liebe und der Ehre des Künstlers („Lorbeer und Myrthe“) sind beispielsweise tragische Verhältnisse, welche noch in unabsehbarer Ferne als frisch aus dem Leben gegriffene Probleme wirken müssen.

Während sich von Frankfurt a. M. und Hamburg aus Gutzkow’s Ruhm als dramatischer Dichter in Deutschland verbreitete und Darsteller wie Seydelmann, Emil Devrient, B. Dawison in seinen Rollen allerorts Beifall weckten, aber auch gleichzeitig die Schaar seiner ästhetischen und persönlichen Gegner ihn zum Gegenstand immer heftiger werdender Angriffe machte, lebte er, von Paris (1842) zurückgekehrt, hauptsächlich in Frankfurt, vielfach aber auf Reisen, bis der Erfolg seines „Uriel Akosta“ in Dresden (1846) der hauptsächlichste Anlaß ward seiner Berufung dorthin als Dramaturg an das königliche Theater durch den Intendanten von Lüttichau. Die dortigen Verhältnisse waren aber einem selbständigen Naturell wie das Gutzkow’s nicht günstig (vgl. Gutzkow’s „Rückblicke auf mein Leben“ [Berl. 1875] und Rob. Proelß, Gesch. des Hoftheaters zu Dresden [Dresd. 1878]). Die Märzrevolution traf ihn in Berlin, wo er mit Frau und Kindern bei Verwandten weilte. Während er drauf und dran war, sich praktisch an dem Aufschwung der Nation zu betheiligen – am 19. März hatte er, veranlaßt durch Fürst Lichnowski und Graf Arnim-Boytzenburg, vor dem königlichen Schloß eine Beschwichtigungsrede an die Massen gehalten, schon war er Mitglied eines vermittelnden Comité’s geworden – entzog ihn eine schwere Erkrankung und dann der Tod seiner Frau der Bewegung. Nur in zwei kleineren Schriften „Ansprache an das Volk“ und „Deutschland am Vorabend seines Falls und seiner Größe“ vermochte er seine Theilnahme zu bethätigen. Nach kurzem Aufenthalt in Warmbrunn kehrte er nach Dresden zurück, verlor aber, als dort in Folge des Maiaufstandes das Hoftheater aufgelöst wurde, seine Stelle, verbrachte das nächste Jahr in Frankfurt a. M., gegen dessen Ende er mit einer Tochter des bekannten Buchhändlers, Bertha Meidinger, einer Cousine seiner ersten Frau, die ihm drei Söhne geschenkt hatte, eine zweite Ehe einging. Bald darauf ging er wieder nach Dresden zurück, um hier bis 1861 die vielleicht glücklichste Periode seines Daseins zu erleben. In diese fällt die Entstehung seiner beiden größten und bedeutendsten Schöpfungen, der culturhistorischen Zeitromane „Die Ritter vom Geiste“ (Leipz. 1850–52, 9 Bde.; 5. Aufl. Berl. 1870, 4 Bde.) und „Der Zauberer von Rom“ (Leipz. 1858–61, 9 Bde., 4. Aufl. Berl. 1872, 4 Bde.).

Der Uebergang Gutzkow’s zu dieser Gattung, zum breitangelegten Zeitroman nationalen Charakters war naturgemäß. Die dramatische Thätigkeit hatte ihm nicht allein eine feindselige Kritik und die Erfolglosigkeit seiner späteren Dramen verleidet. Seine von der Betrachtung des Lebens geregelte ästhetische Anschauung [233] hatte das ungenügende der dramatischen Form für seine höchsten Zwecke, die er in der Poesie verfolgte, erkannt. „Von je hat sich mein kritisches Gewissen“, sagt er (Rückblicke S. 280), „gegen die absolute Continuität in den Facten einer Erzählung gesträubt.“ In der irritirenden Beeinflussung des Willens und unserer Handlungsweise durch Umstände und Umgebungen schien ihm das Komische und das Tragische der modernen Lebensverkettung zu liegen. In einer Zeit, wo die gesellschaftlichen Verhältnisse in ganz anderer Weise wie früher zusammengerüttelt sind, wo die Bedeutung der Oeffentlichkeit eine dominirende geworden, wo die Leichtigkeit des Reisens, des Verkehrs, die Entwickelung der Presse jeden Einzelnen in eine Fülle von Beziehungen bringt, die früher nur das Privilegium weniger Bevorzugter waren, mußte der Schwerpunkt in einem Gemälde der Zeit auf das zufällig in einandergreifende „Nebeneinander“ der Lebensverhältnisse Vieler, statt wie im Drama und in den früheren Memoirenromanen, auf die in der Zeit sich wandelnden Schicksale einer Person gelegt werden. Dies der Sinn seines Ausdrucks „Der Roman des Nebeneinander“. Die Größe der willensgewaltigen Helden, die wir in den Dramen der Alten, früherer Jahrhunderte mehr anstaunen als bewundern, bringt zudem unsere Zeit nicht hervor. Nicht zufällig sind Hamlet und der Faust des ersten Theils ihre Lieblingshelden, die „problematische Natur“ ist der Held der modernen Gesellschaft. Jener Dualismus des Innern, der in Faust’s Seufzer „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“ Ausdruck findet, ist in unseren Tagen meist das tragische Schicksal des edlen strebenden Charakters, seine tragische Schuld jene falsche Rücksicht, welche nach Hamlet’s Worten Unternehmungen von Mark und Nachdruck aus ihrer Bahn lenkt und der gesunden Farbe der Entschließung des Gedankens Blässe ankränkelt. Die „gemischten Charaktere“, welche die Helden von Gutzkow’s Dramen bilden, können in der That besser, treffender, wahrer in dem breiten Rahmen des Romans als in dem festen Gefuge des Drama’s dargestellt werden.

Die „Ritter vom Geiste“ spielen hauptsächlich in Berlin. Sie knüpfen an die großartigen Geheimbünde früherer Jahrhunderte an, – wie ähnliche Anklänge sich in Goethe’s „Wilhelm Meister“ und Jean Paul’s „Unsichtbarer Loge“ finden –, welche, erhaben über den Spaltungen der Gesellschaft, das Ideal der Humanität mit Zuhülfenahme mystischer Geheimnisse zu verwirklichen suchten. Die „Ritter vom Geiste“ wollen dies mit Verzicht auf diese erreichen. Ihre Bewegung entsteht in Opposition zu der dumpfen Schwüle der preußischen Reactionsperiode nach der 48er Bewegung. Alle Probleme der modernen Zeit, Vertreter aller Stände werden in diese verwickelt. Wie es die Sache des Dichters hier nur sein konnte bei Zugrundelegung ganz realer, direct aus der Zeitgeschichte – oft mit Porträttreue – herausgegriffener Verhältnisse und Personen die Ausführung dieser aus protestantischem Geiste geborenen Idee eines geistigen Ritterbundes im Dienste der Humanität prophetisch der Zukunft zuzuweisen, so schließt auch die andere große Dichtung „Der Zauberer von Rom“, welche eine verwandte humanitäre Bewegung in die katholische Hälfte des Vaterlandes verlegt, nur mit einem Fingerzeig auf die Möglichkeit einer Lösung des großen welthistorischen Problems der Versöhnung der lateinischen und germanischen Welt. Am Schlusse derselben legt der letzte Papst die Reform der Kirche im Geiste der reinen Liebe und Menschlichkeit in die Hände eines allgemeinen Concils. In beiden Culturgemälden, deren Schöpfer mit sicherstem Pinsel die Farben dem unmittelbaren Leben entlehnte, wird uns die Stimmung als vorhanden nachgewiesen, aus der heraus die erstrebten humanitären Reformen sich entwickeln könnten. Beide Romane gehören zu den gedankenreichsten, lebensvollsten der Gattung, sie sind durch und durch originelle Gebilde einer mächtigen, umfassenden Gestaltungskraft, [234] von poetischem Gehalt, idealer Richtung und dauerndem culturhistorischen Werthe. Daß die Composition dieser neunbändigen Schöpfungen nicht überall mustergültig, war bei dem Umfang derselben kaum zu vermeiden. Der Stoff sprengte die Form. – Während der Zeit dieser großartigen Schaffensperiode war G. (1852–62) auch als Herausgeber eines vorzüglichen Unterhaltungsblattes „Unterhaltungen am häuslichen Heerd“ (Leipz., Brockhaus) thätig. Beide Romane fanden sehr lebhafte Theilnahme und machten den Autor im besten Sinne populär. Doch selbst solche Erfolge vermochten den deutschen Berufsschriftsteller nicht von erneuten Nahrungssorgen zu befreien und, obwol ermattet, mußte er sogleich zu frischer Anstrengung schreiten; ein historischer Stoff, verquickt mit der deutschen Reformation, fesselte ihn zunächst. Welche geistige Erschöpfung die Produktion eines so vielgestaltigen, von dämonischen Zügen, aufregenden Scenen, geistvollsten Untersuchungen durchwirkten Werkes wie „Der Zauber von Rom“ hervorbringen mußte, wird selbst derjenige Leser ahnen, der keinen Begriff von der aufregenden Natur des ächten dichterischen Schaffens hat. 1861, kurz nach Beendigung des Werkes, war er nach Weimar als Generalsecretär (500 Thaler Gehalt) der von ihm mitbegründeten Schillerstiftung gegangen. Der neue Aufenthalt enttäuschte ihn in mehr als einer Beziehung. Seine Position in der kleinen Residenz stellte an seine Mittel Anforderungen, denen diese nicht entsprachen. Sein Selbstgefühl als Autor machte ihm das abhängige Verhältniß zu dem Präsidenten der Stiftung, Dingelstedt, unerträglich. Das beständige Ringen und Arbeiten, die kleine Misere des schriftstellerischen Kampfes um’s Dasein hatten ohnedies sein Nervensystem erschüttert. Kleinliche Chicanen, seine höchst angreifende Thätigkeit als Secretär, die Sorge um die Zukunft, um die Seinen rieben ihn auf. Neue kritische Angriffe befestigten in ihm den Glauben an eine geheime Verschwörung gegen ihn. Körperliches Leiden gesellte sich dazu. Ruhelos trieb er sich umher. So kam die Katastrophe von Friedberg heran: am 15. Januar 1865 versuchte er sich daselbst den Qualen trübsinniger Wahnvorstellungen mit Hülfe eines Dolches zu entziehen. Glücklicher Weise ohne Erfolg. Ein Aufenthalt von wenigen Monaten in der Heilanstalt des Dr. Falco zu Gilgenberg bei Baireuth stellte ihn geistig wie körperlich wieder her. Das Ereigniß brachte der Nation zum Bewußtsein, was sie in G. besaß. Freunde in Dresden, Berlin und anderen Städten veranlaßten Aufführungen, Sammlungen zu seinem Besten, so daß man den Genesenen mit Ueberweisung eines stattlichen Gutzkow-Fonds erfreuen konnte. Im Herbste 1865 kehrte er in den Schooß seiner Familie zurück und verbrachte den Winter in Vevey, dann schlug er sein Domicil zu Kesselstadt bei Hanau auf. 1867–68 erschien dann sein historischer Roman „Hohenschwangau“ (5 Bde.), ein von der nationalen Einheitsidee durchdrungenes Gemälde des deutschen Reformationszeitalters. Es wäre jetzt Sache der berufenen Instanzen gewesen, einem Dichter von Gutzkow’s Bedeutung eine öffentliche gesicherte Stellung zu bieten und damit die fernere beständige Sorge um die Existenz von ihm fern zu halten. Sich darum zu bewerben, widersprach seinem unabhängigen Sinn, kam ihm nicht zu. So unterblieb es, und von Neuem mußte er sich in die Wogen aufreibender, litterarischer Arbeit stürzen. Sein Nervensystem war und blieb erschüttert, ein Augenleiden (kurzsichtig war er von Klein auf) steigerte sich bis zur Erblindung des einen. So kommt es, daß die Schlußperiode seines Lebens von Erbitterung, Gereiztheit, erneuten Ausbrüchen von Verfolgungswahn getrübt ist, die seines litterarischen Schaffens die Anzeichen erschlaffender Schaffensfreude und Gestaltungskraft trägt. Man merkt den Romanen „Die Söhne Pestalozzi’s“ (Berl. 1870, 3 Bde.), „Fritz Ellrodt“ (1870), „Die neuen Serapionsbrüder“ (Bresl. 1875, 3 Bde.), den in den „Lebensbildern“ (Stuttg. 1870, 3 Bde.) gesammelten Novellen, seinen Aufsätzen, Reiseskizzen, Anregungen, Erinnerungen, seinen „Rückblicken“ [235] die Hast der Production, die Abnahme der geistigen Schärfe, eine Verwilderung des Geschmacks an, so viel des Geistvollen und Interessanten sich in all diesen, zum Theil nur der Nothdurft des Lebens zu Liebe geschriebenen Arbeiten findet. Seine litterarische Streitschrift „Dionysius Longinus“ (Stuttg. 1878) ist ein betrübliches Zeugniß seines überreizten Verhältnisses zu Menschen und Zuständen. 1868 war er nach Berlin gegangen, ohne jedoch in seiner Vaterstadt die Stellung gewinnen zu können, die er erhofft hatte. Mit seiner Verbitterung wuchs sein Nervenleiden. Zur Heilung verbrachte er den Winter 1873–74 in Italien, dann zog er sich nach Wieblingen bei Heidelberg zurück, im Herbst 1877 ging er schließlich nach Sachsenhausen, der Schwesterstadt Frankfurts, und hier trat den immerfort geistig Arbeitenden, der nur noch mit Hülfe von Chloral den Schlaf auf seine Lider zu bannen vermochte, in der Nacht vom 15. zum 16. December 1878 der Tod, wenn auch in tragischer Gestalt, so doch als Erlöser an. Eine starke Dosis Chloral hatte seine Sinne umnebelt, in diesem Zustand stieß er das Licht um, das Bett fing Feuer, in Rauch und Gluthen wie Hackert in den „Rittern von Geist“, Lucinde im „Zauberer von Rom“ schied er vom Leben. Am Tage vorher war er noch an der Umarbeitung seines Romans „Hohenschwangau“ eifrig thätig gewesen.

Gutzkow’s Charakter war ein Gemisch der schärfsten Widersprüche, er spiegelt sich in seinen Werken. Neben einem zersetzenden Verstand von mephistophelischer Schärfe hatte er ein weiches, empfindsames Gemüth. Immer zum Kampf bereit, „in Ausdruck und Haltung voll Wagmuth und Plebejertrotz“, war er andererseits grüblerisch, reumüthig, zur Rücknahme bereit. In der Kritik wesentlich auf die Sache gerichtet, ließ er sich doch von persönlichen Sympathieen und Antipathieen unbewußt stark beeinflussen. Für an ihm geübte Kritik äußerst empfindlich, ließ er sich doch viel zu leicht durch dieselbe in dem Glauben an sich selbst irritiren. Nach dem dauernden Ruhm des Dichters strebend, wollte er doch vor allem auf die Gegenwart wirken und Zeuge seiner Wirkungen sein. Eine Ahasvernatur Orten wie Menschen gegenüber, immer im Aufenthalt, im Verkehr wechselnd (die Zahl seiner einander folgenden persönlichen Beziehungen ist kaum übersehbar), in der Oeffentlichkeit aufgehend, lebensdurstig, war er zugleich ein Virtuose der Einsamkeit, war ihm der Besitz einer Häuslichkeit Bedürfniß. Kritisch und satirisch veranlagt, drängte der Grundzug seines Geistes auf Versöhnung, Vermittelung. Scepticismus und Idealismus waren in ihm gleich mächtig. Seinem Talente nach ist er mit Voltaire, seinem Charakter nach mit Lessing verwandt. Der geistige Inhalt ist in allen seinen Werken bedeutend; Harmonie, das Maß des Schönen, geht ihnen oft ab. Begeistert für Freiheit und Fortschritt, war er ein unbeugsamer Verehrer bestimmter positiver Werthe im Leben des Herzens, des Geistes, des Staates, des Glaubens. So ist er in seinen Vorzügen nicht minder wie Fehlern ein ächter Sohn der gährenden Zeit, welche ihn zeitigte, deren Spiegelbild seine Werke sind, geistig in vieler Beziehung einer ihrer Gipfelpunkte. Aber ein Grundzug seiner Natur ist kein schwankender, hat keinen Gegensatz, das ist die Ueberzeugungstreue, welche sein Charakterbild verklärend, seinem Talente an Größe gleich kam.

Vgl. Gutzkow, K., Aus der Knabenzeit (Frankf. 1852); Das Kastanienwäldchen in Berlin (in: Lebensbilder, Bd. II, Stuttg. 1870); Rückblicke auf mein Leben (Berlin 1875); Riedel, K., Polem. Erörterungen a. d. Geb. der Kunst u. Litteratur, Nürnb. 1836; Jung, A., Briefe über die deutsche Litteratur (1836); Ders., Briefe über Gutzkow’s Ritter vom Geiste (Leipz. 1856); Schücking, L., Rückblicke auf die deutsche Litteratur s. 1830 (im Jahrb. der Litteratur 1839, Hamb., Hoffmann & Campe); Gottschall, R., Die deutsche Nationallitteratur in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. (3 Bde., Bresl. 1855, [236] 4. Aufl. 1875); Ders., K. Gutzkow, Ein litterar. Charakterbild (Unsere Zeit, N. F. 15. Jahrg. 6. Heft); Stern, Adolf, K. Gutzkow (in: Zur Literatur der Gegenwart (IV), Lpzg. 1880; Frenzel, K., K. Gutzkow, Ein Charakterbild (Westermann’s Monatsh., April 1879). Eine ausführliche Biographie hat der Unterzeichnete in Arbeit, welche 1880 (Leipzig, B. Schlicke) erscheinen soll.