Zum Inhalt springen

ADB:Wratislaw, Johann Wenzel Graf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wratislaw, Johann Wenzel Graf“ von Alfred Ritter von Arneth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 234–243, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wratislaw,_Johann_Wenzel_Graf&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:20 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wratislaw II.
Band 44 (1898), S. 234–243 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Wenzel Wratislaw von Mitrowitz in der Wikipedia
Johann Wenzel Wratislaw von Mitrowitz in Wikidata
GND-Nummer 121612333
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|44|234|243|Wratislaw, Johann Wenzel Graf|Alfred Ritter von Arneth|ADB:Wratislaw, Johann Wenzel Graf}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=121612333}}    

Wratislaw: Johann Wenzel Graf W. kam am 25. November 1669, und zwar, wie wol als ziemlich sicher anzunehmen ist, in Prag zur Welt. Er war der älteste Sohn des Kammergerichtspräsidenten und Statthalters in Böhmen, Grafen Franz Christian W., aus dessen Ehe mit der Gräfin Marie Elisabeth Waldstein. Nachdem er eine sorgfältige Erziehung genossen und seine Studien mit günstigem Erfolge zurückgelegt hatte, erwarb er im August 1690 an der Prager Universität das juridische Doctorat, und es wurde von ihm gerühmt, daß die Lehrsätze, die er hiebei vertheidigte, nicht weniger als hundert, nachdem sie [235] gedruckt waren, ein ansehnliches Buch füllten. Nachdem er die zu jener Zeit für die Söhne vornehmer Familien allgemein gebräuchliche Bildungsreise nach den wichtigsten europäischen Hauptstädten unternommen, trat W. im J. 1693 als Appellationsrath in Prag in den österreichischen Staatsdienst. Zwei Jahre später zur böhmischen Hofkanzlei in Wien übersetzt, wußte er sich dort rasch durch seine seltene Begabung, seinen ausgezeichneten Charakter und seinen unermüdlichen Fleiß das Vertrauen seiner Vorgesetzten in so hohem Maße zu erwerben, daß sie den Blick des Kaisers auf ihn lenkten, als es um die Erfüllung eines Auftrages von größter Wichtigkeit sich handelte. Am 1. November 1700 war König Karl II. von Spanien mit Hinterlassung eines Testamentes gestorben, in welchem er im Gegensatze zu dem unbestreitbaren Erbrechte des jüngeren Zweiges des Hauses Habsburg und zu seinen eigenen oft wiederholten Versprechungen den zweitgeborenen Enkel Ludwig’s XIV. von Frankreich, den Herzog von Anjou zum alleinigen Erben all seiner Länder erklärte.

Obgleich man dieses Ereigniß schon eine Zeit lang vorhergesehen, wurde der Wiener Hof doch durch dessen Eintritt in die größte Aufregung versetzt. So tiefgehend war sie, daß sie ihn, was sonst nicht leicht geschah, zu energischen Entschlüssen trieb. Erst am 25. November war die officielle Nachricht von dem Hinscheiden des Königs von Spanien in Wien eingetroffen, und schon am selben Tage erhielt W. den Befehl, sich schleunigst nach England zu begeben und sich dort um die Beihülfe Wilhelm’s III. zur Geltendmachung der Ansprüche des Hauses Oesterreich auf das spanische Erbe zu bewerben. Ohne daß man gerade W. das Hauptverdienst hievon zuschreiben könnte, geschah es doch nicht ohne sein Zuthun, daß am 7. September 1701 im Haag, wohin er dem Könige von England gefolgt war, die Allianz zwischen dem Kaiser und den Seemächten gegen Frankreich abgeschlossen wurde. Unzweifelhaft sei sie, sagte der König zu W., dem er viel Zutrauen zeigte, das größte Werk, das er zeitlebens zu Stande gebracht habe.

Im December 1701 nach England zurückgekehrt, mußte dort W. schon nach wenigen Monaten das Hinscheiden Wilhelm’s erleben. Um so schmerzlicher traf ihn dieses traurige Ereigniß, als er der zuversichtlichen Erwartung sich hingegeben hatte, der Unfall, von welchem der König betroffen worden, werde ohne ernstere Folgen vorübergehen. „Man kann von diesem Herrn sagen“, schrieb W. am 19. März 1702 an den Kaiser Leopold I., „daß er gelebt wie er gestorben, indem er mit eben dieser Großmüthigkeit und Gleichgültigkeit den Tod kommen gesehen, als wenn er ihn nicht selber anginge. Er hat in seinen letzten Stunden weder eine Furcht vor ihm noch ein Verlangen zum Leben gezeigt.“ Und von seiner eigenen Person redend, sagt W., „er sei unglückselig, sich bei so schweren Conjuncturen in einem durch den Todfall des Königs so verwirrten Lande zu befinden“. Aber nicht geringen Trost schöpft er aus den Versicherungen Marlborough’s, zu dem er schon seit ihrem gemeinschaftlichen Verweilen im Haag die freundschaftlichsten Beziehungen unterhielt, auch unter der Regierung der Königin Anna werde die Politik Englands keine anderen als die bisherigen Bahnen einschlagen. Und wirklich erklärten bereits im Mai 1702 die Seemächte Frankreich den Krieg, den der Kaiser schon im Vorjahre in Italien begonnen hatte. Von nun an wurde zwischen W. und den leitenden britischen Staatsmännern, Marlborough an ihrer Spitze, das engste Einvernehmen über die zu Land und zur See gegen Frankreich ins Werk zu setzenden Kriegsunternehmungen gepflogen. Mit seinem eigenen Feuereifer wußte W. auch die Personen zu durchdringen, in deren Händen die Führung der öffentlichen Angelegenheiten Englands lag. Ja er eilte selbst nach Portsmouth, die dort zum Auslaufen bereite Flotte und die Landtruppen zu besichtigen, welche sie hinwegführen [236] sollte. In angestrengtester Thätigkeit, die sich auch auf geheime Verhandlungen zur Hereinziehung des Victor Amadeus von Savoyen sowie des Königs Peter II. von Portugal in das Bündniß gegen Frankreich erstreckte, verblieb W. in London, bis er im Mai 1703 diese Stadt verließ, um einem Rufe des Kaisers nach Wien zu folgen. Hier mag er dem Zustandekommen jener überaus wichtigen Abmachungen nicht fremd geblieben sein, von denen die eine die Erbfolge im Hause Habsburg in der Art festsetzte, daß nach dem völligen Aussterben der männlichen Linie zunächst die Töchter Kaiser Leopold’s I., dann diejenigen seines älteren Sohnes Joseph und erst zuletzt die weiblichen Nachkommen des Erzherzogs Karl zur Regierung gelangen sollten. Und die zweite sprach die Abtretung sämmtlicher Erbrechte Leopold’s und Joseph’s auf die gesammte spanische Monarchie, nur Mailand ausgenommen, an Karl aus.

Schon wenige Tage nach der feierlichen Bekräftigung dieser Abmachungen begab sich Karl, von dem Wiener Hof und dessen Verbündeten als König von Spanien anerkannt, mit großem Gefolge und in langsamen Tagereisen vorerst nach dem Haag, wo er am 3. November mit W., der ihm nach Deutschland vorangeeilt war, wieder zusammentraf. Theils die Nachricht, daß der Canal von zahlreichen französischen Schiffen durchkreuzt werde, so daß die Ansammlung einer größeren Menge englischer und holländischer Fahrzeuge zum Schutze der Ueberfahrt des jungen Königs nothwendig werde, theils beispiellos heftige Stürme verzögerten Karl’s Abreise nach London in ganz unerwarteter Weise. Auch dorthin ging ihm W. nach fast zweimonatlichem Aufenthalte im Haag voraus, aber bald konnte Karl ihm folgen und nach einer für jene Zeit ungemein raschen Fahrt, die er im Geleite von nicht weniger als 62 Kriegs- und Transportschiffen zurücklegte, ging er am 6. Januar 1704 bei Portsmouth glücklich ans Land. Dort wurde er von dem Herzog von Somerset als Bevollmächtigten der Königin, von Marlborough und W. bewillkommt. Sie begleiteten ihn zur Königin Anna nach Windsor, und W. kann nicht Worte genug finden, den Jubel, mit welchem Karl auf seiner Fahrt dorthin von der massenhaft zusammengeströmten Bevölkerung begrüßt wurde, und den ungemein zuvorkommenden Empfang zu schildern, der ihm von der Seite der Königin zu theil wurde. Aber auch die Haltung und das Benehmen des jungen Königs werden von W. mit einer Herzenswärme gepriesen, die sich von den bei derlei Anlässen gewöhnlichen Lobhudeleien wohlthuend unterscheidet. Und überhaupt scheint von dem Augenblicke an, in welchem Karl sich nach Portugal einschiffte, W. aber wenigstens vor der Hand in London zurückblieb, eine Innigkeit der Beziehungen zwischen ihnen eingetreten zu sein, welche Beiden nur zur Ehre gereicht.

So lange W. noch in England verweilte, dort nun gleichfalls als Karl’s Gesandter beglaubigt, bemühte er sich rastlos darauf hinzuwirken, daß von Seite der Seemächte die Kriegführung gegen Frankreich so energisch als nur immer möglich aufgenommen werde. Aber nicht nur, daß dies überhaupt geschehe, auch die Art und Weise, in der gegen den gemeinsamen Feind vorzugehen wäre, bildete für W. fortwährend den Gegenstand ernstlicher Erwägung. Unbedenklich wird für ihn das Verdienst in Anspruch genommen werden dürfen, den Plan, die Gegenden an der oberen Donau zum Kriegsschauplatze zu machen, nicht nur ersonnen, sondern ihn auch trotz anfänglicher Zögerung der englischen und der holländischen Regierung zur Annahme gebracht zu haben. Bevor er von einer ihm schon früher vom Kaiser ertheilten Erlaubniß Gebrauch machend, einer Aufforderung Marlborough’s gemäß, denselben nach dem Haag begleitete, überreichte er der Königin von England eine Denkschrift, in der er die Nothwendigkeit nachwies, die Bedrängniß abzuwehren, welche durch den Einmarsch eines starken französischen Heeres [237] in Baiern über Kaiser und Reich zu kommen drohte. Nachdem er hierzu gemeinsam mit Marlborough das Nöthige mit den Generalstaaten verabredet hatte, eilte er nach Düsseldorf zu Johann Wilhelm, dem Kurfürsten von der Pfalz, dem Schwager und treuen Anhänger Leopold’s I. und von da in das Feldlager des kaiserlichen Generallieutenants Markgrafen Ludwig von Baden. Nachdem er auch diesen bereit gefunden hatte, in Allem mit Marlborough gemeinschaftlich vorzugehen, kehrte er zu dem englischen Feldherrn zurück und ließ sich durch dessen dringende Bitten bewegen, bei ihm noch länger zu verweilen. Es möge „darob sein“, befahl ihm der Kaiser, „daß Marlborough die resolvirten Operationen mit Kraft vornehme und vollziehe“. Daran ließ es derselbe denn auch durchaus nicht fehlen. Er wolle, hatte er schon im Haag zu W. gesagt, siegen oder sterben und darnach handelte er denn auch. Am 10. Juni 1704 traf Eugen von Savoyen, schon seit längerer Zeit mit W. innig befreundet, bei Marlborough ein, und da wenige Tage später auch der Markgraf von Baden zu ihm kam, fand unter einem Baume des Gasthauses zu Großheppach, den man auch heute noch zeigt, in Wratislaw’s Gegenwart die berühmt gewordene Zusammenkunft aller drei Feldherren statt. Bald jedoch trennten sie sich wieder. Eugen begab sich nach dem Oberrhein, um dort das Commando über eine abgesonderte Armee zu übernehmen, der Markgraf von Baden aber zu seinem Heere, um es mit demjenigen Marlborough’s zu vereinigen. Kaum war dies geschehen, so gelang es ihnen schon am 2. Juli, die am Schellenberge bei Donauwörth verschanzten Truppen des Kurfürsten Max Emanuel von Baiern vollständig zu schlagen. Mit der Uhr in der Hand beobachtete W. den Gang der Schlacht. Der Dank für ihren glücklichen Ausgang gebührte natürlich in erster Linie den Feldherren, aber auch der eigentliche Urheber des errungenen Erfolges, W., wurde nach Gebühr gelobt. Er werde sich, schrieb ihm der Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, nicht wenig gefreut haben, das glänzende Resultat der von ihm gepflogenen Verhandlung persönlich mit ansehen zu können. Denn hätte er den Anmarsch der englischen Truppen an die Donau nicht zu Wege gebracht, so würde der herausfordernde Hochmuth des Kurfürsten von Baiern wol niemals so empfindlich gedemüthigt worden sein. Auf die Schmerzensnachricht von dem Unglücksereignisse am Schellenberge eilte Max Emanuel herbei und versuchte Friedensverhandlungen mit W. anzuknüpfen, welche derselbe jedoch schon von vornherein nicht für ernstgemeint hielt; nur um Marlborough gefällig zu sein, ließ er sich auch ohne Bevollmächtigung vom Kaiserhofe auf sie ein. Mit Marlborough einigte er sich zu dem Entwurfe eines Vertrages, durch welchen dem Kurfürsten als Preis seines Uebertrittes zu den Verbündeten nicht nur völlige Amnestie, sondern auch einige Vergrößerung seines Gebietes und ansehnliche Subsidien angeboten wurden; endlich sollte ihm die Verpflichtung nicht auferlegt werden, gegen die bei ihm befindlichen französischen Truppen feindlich vorzugehen. Um auf dieser Grundlage mit W. abzuschließen, lud ihn der Kurfürst für den 14. Juli zu einer Zusammenkunft im Kloster Fürstenfeld ein, wer aber, obgleich W. sich dorthin begab, sich nicht daselbst einfand, war Max Emanuel. Im letzten Augenblicke erklärte er, der Anmarsch der Franzosen unter Tallard mache es ihm unmöglich, deren Partei zu verlassen. Durch diesen Treubruch aufs äußerste erbittert, sprachen Marlborough und W. einmüthig die Ansicht aus, der Kurfürst werde nicht nachgeben, außer unter dem Drucke der äußersten Noth. Um einen solchen herbeizuführen, schien ihnen eine Verheerung seines Landes das geeignetste Mittel, und sie hielten an diesem grausamen Gedanken auch gegen den Widerspruch des Markgrafen Ludwig fest. Aber in Wien dachte man menschlich genug, sich für die mildere Anschauung zu erklären und zu befehlen, daß der schon begonnenen Verwüstung Baierns Einhalt geschehe.

W. war es, dessen stetes Drängen die beiden Feldherren, den Markgrafen [238] Ludwig und Marlborough zu dem Entschlusse trieb, einer von ihnen habe die Belagerung von Ingolstadt zu unternehmen. Gern übernahm der Markgraf diese Aufgabe; er war froh, von Marlborough loszukommen, zu dem nun Eugen von Savoyen, von W. dringend herbeigerufen, mit den ihm zugewiesenen Streitkräften stieß. Bei ihm und Marlborough blieb nun auch fortan W., und er wohnte daher, so wie früher der Schlacht am Schellenberge, so nun auch der bei Höchstädt persönlich bei. Wenige Tage nach dem dort errungenen Siege begab er sich auf Wunsch Marlborough’s und Eugen’s zu dem Markgrafen Ludwig, um ihm eine zwischen den beiden Feldherren entstandene Differenz zur Entscheidung vorzulegen. Es handelte sich um die Vertheilung der französischen Gefangenen, und der Markgraf fällte dahin sein Urtheil, daß die Hauptperson, der Marschall Tallard, den Engländern verbleibe, hinsichtlich der übrigen möge man eine billige Vereinbarung treffen. Man weiß, welche verhängnißvollen Folgen der in Bezug auf Tallard geschehene Ausspruch nach sich zog. Für Marlborough aber bemühte sich W. die Verleihung eines deutschen Fürstenthumes vom Kaiser zu erwirken. Erst im folgenden Jahr, unter Leopold’s Nachfolger Joseph drang er aus Anlaß der persönlichen Anwesenheit Marlborough’s in Wien damit durch.

Nach dem Siege bei Höchstädt folgte W. den beiden Feldherren, die ihn errungen hatten und denen sich nun auch der dritte, Ludwig von Baden, zu gemeinschaftlicher Verfolgung des Feindes bereitwillig anschloß, bis an und über den Rhein. Nachdem die Verbündeten Ulm eingenommen, gingen sie vor Landau, und noch war dessen langwierige Belagerung nicht an ihr Ende gelangt, als W. in dem Hauptquartiere zu Ilbesheim, einem Dorfe westlich von Landau, am 7. November 1704 mit der Kurfürstin von Baiern, Johann Sobieski’s Tochter, einen Vertrag schloß, der die Unterwerfung Baierns unter den Kaiser besiegelte. Nichts blieb der Kurfürstin und ihren Kindern übrig als das Rentamt München, in welcher Stadt sie denn auch unter dem Schutze der ihr belassenen Leibgarde noch fortan verweilte.

Nach Beendigung des Feldzuges nach Wien zurückgekehrt, legte W. als oberster Landrichter des Königreichs Böhmens den Eid in die Hände des Kaisers ab. Gleichzeitig eröffnete er mit dessen jüngerem Sohne, dem damals noch in Portugal befindlichen Könige Karl eine Correspondenz, welche nicht nur wichtige Aufschlüsse über die Geschichte der damaligen Zeit, sondern vor allem höchst interessante Beiträge zur Charakteristik der beiden Briefschreiber enthält. Immerdar zeigt sich W. als das, was der Rathgeber eines jungen Fürsten allzeit sein sollte, als ernster, ruhiger und scharfblickender Beurtheiler der in Betracht zu ziehenden Lage der Dinge. Außerdem verletzt er niemals denjenigen, zu welchem er spricht, durch Außerachtlassung des hohen Ranges, den derselbe bekleidet. Aber ebensowenig verliert er die Pflicht des älteren Freundes, auch dann nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, wo sie dem Ohre des Hörers nicht gerade schmeichelhaft klingt, auch nur einen Moment aus den Augen. Bilden somit die Briefe Wratislaw’s an Karl ein anziehendes Denkmal seiner weisen Auffassung der politischen Verhältnisse, seiner Wahrheitsliebe und der Festigkeit, mit der er dieselbe auch einem dem Range nach um so viel höher Stehenden gegenüber niemals verleugnet, so können nicht minder die Antworten Karl’s als ein schönes Beispiel der Art gelten, wie fürstliche Personen derlei Rathschläge aufzunehmen haben. Nie vergißt er, daß sie ihm nur zu seinem eigenen Besten ertheilt und daß sie durch nichts als durch das redliche Bestreben veranlaßt werden, ihm Nutzen zu bringen.

Schon im April 1705 unterrichtet W. den König von der sichtlichen Abnahme der geistigen und der körperlichen Kräfte des Kaisers. Gleichsam zum Troste aber fügt er hinzu, daß von der innigen Liebe des Thronfolgers Joseph [239] zu seinem Bruder mit Bestimmtheit erwartet werden dürfe, er werde ihn bei der Verfechtung seiner Erbansprüche noch nachdrücklicher unterstützen als der Kaiser, der mit zunehmendem Alter immer unentschlossener geworden sei, dies bisher gethan habe. Und wirklich griff Joseph nach dem Tode seines Vaters kraftvoll in die Zügel der Regierung. Für W. führte dies rasch eine wahrhaft dominirende Stellung herbei, deren er durch den Ernst und die Schärfe seiner Auffassung, durch den Freimuth seiner Kundgebungen und durch die Wärme seiner Vaterlandsliebe in ganz besonderem Maße würdig erschien. Nach außen hin fand diese Stellung ihren Ausdruck in seiner Ernennung zum böhmischen Kanzler und in seiner Zuziehung zu allen Conferenzen, die sich auf die ungarischen Angelegenheiten, auf die Berührungen mit England und Holland, endlich auf alles bezogen, was hiermit in irgend einem Zusammenhange stand. Sein Wirkungskreis wurde hierdurch gleichsam ein doppelter, indem er ebenso die inneren wie auch die äußeren Staatsgeschäfte umfaßte. In ersterer Beziehung konnte er infolge der langen Abwesenheit des obersten Kanzlers Grafen Wenzel Norbert Kinsky als eigentlicher Leiter der böhmischen Hofkanzlei gelten, und als solcher wurde er der Erbauer des schönen Palastes, in welchem heutzutage das Ministerium des Innern untergebracht ist. Aber in bei weitem höherem Maße trat in jener Zeit der kriegerischen Wirren die Thätigkeit hervor, welche W. infolge des zweiten Theiles der ihm übertragenen Aufgabe zu entwickeln berufen war. Allerdings läßt sich nicht behaupten, daß W. in allen Verhandlungen, die er zu führen hatte, ebenso vom Glücke begünstigt gewesen wäre, wie dies in seinen bisherigen mit den Seemächten der Fall war. So blieben diejenigen fruchtlos, die er am Beginn des Jahres 1706 mit den ungarischen Insurgenten pflog, und die prophetischen Worte, welche er zu Franz Rakoczy in Neuhäusel sprach, Frankreich sei das Hospital der Fürsten, welche er durch Wortbruch und Nichteinhaltung seiner Versprechungen unglücklich gemacht habe, gingen buchstäblich in Erfüllung. Kaum erfreulicher war der Ausgang der Sendung, mit welcher sich W. im Sommer 1707 zu König Karl XII. von Schweden nach Altranstädt in Sachsen begab. Schon als derselbe den Boden des deutschen Reiches betreten, hätte ihm W. dies am liebsten mit gewaffneter Hand verwehrt, aber er war mit dieser Ansicht allein geblieben im Rathe des Kaisers. Nun galt es Karl XII. in Streitsachen zu versöhnen, in denen das Unrecht sich eigentlich größtentheils auf seiner Seite befand. Aber Nachgiebigkeit gegen den König oder Kriegführung wider ihn, das war so ziemlich die Alternative, in die der Kaiserhof, der ohnehin schon durch die Kämpfe um die Erbfolge in Spanien über seine Kräfte in Anspruch genommen war, sich gedrängt sah. Ohne Zutritt zu dem Könige selbst erlangen zu können, mußte W. mit dessen Räthen verkehren, die es denn auch, ganz im Geiste ihres Gebieters handelnd, an schroffem Auftreten keineswegs fehlen ließen. Allem widerstehend, was seine Einschüchterung bezweckte, setzte jedoch W. seine Versöhnungsversuche unverdrossen fort. Er nahm hierzu die Vermittlung der Seemächte in Anspruch, aber trotz ihres guten Willens, den Kaiser aus seiner peinlichen Lage zu befreien, mußten sie ihn doch in Anbetracht der Confession ihrer eigenen Unterthanen hinsichtlich eines wichtigen Punktes im Stiche lassen, auf den man in Wien ganz außerordentlichen Werth legte. Karl XII. verlangte eine Erklärung des Kaisers, kraft deren die Wiedereinsetzung der Protestanten in Schlesien in den ihnen durch den westfälischen Frieden eingeräumten Zustand zugesichert werde. Obgleich selbst ein eifriger Katholik, rieth doch W. dringend zur Erfüllung des Begehrens des Königs. Unter den einmal obwaltenden Verhältnissen müsse er, ließ er sich dem Kaiser gegenüber vernehmen, es als dem Katholicismus weit ersprießlicher betrachten, die verlangte Erklärung abzugeben und einige protestantische Kirchen wiederherzustellen, als ganze katholische Länder [240] und viele hundert Gotteshäuser der Verheerung preisgegeben zu sehen. Vernünftiger Weise ging der Kaiserhof auf die dringenden Rathschläge seines Gesandten ein und am 1. September 1707 konnte W. den Vertrag unterzeichnen, durch welchen dem Hause Gottorp der Besitz des Bisthums Lübeck, der Krone Schweden für ihre reichsständischen Gebiete vorläufige Befreiung von allen Reichslasten, den Protestanten in Schlesien aber die Restitution des kirchlichen Besitzstandes vom Jahre 1648 zugesichert wurde. In seinem Begleitschreiben an den Kaiser dankte W. Gott, daß man mit diesem „wilden Menschen“, wie er den König von Schweden nennt, so weit gekommen sei.

Nach Wien zurückgekehrt, widmete sich W. von den vielen Geschäften von äußerster Wichtigkeit, mit denen er fortwährend überhäuft war, keinen mit unermüdlicherem Eifer als denen, welche den auf spanischem Boden kämpfenden Sprößling des Hauses Habsburg betrafen. Da ist es denn wahrhaft rührend zu sehen, mit welcher Sorgfalt er über die Aufrechterhaltung der Einigkeit zwischen den beiden Brüdern wachte. So weitgehend die Opfer auch waren, die der Aeltere der Sache des Jüngeren brachte, so schienen sie diesem doch niemals hinreichend zu sein, und wenn er sich beikommen läßt, sich hierüber in Klagen zu ergehen, so wird er von W. zwar mit Sanftmuth und Milde, aber doch recht ernstlich zurecht gewiesen. Um Gottes Willen bitte er ihn, schrieb er ihm einmal, sein Verfahren gegen den Kaiser um so mehr zu ändern, da er dabei durchaus nicht im Recht zu sein scheine. Er möge bedenken, was der Kaiser für ihn gethan, fortwährend thue und auch noch in Zukunft thun werde, sowie daß ohne dessen fernere Mithülfe gar nichts für ihn würde geschehen können. Ebenso tadelte er ihn, daß er die Vermittlung der Königin von England in Anspruch genommen, um die Absendung des Prinzen Eugen nach Spanien zu verlangen. Er bat ihn, seine Wünsche künftighin nicht durch die Alliirten, sondern unmittelbar an den Kaiser gelangen zu lassen, der bei weitem das meiste Anrecht auf sein Vertrauen besitze. Und was die Sache selbst anging, setzte W. mit Freimuth die Gründe auseinander, in Anbetracht deren auch er sich nicht für die Reise des Prinzen nach Spanien aussprechen könne. Dem dorthin bestimmten Feldmarschall Grafen Guido Starhemberg fehle keine der Eigenschaften, welche zur Leitung der kriegerischen Unternehmungen auf der Halbinsel nothwendig seien.

Ebenso rückhaltlos unterrichtete W. den König Karl von den wichtigen Ereignissen, die sich im Laufe des Jahres 1709 am Wiener Hofe zutrugen. Dort hatte der Obersthofmeister Fürst Salm durch Kundgebung der Absicht, sich von seiner bisherigen Stellung als Premierminister freiwillig zurückzuziehen, alles in gewaltige Gährung versetzt. Zwei Parteien bildeten sich, von denen die eine den Cardinal Johann Philipp Grafen von Lamberg, Bischof von Passau, an Salm’s Stelle zu bringen sich bemühte, während die andere jeder Wiederbesetzung dieses Postens widerstrebte. Eugen von Savoyen und W., durch innige Freundschaft, sowie durch Gleichheit der Gesinnung und der Bestrebungen eng miteinander verbunden, wirkten zu diesem Ende zusammen und sie erreichten auch ihr Ziel. Statt der Einsetzung eines Premierministers erfolgte die der geheimen Conferenz, der die Leitung der wichtigsten Staatsgeschäfte zugewiesen wurde. Aus sieben Mitgliedern, unter ihnen auch W., wurde sie gebildet. Nach dem Prinzen Eugen, der jedoch den größten Theil des Jahres hindurch in den Feldlagern abwesend war, erschien W. als der bei weitem Bedeutendste von ihnen. Lebhaft bedauerte er, als der Kaiser, durch höfische Intriguen hierzu veranlaßt, zu einer noch weitergehenden Vermehrung dieser schon an und für sich übergroßen Anzahl von Conferenzmitgliedern verlockt wurde. So fühlbar war der dadurch herbeigeführte Uebelstand, daß schon im folgenden Jahre die unausweichlich gewordene Reduction [241] eintreten mußte, infolge deren die Conferenz von nun an neben Eugen und W. nur noch drei andere Mitglieder zählte.

Von den vielen Verhandlungen, die W. in seiner neuen Stellung geradeso wie in der früheren nach allen Richtungen hin zu führen hatte, sei nur diejenige erwähnt, welche im J. 1710 zur Herbeiführung einer Beendigung der ungarischen Wirren, aber freilich noch immer fruchtlos gepflogen wurde. Schon drei Jahre früher war W. mit all dem Nachdrucke, mit dem er seine Anschauungen allzeit verfocht, dafür eingetreten, daß man sich nur ja nicht zu einer Preisgebung Siebenbürgens an Rakoczy herbeilasse und in einer Conferenz mit diesem, sowie mit den englischen und holländischen Vermittlern zu Tyrnau, erklärte er ihnen rundweg, er werde sich eher die Faust abhauen lassen als dem Kaiser hierzu rathen. Aber trotzdem man von ihm sagte, daß „die Hitze seines Eifers für den Dienst seines Kaisers sich immer auf dem Siedepunkte befinde“, wußte er doch dort, wo es Noth that, auch die wünschenwerthe Mäßigung zu bethätigen. Und um den hier und da laut gewordenen Verdacht zu widerlegen, die österreichischen Minister trachteten in ihrem eigenen Interesse die Begnadigung der ungarischen Rebellen zu hintertreiben, erklärte W. ihrem Wortführer, er werde im Falle eines Vergleiches der erste zur Zurückstellung der ihm geschenkten und von ihm theilweise schon in Besitz genommenen Güter der Familie Forgach bereit sein. Aber noch waren die Insurgenten nicht mürbe genug, um sich den vom Kaiserhofe aufgestellten Bedingungen zu fügen und erst zu Ende April 1711 kam in Szathmar der Friede mit ihnen zu Stande. Dem Kaiser Joseph I. war es jedoch nicht mehr vergönnt, sich dieses Erfolges zu erfreuen; wenige Wochen vorher, am 17. April 1711, erlag der Kaiser den Blattern.

Unbeschreiblich war die Bestürzung, welche dieses Ereigniß am Wiener Hofe hervorbrachte, und sie spiegelt in den Briefen sich wieder, die nun W. in noch weit größerer Anzahl als früher an Joseph’s Bruder, den in Barcelona weilenden König Karl zu richten sich befliß. Mit gleicher Offenheit wie früher schreibt er ihm auch jetzt, spricht in rührenden Worten von dem verstorbenen Kaiser, theilt dem Könige mit, daß seine Mutter, die verwittwete Kaiserin Eleonore, einstweilen zur Regentin ernannt worden sei und fordert ihn auf, baldigst mit einem nur kleinen Gefolge und mit Zurücklassung der Spanier und der Italiener nach Deutschland herüberzukommen. Den Feldmarschall Starhemberg möge er zu seinem einstweiligen Stellvertreter in Catalonien ernennen.

Aber Karl war keineswegs gewillt, diesem aus Wien an ihn gelangenden Begehren so rasch, als man dort es wünschte und verlangte, zu entsprechen. Man dürfe, schrieb er an W., keinen Augenblick auch nur daran denken, daß Spanien dem Hause Habsburg entzogen werden könnte. Er wolle wol so bald als nur immer möglich nach Deutschland kommen, aber er dürfe auch seine Unterthanen in Spanien nicht im Stiche lassen, und wenn man schon in Wien seiner bedürfe, wo sich doch alles in geordnetem Gange befinde und tüchtige Staatsmänner vorhanden seien, die öffentlichen Angelegenheiten zu leiten, so könne man leicht ermessen, um wieviel nöthiger seine Anwesenheit in Spanien sei, wo sich alles in Verwirrung und niemand befinde, der mit voller Beruhigung an die Spitze der Geschäfte gestellt werden könnte.

Den ganzen Sommer des Jahres 1711 hindurch bildete nun die Frage der Rückkehr des Königs nach Deutschland einen Hauptgegenstand des Briefwechsels, der zwischen ihm und W. geführt wurde. Dieser blieb bei seinem Drängen, das immer ungestümer wurde, und in immer drastischeren Worten seinen Ausdruck fand. „Es scheint“, schrieb er einmal dem Könige, „daß Eure Majestät gleich wie der gute Hirt im Evangelium neunundneunzig Schafe verlassen, um dem [242] einen irrenden nachzulaufen, damit dasselbe nicht von den Wölfen aufgezehrt werde. Allein um diese fromme Herde sind auch unterschiedliche Thiere, die da nur auf eine Gelegenheit warten, etwas zu erschnappen, und wenn diese Herde einmal sollte zerstreut werden, so würde der Hirt Mühe haben, sie wieder zusammenzubringen, wie ich wahrhaftig nicht weiß, wie es in die Länge gehen wird, wenn Eure Majestät Ihre Herausreise noch durch einige Zeit verschieben wollten“. Auch Karl sah endlich die Nothwendigkeit ein, von seinen Erbländern nicht noch länger entfernt zu bleiben, aber er zauderte doch fortwährend, einen definitiven Entschluß zu fassen und ihn zur Ausführung zu bringen. Nicht früher als am 27. September 1711 schiffte er sich in Barcelona ein, dort einstweilen seine Gemahlin als Regentin zurücklassend. W. hatte diese Maßregel lebhaft bekämpft, denn nichts schien ihm für den bis dahin kinderlosen König dringender nothwendig zu sein, als einen Thronfolger zu erhalten. Aber schließlich mußte er in den Willen Karl’s sich fügen, denn so viel auch sein Rath bei ihm galt, lenken ließ sich der König durch denselben in gar keiner Weise. W. wurde jedoch hierdurch keineswegs abgeschreckt, seine Meinung immer und immer wieder rückhaltlos zu sagen, und sie mit den schlagenden Gründen zu unterstützen, welche sein klares Verständniß für die Lage der Dinge ihm an die Hand gab. Schon bei den Berathungen in Mailand, wohin er mit den andern Ministern dem Könige entgegengekommen war, und in Innsbruck, wo sich Prinz Eugen gleichfalls einfand, geschah dies, am entschiedensten aber in Wien, wo W. von dem nunmehrigen Kaiser Karl VI. bald nach dessen Eintreffen zum obersten Kanzler des Königsreiches Böhmen und dadurch zum eigentlichen Verwalter der inneren Angelegenheiten seines Reiches ernannt wurde. In dieser Stellung führte W. wenn nicht die erste, so doch gewiß die entscheidendste Stimme im Rathe des Kaisers. Am untrüglichsten zeigte sich dies, als endlich infolge eines eigenthümlichen Zusammenwirkens der Ereignisse die Geltendmachung der Ansprüche des Hauses Habsburg auf die Erbfolge in Spanien als undurchführbar und jedes Opfer hierfür als nutzlos dargebracht erschien. W. war der einzige von den Räthen des Kaisers, der es unternahm, ihm die Lage der Dinge vorzustellen, wie sie wirklich war und ihm mit überzeugenden Worten zu Gemüth zu führen, daß es Unrecht sei, seine Erbländer zu Grunde zu richten, um der Verwirklichung eines Lieblingsgedankens nachzujagen, der unter so gänzlich veränderten Verhältnissen nicht mehr durchführbar erscheine. Des Kaisers heiligste Pflicht fordere es, bewies ihm W., dem Gegenstande seiner heißesten Sehnsucht, dem Besitze der spanischen Krone, zu entsagen und nicht das Blut seiner Unterthanen in einem Kampfe zu vergeuden, dessen unbefriedigender Ausgang schon jetzt mit voller Bestimmtheit vorherzusagen sei. „Tags darauf“, schreibt W. an einen seiner Collegen in der Conferenz, „sprach ich noch lange Zeit über diesen Gegenstand mit dem Kaiser, und obgleich die Pille bitter ist, so sehe ich doch, daß die Einsicht es über die Neigung davontragen und er die angemessenen Entschlüsse fassen wird, wenn er, wie den Cataloniern gegenüber den Ehrenpunkt rein zu bewahren vermag und nicht zu förmlicher Entsagung verhalten werden soll“.

Es liegt ein bestimmter Anhaltspunkt vor, der darauf schließen läßt, daß sich der Kaiser durch die seinen innersten Herzenswünschen widersprechenden Rathschläge Wratislaw’s doch etwas verletzt fühlte. Wenigstens behauptet der venetianische Botschafter Zane, W. würde, wenn er noch länger am Leben geblieben wäre, mehr der hohen Achtung des Kaisers als gerade seiner Gunst das Verbleiben in seiner hervorragenden Stellung verdankt haben. Aber seine Stimme neben der des Prinzen Eugen von Savoyen die einsichtsvollste, freimüthigste und uneigennützigste, welche im Rathe des Kaisers mitzusprechen hatte, verhallte nun bald. Ein wirkliches Unglück für Oesterreich und dessen Kaiserhaus war es, daß [243] W. noch in der Blüthe der Jahre – er zählte dann nur wenig über vierzig – den schweren Leiden erlag, die so lange Zeit hindurch an seiner Gesundheit genagt hatten. Ihr äußeres Kennzeichen bestand in einem so maßlosen Leibesumfange, daß ihm hierdurch jede Körperbewegung, die ihm doch sonst so nothwendig gewesen wäre, fast unmöglich gemacht wurde. Die Schwefelquellen zu Baden bei Wien hatten ihm manchmal Linderung, niemals Heilung gewährt. Noch im Frühlinge des Jahres 1712 hatte er sie gebraucht, im darauffolgenden Spätherbste aber nahm sein Leiden so überhand, daß man die Hoffnung aufgeben mußte, ihn noch länger am Leben zu erhalten. Bald konnte er das Lager nicht mehr verlassen und es wurde viel Aufhebens davon gemacht, daß während seiner Krankheit seine Vorzimmer nicht leer wurden von Personen des höchsten Adels, welche, wie es sonst nur bei Mitgliedern des Kaiserhauses geschah, sich täglich zwei Mal nach seiner Wohnung begaben, um sich bei der Dienerschaft persönlich nach dem Befinden des Kranken zu erkundigen. Das große Ansehen, in welchem W. bei Jedermann stand, und die unbegrenzte Gastfreundschaft, die er von jeher gegen den Adel geübt hatte, sollen diese ungewöhnlichen Antheilsbezeigungen veranlaßt haben.

Am 9. December kam Prinz Eugen aus dem Feldlager nach Wien und nachdem er beim Kaiser gewesen, galt sein erster Besuch dem schwer erkrankten Freunde. Er traf ihn bei voller Besinnung und unterredete sich lange Zeit mit ihm. Aber schon in der folgenden Nacht verschlimmerte sich Wratislaw’s Zustand, er verfiel in heftige Fieberphantasien, die ihn nur selten mehr verließen, bis er endlich am 21. December 1712 sieben Uhr Morgens verschied. Seine Güter vermachte er letztwillig seinem Bruder, dem Malteserorden aber, dem er als Großprior von Böhmen angehörte, ein Bildniß des Kaisers Joseph I., das er von demselben zum Geschenke erhalten hatte und auch dem Prinzen Eugen, von dem er in seinem Testament sagt, „daß er stets besondere Freundschaft mit ihm gepflogen“, ein Zeichen der Erinnerung. Und gewiß hat ihn der Prinz niemals vergessen, denn er wurde ja durch dessen Tod seines einsichtsvollsten und treuesten Mitarbeiters, der Kaiser aber eines Rathgebers beraubt, den ihm keiner zu ersetzen vermochte.

Allg. hist. Lex. Leipzig 1732. Bd. IV. – Zedler’s Universallex. Bd. 59. – Coxe, Memoirs of Marlborough. – Murray, Letters and dispatches of Marlborough.Arneth, Feldmarschall Graf Guido Starhemberg. – Fiedler, Actenstücke zur Gesch. Franz Rakoczy’s. – Arneth, Correspondenz König Karl’s III. von Spanien mit Wratislaw. – Arneth, Prinz Eugen von Savoyen. – Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen. Bd. III, IV, V, VI, VIII, IX, XI–XIV. – Noorden, Europ. Gesch. im 18. Jahrhundert. – Klopp, Der Fall des Hauses Stuart, XI–XIV. – Landau, Geschichte Karl’s VI. als Königs von Spanien. – Reiches handschriftliches Material im kais. Staatsarchive zu Wien.